Erste Szene


[363] Adolph – Stein.


ADOLPH tritt rasch auf. Hier, mein Herr, hier stört uns niemand. Zieht den Degen.

STEIN. Noch einen Augenblick, Herr Graf!

ADOLPH. Keinen Augenblick! Noch nie hat ein Klingsberg so lange eine Beschimpfung auf sich sitzen lassen.

STEIN. Ich gehe nicht von dieser Stelle, ohne Ihnen Genugtuung zu geben; darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort; aber ich schlage mich auch nicht eher, bis ich geredet habe.

ADOLPH. Keine Ausflüchte! Keine Entschuldigungen!

STEIN. Ausflüchte? Entschuldigungen? Wofür halten Sie mich? Es ist nicht von mir, was ich reden will, sondern von zwei unglücklichen, liebenswürdigen Frauenzimmern.

ADOLPH. Erst Blut, – dann Worte![363]

STEIN. Dann möchte es zu spät sein. Kurz, Herr Graf, Sie können mich ermorden; aber meinen Degen ziehe ich nicht, bis Sie mich angehört haben.

ADOLPH. Mit der Zunge waren Sie weit schneller.

STEIN. Sagen Sie, was Sie wollen, Sie bringen mich nicht auf. Der Gang hierher hat mich kühler gemacht. Sie haben für niemand zu sorgen; ich habe Gattin und Schwester.

ADOLPH. Wollen Sie sich hinter Schürzen verstecken?

STEIN mit Aufwallung. Herr! ich gab mein Ehrenwort, daß Sie Genugtuung erhalten. Jetzt lassen Sie mich reden; denn ich muß reden.

ADOLPH stützt sich ungeduldig auf seinen Degen. Nun so reden Sie!

STEIN. Sie haben mich beleidigt; ich Sie. Mein Blut, oder das Ihrige wird uns versöhnen; – das ist abgetan. Sie sind Kavalier und reich. Meine Schwester versichert, Sie wären auch edler Empfindungen fähig. Ich bin arm und unglücklich; was soll aus Gattin und Schwester werden, wenn ich falle?

ADOLPH. Das hätten Sie früher bedenken sollen.

STEIN. Das ist nicht die Antwort eines edeln, reichen Mannes. Jetzt dürsten Sie nach Rache; in einer Viertelstunde ist das vorbei. Was würden Sie mir dann antworten, wenn ich dann noch fragen könnte?


Adolph nimmt den Degen untern Arm und sieht ihn eine Zeitlang forschend an. Stein schaut ihm düster ins Auge.


ADOLPH. Ich werde für die Ihrigen sorgen.

STEIN. Das hab ich erwartet.

ADOLPH. Und nun –

STEIN. Halt! Ich muß mich noch näher erklären.

ADOLPH. Noch mehr Erklärungen?

STEIN. Es gehört zur Sache. Die Meinigen sind fremd, verlassen in dieser großen Stadt. Hier bleiben sollen sie nicht. Ich verlange keine andere Hülfe von Ihnen, Herr Graf, als daß Sie die beiden Frauenzimmer durch einen sichern und anständigen Begleiter zu einer alten Verwandtin bringen lassen, die in Schwaben wohnt. Wollen Sie das?

ADOLPH. Ja!

STEIN. Hier ist mein Taschenbuch. Legt es zwischen beide auf die Erde. Wenn ich falle, so werden Sie darin die Beweise meines Standes und meines Unglücks finden.

ADOLPH. Gut.[364]

STEIN. Geloben Sie mir Achtung für die Tugend meines Weibes und die Unschuld meiner Schwester; geloben Sie mir Schonung meines Kummers. Versprechen Sie mir, beide nicht zu sehen. Was Sie tun, geschehe durch einen Dritten. Wollen Sie das?

ADOLPH. Ich will.

STEIN. Ihre Hand darauf!

ADOLPH. Hier ist sie!

STEIN. Auf Ihre Ehre?

ADOLPH. Auf meine Ehre!

STEIN. In Gegenwart Gottes!

ADOLPH. Genug!

STEIN. Halten Sie Wort, so segne ich Sie sterbend, brechen Sie Ihr Wort, so klagt mein Blut Sie vor Gott an.


Zieht.


ADOLPH. Sie sprachen von Ihrem Stande –

STEIN. Ich trage Uniform, das sei Ihnen genug. Jetzt zur Sache!

ADOLPH. Herr Lieutenant – Ihre Worte, – Ihr Benehmen – es macht mich stutzig. Sie haben eine liebenswürdige Schwester, ein braves, edles Mädchen. Ihre Frau kenne ich nicht, vielleicht ist sie der Schwester ähnlich. Zwei solche Geschöpfe in diesem Augenblick noch unglücklicher zu machen, als sie ohnehin schon sind, – es tut mir weh. Denn, was auch geschehen mag, Sie sehen selbst ein, für Sie kann der Erfolg nie günstig sein. Falle ich, so ist Flucht, oder Festung Ihr Los.

STEIN. Ich weiß es.

