Siebenter Auftritt

[41] Eine Hauptmännin tritt auf. Die Vorigen.


DIE HAUPTMÄNNIN.

Auf diesem Platz, Hochwürd'ge, find ich dich!

– Inzwischen sich, auf eines Steinwurfs Nähe,

Das Heer zur blutigen Entscheidung rüstet!

DIE OBERPRIESTERIN.

Das Heer! Unmöglich! Wo?

DIE HAUPTMÄNNIN.

In jenen Gründen,

Die der Skamandros ausgeleckt.

Wenn du Dem Wind, der von den Bergen weht, willst horchen,

Kannst du den Donnerruf der Königin,

Gezückter Waffen Klirren, Rosse wiehern,

Drommeten, Tuben, Zimbeln und Posaunen,

Des Krieges ganze ehrne Stimme hören.

EINE PRIESTERIN.

Wer rasch erfleucht den Hügel dort?

DIE MÄDCHEN.

Ich! Ich!


Sie ersteigen den Hügel.


DIE OBERPRIESTERIN.

Der Königin! – Nein, sprich! Es ist unglaublich –

– Warum, wenn noch die Schlacht nicht ausgewütet,

Das Fest der Rosen ordnete sie an?

DIE HAUPTMÄNNIN.

Das Rosenfest – Gab sie Befehl denn wem?

DIE OBERPRIESTERIN.

Mir! Mir!

DIE HAUPTMÄNNIN.

Wo? Wann?

DIE OBERPRIESTERIN.

Vor wenigen Minuten

In jenes Obelisken Schatten stand ich,

Als der Pelid, und sie, auf seiner Ferse,

Den Winden gleich, an mir vorüberrauschten.

Und ich: wie geht's? fragt ich die Eilende.[41]

Zum Fest der Rosen, rief sie, wie du siehst!

Und flog an mir vorbei und jauchzte noch:

Laß es an Blüten nicht, du Heil'ge, fehlen!

DIE ERSTE PRIESTERIN zu den Mädchen.

Seht ihr sie? sprecht!

DAS ERSTE MÄDCHEN auf dem Hügel.

Nichts, gar nichts sehen wir!

Es läßt kein Federbusch sich unterscheiden.

Ein Schatten überfleucht von Wetterwolken

Das weite Feld ringsher, das Drängen nur

Verwirrter Kriegerhaufen nimmt sich wahr,

Die im Gefild des Tods einander suchen.

DIE ZWEITE PRIESTERIN.

Sie wird des Heeres Rückzug decken wollen.

DIE ERSTE.

Das denk ich auch. –

DIE HAUPTMÄNNIN.

Zum Kampf steht sie gerüstet,

Ich sag's euch, dem Peliden gegenüber,

Die Königin, frisch, wie das Perserroß,

Das in die Luft hoch aufgebäumt sie trägt,

Den Wimpern heißre Blick', als je, entsendend,

Mit Atemzügen, freien, jauchzenden,

Als ob ihr junger kriegerischer Busen

Jetzt in die erste Luft der Schlachten käme.

DIE OBERPRIESTERIN.

Was denn, bei den Olympischen, erstrebt sie?

Was ist's, da rings, zu Tausenden, uns die

Gefangenen in allen Wäldern wimmeln,

Das ihr noch zu erringen übrigbleibt?

DIE HAUPTMÄNNIN.

Was ihr noch zu erringen übrigbleibt.

DIE MÄDCHEN auf dem Hügel.

Ihr Götter!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Nun? Was gibt's? Entwich der Schatten?

DAS ERSTE MÄDCHEN.

O ihr Hochheiligen, kommt doch her!

DIE ZWEITE PRIESTERIN.

So sprecht![42]

DIE HAUPTMÄNNIN.

Was ihr noch zu erringen übrigbleibt?

DAS ERSTE MÄDCHEN.

Seht, seht, wie durch der Wetterwolken Riß,

Mit einer Masse Licht, die Sonne eben

Auf des Peliden Scheitel niederfällt!

DIE OBERPRIESTERIN.

Auf wessen?

DAS ERSTE MÄDCHEN.

Seine, sagt ich! Wessen sonst?

Auf einem Hügel leuchtend steht er da,

In Stahl geschient sein Roß und er, der Saphir,

Der Chrysolith wirft solche Strahlen nicht!

Die Erde rings, die bunte, blühende,

In Schwärze der Gewitternacht gehüllt;

Nichts als ein dunkler Grund nur, eine Folie,

Die Funkelpracht des Einzigen zu heben!

DIE OBERPRIESTERIN.

Was geht dem Volke der Pelide an?

– Ziemt's einer Tochter Ares', Königin,

Im Kampf auf einen Namen sich zu stellen?


Zu einer Amazone.


