Erster Auftritt

[971] Es ist Sturm und Nacht.

Grimaldi, schläft auf einem Sofa. Guelfo, tritt auf, ein Licht in der Hand.


GUELFO. Ha! verfolgt mich alles? Alle Dämonen und alle Gespenster der Nacht? Mein böser Geist hängt mir auf dem Nacken, er läßt mich nicht, stiert mich aus allen Winkeln an. Blas zu! Vergift mir jedes Fäserchen meines Herzens! Wühl giftig in meinem Blut! Hu! was martert den Guelfo? wen will Guelfo martern? – Die Glocke ruft dumpf, der Sturm saust über der Tiber. Eine schöne Nacht! – Ferdinando, gib das Weib! Ferdinando, gib die Erstgeburt! – Wer schläft um mich, und ich will ihm den Schlaf von den Augen stehlen? He, Grimaldi! Kannst du so süß schlafen? Grimaldi! Grimaldi! gib mir auch Schlaf!


Reißt ihn.


GRIMALDI. Ha! – ha! –

GUELFO. Gib mir was von dem Schlaf, du Liebling des Schlafgotts! Teil den Schlaf mit mir, Grimaldi! mit deinem Guelfo, der dir alles gibt! Nur ein kleines Mohnkörnchen Schlaf! – Gott! daß ich bis morgen ausdaure! Der arme Guelfo wird sehr verfolgt, und gejagt! – Grimaldi! schlaf – schlaf nicht – Grimaldi! gib mir Schlaf!

GRIMALDI. Ach!

GUELFO. Gib mir Schlaf, oder ich erwürge dich, und hasch den Schlaf im Fluge von deinen Augen!

GRIMALDI. Laß mich! ich schlafe kalten Todesschlaf – – Bist du's, Bruder?

GUELFO. Laß das Wort weg! Wisch es ewig, ewig aus der Sprache der Lebendigen! Nenn mich anders, soll ich antworten!

GRIMALDI. Bist du's, Guelfo?[971]

GUELFO. Freundlicher Grimaldi, du machst mich wieder gut. Wer anders, als Guelfo, wird zur Stunde der Mitternacht herumgetrieben?

GRIMALDI. Guelfo! so lange Zeit der erste Schlummer, und der war fürchterlich!

GUELFO. Murr nicht! Schlaf kriegst du wieder, aber deinen Guelfo nicht.

GRIMALDI. Sieh nicht so schrecklich! Was braust?

GUELFO. Ha, Schläfer! Hab ich dich ertappt? Hörst du nicht, wie lieblich die Natur mit Guelfo dahinbraust? O ich hab sie immer geliebt, dafür wütet sie jetzt dankbarlich mit mir. Habe Dank, gütige Mutter! Du bist allein mir Vater und Mutter und – Ferdinando! Laß mich die Sonne nie wieder sehen! Schwarze donnerschwangere Wolken hängen über der Erde, bis ich fertig bin.

GRIMALDI. Setz dich her, Guelfo! Du hast einen bösen Tag gehabt, und ich hatt ihrer viele. Uns wirft das Unglück zusammen, und kettet uns fest an. Wir wollen uns näher rücken. Das Leiden ist ein festes Band; das ist Freundschaft, derer ich achte. – Wo kömmst du jetzt her, Guelfo!

GUELFO. Grimaldi, wenn deine Sinne nicht zerrissen werden, wie meine, wenn du mir nicht den tobenden Sturm unterbrüllen hilfst – Grimaldi! ich muß! ich muß! Das Schicksal sprach's aus, ich muß! Blutig schwingt der Todesengel das würgende Schwert über mich, und berührt meine Seele! Entschluß ist da, Vollbringen ist da! Alle gute Geister hüllten ihr Haupt ein, und weinten eine Zähre über den verdammten Guelfo. Ich muß! – Grimaldi! wenn ich nicht müßte – Im Sturme sausen böse Geister: Guelfo, du mußt! –

GRIMALDI. Was denn, Guelfo? Um Gottes willen!

GUELFO. Nenn ihn nicht!

GRIMALDI. Guelfo! Laß mich sterben!

GUELFO. Grimaldi soll nicht sterben. Wenn du mir stirbst, Grimaldi, sollst du dort Juliette nicht sehen.

GRIMALDI. Behüte, Guelfo! – So red doch!

GUELFO. Ich hab nichts, als ein bißchen Wut. Sieh, wie ausgestoßen Guelfo dasteht! Grimaldi! Morgen abend ist Hochzeit; ich soll der Knabe sein, der die Fackel trägt – Hymen! Hymen! Auch ich rufe: Hymen! Ich will euch ein Hymen posaunen, daß Tote sich umwenden – daß die Sonne nie mehr wage, mit Heiterkeit aus ihrem goldnen Gezelt zu schauen! Denn Guelfo[972] wird ein blutiges Brautlied singen! Nicht so bleich, Grimaldi! Ich schwärme nur. Hörst du ein Geheimnis? Ich hab den Kontrakt erwischt, Ferdinando hat alles. Das Gut, das mir die 500 Dukaten abwarf, noch an Rand geschrieben. Sag das keinem Menschen, Grimaldi! Es macht dem alten Guelfo wenig Ehre; und der alte Guelfo, sagen die Leute, hält viel auf Ehre.

