[112] Bittermann – der Graf.
BITTERMANN. Ich habe die Ehre, Ew. Hochgräfl. Exzellenz zu vermelden, daß die Tafel serviert ist.
GRAF. Womit ist die Tafel serviert?
BITTERMANN. Fürs erste sind da delikate junge Hühner und zuckersüße junge Erbsen. Alsdann ein Hecht, so lang als ein Walfisch, ein gebratener Kapaun, so zart als ein Milchbrei, und Krebse, so groß als die Schildkröten.
GRAF. Lieber Bittermann, wenn Er auch noch zwanzig der schmackhaftesten Schüsseln auf die Tafel setzt, so wird Er meinen Appetit doch nicht eher rege machen, als bis Er die Tafel auch mit einigen Menschen serviert. Allein schlafen kann ich zur Not; aber allein essen ist mir unmöglich. Je mehr Menschen um mich her sitzen, je voller sie die Backen stopfen, je begieriger sie einhauen, desto besser schmeckt es mir selbst.
BITTERMANN. Da könnt ich Ew. Hochgräfl. Exzellenz meinen Peter rekommandieren; der frißt, als wollt' er die Schüsseln zusamt den Speisen verschlingen.
GRAF. Wo bleibt denn meine werte Hausgenossenschaft? – Liegt Madam Müller noch in Ohnmacht?
BITTERMANN. Soviel ich im Vorbeigehen am Schlüsselloch erlauschen konnte, ist sie nunmehro wieder zu sich selbst gekommen. Ist das nicht ein geziertes, geschraubtes, gedrechseltes Wesen mit so einem verlaufenen Dämchen! Da wurde nach Hirschhorn geschickt, nach Riechspiritus, nach weißem Pulver; die arme hochedle Mamsell Lotte läuft Treppe auf,[112] Treppe nieder, daß sie ihre allerliebsten Beinchen kaum mehr fühlt. Ein paar Kannen kaltes Wasser über den Kopf gegossen, das ist das kräftigste Mittel gegen alle Ohnmachten. Ich wundere mich nur über die gnädige Frau Gräfin und über den Hochwohlgebornen Herrn Major; die sind so emsig und ängstlich um sie her beschäftigt, als ob das Frauenzimmerchen zu Ew. Hochgräfl. Exzellenz hohen Familie gehörte.
GRAF lächelnd. Wer weiß!
BITTERMANN. Bei meiner armen Seele! ich glaube, wenn ein alter treuer Diener, der seit zwanzig Jahren die Ehre hat, Ew. Hochgräfl. Exzellenz aufzuwarten, einmal das Unglück hätte, in Ohnmacht zu fallen; es würde nicht halb soviel Lärm entstehen.
GRAF. Das glaub' ich beinahe selbst.
BITTERMANN. Und lieber Gott! niemand weiß doch, wer das Frauenzimmer ist. Ich habe Briefe über Briefe geschrieben, ich habe Antworten über Antworten erhalten; keiner meiner Korrespondenten kann mir Auskunft geben.
GRAF. Weiß Er was, Bittermann? Da will ich Ihm einen guten Rat erteilen.
BITTERMANN sehr begierig. Ich bin ganz Ohr.
GRAF. Ich schließe aus dem heutigen Vorfall, daß Madam Müller und der Fremde sich ziemlich genau kennen müssen. Wenn Er also nur von dem Fremden nähere Nachricht einziehen könnte!
BITTERMANN wehmütig. Ach teurer Herr Graf! habe ich mir denn nicht schon die unsäglichste Mühe deshalb gegeben? Seit vier Monaten ist all' mein Dichten und Trachten auf diesen wichtigen Gegenstand gelenkt; aber da ist ägyptische Finsternis, undurchdringlicher Nebel. Und ohne Ruhm zu melden, was ich nicht zu Tage fördere, das muß im tiefsten Schacht vergraben liegen. Ich habe meine Korrespondenten weit und breit, und dann habe ich so meine eigene Manier, ein Geheimnis unter die Leute zu bringen. Mit meinen Briefen in der Tasche halte ich die Leute auf den Straßen an; ich lese sie in der Kanzelei des Herrn Gerichtshalters vor, ich publiziere sie in der Kirche –
GRAF. Ja, ja; und wenn Er keine Briefe bekommt, so schmiedet Er sie selbst.
BITTERMANN. Auch wohl mitunter, Ew. Hochgräfl. Exzellenz. Die Korrespondenten sind zuweilen saumselig.[113]
Ausgewählte Ausgaben von
Menschenhaß und Reue
|