Neunter Auftritt

[48] Penthesilea, geführt von Prothoe und Meroe, Gefolge treten auf


PENTHESILEA mit schwacher Stimme.

Hetzt alle Hund' auf ihn! Mit Feuerbränden

Die Elefanten peitschet auf ihn los!

Mit Sichelwagen schmettert auf ihn ein,

Und mähet seine üpp'gen Glieder nieder!

PROTHOE.

Geliebte! Wir beschwören dich –

MEROE.

Hör uns!

PROTHOE.

Er folgt dir auf dem Fuße, der Pelide;

Wenn dir dein Leben irgend lieb, so flieh!

PENTHESILEA.

Mir diesen Busen zu zerschmettern, Prothoe!

– Ist's nicht, als ob ich eine Leier zürnend

Zertreten wollte, weil sie still für sich,

Im Zug des Nachtwinds, meinen Namen flüstert?

Dem Bären kauert ich zu Füßen mich,

Und streichelte das Panthertier, das mir

In solcher Regung nahte, wie ich ihm.

MEROE.

So willst du nicht entweichen?

PROTHOE.

Willst nicht fliehen?

MEROE.

Willst dich nicht retten?

PROTHOE.

Was kein Name nennt,

Auf diesem Platz hier soll es sich vollbringen?

PENTHESILEA.

Ist's meine Schuld, daß ich im Feld der Schlacht

Um sein Gefühl mich kämpfend muß bewerben?

Was will ich denn, wenn ich das Schwert ihm zücke?

Will ich ihn denn zum Orkus niederschleudern?

Ich will ihn ja, ihr ew'gen Götter, nur

An diese Brust will ich ihn niederziehn!

PROTHOE.

Sie rast –

DIE OBERPRIESTERIN.

Unglückliche!

PROTHOE.

Sie ist von Sinnen!

DIE OBERPRIESTERIN.

Sie denkt nichts, als den einen nur.[48]

PROTHOE.

Der Sturz

Hat völlig ums Bewußtsein sie gebracht.

PENTHESILEA mit erzwungener Fassung.

Gut. Wie ihr wollt. Sei's drum. Ich will mich fassen.

Dies Herz, weil es sein muß, bezwingen will ich's,

Und tun mit Grazie, was die Not erheischt.

Recht habt ihr auch. Warum auch wie ein Kind gleich,

Weil sich ein flücht'ger Wunsch mir nicht gewährt,

Mit meinen Göttern brechen? Kommt hinweg.

Das Glück, gesteh ich, wär mir lieb gewesen;

Doch fällt es mir aus Wolken nicht herab,

Den Himmel drum erstürmen will ich nicht.

Helft mir nur fort von hier, schafft mir ein Pferd,

So will ich euch zurück zur Heimat führen.

PROTHOE.

Gesegnet sei, o Herrscherin, dreimal

Ein Wort, so würdig königlich, als dies.

Komm, alles steht zur Flucht bereit –

PENTHESILEA da sie die Rosenkränze in der Kinder Händen erblickt, mit plötzlich aufflammendem Gesicht.

Ha, sieh!

Wer gab Befehl, die Rosen einzupflücken?

DAS ERSTE MÄDCHEN.

Das fragst du noch, Vergessene? Wer sonst,

Als nur –

PENTHESILEA.

Als wer?

DIE OBERPRIESTERIN.

– Das Siegsfest sollte sich,

Das heißersehnte, deiner Jungfraun feiern!

War's nicht dein eigner Mund, der's so befahl?

PENTHESILEA.

Verflucht mir diese schnöde Ungeduld!

Verflucht, im blutumschäumten Mordgetümmel,

Mir der Gedanke an die Orgien!

Verflucht, im Busen keuscher Arestöchter,

Begierden, die, wie losgelaßne Hunde,

Mir der Drommete erzne Lunge bellend,

Und aller Feldherrn Rufen, überschrein! –

Der Sieg, ist er erkämpft mir schon, daß mit[49]

Der Hölle Hohn schon der Triumph mir naht?

– Mir aus den Augen!


Sie zerhaut die Rosenkränze.


DAS ERSTE MÄDCHEN.

Herrscherin! Was tust du?

DAS ZWEITE die Rosen wieder aufsuchend.

Der Frühling bringt dir rings, auf Meilenferne,

Nichts für das Fest mehr –

PENTHESILEA.

Daß der ganze Frühling

Verdorrte! Daß der Stern, auf dem wir atmen,

Geknickt, gleich dieser Rosen einer, läge!

