Siebente Szene


[335] Graf – Adolph – hernach Bedienter.


GRAF. Du ein Joseph? Was will er damit sagen?

ADOLPH. Er weiß vermutlich nicht, daß ich Adolph heiße.

GRAF klingelt. – Bedienter tritt ein. Chokolade!

ADOLPH. O ich bitte, lieber Vater, lassen Sie für mich auch bringen!

GRAF zum Bedienten. Zwei Becher!

ADOLPH ihm nachrufend. Vier Becher!

GRAF. Bist du so hungrig?

ADOLPH. Wie ein Wolf.

GRAF. Hast du nicht soupiert?

ADOLPH. Verdammt wenig und verdammt schlecht.

GRAF. Wo warst du?

ADOLPH. Der Zufall führte mich zu der kleinen Tänzerin Comachini.

GRAF stutzt. Wie?

ADOLPH. Sie wird von einem alten Herrn unterhalten, den sie nicht nennen darf.

GRAF. So?

ADOLPH. Eben da wir uns zur Tafel setzen wollten, ein böhmischer Fasan lachte mich schon freundlich an, – führte der Henker den alten Herrn die Treppe herauf.

GRAF. Und du?

ADOLPH. Ich war mit einem Sprunge im Hinterzimmer beim Kammermädchen – auch ein artiges Geschöpf! Man schickte uns den Abhub von der Tafel; aber der alte Herr muß noch einen vortrefflichen Appetit haben, denn er hatte den böhmischen Fasanen rein aufgegessen.

GRAF. Und dann?[335]

ADOLPH. Um zwölf Uhr trollte er sich nach Hause; aber nun war es schon zu spät, um ins Speisehaus zu schicken. Die Comachini machte tausend Entschuldigungen, ich lachte und hungerte.

GRAF. Es geschah dir schon recht. Nimmt verstohlen das Billett von der Toilette und zerreißt es mit unterdrückter Wut. Und den Namen des Fasanenfressers wollte sie dir nicht sagen?

ADOLPH. Durchaus nicht. Es wird wohl so ein alter reicher Podagrist sein, der die Erinnerungen seiner schönen Jugend bei ihr mit Gelde aufwägt.

GRAF. Ja, ja, so wirds wohl sein. Aber du, mein Sohn, du solltest dich schämen! eine solche Lebensart! Ich habe nichts dagegen, daß du dem schönen Geschlecht huldigst; aber nur mit Auswahl, mit Delikatesse.

ADOLPH. Ich komme auch nur selten zur Comachini.

GRAF. In meiner Jugend habe ich auch wohl gern hübsche Mädchen gesehn; aber immer mit Anstand.

ADOLPH. Mit Anstand! recht Papa! – Ich habe vor einiger Zeit ein Frauenzimmer kennen lernen, das selbst einen Perikles bezaubern würde.

GRAF aufmerksam. Jung und hübsch?

ADOLPH. O was sind – jung und hübsch – für unbedeutende Worte, um eine Gestalt zu bezeichnen, zu welcher die Helenen, die Aspasien, die Chlorinden, die Danaen nur einzelne Züge leihen konnten!

GRAF für sich. Teufelsjunge! lauter Pulver! – Laut. Nun so erzähle doch!

ADOLPH. Ein schmachtendes Auge.

GRAF. Schwarz oder blau?

ADOLPH. Blau. Wangen und Lippen wie Morgenrot übergossen.

GRAF der immer lüsterner wird. Und die Lippen? ein wenig aufgeworfen?

ADOLPH. Einladend zum Kuß; ihre ganze Gestalt so wellenförmig.

GRAF. Wellenförmig? Das mag ich wohl leiden.

ADOLPH. Und die Hand! Die Hand!

GRAF. Nun? die Hand?

ADOLPH. Man muß sie lange drücken, ehe man einen Knochen fühlt.

GRAF. Ich liebe solche Hände.

ADOLPH. Und der Fuß – o Papa! der Fuß! –[336]

GRAF. Nun? der Fuß?

ADOLPH. Was soll ich von dem Fuße sagen?

GRAF. Klein? schmal?

ADOLPH. Zu wenig!

GRAF. Nett? niedlich?

ADOLPH. Zu wenig!

GRAF. Narr! so rede!

ADOLPH. Über einen solchen Fuß muß man gar nicht reden, den muß man nur sehen, und – wenn man darf – küssen!

GRAF. Darfst du das?

ADOLPH. Leider nein! Sie ist bei allen ihren Reizen so sittsam, so schüchtern, daß man verzweifeln möchte.

GRAF. Du bist sehr verliebt!

ADOLPH. Zum Sterben.

GRAF. Sei ruhig! Du wirst nicht sterben.

ADOLPH. Wenn das Mädchen von Stande wäre, wahrlich, Papa, ich könnte –

GRAF. Einen dummen Streich machen?

ADOLPH. Vielleicht den klügsten meines Lebens.

GRAF. Wer ist sie denn?

ADOLPH. Sie näht, sie stickt, sie macht allerlei Putz.

