[355] Amalie – Frau Wunschel.
FRAU WUNSCHEL draußen. Gleich, liebe Madame! Tritt ein. Sind die Herren Grafen schon fort? Nun, meine liebe Madame, seit siebzehn Jahren habe ich mich nicht so geärgert. Vor siebzehn Jahren kam mein seliger Herr einmal betrunken nach Hause, und wollte mit aller Gewalt dem Stubenmädel einen Kuß applizieren, da habe ich mich auch rechtschaffen geärgert. Aber heute! Was? Ich eine tolle Weibsperson? Ich habe niederschlagend Pulver einnehmen müssen von Krebsaugen; die sammle ich selbst in den Monaten ohne R, da sind die Krebse am besten: Mai, Juni, Juli, August. Ich fahre dann zuweilen nach einer Mühle zwei Stunden von hier; der Müller ist mein Gevatter, und ein reicher Mann, seine Frau ist weitläufig mit mir verwandt.
AMALIE. Sagen Sie mir, meine beste Frau von Wunschel, ist der Graf Klingsberg verheiratet?
FRAU WUNSCHEL. Je nun, er hat einen Sohn, folglich auch eine Gemahlin, wenigstens gehabt.
AMALIE. Ist sie tot?
FRAU WUNSCHEL. Ja Kind, das weiß ich nicht. Die hohen Herrschaften sieht man hier selten beisammen, wenn sie auch verheiratet sind.
AMALIE. Desto schlimmer, wenn die erhabensten Beispiele nicht besser wirken.
FRAU WUNSCHEL. Liebe Madame! Hier ist man, wie in allen großen Städten, – verliebt ohne Liebe, man bleibt zu Hause ohne Häuslichkeit, – man hat Lustbarkeiten ohne Freude, und Geselligkeit ohne Freundschaft.
AMALIE. Das böse Schicksal aller großen Städte. Jetzt bitte ich Sie inständigst, liebe Madame, dies Billett sogleich in das Hotel des Grafen zu senden.
FRAU WUNSCHEL liest die Adresse. »An die Frau Gräfin von Klingsberg.« Ja, wenn nun aber keine Frau Gräfin von Klingsberg mehr existiert?
AMALIE. Mich däucht der Graf erwähnte ihrer; wo nicht, so wird es zurückgebracht.
FRAU WUNSCHEL. Und was soll denn die Gräfin?
AMALIE. Sie soll – ach, wenn doch der Pachter Krautmann zurückkäme, mir Nachricht brächte! – O Karl! Karl! wenn du wüßtest, in welcher Lage ich bin![355]
FRAU WUNSCHEL. Ach! Was wollen Sie sagen, meine teure Madame? Man kommt in der Welt zuweilen in Lagen, – ich selbst Madame! kein Hering in der Tonne liegt so schlecht, als ich oft gelegen habe. Nur Mut gefaßt, nur die Arme in die Seite gestemmt, man drängt sich durch. Es kommt mir just so vor mit dem menschlichen Leben, als wie in der Komödie, wenn es recht voll ist; da steht man auch manchmal so eingepreßt, daß man kaum Atem schöpfen kann. Aber da habe ich meine eigne Methode: ich gebe jeden von meinen Nachbarn so ein Stückchen von meinen Ellenbogen zu fühlen, ganz sanft, ganz leise. Anfangs merkt er es kaum, nach und nach wird ihm das Ding doch verdrüßlich, und ehe eine Viertelstunde vergeht, hat er Platz gemacht. Amalie, der das Geschwätz überlästig wird, nähert sich langsam und nachdenkend dem Kabinett. – Frau Wunschel ist immer hinter ihr her. O Sie glauben nicht, liebe Madame, was so ein spitziger Ellenbogen, der ganz im stillen unaufhörlich bohrt, endlich für ein Loch zuwege bringt. Will man gerade durch mit Gewalt ja, das geht nicht; aber so tropfenweise, wie der Regen aus der Dachtraufe endlich einen Stein aushöhlt, – o da kann man es weit in der Welt bringen. Nur immer geduldig zugeschaut! Tropf! tropf! nur immer auf eine Stelle geschlagen, wenn auch ganz sanft, am Ende tut es doch weh. Da hätten Sie meinen seligen Herrn kennen sollen; der war wie Stahl und Eisen, und endlich habe ich ihn doch gebogen, wie eine Weidenrute.
AMALIE in der Tür. Ich wünschte allein zu sein.
FRAU WUNSCHEL. Ei was allein! Warum nicht gar? Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, das ist eine goldne Regel. Und wenn ich gleich nicht mehr soviel schwatzen kann, als vor zwanzig Jahren, so bin ich doch auch nicht ganz aufs Maul gefallen. Ja vor zwanzig Jahren, da hätten Sie mich hören sollen! Die letzten Worte verlieren sich in der Szene.