Daß ich den ganzen Kranz der Welten so,

Wie dies Geflecht der Blumen, lösen könnte!

– O Aphrodite!

DIE OBERPRIESTERIN.

Die Unselige!

DIE ERSTE PRIESTERIN.

Verloren ist sie!

DIE ZWEITE.

Den Erinnyen

Zum Raub ist ihre Seele hingegeben!

EINE PRIESTERIN auf dem Hügel.

Der Peleïd, ihr Jungfraun, ich beschwör euch,

Im Schuß der Pfeile naht er schon heran!

PROTHOE.

So fleh ich dich auf Knieen – rette dich!

PENTHESILEA.

Ach, meine Seel ist matt bis in den Tod!


Sie setzt sich.


PROTHOE.

Entsetzliche! Was tust du?

PENTHESILEA.

Flieht, wenn ihr wollt.

PROTHOE.

Du willst –?

MEROE.

Du säumst –?

PROTHOE.

Du willst –?

PENTHESILEA.

Ich will hier bleiben.

PROTHOE.

Wie, Rasende!

PENTHESILEA.

Ihr hört's. Ich kann nicht stehen.

Soll das Gebein mir brechen? Laßt mich sein.

PROTHOE.

Verlorenste der Fraun! Und der Pelide,

Er naht, du hörst, im Pfeilschuß –

PENTHESILEA.

Laßt ihn kommen.

Laßt ihn den Fuß gestählt, es ist mir recht,[50]

Auf diesen Nacken setzen. Wozu auch sollen

Zwei Wangen länger, blühnd wie diese, sich

Vom Kot, aus dem sie stammen, unterscheiden?

Laßt ihn mit Pferden häuptlings heim mich schleifen,

Und diesen Leib hier, frischen Lebens voll,

Auf offnem Felde schmachvoll hingeworfen,

Den Hunden mag er ihn zur Morgenspeise,

Dem scheußlichen Geschlecht der Vögel, bieten.

Staub lieber, als ein Weib sein, das nicht reizt.

PROTHOE.

O Königin!

PENTHESILEA indem sie sich den Halsschmuck abreißt.

Weg ihr verdammten Flittern!

PROTHOE.

Ihr ew'gen Götter dort! Ist das die Fassung,

Die mir dein Mund soeben angelobt?

PENTHESILEA.

Vom Haupt, ihr auch – was nickt ihr? Seid verflucht mir,

Hülflosere, als Pfeil und Wangen, noch!

– Die Hand verwünsch ich, die zur Schlacht mich heut

Geschmückt, und das verräterische Wort,

Das mir gesagt, es sei zum Sieg, dazu.

Wie sie mit Spiegeln mich, die Gleißnerinnen,

Umstanden, rechts und links, der schlanken Glieder

In Erz gepreßte Götterbildung preisend. –

Die Pest in eure wilden Höllenkünste!

GRIECHEN außerhalb der Szene.

Vorwärts, Pelide, vorwärts! Sei getrost!

Nur wenig Schritte noch, so hast du sie.

DIE PRIESTERIN auf dem Hügel.

Diana! Königin! Du bist verloren,

Wenn du nicht weichst!

PROTHOE.

Mein Schwesterherz! Mein Leben!

Du willst nicht fliehn? nicht gehn?

PENTHESILEA die Tränen stürzen ihr aus den Augen, sie lehnt sich an einen Baum.

PROTHOE plötzlich gerührt, indem sie sich neben ihr nieder setzt.

Nun, wie du willst.[51]

Wenn du nicht kannst, nicht willst – sei's! Weine nicht.

Ich bleibe bei dir. Was nicht möglich ist,

Nicht ist, in deiner Kräfte Kreis nicht liegt,

Was du nicht leisten kannst: die Götter hüten,

Daß ich es von dir fordre! Geht, ihr Jungfraun,

Geht; kehrt in eure Heimatsflur zurück:

Die Königin und ich, wir bleiben hier.

DIE OBERPRIESTERIN.

Wie, du Unsel'ge? Du bestärkst sie noch?

MEROE.

Unmöglich wär's ihr, zu entfliehn?

DIE OBERPRIESTERIN.

Unmöglich,

Da nichts von außen sie, kein Schicksal, hält,

Nichts als ihr töricht Herz –

PROTHOE.

Das ist ihr Schicksal!

Dir scheinen Eisenbanden unzerreißbar,

Nicht wahr? Nun sieh: sie bräche sie vielleicht,

Und das Gefühl doch nicht, das du verspottest.