GRIMALDI. Du hast nichts?

GUELFO. Nichts, nichts! Nicht so viel, daß ich mich vergiften könnte! Arm bin ich, wie ein Bettler – trug eben alle meine Barschaft in die Tiber!

GRIMALDI. Nichts hast du?

GUELFO. Ich las nicht weiter. Unten stund eine so kleine bettlerische Zahl, die er mir abgeben sollte, daß ich sie gar nicht wissen mochte. So steht's nun mit mir! Ich hatte den Abend noch ein Gezerr mit dem alten Guelfo, das alles entschied. Der reiche übermütige Ferdinando wies mir, glaub ich, die Türe, wenn ich so fortführe – der alte Guelfo stieß mich wirklich hinaus – Camilla hielt mich – Grimaldi! bei den Rachgeistern, die diese Sturmwolken peitschen! sie liebt mich! – Sie schlung ihre Hände um mich: »Guelfo! laß dir Sanftmut zuhauchen!« – und ich brüllte: »Du hauchst mir den Teufel mehr zu, so sanft und lieb du auch bist!« – Sie rissen mich weg, und der alte Guelfo gab mir mit meiner Lanze, die hinter der Tür stund, einen Schlag, der mich noch schmerzt. Ich schwieg, blickt ihn an, und sah den Augenblick, daß er mein Vater nicht ist. Ein Vater, Grimaldi, kann den heißen Guelfo nicht schlagen. Aber, Alter! ich will auch unfreundlich hineinschlagen! Rauf deine grauen Haare! – Ha! noch schmerzen mich meine Lenden. Und sie alle netzten Ferdinando mit Tränen, schrieen, als hätt ich sie an der Gurgel: »Einziger, rette uns!« – Merkst du das Wort? Einziger! Wieviel darinnen liegt! – Das alles nun kam daher, weil ich einige Küsse auf Camillas Lippen drückte; die brannten den Buben!

GRIMALDI. Stoß mir deinen Degen durch die Brust! ich mag's nicht aushören. – Was blutst du?

GUELFO. Ich schmiß mit der Stirn auf die Steine, indem sie mich hinauswarfen, glaub ich.

GRIMALDI. Menschheit! Menschheit! Eine feindliche Hand schüttelte den Lostopf, die Stimme schrie drein: »Verflucht fall es auf die beiden!« So fiel's auf uns, ausgeleert mit Haß. Wir[973] beide sind vernichtet, ohne Rettung und Trost. In diesem Augenblick überfällt mich Menschenhaß, daß meinem Gaumen nach ihnen gelüstet. Laß uns die Menschen anfallen, wenn das Eltern tun! Laß sie uns zerreißen! Leg deinen Degen weg, und schärf deine Zähne! Ha! ich werd wahnsinnig mit dir über das Geschick.

GUELFO. Mord! Mord! und wenn ich's denke, stehn mir die Haare nicht. Grimaldi! rette mich vor meinem Geist! Rette, rette mich!

GRIMALDI. Ermanne dich! und wenn ich sage, ermanne dich! sag ich nichts. Ich wälze mich Jahre im Leiden, und kann mich nicht aufrichten.

GUELFO. Rette mich vor meinem bösen Geist! Horch, hörst du nicht Trauermusik? Hörst du kein Leichengeheul? Grimaldi! Ha! nichts? nichts? Hörst du nicht Wehklagen? Ha!

GRIMALDI. Dein Gehirn ist zerrüttet, armer Narr! Weh denen, die dich so weit brachten.

GUELFO. Wenn das Getös nur vorüber wäre!

GRIMALDI. Rache und Weh!

GUELFO. Horch!

GRIMALDI. Ich halte dich in meinen Armen, und will dich retten. Guelfo! Laß uns zusammen sitzen und absterben, wie der Fisch, dem das Wasser abgeleitet ist. So ist's nun. Nicht zu sein, Guelfo! nicht zu sein mehr! in die öde Gruft gehüllt – hier nicht mehr! Wir wollen übergehen, und deine Schwester wird uns empfangen mit Friedenskronen. Komm, sei still! Laß uns über den Tod reden! Ich bin vertraut mit ihm, und will dir seine Apologie halten, die ganz kurz ist. Guelfo, er ist ein guter Freund, heilt schnell alles Unglück. Du fühlst dich matt, als hättest du eine weite beschwerliche Reise getan, schlummerst ein, und fühlst dich nach und nach nicht ohne Wollust sterben. Er schmerzt nicht, Guelfo, nur in der Einbildung; er ist viel zu freundlich. Er schlingt dir ein Band um den Hals, das nicht schmerzt, es ist mit einer einschläfernden Süßigkeit begabt. Kein Morgentraum ist lieblicher. Guelfo, ein herrlicher Gedanke durchzittert mich – nicht zu sein! Und sind wir so? – Ich meine, des Menschen Bestimmung wäre, zu handeln, sich seinen Brüdern mitzuteilen. Wenn sie das nicht wollen – Guelfo! über das Grab geht der Weg zu Julietten – Du gibst nicht acht!

