Der 3. Absatz.

Von dem Seiden-Wurm / und von der Spinnen.

[525] Die Seiden-Würm seynd in dem Teutschland nicht vil bekant / in Italien aber ist ein unzahlbare Menge derselben anzutreffen: sie seynd dem äuserlichen Schein nach schlechte und unachtsame / aber doch sehr nutzliche Thierlein / welchen man um[525] den so schönen Seiden-Zeug zu dancken hat / weilen aus ihrer Gespunst alle Seiden hekommt / mit welcher ein so grosser und kostbarer Handel weit und breit getrieben wird.32

Es würcket und zeiget sich die Natur gar wunderbarlich in den Seiden-Würmen: dann diese werden von dem Saamen oder Eyerlein der älteren Seiden-Würmen / so den Hirskörnlein gleichen / gezüglet /welche von der Sonnen oder einer anderen mäßigen Wärme ausgebrütet / und zu Würmlein werden / und dieses geschicht zur Zeit / da die Maulbeer-Bäum ausschlagen / und frisches Laub bekommen / welches ihr gewöhnliche Speiß ist / so man ihnen geben muß /aber nichts nasses / welches ihnen schädlich ist / sondern alles trucken. Zu seiner gewissen Jahrs-Zeit seynd sie in Häutlein oder Hülsen eingemacht und überzogen / zu einer anderen aber kriechen sie aus /nicht auf dem Boden herum / sondern aufwerts so hoch sie können / und endlich bekommen sie Flügelein / fast als wie die Raupen oder Kraut-Würm im Winter eingehülset seynd / im Sommer aber zu kleinen weissen Vögelein / Pfeifholder oder Zweyfalter werden / in den Gärten umfluderen / sich auf das Kraut und den Köl setzen / und durch ihr Geschmeiß oder Saamen wiederum neue Raupen oder Kraut-Würm herfür bringen.

Die Gespunst der Seiden-Würmen besteht in dem /daß nach und nach ein Materi wie gar zarte / doch zimlich starcke Fäden von ihrem Mund oder Leiblein ausgehet / welche hernach durch die Kunst der Seiden-Fabric auf unterschiedliche Weiß gearbeitet / zugericht / und gefärbet werden. Dann von Natur ist alle Seiden weiß oder gelb. Wann die Seiden-Würm ein Zeitlang gesponnen haben / da thun sie sich also ausspinnen / und abmerglen / daß sie sterben / und nichts als ein leeres Häutlein oder Hülsen von ihnen übrig bleibet. Also daß ihnen meines Erachtens eben dasjenige Lemma, oder die Sinn-Schrifft / wie einer brennenden Kertzen füglich kan zugeeignet werden / nemlichen:


Officio deficio.


Fremden Nutzen zu vermehren /

Thu ich mich selbst verzehren.


Hingegen aber seynd die Seiden-Würm gar haicklich / und müssen wohl verpfleget werden / sonst spinnen sie nicht: die kalte und rauhe Wind können sie nicht leiden / ja auch nichts Nasses / ind kein starckes Getös / als das Schiessen oder Donner-Klapf etc. man muß die Wohnung / so ihnen eingeben worden /sauber halten / und absonderlich von den Mäusen und Ameisen bewahren / auch sie mit keinem Oel berühren / sonst sterben sie darvon.

Durch das Aufkommen und durch die Arbeit der Seiden-Würm wird uns füglich das menschliche Leben vorgebildet: dann wann der Mensch zur Welt gebohren wird / da ist er gleichsam ein armer und armseeliger Erd-Wurm / der nichts kan als essen /schlafen / weinen und seinen Elteren vil Ungelegenheit / vil Mühe und Sorg machen: Er muß gar haicklich tractirt oder auferzogen werden: ein junges Kind kan kein Rauhe oder Ungemach ausstehen / kein grosse Hitz noch Kälte erdulden etc. wann aber dises Würmlein groß wird und auskricht / ja endlich gar Flügel bekommt / ich will sagen / wann der Mensch erwachset / da will er nicht auf der Erden umkriechen / oder in der Niedere verbleiben / sondern aus angebohrnem Hochmuth will er nur immerdar höher steigen / ja höher fliegen etc.33 Mit seinem Gespunst aber / das ist / mit seiner Mühe und Arbeit ergeht es ihm als wie den Seiden-Wurm: dann dieser spinnt ihm ein grossen Flecken oder Büschlein zusammen /worinn er als wie in einem Nest oder in einem Grab verborgen stecket / er wird aber nicht feist darbey /sondern vilmehr gantz ausgemerglet / und gantz verdorret stirbt er ab / die Seiden nimt man hinweg / und er hat nichts darvon / sondern es heißt: Sic vos non vobis etc. nur für andere Leuth hat er gearbeitet.[526]

Eben also wann der Mensch als wie ein Seiden-Wurm in seinem Leben lang genug gesponnen / das ist / um Gut und Geld sich bemüht / und beworben hat / auch ein Menge desselben zusammen gebracht /und gantz darein vertieft und vergraben ist / da wird er doch nicht feist daran / er hat kein wahren Nutzen darvon / sondern vilmehr thut er sich darbey gantz abmerglen und ausspinnen: es heisset auch bey ihm als wie bey dem Seiden-Wurm.34


Officio deficio.


Der anderen Güter zu vermehren /

Thue ich mich selbsten gantz verzehren.


Weib und Kinderen zu bereichen thut ein solcher Seiden-Wurm / oder vilmehr ein Geitz-Wurm sich zu tod spinnen: und wann er gestorben und verdorben ist / da nehmen die lachende Erben die Seiden ja das Silber und Gold hinweg leben / und bekleiden sich stattlich darmit etc. den geitzigen Seiden-Wurm aber / der bey Lebs-Zeiten nicht hat wollen von sich geben / und doch wohl verpflegt und bedient werden / den verschliessen sie in ein höltzerne Truchen / das ist / in die Todten-Baar / und verscharren ihn unter die Erden / allwo er von den anderen Würmen gefressen wird /und alsdann heißt es stulte quæ parasti cujus erunt?35 Du Narr wessen wird es seyn was du bereitet hast?

Ubrigens wird der Seiden-Wurm auch für ein Sinn-Bild der Auferstehung gehalten: dann nachdeme er mühesam gearbeitet / und ihm selbsten ein Nest oder Bett aus Seiden / zugleich aber auch sein eigenes Grab gesponnen hat / da stirbt er darinnen ab.36 Aber über ein Zeitlang kommt er wiederum lebendig aus demselben herfür / nicht mehr als wie ein Wurm /sondern als wie ein Vögelein (dann es wachsen ihm Flügel) und flieget frölich darvon. Also auch der Mensch nachdem er in diesem sterblichen Leben gearbeitet / und ihm selber Seiden gesponnen / das ist /durch Ubung der guten Wercken reichliche Verdienst gemacht hat / da stirbt er ab / er wird zu Staub und Aschen: aber zur Zeit der Auferstehung kommt er wiederum lebendig aus dem Grab herfür / nicht wie er zuvor gewesen ist sterblich / sondern mit einem unsterblichen Leib / und flieget in den Himmel auf etc.

Was aber die Gespunst der Seiden-Würmen / nemlich die Seiden und seidene Kleider selbsten anbelangt / so ist es gewiß daß vor alten Zeiten / eh die Seiden-Würm aus Indien in Europa seynd gebracht /da bekant und gezüglet worden / die Seiden sehr rar theur und kostbar gewesen seye / ja / wie ich lise / gar dem Gold gleich gewogen worden: also daß kaum Königliche und Fürstliche Personen sich mit seidenen Zeug bekleidet haben: wie es aus den Worten des Kaysers Valeriani erhellet / der etwas gesparsamers ware / und sich nicht darzu resolviren kunte; dann als seine Gemahlin die Kayserin um ein seidenes Kleid bey ihm angehalten / hat er ihr solches als gar zukostbar abgeschlagen / und gesprochen: Absit ut auro fila pensentur.37 Es seye fern daß ich Fäden mit Gold abwegen thue. Doch haben mit der Zeit die fürnemme Frauen-Bilder das Recht erhalten seidene Kleider zu tragen: aber den Männeren blibe es noch lang verbotten. O wie sehr veränderen sich die Zeiten! indem heitiges Tags einer manchen Edel-Frauen / wann sie schon nicht von den fürnemsten und den feinisten ist /ein seidenes Kleid / welches vor Zeiten einer grossen Fürstin zu kostbar ware / nicht gut genung ist / wann es nicht noch darzu mit Silber und Gold vermengt ist.

Die Seiden-Würm stiften zwar mit ihrer Arbeit vil gutes in die Kirchen und Clöster / die Altär und Paramenta oder priesterliche Meßgewand / mit schönen seiden Zeug zuzieren: sie stiften auch vil böses zur Hoffart / und den übermäßigen Kleider-Pracht darmit zu führen.

In dem alten Testament war aus Göttlichem Befehl gebotten / daß der Hohe-Priester Aaron in dem Tempel bey dem Opfer haben solle ein Schulter-Kleid von Gold und [527] Himmel-blauer Seiden / von Purpur-Seiden / und zweymahl gefärbter rother / und weisser gezwirnter Seiden.38 Aber heutiges Tags muß zu Zeiten der Priester bey dem Altar des Allerhöchsten mit einem Meß-Gewand von schlechten Zeug für lieb nehmen / welches noch geflickt darzu /oder schmotzig genug ist / da entzwischen ein mancher oder manche / so von schlechtem Herkommen /und von schlechten Ehren ist / in seydenen Kleideren daher pranget: welches eben so vil ist / als wann man ein altes schandliches und baufälliges / innerhalb gantz unflätiges Hauß (also ist der menschliche Leib beschaffen) mit Kupfer decken / und ausserhalb mit schönen Farben anstreichen thäte.39 Oder wann man ein schlechte Hauß- oder Vieh-Magd (verstehe den Leib) in Seyden und Sammet kleiden / und kostbar ausziehren thäte / die edle Hauß-Frau aber / ich will sagen / die Seel / gantz zerlumpet / und verschmotzet / ohne allen Zierd der Tugend und guten Wercken / ja gar nackend und bloß / das ist / ohne das kostbare Kleid der Gnad GOttes ließe daher gehen. O tempora O mores! O verkehrte Zeit und Sitten! Von denen /die es also machen / kan billich gesagt werden / was Christus in dem Evangelio von den Gleißneren gesprochen hat / sie seyen gleich den geweißten Gräberen / die auswendig vor den Leuthen hübsch scheinen / aber inwendig seynd sie voller Todten-Bein und alles Unflats / das ist / sie gehen schön und kostbar gekleidet daher / innerlich aber seynd sie gantz armselig / voller Eitelkeit / voller Sünd und Laster etc.

Solchen übermäßigen Kleider-Pracht der Hochmüthigen fort zu führen / müssen offtermahl die arme Seyden-Würm / ich verstehe / die arme Baurs-Leuth oder Unterthanen / sich bey nahem zu todt spinnen oder arbeiten / und sich gantz abmerglen / also daß sie kaum die leere Haut / als wie die Seyden-Würm /darvon bringen.

Von dem Seyden-Wurm auf die Spinnen zu kommen / sage ich / daß dise eben so fleißig / und eben so künstlich und zart / aber zu dem menschlichen Gebrauch nicht so nutzlich / als wie die Seyden-Würm spinnen.40 Sie bemühen sich sehr ihr Garn oder Netz ordentlich auszuspannen / die Fäden mit ihren Füßen aus der in ihrem Leiblein oder Ingeweid eingeschlossenen Wollen heraus zu haspeln / dieselbe theils in die Runde / theils nach der Länge oder überzwerch /gantz gleichförmig anzulegen / und mit ihren gewissen Bündungen zu verknüpfen und befestigen / und dises auch bey finsterer Nacht / und / also zu reden von freyer Hand machen sie ein so künstliches Gebäu: Sie brauchen kein Grund-Riß darzu / kein Circul noch Maasstab / und fehlen doch um kein Haar von der rechten Proportion: und wann ihnen ihr Haus zerstöhrt oder eingerissen wird / bauen sie unverdrossen und unermüdet gleich widerum ein anderes. Ja sie thun sich zu Zeiten mit spinnen also abmatten und ausmerglen / daß sie an der Arbeit todt bleiben.

Aber zu was Zihl und End geschicht dises alles? was haben sie von all ihrer Mühe und Arbeit? Nichts anders / als etwan ein armes Mücklein / welches ihnen etwan eingeht / und zum Raub wird / nachdem sie lang genug darauf gelausteret / und gepasset haben: Ja auch dises ist ungewiß; dann gehlingen kommt die Hauß-Magd mit einem Besen darüber her /und zerstöhrt in einem Augenblick das gantze Spinnen-Geweb / an welchem die Spinn so lang und mühesam gearbeitet hat: ja noch darzu würfft sie die Spinnerin selbst zu Boden / und vertritt sie mit Füssen.

Dises gedunckt mich ein lebhaffter Entwurff der menschlichen Eitelkeit zu seyn.41 Es bemühen sich offtermahl die eitle Welt-Menschen hefftig und lang /sie thun sich gleichsam ausspinnen / strapaziren und abmatten / biß auf den Todt in Ergründung verborgner Sachen / in Erfindung neuer Dingen / in Aussinnung allerhand hoher Concepten / und weitschichtigen Anschlägen / wie sie ihre Sachen anstellen / ihr grosses Glück machen / und es immerdar[528] höher bringen mögen. Aber was gewinnen sie mit diesem allem? was bringt sie endlich zuwegen? nichts anders als etwan ein kleinen zeitlichen Gewinn / ein eitle Ehr /oder ein schnöden Wollust. Ja offt auch dieses nicht: dann gehling und unvermuthet kommt der Tod / oder ein anders Unglück über sie daher / und wirfft in einem Augenblick das gantze Gebäu ihres Glücks und Ansehens darnieder / an welchem sie so lang und mühesam gearbeitet haben / da heißt es / In vanum laboravimus, das Spinnen-Geweb ist zerrissen / labores eorum sine fructu, & inutilia opera eorum.42 Alle Mühe und Arbeit ist umsonst.

Ja alle zeitliche Glückseeligkeit ist einem schwachen Spinnenweb gleich / und wird gar leicht von einem Wind eines widrigen Zufalls zerrissen und zernichtet. Welches der König David wohl erkennt /indem er gespochen hat: Anni nostri sicut aranea meditabuntur.43 Unsere Jahr seynd zu achten als wie der Spinnen Geweb: und diese Wahrheit trifft nicht nur die niedere und geringe Personen / sondern auch die grosse König und Fürsten: auch die Macht des Alexandri, die herrliche Triumph des Pompæji, der Pracht und die Glori Julii Cæsaris und Augusti seynd zernichtet und zergangen als wie ein Spinnen Geweb. Ja alle Reich der Welt / alle Schätz / Wollüst und Hoheiten seynd ein lauteres Spinnen-Garn / in welchem doch die Menschen sich also verwicklen und verstricken / daß sie ihnen selber nicht mehr können daraus helfen. Wann in einem Hauß hin und wieder vil Spinnen-Geweb gesehen wird / ist es ein Zeichen / daß unfleissige Leuth in dem Hauß seyen / welche die Sauberlichkeit wenig lieben oder achten: also auch wann das menschliche Hertz mit dem Spinnen-Geweb der Eitelkeiten und zetlichen Begierden verwicklet ist / da ist es ein klares Anzeichen / daß man sich der Reinigkeit des Gewissens wenig befleisse.44

Ferners kan auch füglich durch die Spinnen mit ihrem Geweb der böse Feind mit seinen Versuchungen verstanden werden; dann auch dieser spannet überall das Garn seiner Versuchungen aus / und lausteret biß ihm der unbehutsame Mensch eingehet /und in diesem Garn behangen bleibt / das ist / in die Versuchung einwilliget / da verstricket und verwicklet er ihn als wie ein Spinn die Fliegen / erstlich zwar mit den Stricken der Falschheit des betrüglichen Wollusts in dem Sündigen / hernach aber mit den Stricken der bösen Gewohnheit zu sündigen / und endlich (wann nicht GOtt sonderbare Gnad gibt) mit den Stricken der Verzweiflung / auf daß er sich also seiner völlig bemächtige / und dieser ihm nicht mehr entrinnen möge. Darum hat auch der heilige Paulus gesprochen: Die reich werden wollen / fallen in Versuchung /und in die Strick des Teufels.45

Aber zu mercken ist / daß gleichwie die Spinnen nur die kleine schwache Thierlein / als Fliegen / Mucken und dergleichen in ihrem Garn zufangen / und zuverstricken pflegt / die grössere und stärckere Thierlein aber / als wie die Wepsen und Hurnaussen / etc. wann sie an einem Spinnen-Geweb anstossen / schlagen sie sich durch / zerreissen der Spinnen ihr Garn /verjagen sie / und fliegen ungehindert fort: eben also kan der Teufel in dem Garn und Fall-Stricken seiner Versuchungen nur diejenige fangen und aufhalten /welche klein und schwach in dem Glauben und der Tugend seynd: die Stärckere und Tugendhaffte aber schlagen sich leichtlich durch / sie zerreissen das Garn / das ist / sie verstöhren und zernichten die Anschläg oder Vorhaben des höllischen Feinds / und jagen ihn selber in die Flucht.

Sie schwingen sich auf über das Garn der bösen Versuchungen / weilen sie begabt seynd mit starcken Flüglen der Forcht und Liebe GOttes.

Es können zwar in gewissem Verstand auch die Kleine / das ist / die Demüthige bey diesem höllischen Spinnen-Geweb durchdringen / oder sich durchschlagen / wie aus folgender Geschicht erhellet.[529]

Der Heil. Einsidler Antonius hatte ein Erscheinung / in welcher er in dem Geist sahe / wie daß der böse Feind den gantzen Himmel mit einem weit und breit ausgespanten Netz oder Garn unterzogen hatte / dardurch zu verhinderen / daß kein menschliche Seel frey in den Himmel auffliegen könne.46 Der Heil. Mann erschracke von Hertzen darüber / und schrye auf mit den Apostlen: Quis ergo poterit salvus fieri?47 Wer kan dann seelig werden? er hört aber bald ein himmlische Stimm sprechend / Humiles, die Demüthige: dann obwohlen durch die Boßheit des Teufels der gantze Himmel mit dem Garn überzogen ist / so hat es doch vil Löcher / also daß die kleine Vöglein /das ist / die demüthige Seelen leichtlich durchschliefen können / er kan sie nicht hinderen. Die Grosse aber / das ist / die von Hochmuth aufgeblasene / oder mit ungerechtem Gut beladene etc. bleiben stecken in dem Garn der höllischen Spinnen / incidunt in laqueum diaboli etc. über dieses kan man auch scopâ pœnitentiæ, mit dem Besen der Buß und Abtödtung das höllische Spinnen-Geweb / verstehe die Versuchungen des bösen Feinds leichtlich zerstören und zernichten.

Die Spinnen haben vil aber ungleiche Füß / mit denselben flechten / heften / knüpfen / subtilisiren und verlängeren sie die Fäden / sie hencken sich selber darmit auf.48 Sie haben auch ein sehr subtiles Fühlen oder Antasten / wann man ihr Garn im gerinsten berührt / so empfinden sie es gleich; sobald ein Mucken oder Fliegen in ihr Garn eingeflogen ist / lauffen sie geschwind hinzu / verwicklen und verstricken sie noch mehr / saugen ihr alle Feuchtigkeiten aus / und lassen nichts als den leeren ausgedorten Cörper über. Durch dieses deuten sie uns an die Wucherer und Geitzhälß / die ungerechte interessirte Richter und Advocaten; das Netz und Garn / und vilfältige ungleiche Füß seynd ihre falsche Contract, allerley falsche Renck / krumme Spring und Griflein / Krümmungen der Gesetz und Rechten / zweyfelhafftige oder zweydeutige Wort und Verheissungen etc. sobald nun ein Contrahent, ein Client oder streittende Partey ihnen eingehet / da verwicklen und verstricken sie selbe /daß sie sich nicht mehr loßmachen können: sie saugen selbe gäntzlich aus / das ist / sie bringen sie um ihre Mittel / und lassen selbe gantz ausgemerglet / in ihrem Garn verstricket hangen / als wie die Spinn ein Fliegen. An einer solchen unglücklichen Fliegen /oder armseeligen Menschen werden erfüllt die Wort des gedultigen Jobs / immisit in rete pedes suos, tenebitur planta illius laqueo. Er hat seine Füß ins Netz gesetzt / und sein Fuß-Solen wird mit dem Strick angehalten.

Doch aber ist auch das Spinnen-Geweb nicht gar so unnütz / daß es nicht auch zu etwas zu brauchen seye: wann man sich mit einem Messer geschnitten /oder sonsten verwundet hat / und ein Spinnenweb auf die Wunden legt / so stellt es das Bluten / trucknet die Wunden / stillet den Schmertzen / und verhindert die Inflammation.49

Ja es hat GOtt einstens mit dem Spinnen-Geweb ein Miracul gewürcket: als nemlich der H. Priester und Martyr Felix zu Nola vor den Glaubens-Feinden /die ihme nacheilten / flohe / und sich in einem Winckel zwischen zweyen Mauren verbarg / da ist selbiger Winckel augenblicklich mit Spinnen-Geweb überzogen worden / also daß man ihme nichts wenigers hätte einbilden können / als daß allererst ein Mensch dahin sich verborgen habe / und mithin der Heilige der Gefahr entgangen.50


Sic ubi Christus adest nobis & ara a muro est:

At ub Christus abest, & murus aranea fiet.


So lang dir GOttes Gnad beysteht /

Auchs Spinnen Gweb dich beschützet:

Sobald aber sie dir entgeht /

Kein Gwalt noch Stärck dich nutzet.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 525-530.
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