GRAF. Und du kaufst ihr wohl fleißig ab?

ADOLPH. Ich muß ja wohl, denn Geschenke nimmt sie nicht.

GRAF. Hm! das ist brav! Ich möchte ihr schon auch etwas abkaufen. Wo wohnt sie? Ganz allein?

ADOLPH. Bewahre! Sie hat einen Bruder, dem gehe ich aus dem Wege.

GRAF. Oder er dir?

ADOLPH. Ach nein! Er sucht hier, ich weiß nicht, was. Er ist selten zu Hause.

GRAF beiseite. Selten zu Hause? Laut. Und die armen Leute wohnen vermutlich sehr schlecht?

ADOLPH. Sie wollen es nicht besser.

GRAF forschend. In einer engen Gasse?

ADOLPH. Freilich! In der Winkelgasse am Markte.

GRAF. Ach! Vermutlich bei dem Gewürzkrämer?

ADOLPH. Nein, es ist ein Seifensieder. Das ganze Haus stinkt wie die Pest.

GRAF beiseite. So, so! Also nur der Nase nach –

ADOLPH. Und wenn einmal Feuer da auskäme – die schmalen hölzernen Treppen, – der vierte Stock –

GRAF. Der vierte Stock? Das ist verdammt hoch![337]

ADOLPH. Freilich so ein alter Herr, wie der Anbeter der Comachini, muß es wohl bleiben lassen, da hinaufzuklettern.

GRAF. Nimm dich nur selbst vor der Schwindsucht in acht.

ADOLPH. Vor der Auszehrung wollen Sie sagen; denn ich liebe hoffnungslos.

GRAF nimmt sich zusammen. Beim Lichte betrachtet, mein Sohn! was willst du da?

ADOLPH. Ach ich weiß es selbst nicht.

GRAF. Zeitvertreib?

ADOLPH. Es ist mehr als das.

GRAF. Ein sittsames Mädchen verführen?

ADOLPH. Das nicht, nein, wahrlich nicht! Das sollte mir herzlich leid tun.

GRAF. Ja hinterdrein! Höre, Adolph! es ist meine Pflicht, dir zu raten: Bleib dort weg!

ADOLPH. Das würde sehr schwer werden.

GRAF. Sieh, ich meine es gut mit dir. Ich kenne die Welt.

ADOLPH. Ich möchte sie auch gern kennenlernen.

GRAF. Man verliert an solchen Orten seine Zeit.

ADOLPH. Man kann sie nicht besser verlieren.

GRAF. Sein Geld.

ADOLPH. Immerhin!

GRAF. Und oft noch mehr.

ADOLPH. Das Herz, wollen Sie sagen? Je nun, dazu wurde es ja geschaffen.

GRAF. Nicht zum Verlust, sondern zum Tausch.

ADOLPH. Desto besser!

GRAF. Beim Tausch gehts aber zuweilen wie in dem berühmten Spiele, wo man die Karten mit dem Nachbar wechselt; man gibt oft etwas Besseres weg, als man zurückempfängt.

ADOLPH. Auch umgekehrt.

GRAF. Überhaupt, mein Sohn, haben Karten und Herzen viel Ähnlichkeit miteinander. Von außen anzusehen alle glatt und rein; es müßte denn schon oft damit gespielt worden sein, – aber wer darf eher hineinsehen, als bis sie herumgegeben sind? Da hat sich denn mancher mit großen Erwartungen hingesetzt, und wenn er's beim Lichte besieht, so ruft er kleinlaut: ich passe!

ADOLPH. Besser passen, als Kodille verlieren.

GRAF. Hast du dich vielleicht schon zu tief eingelassen? – Sieh, Adolph, vier Treppen sind zwar hoch, verdammt hoch;[338] aber aus väterlicher Liebe – die Mühe soll mich nicht verdrüßen; ich will zu ihr gehen – ich will ihr sagen –

ADOLPH. Wer ein Mädchen liebt, muß es ihr selbst sagen. Der dritte Mann würde nur Prosa aus einer Ode machen.

GRAF. Die Odenliebhaber taugen selten viel.

ADOLPH. Wenn ich so alt werde, wie Sie, lieber Papa, so will ich mich denn auch zur Prosa herabstimmen. Mit bescheidnem Scherz. Unterdessen bin ich gekommen, Ihnen anzukündigen, daß ich bald wieder Geld brauchen werde.

GRAF. Du brauchst viel Geld.

ADOLPH küßt ihm die Hand. Sie sind reich und gut! Will gehen.

GRAF. Wohin?

ADOLPH. Ich habe wichtige Geschäfte. Ich habe gestern einen süperben neuen Schimmel gekauft, den muß ich heute im Prater produzieren, dann zur Baronin Sollenheim, um mit ihr auf das gestrige neue Stück zu schimpfen, – dann ein wenig auf dem Graben stehen und gaffen, – dann ein Dutzend Krapfen essen, – dann auf die Reitschule, – dann aufs Kaffeehaus, dann große Toilette, – o, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 335-339.
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