Viertes Capitel
Begebenheiten in Peina; Tisch-Gespräche; Kuchen, in des Pastors Unsterblichkeit gehüllt; Die Gesellschaft trennt sich.

[23] Wir sehen es denen Damen und Herrn an, welche dieses unser, wie wir uns schmeicheln, sehr unterhaltende Werk lesen, daß sie, bey der Überschrift dieses Capitels, über die Tisch-Gespräche die Köpfe schütteln. Sie mögten die Reisenden nun gern sogleich weiter fortgeschafft wissen, in der Hofnung, daß es da wieder allerley lustige Abentheuer absetzen würde; die Gespräche hingegen werden ihnen, wie sie fürchten, Langeweile machen. Allein Sie irren Sich gewaltig, wenn Sie glauben, daß wir, der Autor, uns darum bekümmern werden. Das müßte doch wahrlich mit andern Dingen zugehn, wenn man uns vorschreiben dürfte, auf welche Weise wir unsre Geschichte erzählen sollten, und wenn es uns verwehrt seyn dürfte, auch einmal unsre Personen mit einander über Gegenstände raisonniren zu lassen, über welche wir unsre Meinung zu sagen einen Trieb fühlen. Ist doch das die einzige schickliche Gelegenheit, die wir in diesem Buche finden können, unsre philosophischen und andern wissenschaftlichen Kenntnisse, die, ohne uns zu rühmen, nicht zu verachten sind, auszukramen!

Diesmal aber ist der Autor sehr unschuldig daran, daß seine Reisende sich so lange in Peina aufhalten. Der Zufluß von Fremden, die aus allen Gegenden zu der blanchardschen Hannswursterey nach Braunschweig reisten, war so unbeschreiblich groß, daß nicht jedermann sogleich Postpferde erhalten konnte. Unsre Freunde aus Biesterberg waren unter der Anzahl Derer, die sich mußten vertrösten lassen, bis ein Paar Gespanne zurückgekommen seyn würden – Bey solchen Gelegenheiten pflegen denn auch vornehme Herrschaften schneller bedient zu werden, obgleich sie gewöhnlich nicht besser bezahlen, wie Andre – Sie konnten noch von Glücke sagen; Ein Holländer, der viel Meilen Weges deswegen gereist war, mußte sich gefallen lassen, statt des Herrn Blanchards Bekanntschaft, mit der des Herrn Postmeisters in Peina vorlieb zu nehmen; ihnen hingegen versprach man doch, sie zur rechten Zeit nach Braunschweig zu liefern. Und da sie nun einmal ein Paar Stunden in Peina[23] aushalten müssen und sie da in einer großen Gesellschaft von andern Reisenden an der Mittags-Tafel sitzen, muß ich doch entweder erzählen, was sie gegessen, oder was sie gesprochen haben. Das Erste würde sehr kurz zusammen zu fassen seyn, wie Jeder weiß, der einmal im Posthause in Peina getafelt hat; folglich, es hilft nichts davor, werde ich nicht umhinkönnen, mit den Tisch-Gesprächen aufzuwarten.

Des Herrn Amtmanns respectabler Bauch und sein mit Gold eingefaßter blauer Rock hatten ihm, vermöge einer stillschweigenden Convention, den obersten Platz am Tische verschafft; Musjö Valentin ließ sich gleich neben ihm nieder, band die Serviette um den Hals und grinzte freundlich in die Suppen-Schale. Dem Vater zur andern Seite saß, in sehr zierlicher Reise-Kleidung, ein Mann mit einer Protections-Mine, den unsre Freunde so obenhin für einen Regierungs–, Hof- oder Cammerrath hielten. Hier neben nahm der Förster Platz; dann der Pastor. Mit cavaliersmäßigem, leichten Anstande warf sich dann ein junger Herr auf den nächsten Stuhl, trillerte, mezza voce, das Fragment eines kleinen Liedes, und rümpfte die Nase über die, wie es schien, ihm zu gemeine Kost. Der Rest der Gesellschaft bestand aus unbedeutenden Personen, die kein Wort redeten, als wenn sie Wein forderten und sich durch nichts, als ihren vortreflichen Apetit bemerklich machten.

Der Amtmann: »Nach Ihnen, mein hochgeehrtester Herr!«

Der wichtige Mann: »Ohne Umstände! Ich bin nicht für Complimente. Apropos! wie fällt in ihren Gegenden die Erndte aus? Sie haben wohl selbst Landhaushalt?«

Der Amtmann: »Ich habe die Ehre als Amtmann in Seiner **** Diensten zu stehn und habe eine große Pachtung. Ey nun! mit der diesjährigen Erndte ist es –«

Der wichtige Mann: »Große Pachtung? Das höre ich immer ungern. Freylich werdet Ihr Herren reich dabey – lauter kleine Fürsten! Aber das Land, das Land!«

Der junge Herr: (zu dem Pastor) »Wie heißt der beste, große Gasthof in Braunschweig?«

Pastor: »Excusiren Sie! Ich kann nicht dienen. Es ist das erstemal, daß ich mit den –«

Förster: »Ich logiere mant immer im goldnen Engel; Da ist gute Wartung für Menschen und Vieh.«[24]

Einer von den Andern: »Meine Herrn! ich nehme mir die Ehre, auf gutes Wohlseyn!«

Alle: »Danke ergebenst! Obligirt! Gleichfalls!«

Der wichtige Mann: »Bey unserm Collegio sind wir jetzt darüber aus, die Ämter zu vereinzeln und die Ländereyen an Bauern auszuthun. Wir sehen den Nutzen davon ein; Wir wollen den Profit mehrern Familien gönnen; Wir haben darüber jetzt gewisse Grundsätze angenommen, wobey unser Land besser fahren wird.«

Der junge Herr: »Mich soll wundern, wie man mich in Braunschweig behandeln wird; Ich finde viel Bekannte da – Und ob ich den Herzog verändert finde – Der Kaiser wird es kaum glauben, wenn ich ihm bey meiner Rückkunft sage, wie weit man noch in Hannover zurück ist. (Unsere Freunde machten große Augen) Sind Sie ein Liebhaber von Music, Herr Pastor?«

Pastor: »Ich habe ehemals ein wenig Harfe gespielt und gesungen; aber die Amtsgeschäfte lassen mir jetzt wenig Muße zum bloßen Zeitvertreibe übrig.«

Der junge Herr: »Zeitvertreib? Ich bitte Sie! Kann etwas edler seyn, als die Tonkunst? Was würkt mehr auf Herz und Empfindungen? Kann ein Mensch ein gutes Gemüth haben und kein Freund von Music, und kann ein großer Musiker wohl je ein Bösewicht seyn? An dem Vortrage eines einzigen Adagio will ich hören, ob ein Virtuose edler Gefühle fähig ist oder nicht.«

Pastor: »Erlauben Sie, mein Herr! Ich habe das ehemals auch wohl gedacht, habe mich aber nachher überzeugt, daß das alles nur ein Werk mechanischer Übung ist. Weich macht die Music, das ist gewiß; aber nicht jede sanfte, wollüstige Empfindung ist darum Empfindung edler Art. Die Music hat keine bestimmte Sprache; sie regt luxuriöse Gefühle auf, ohne ihnen eine geordnete Richtung zu geben. Das Herz wird dadurch empfänglich, hier zum Wohlwollen, zur Freundschaft, dort zur Sinnlichkeit und zu grober Wollust. Die Menschen sind sehr geneigt, verschiedne Begriffe zu verwechseln, die man mit denselben Worten ausdrückt. Wir sagen von einem sanguinischen Weichlinge, der über Roman-Helden Thränen vergießt: er habe Gefühl, und dasselbe sagen wir von dem Manne, dessen Herz sich für große Gegenstände warm und thätig interessirt; allein vergessen wir nicht, daß Jener darum doch ein Erz-Schurke seyn könne; der wahrhaftig tugendhafte, zu erhabnen Thaten[25] und großmüthigen Aufopferungen fähige Mann hingegen sich durch die Gewalt seiner Vernunft über die Leidenschaften auszeichnen müsse. Kurz! die Tugend besteht nicht in dunkeln Gefühlen, wie ich dies in einer Predigt, die bald im Drucke erscheinen wird, weitläuftig auseinander gesetzt habe. Was ich eben behauptete, wird ja auch durch die Erfahrung bestättigt. Findet man nicht die verworfensten, schlechtesten Leute und die kaum Menschensinn haben unter den geschicktesten Virtuosen?«

(Hier stand der junge Herr einen Augenblick auf und gieng hinaus)

Der Amtmann: (zu dem wichtigen Manne) »Um Vergebung! kennen Dieselben den Herrn, der da von Music sprach und der, wie es scheint, mit fürstlichen Personen in genauen Verhältnissen stehn muß?«

Der wichtige Mann: »Ob ich den Schuft kenne? Wie wollte ich nicht! Das ist ein reisender Flötenspieler; Ein lüderlicher Hund, der, als ich in herrschaftlichen Angelegenheiten in Wetzlar war, dort ein ehrliches Bürgers-Mädchen verführte und mit ihr durchgieng. Hernach ist er einmal Comödiant gewesen; Jetzt steht er in Wien bey der Capelle eines Fürsten. Sie haben Recht gehabt, daß Sie ihm die Wahrheit gesagt haben, Herr Pastor! aber das muß man gestehn, der Kerl spielt, wie ein Engel. Solche Pfeifer und Geiger glauben, daß sie die wichtigsten Leute im Staate sind, und daß sie uns eine Gnade erzeigen, wenn sie uns die Thaler aus dem Beutel dudeln. Aber auf unser voriges Gespräch zurück zu kommen, Herr Amtmann! Sie schüttelten den Kopf, als ich von Vertheilung der Amts-Ländereyen sprach.-«

Der Amtmann: »Ich bekenne, daß ich nicht davor bin. Sie werden vielleicht glauben, mein hochgeehrtester Herr!, daß ich aus Eigennutz rede; aber das ist gewiß nicht der Fall. Sie belieben zu sagen, die Beamten würden reich bey den großen Pachtungen; allein das hängt davon ab, wie der Contract gemacht ist. Und wäre das auch! Was würde aus unsern Staaten werden, wenn es keine reiche Leute darinn gäbe? Wer sollte in Zeiten der Theurung und des Mangels den Armen Brod und Arbeit geben, ihnen Vorschüsse thun? Der Bauer sammelt nicht; Kommen nun Misjahre, so ist die Noth allgemein. Der wohlhabende Beamte hingegen ist in solchen Calamitäten der allgemeine Cassirer. Sie sagen, wenn die Ländereyen vertheilt würden, lebten mehrere Familien davon. Allein ziehen denn nicht von dem reichen Manne eben so viel Familien ihren Unterhalt? Dem Wucher der Capitalisten und der übermäßigen Bereicherung aber kann ja die Landes-Regierung Einhalt thun.«[26]

Unser Herr Amtmann wollte seine cameralistische Abhandlung eben fortsetzen, als dem wichtigen Manne gemeldet wurde, daß der Wagen, in welchem er mit zwey von den stummen Personen abreisen sollte, fertig vor der Thür stünde. Er gieng also von dannen; und kaum hatte er die Thür hinter sich zugezogen, als der Virtuose in ein lautes Gelächter ausbrach: »Nun bey meiner Seele!« rief er, »das nenn' ich einen Windbeutel! Thut der Kerl nicht so dick, als wenn er ein Minister wäre! Aber wir kennen uns; Ich habe ihn gesehn, als er in Wetzlar, zur Zeit der Visitation, Bedienter bey den ***schen Gesandten war. Er hat mir und dem Cammerrichter manches Glas Wein eingeschenkt, wenn wir bey dem Gesandten speisten. Jetzt ist er Scribent bey der Cammer in ***.«

Den Herrn Amtmann reuete nun seine übergroße Höflichkeit und seine ländlichen Gefährten machten in der Stille ihre Bemerkungen über die Wahrheit des Satzes, daß in der großen Welt, in welcher sie so fremd waren, der Schein gewaltig betröge. Indessen war ein Gespann Pferde zurück gekommen; Man konnte also die Hälfte unsrer Freunde nach Braunschweig spediren. Es war nicht rathsam, länger zu warten, weil jeden Augenblick neue Fremde ankamen, welche die Pferde wegnahmen. »So will ich denn«, sprach Herr Waumann, »mit Valentin vorausfahren. Sobald ein anders Gespann kömmt, folgen Sie nach, und im goldnen Engel finden wir uns wieder.«

»Ich sehe«, sagte der Virtuose, »daß der Herr Amtmann einen Platz leer haben. Wollen Sie so gütig seyn, mich mitzunehmen; so gewinne ich Zeit; meine Equipage kann nachkommen. Ich wollte gern heute noch, ehe der Lerm losgeht, den Prinzen *** sprechen, der mich erwartet.« –

So etwas abzuschlagen, dazu hatte der Herr Amtmann keinen Muth; also nahm er den musicalischen Reisenden mit. »Mein Vetter, der Förster da oben bezahlt für mich«, sagte der Virtuose dem Küfer leise in das Ohr, als er hinunter kam, und damit stieg er schnell ein, und sie fuhren ab.

»Wir wollen«, sprach der Pastor, »dies Stück Kuchen mitnehmen; Es muß doch bezahlt werden. Aufwärter! hat er nicht ein Stück Papier?« Der Aufwärter gieng hinaus, kam bald wieder und brachte einen halben Bogen, klein beschrieben. »Ach! was ist das?«, rief Ehren Schottenius, »das ist ja meine Hand. Wo hat Er das Papier gefunden? Ach, Du meine Güte! das ist meine schönste Predigt. Wie ist Er an dies Blatt gekommen?«[27]

O Ihr unsichtbaren Mächte! Schutzgeister, Engel und Teufel, Heilige und Verdammte, Genien, Dämonen! oder wie Ihr heißen möget, die Ihr Eure Nasen in das Gewebe unsrer Schicksale steckt; sprechet, was haben die armen Reisenden aus Biesterberg verbrochen, daß Ihr ihnen so übel mitspielet? War es Euch nicht genug, daß der dienstfertige Förster Dornbusch für seine gute Absicht, Agnes Bernauer aus den groben Händen des Hausknechts zu erlösen, mancherley Streiche leiden mußte, daß der unschuldige Valentin Waumann, als ein Ehebrecher angeklagt, mit Todes-Gefahr bedroht wurde, und daß sein würdiger Erzeuger sich gezwungen sah, aus seinem Seckel seinen einzigen Leibes-Erben von dem zwiefachen Schimpfe loszukaufen. Muß nun noch die Unsterblichkeit, die sich Ehren Schottenius in der Schulbuchhandlung in Braunschweig schwarz auf weiß wollte geben lassen, ein Spiel loser Buben werden? Denn daß Du es nur wissest, geneigter Leser! folgendermaßen war es mit der unglücklichen Predigt zugegangen: Die schönen Beschreibungen und Kupferstiche, welche des berühmten Herrn Blanchards Wind-Reise vorstellten und wodurch die curiosen Liebhaber brodloser Künste herbeygelockt werden sollten, hatten die muntre Jugend in Peina bewogen, die Nachahmung der Luftbälle seit einiger Zeit zum Haupt-Gegenstande ihrer unschuldigen Spiele zu machen. Drey lustige Knaben, die ihr Wesen in dem Hofe des Herrn Postmeisters trieben, wiegten sich eine Zeitlang in der leer stehenden halben Kutsche des Pastors Ehren Schottenius. Ihre Neugier trieb sie endlich auch, in den Bock- und in den Sitzkasten hinein zu blicken. Da fanden sie dann in letzterm unglücklicherweise das Manuscript unsers armen Pastors; und weil sie keinen Begriff von der Wichtigkeit dieser Papiere hatten, erklärten sie das ganze Bündel für eine res nullius, nahmen einige Hefte davon, holten Scheere, Nadeln und Zwirn herbey, begannen, von den Wahrheiten des Christenthums wegzuschneiden, was nicht zu der Form eines Luftballs paßte, wie der Doctor Bahrdt von den Kirchensystemen wegschneidet, was ihm nicht rund genug ist, und fiengen dann an, die Stücke zusammen zu nähen, um die Nachahmung einer aerostatischen Maschine zu Stande zu bringen. Der Aufwärter, welcher Papier suchte, nahm den Knaben eines von den Blättern weg, brachte es dem Pastor, wie wir gehört haben, und in welche Klagelieder dann der ehrwürdige Herr bey dem Anblicke dieses Fragments ausbrach, das wollen wir aus Schonung gegen den geneigten Leser verschweigen. Unsre Erzählungen werden je zuweilen rührend seyn; aber erschüttern wollen wir nicht. Auch können wir Ihnen zumTroste sagen, daß der geistliche Herr noch früh genug in den Hof kam, um den größten Theil des Manuscripts zu retten. Es war eigentlich nur Eine Predigt ganz, und von einer andern die Nutz-Anwendung verlohren gegangen. – Ein erträglicher Schaden! Geht doch so manche Predigt ganz, und von den mehrsten die Anwendung verlohren! Da das zweyte Gespann Pferde noch immer nicht zurückgekommen war und Ehren Schottenius die beyden Seiten der Schluß-Vermahnung noch im Kopfe hatte; ließ er sich geschwind einen Bogen reines Papier geben, schrieb sie wieder auf, und hatte doch nun sechs und funfzig Predigten vollständig. – Was in der sieben und funfzigsten gestanden hatte, war freylich im eigentlichsten Sinne, in den Wind geredet.

Wir lassen den geistlichen Herrn schreiben und begleiten unsern Amtmann auf seiner Reise nach Braunschweig.[30]

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Die Reise nach Braunschweig. Kassel 1972, S. 23-31.
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