GUELFO. Schwärme du immer, Grimaldi! Mich deucht, man[974] müsse sich rächen, und dann sterben. Rache ist Seligkeit, und geh ich dann über, bin ich nicht zwiefach selig?

GRIMALDI. Nachdem die Rache ist – auch zwiefach verdammt.

GUELFO. Hat nicht alles den Stachel zur Rache? Wenn du den Wurm trittst, windet er sich unter deiner Sohle, und sucht sich zu rächen. – Ich haß ihn von der Wiege, haß ihn von der Stunde, als seine Eitelkeit über mich hinauswollte – ich haß ihn von seinem ersten Stammeln. Ha! nannt er mich nicht einst beim Spiel »kleiner Guelfo!« und ich schlug ihm vor die Stirne drüber! Siehst du, wie das, was das Kind dachte, der Mann ausführte? Seine Kleider, die er trug, haßt ich. Trug er einen Rock von der Farbe des meinigen, zerriß ich meinen. Weil die Jungens alle meine festen Tritte gingen, wollt er's auch nachmachen; aber ich zerarbeitete meine Kniee so lange, bis sie anders schritten; und die Kameraden riefen: »Guelfo, du gehst anders!« – Mich deucht manchmal, ich hasse Camilla, weil ich sie an seinen Lippen hängen sah. Und wenn ich denk, Grimaldi, was das Leben ist; wie einer, der eine vermögende Seele hat, tief bei der Erde liegt, und ein andrer mit einem schwachen, eitlen, schmeichlerischen Geist über ihn hinausschreitet und hoch sitzt! Ich bin nur Guelfo – ein Mensch, der wegen seiner Taten schrecklich unter Freunden und Feinden ist. Da ist Ferdinando, ein eitles, schwaches, elendes, püppisches Männchen, der von Empfindsamkeit viel schwätzt, nichts als ein bißchen Mädchenseele hat. – Denn ich weiß noch heute, daß ihm ein Junge eine Puppe nahm, mit der er spielte, sie aus- und anputzte, wie ein kleines Dirnchen. Er heulte, wie ein Mädchen, und lief schluchzend zur Mutter. Und an eben diesem Tage zerschnitt mir einer aus Bosheit die Sehne meines Bogens. Er hatte viele Jahre vor mir; doch faßt ich ihn, schmiß ihn den Hügel hinunter, wie einen Ballen. Glaubst du wohl, daß dieser nämliche Ferdinando von der Abendluft krank wurde? Und er ist auf dem Weg, mit den mir gestohlnen Gütern, mit der mir gestohlnen Braut, Herzog zu werden; und ich bin auf dem Weg, ein Narr zu werden über alles das! Aber abdringen will ich sie ihm! er soll sie hergeben, oder sein Leben!

GRIMALDI. Guelfo! sei arm! sei elend! Nur mach, daß du von dieser Leidenschaft loskommst, die dich verzehrt!

GUELFO. Ha, Schwätzer! und hast du dich nicht aufgerieben? – Ich bitt dich, steig auf den Balkon, gebeut dem Sturm, er soll[975] sich legen. Faß ihn an der Scheitel, und ruf: »Was soll das, daß du wider meinen Willen die Elemente erregst, und Verderben anrichtst!« – Der beleidigte Sturm wird fortbrausen, dich hageres Geripp nach der Tiber tragen, dir seine Macht zu erkennen geben, und gerächt fortsausen.

GRIMALDI. Verflucht! Eine solche Leidenschaft zu unterdrücken gebieten, die die größte Triebfeder unsers Wesens ist – die alles aus uns herauswindet, was wir werden können! – Guelfo, versuch alles! Dring ihn, er soll dir Camilla abtreten!

GUELFO. Grimaldi! ich wollt ihm alles lassen, alle meine andern Begierden sollten schweigen. Aber glaubst du wohl? – Ha! er müßte der größte Schurke sein! und er soll's! Ich schwör dir, er soll's! Teufel und Hölle! er soll's! – Zitterst du? Und du sollst ihm nach! – Ist er mein Bruder? Ist er – er soll!

GRIMALDI. Denkst du das, so ziehe deinen Degen, laß mich sterben!

GUELFO. Zum Teufel mit dir! – horch!

GRIMALDI. Leise Schritte und Seufzer durch den Gang her –

GUELFO. Fort mir dir! Mein böser Geist kömmt wieder! – Fort mit dir! Ich will niemand um mich sehen. Hinaus!

GRIMALDI. Hörst du nicht wimmern?

GUELFO. Hinaus denn!

GRIMALDI. Guelfo!

GUELFO. Bei meinem Zorn! ich verderbe dich.

GRIMALDI. Weh uns! weh allen!


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 971-976.
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