Was in ihr walten mag, das weiß nur sie,

Und jeder Busen ist, der fühlt, ein Rätsel.

Des Lebens höchstes Gut erstrebte sie,

Sie streift', ergriff es schon: die Hand versagt ihr,

Nach einem andern noch sich auszustrecken. –

Komm, magst du's jetzt an meiner Brust vollenden.

– Was fehlt dir? Warum weinst du?

PENTHESILEA.

Schmerzen, Schmerzen –

PROTHOE.

Wo?

PENTHESILEA.

Hier.

PROTHOE.

Kann ich dir Lindrung –?

PENTHESILEA.

Nichts, nichts, nichts.

PROTHOE.

Nun, fasse dich; in kurzem ist's vollbracht.

DIE OBERPRIESTERIN halblaut.

Ihr Rasenden zusamt –!

PROTHOE ebenso.

Schweig bitt ich dich.

PENTHESILEA.

Wenn ich zur Flucht mich noch – wenn ich es täte:

Wie, sag, wie faßt ich mich?

PROTHOE.

Du gingst nach Pharsos.[52]

Dort fändest du, denn dorthin wies ich es,

Dein ganzes Heer, das jetzt zerstreut, zusammen.

Du ruhtest dich, du pflegtest deiner Wunden,

Und mit des nächsten Tages Strahl, gefiel's dir,

Nähmst du den Krieg der Jungfraun wieder auf.

PENTHESILEA.

Wenn es mir möglich wär –! Wenn ich's vermöchte –!

Das Äußerste, das Menschenkräfte leisten,

Hab ich getan – Unmögliches versucht –

Mein Alles hab ich an den Wurf gesetzt;

Der Würfel, der entscheidet, liegt, er liegt:

Begreifen muß ich's – – und daß ich verlor.

PROTHOE.

Nicht, nicht, mein süßes Herz! Das glaube nicht.

So niedrig schlägst du deine Kraft nicht an.

So schlecht von jenem Preis nicht wirst du denken,

Um den du spielst, als daß du wähnen solltest,

Das, was er wert, sei schon für ihn geschehn.

Ist diese Schnur von Perlen, weiß und rot,

Die dir vom Nacken rollt, der ganze Reichtum,

Den deine Seele aufzubieten hat?

Wie viel, woran du gar nicht denkst, in Pharsos,

Endlos für deinen Zweck noch ist zu tun!

Doch freilich wohl – jetzt ist es fast zu spät.

PENTHESILEA nach einer unruhigen Bewegung.

Wenn ich rasch wäre – – Ach es macht mich rasend!

– Wo steht die Sonne?

PROTHOE.

Dort, dir grad im Scheitel,

Noch eh die Nacht sinkt, träfest du dort ein.

Wir schlössen Bündnis, unbewußt den Griechen,

Mit den Dardanischen, erreichten still

Die Bucht des Meers, wo jener Schiffe liegen;

Zur Nachtzeit, auf ein Merkmal, lodern sie

In Flammen auf, das Lager wird erstürmt,

Das Heer, gedrängt zugleich von vorn und hinten,

Zerrissen, aufgelöst, ins Land zerstreut,

Verfolgt, gesucht, gegriffen und bekränzet[53]

Jedwedes Haupt, das unsrer Lust gefiel.

O selig wär ich, wenn ich dies erlebte!

Nicht ruhn wollt ich, an deiner Seite kämpfen,

Der Tage Glut nicht scheuen, unermüdlich,

Müßt ich an allen Gliedern mich verzehren,

Bis meiner lieben Schwester Wunsch erfüllt,

Und der Pelid ihr doch, nach so viel Mühen,

Besiegt zuletzt zu Füßen niedersank.

PENTHESILEA die währenddessen unverwandt in die Sonne gesehen.

Daß ich mit Flügeln weit gespreizt und rauschend,

Die Luft zerteilte –!

PROTHOE.

Wie?

MEROE.

– Was sagte sie?

PROTHOE.

Was siehst du, Fürstin –?

MEROE.

Worauf heftet sich –?

PROTHOE.

Geliebte, sprich!

PENTHESILEA.

Zu hoch, ich weiß, zu hoch –

Er spielt in ewig fernen Flammenkreisen

Mir um den sehnsuchtsvollen Busen hin.

PROTHOE.

Wer, meine beste Königin?

PENTHESILEA.

Gut, gut.

– Wo geht der Weg?


Sie sammelt sich und steht auf.


MEROE.

So willst du dich entschließen?

PROTHOE.

So hebst du dich empor? – Nun, meine Fürstin,

So sei's auch wie ein Riese! Sinke nicht,

Und wenn der ganze Orkus auf dich drückte!

Steh, stehe fest, wie das Gewölbe steht,

Weil seiner Blöcke jeder stürzen will!

Beut deine Scheitel, einem Schlußstein gleich,

Der Götter Blitzen dar, und rufe, trefft!

Und laß dich bis zum Fuß herab zerspalten,

Nicht aber wanke in dir selber mehr,

Solang ein Atem Mörtel und Gestein,

In dieser jungen Brust, zusammenhält.

Komm. Gib mir deine Hand.

PENTHESILEA.

Geht's hier, geht's dort?[54]

PROTHOE.

Du kannst den Felsen dort, der sichrer ist,

Du kannst auch das bequemre Tal hier wählen. –

Wozu entschließen wirst du dich?

PENTHESILEA.

Den Felsen!

Da komm ich ihm um soviel näher. Folgt mir.

PROTHOE.

Wem, meine Königin?

PENTHESILEA.

Euren Arm, ihr Lieben.

PROTHOE.

Sobald du jenen Hügel dort erstiegen,

Bist du in Sicherheit.

MEROE.

Komm fort.

PENTHESILEA indem sie plötzlich, auf eine Brücke gekommen, stehenbleibt.

Doch höre:

Eins eh ich weiche, bleibt mir übrig noch.

PROTHOE.

Dir übrig noch?

MEROE.

Und was?

PROTHOE.

Unglückliche!

PENTHESILEA.

Eins noch, ihr Freundinnen, und rasend wär ich,

Das müßt ihr selbst gestehn, wenn ich im ganzen

Gebiet der Möglichkeit mich nicht versuchte.

PROTHOE unwillig.

Nun denn, so wollt ich, daß wir gleich versänken!

Denn Rettung gibt's nicht mehr.

PENTHESILEA erschrocken.

Was ist? Was fehlt dir?

Was hab ich ihr getan, ihr Jungfraun, sprecht!

DIE OBERPRIESTERIN.

Du denkst –?

MEROE.

Du willst auf diesem Platze noch –?

PENTHESILEA.

Nichts, nichts, gar nichts, was sie erzürnen sollte. –

Den Ida will ich auf den Ossa wälzen,

Und auf die Spitze ruhig bloß mich stellen.

DIE OBERPRIESTERIN.

Den Ida wälzen –?

MEROE.

Wälzen auf den Ossa –?

PROTHOE mit einer Wendung.

Schützt, all ihr Götter, sie![55]

DIE OBERPRIESTERIN.

Verlorene!

MEROE schüchtern.

Dies Werk ist der Giganten, meine Königin!

PENTHESILEA.

Nun ja, nun ja: worin denn weich ich ihnen?

MEROE.

Worin du ihnen –?

PROTHOE.

Himmel!

DIE OBERPRIESTERIN.

Doch gesetzt –?

MEROE.

Gesetzt nun du vollbrächtest dieses Werk –

PROTHOE.

Gesetzt was würdest du –?

PENTHESILEA.

Blödsinnige!

Bei seinen goldnen Flammenhaaren zög ich

Zu mir hernieder ihn –

PROTHOE.

Wen?

PENTHESILEA.

Helios,

Wenn er am Scheitel mir vorüberfleucht!


Die Fürstinnen sehn sprachlos und mit Entsetzen einander an.


DIE OBERPRIESTERIN.

Reißt mit Gewalt sie fort!

PENTHESILEA schaut in den Fluß nieder.

Ich, Rasende!

Da liegt er mir zu Füßen ja! Nimm mich –


Sie will in den Fluß sinken, Prothoe und Meroe halten sie.


PROTHOE.

Die Unglückselige!

MEROE.

Da fällt sie leblos,

Wie ein Gewand, in unsrer Hand zusammen.

DIE PRIESTERIN auf dem Hügel.

Achill erscheint, ihr Fürstinnen! Es kann

Die ganze Schar der Jungfraun ihn nicht halten!

EINE AMAZONE.

Ihr Götter! Rettet! Schützet vor dem Frechen

Die Königin der Jungfraun!

DIE OBERPRIESTERIN zu den Priesterinnen.

Fort! Hinweg!

Nicht im Gewühl des Kampfs ist unser Platz.


Die Oberpriesterin mit den Priesterinnen und den Rosenmädchen ab.
[56]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 48-57.
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