Fleuch gleich, Arsinoe, vor ihr Antlitz hin,

Und sag in meiner Göttin Namen ihr,

Mars habe seinen Bräuten sich gestellt:

Ich forderte, bei ihrem Zorn sie auf,

Den Gott bekränzt zur Heimat jetzt zu führen,

Und unverzüglich ihm, in ihrem Tempel,

Das heil'ge Fest der Rosen zu eröffnen!


Die Amazone ab.


Ward solch ein Wahnsinn jemals noch erhört!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Ihr Kinder! Seht ihr noch die Königin nicht?

DAS ERSTE MÄDCHEN auf dem Hügel.

Wohl, wohl! Das ganze Feld erglänzt – da ist sie!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Wo zeigt sie sich?

DAS MÄDCHEN.

An aller Jungfraun Spitze![43]

Seht, wie sie in dem goldnen Kriegsschmuck funkelnd,

Voll Kampflust ihm entgegen tanzt! Ist's nicht,

Als ob sie, heiß von Eifersucht gespornt,

Die Sonn im Fluge übereilen wollte,

Die seine jungen Scheitel küßt! O seht!

Wenn sie zum Himmel auf sich schwingen wollte,

Der hohen Nebenbuhlrin gleich zu sein,

Der Perser könnte, ihren Wünschen frönend,

Geflügelter sich in die Luft nicht heben!

DIE OBERPRIESTERIN zur Hauptmännin.

War keine unter allen Jungfraun denn,

Die sie gewarnt, die sie zurückgehalten?

DIE HAUPTMÄNNIN.

Es warf ihr ganzes fürstliches Gefolge

Sich in den Weg ihr: hier auf diesem Platze

Hat Prothoe ihr Äußerstes getan.

Jedwede Kunst der Rede ward erschöpft,

Nach Themiscyra sie zurückzuführen.

Doch taub schien sie der Stimme der Vernunft:

Vom giftigsten der Pfeile Amors sei,

Heißt es, ihr jugendliches Herz getroffen.

DIE OBERPRIESTERIN.

Was sagst du?

DAS ERSTE MÄDCHEN auf dem Hügel.

Ha, jetzt treffen sie einander!

Ihr Götter! Haltet eure Erde fest –

Jetzt, eben jetzt, da ich dies sage, schmettern

Sie, wie zwei Sterne, aufeinander ein!

DIE OBERPRIESTERIN zur Hauptmännin.

Die Königin, sagst du? Unmöglich, Freundin!

Von Amors Pfeil getroffen – wann? Und wo?

Die Führerin des Diamantengürtels?

Die Tochter Mars', der selbst der Busen fehlt,

Das Ziel der giftgefiederten Geschosse?

DIE HAUPTMÄNNIN.

So sagt des Volkes Stimme mindestens,

Und Meroe hat es eben mir vertraut.[44]

DIE OBERPRIESTERIN.

Es ist entsetzlich!

DIE AMAZONE kehrt wieder zurück.

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Nun? was bringst du? Rede!

DIE OBERPRIESTERIN.

Ist es bestellt? Sprachst du die Königin?

DIE AMAZONE.

Es war zu spät, Hochheilige, vergib.

Ich konnte sie, die von dem Troß der Frauen

Umschwärmt, bald hier, bald dort erschien, nicht treffen.

Wohl aber Prothoe, auf einen Augenblick

Traf ich, und sagt ihr, was dein Wille sei;

Doch sie entgegnete – ein Wort, nicht weiß ich,

Ob ich in der Verwirrung recht gehört.

DIE OBERPRIESTERIN.

Nun, welch ein Wort?

DIE AMAZONE.

Sie hielt, auf ihrem Pferde

Und sah, es schien, mit tränenvollen Augen,

Der Königin zu. Und als ich ihr gesagt,

Wie du entrüstet, daß die Sinnberaubte

Den Kampf noch um ein einzeln Haupt verlängre,

Sprach sie: geh hin zu deiner Priesterin,

Und heiße sie daniederknieen und beten,

Daß ihr dies eine Haupt im Kampf noch falle;

Sonst keine Rettung gibt's, für sie und uns.

DIE OBERPRIESTERIN.

O sie geht steil-bergab den Pfad zum Orkus!

Und nicht dem Gegner, wenn sie auf ihn trifft,

Dem Feind in ihrem Busen wird sie sinken.

Uns alle reißt sie in den Abgrund hin;

Den Kiel seh ich, der uns Gefesselte

Nach Hellas trägt, geschmückt mit Bändern höhnend,

Im Geiste schon den Hellespont durchschäumen.

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Was gilt's? Dort naht die Unheilskunde schon.[45]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 41-46.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Penthesilea
Penthesilea
Penthesilea: Ein Trauerspiel. Studienausgabe
Penthesilea: Ein Trauerspiel
Penthesilea: Ein Trauerspiel (Suhrkamp BasisBibliothek)
Sämtliche Werke und Briefe in 4 Bänden: Band 2. Dramen 1808-1811. Penthesilea / Das Käthchen von Heilbronn / Die Herrmannsschlacht / Prinz Friedrich von Homburg

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon