[84] Die Gräfin – der Major.
GRÄFIN. Bizarrerie! Sucht sonderbar zu scheinen! Jedermann will sich unter seinen Brüdern auszeichnen; der eine umsegelt die Welt, der andere verkriecht sich in eine Hütte.
MAJOR. Und der Diener äfft dem Herrn nach.
GRÄFIN. Komm, Bruder, wir wollen meinen Mann aufsuchen; er ging mit Madam Müller dort über die Wiese.
MAJOR. Vorher ein paar Worte. – Schwester, ich bin verliebt!
GRÄFIN. Zum wievielten Male?
MAJOR. Zum ersten Male in meinem Leben.[84]
GRÄFIN. Gratuliere.
MAJOR. Du bist mir ausgewichen bis jetzt. Wer ist sie? Ich bitte dich, Schwester, sei ernsthaft! Lachen hat seine Zeit.
GRÄFIN. Um aller Grazien willen, du siehst aus, als wolltest du Geister zitieren. Rolle deine wilden Augen nicht so auf mir herum; ich gehorche schon. Ernsthaft also über die närrischste Materie von der Welt, über die Liebe! Wer Madam Müller ist, weiß ich nicht, das hab' ich dir schon gesagt. Was ich aber sonst noch von ihr weiß, das soll dir unverhohlen bleiben. Es mögen nun ungefähr drei Jahre sein, als man mir eines Abends in der Dämmerung ein fremdes Frauenzimmer meldete, welches mich allein zu sprechen begehre. Ich nahm den Besuch an, und Madam Müller erschien, mit all' dem Anstande, all' der Bescheidenheit, welche auch dich bezaubert haben. Doch trugen ihre Züge damals noch das sichtbare Gepräge der Angst und Verwirrung, welche jetzt in sanfte Melancholie verschmolzen sind. Sie warf sich zu meinen Füßen und bat mich, eine Unglückliche zu retten, die der Verzweifelung nahe sei. Sie versicherte, man habe ihr viel Gutes von mir gesagt, und erbot sich, mir als Kammermädchen zu dienen. Ich forschte vergebens nach der Ursache ihrer Leiden, sie verschleierte ihr Geheimnis, entfaltete aber mit jedem Tage immer mehr und mehr ein Herz, von der Tugend zum Tempel erkoren, und einen Verstand, durch die ausgesuchteste Lektüre gebildet. Ich ließ ab, mich in ihr Vertrauen eindrängen zu wollen; aber sie war nun nicht mehr mein Kammermädchen, sie ward meine Freundin. Als sie mich einst auf einer Spazierfahrt hieher begleitete, und ich in ihren Augen das stille Entzücken las, mit welchem ihre Seele an den Schönheiten der Natur hing, tat ich ihr den Vorschlag, hier zu bleiben, und sich der häuslichen Wirtschaft anzunehmen. Sie ergriff meine Hand, und drückte sie an ihre Lippen mit ungewöhnlichem Feuer. Ihre dankbare Seele schwamm in ihren stummen Tränen. Seitdem ist sie hier, und wirkt unzähliges Gute im verborgenen, und wird angebetet von jedem Geschöpfe, das sich ihr nähert. Mit einer Verbeugung. Ich bin fertig, Herr Bruder.
MAJOR. Zu wenig, um meine ganze Wißbegierde zu befriedigen, aber doch genug, um den Vorsatz zur Tat werden zu lassen. – Schwester, steh mir bei! – ich heurate sie.
GRÄFIN. Du?
MAJOR. Ich.[85]
GRÄFIN. Baron von der Horst?
MAJOR. Pfui! – wenn ich dich recht verstehe.
GRÄFIN. Nur nicht gleich so bitter! Die großen, erhabenen Grundsätze von Gleichheit aller Stände, und so weiter, sind herrlich in einem Roman; aber wir leben nun einmal nicht in der Ideenwelt. Der Herr Baron will seine Gemahlin nach Hofe führen, das geht nicht an; er will seine Söhne zu Domherrn machen, das geht nicht an; er will seine Töchter in einem Stift versorgen, das geht wieder nicht an.
MAJOR. Predige mir nicht Gemeinsprüche! Ich dürfte dir nur antworten, daß ich liebe, leidenschaftlich liebe, und du müßtest schweigen; denn die Liebe kehrt sich weder an Domherrn, noch an Stiftsfräulein. Aber ich bin kein brausender Jüngling mehr; du hast einen Mann vor dir, der –
GRÄFIN. Der eine Frau nehmen will.
MAJOR. Nein, der vernünftig und kalt Vorteil gegen Nachteil abgewogen, häusliche Ruhe und Zufriedenheit gegen Glanz des Hofes, Glück des Lebens gegen eitle Konvenienz. Ich kenne die Verhältnisse in der bürgerlichen Gesellschaft; ich kenne und ehre sie. Sie waren einst sehr notwendig, und sind es vielleicht noch. Ich werde nie töricht genug sein, zu verlangen, daß man um meinetwillen auch nur ein Tüttelchen an der wohlhergebrachten Hofetikette ändre, oder ein Quentchen vom uralten Adelswahn fahren lasse. Meine Frau wird also nicht bei Hofe erscheinen; und da fragt sichs nur noch, ob wir dabei gewinnen oder verlieren werden?
GRÄFIN. Darum mußt du den alten Hofmarschall fragen; der kann dir das am besten erklären.
MAJOR. Meine Söhne werden weder Domherrn, noch meine Töchter Stiftsfräulein sein. Das heißt mit andern Worten: meine Söhne werden da nicht ernten, wo sie nicht gesäet haben, und meinen Töchtern – wenn sie die Tugenden ihrer Mutter erben – wird es nie an braven Männern fehlen.
GRÄFIN. Besonders, wenn sie sich nach ihrer Tante bilden.
MAJOR. Ich ziehe aufs Land; ich bin mir selbst genug. Um meine Bauern glücklich zu machen, bedarf ich keines Titels, und mein eignes Glück zu fühlen, lehrt mich mein Herz. Eine Frau, wie diese – einst Vater von Kindern, die ihr gleichen – reich genug, um Wohlstand um mich her zu verbreiten – was will der Mensch mehr? Oder wenn du mich nun auch für ein so gar geselliges Tier hälst, daß ich[86] selbst meiner Frau gegenüber, dann und wann Langeweile empfinden müßte; hab' ich denn nicht Freunde? eine zärtliche, mutwillige Schwester? einen jovialischen Schwager? – oder – wie? – wäre diese Schwägerin der Frau Gräfin vielleicht nicht anständig?
GRÄFIN. Du wirst unartig.
MAJOR. Nun, was hindert denn noch?
GRÄFIN. Das ist alles sehr schön und rührend. Der Plan ist vortrefflich; nur einen kleinen Umstand hast du vergessen.
MAJOR. Der wäre?
GRÄFIN. Ob Madam Müller dich haben will.
MAJOR. Das ist es eben, liebe Schwester, wozu ich deinen Beistand nötig habe. Sie bei der Hand fassend. Gute Henriette! du kennst mein Herz, du weißt, daß ich nicht fasele. In französischen Diensten aufgewachsen, unter geschminkten, verbuhlten Weibern, ward euer Geschlecht mir verhaßt. Der Hof bot mir ein ewiges, ekelhaftes Einerlei, und in Privathäusern fand ich, wenns hoch kam, Eheleute, die sich ertrugen, weil sie mußten, und einander liebkosten, weil es nun einmal so Sitte ist. Überall Bilder des Überdrusses und der Reue; überall eitle Weiber und zugrunde gerichtete Männer, törichte Mütter und verzogene Kinder.
GRÄFIN. Ein sauberes Gemälde! aber – nimm mirs nicht übel, – mit Hogarths Pinsel entworfen – Karikatur.
MAJOR. Ach liebe Henriette, auch meine Stunde ist gekommen.
GRÄFIN. Es geschieht dir schon recht. Nur schade, daß du eben an eine sanfte holde Seele geraten bist. Eine Xanthippe hätte den Herrn Bruder an ihren Triumphwagen spannen sollen.
MAJOR. Nur eine solche Seele vermochte dies widerspenstige Herz zu fesseln. Und nun – liebe Henriette – du, mit der ich an einer Brust lag –
GRÄFIN. Um Vergebung! Ich hatte eine Amme.
MAJOR. Grausamer Mutwille!
GRÄFIN. Wunderlicher Mensch! wozu denn stöhnen und seufzen, da sich dir die reizendste Aussicht öffnet? Hier hast du meine Hand! Ohne glänzendes Wortgepränge, ich tue, was ich vermag. St! beinahe wären wir überrascht worden. Sie kommen. Weg mit der Ehestandsfalte. Warte dein Spiel ruhig ab; ich will die Karten schon mischen.[87]
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