ADOLPH. Und das Los der Ihrigen?

STEIN seufzt und wirft einen düstern Blick in die Zukunft. Mein Entschluß ist gefaßt.

ADOLPH. Ihre Lage ist schlimm, – drum will ich tun, was ich – bei Gott! – sonst nie getan haben würde. Ich will ein Wort der Entschuldigung, ein bittendes Wort statt blutiger Genugtuung gelten lassen. – Sie schweigen?

STEIN nach einer Pause. Ich schweige.

ADOLPH. Nun, so habe ich mir nichts weiter vorzuwerfen. Doch halt! – wenn ich falle, – Sie sind arm, – hier ist Reisegeld.


Legt seine Börse zu dem Taschenbuche.


STEIN. Ha! dieser Zug verbürgt mir Ihr Wort! Jetzt sterbe ich ruhig.


Sie fechten, Stein verteidigt sich nur schwach, und gibt nach einigen Stößen plötzlich die ganze Brust preis.


ADOLPH erschrickt und zieht sich zurück. Was soll das heißen?[365]

STEIN sich wieder in Positur legend. Weiter! weiter!

ADOLPH. Halt, mein Herr! Wollen Sie mich zum Meuchelmörder machen?

STEIN. Haben Sie Genugtuung?

ADOLPH stutzt und bedenkt sich einen Augenblick. Ich glaube fast. Nimmt den Degen untern Arm und geht einmal auf und nieder. Ihr Leben war in mei ner Gewalt. War es nicht?

STEIN. Das mag sein.

ADOLPH geht abermals auf und nieder, und bleibt zum zweiten Male vor dem Lieutenant stehen. Sie wollten sterben?

STEIN. Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig.

ADOLPH. Aber ich mir selbst. Geht zum dritten Male auf und ab. Mein Herr, ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich Sie für einen toten Menschen halte, Steckt den Degen in die Scheide. und folglich darf ich jetzt ohne Indiskretion den Inhalt dieses Taschenbuchs untersuchen.


Nimmt das Taschenbuch auf.


STEIN. Herr Graf, was tun Sie?

ADOLPH. Herr Lieutenant! Ich bin ein Mann von Ehre. Antworten Sie mir als ein ehrlicher Mann: Sie forderten mein Wort auf die Versorgung Ihrer Gattin, Ihrer Schwester; – ich gab Ihnen mein Wort – und nun wollten Sie sich von mir umbringen lassen. Habe ich es erraten?

STEIN mit bittrer Wehmut ausbrechend. Ja! denn ich bin den Meinigen zur Last und habe keinen Bissen Brot mehr.

ADOLPH. Genug! Sie haben mich beschimpft, dafür habe ich Sie totgestochen. Sie schweigen, – denn Sie sind tot. Ihres Vermächtnisses erinnere ich mich noch sehr wohl, sowie meines Versprechens. Wir wollen doch sehen, mein toter Herr, ob ich ein Schurke bin, wir wollen sehen. Jetzt habe ich ein Recht auf Ihr Vertrauen, Ihre Familie ist die meinige. Ich habe mein Wort gegeben, und bei Gott! ich werde es halten.

STEIN. Sonderbarer Jüngling! Ja, Sie flößen mir Vertrauen ein. Aber mein Vertrauen kann nur dann der Bettelei unähnlich werden, wenn Sie mir vorher versprechen, mir nicht zu helfen.

ADOLPH. Eine seltsame Bedingung! Wissen Sie auch, daß Sie mir gar keine Bedingungen vorschreiben dürfen? Sie sind tot, und dies Taschenbuch wird mich schon belehren, was ich zu tun oder zu lassen habe.


Öffnet es.


STEIN. Ersparen Sie sich die Mühe! Ich bin –

ADOLPH der unterdessen einen Brief aus dem Taschenbuche[366] genommen, liest die Adresse. Sie sind – »Karl Freiherr von Stein, vormals Lieutenant unter den Kurtrierischen Truppen.« – Verwundert. Sind Sie das wirklich?

STEIN. Ja.

ADOLPH. Freiherr?

STEIN. Ja.

ADOLPH. Warum verschwiegen Sie das? Warum nannten Sie sich schlechtweg Stein? Und Ihre Schwester –

STEIN bitter lächelnd. Die Putzmacherin!

ADOLPH. Ich verstehe. Adel bleibt Adel, er mag den Putz kaufen oder verkaufen. Der Edelmann, der mit der Tugend in den vierten Stock zieht, ist mir mehr wert, als der mit dem Golde im ersten wohnt.

STEIN. So denken wenige.

ADOLPH. Doch, doch! Man sieht es ihnen nur nicht immer an. Ich, z.E. – hätten Sie mir wohl zugetraut, daß ich allenfalls auch ohne Ahnen imstande wäre, der erste Edelmann in meiner Familie zu werden? Sie hielten mich für einen reichen vornehmen Wildfang, für weiter nichts, und bei Gott! Ich bin etwas mehr.

STEIN drückt ihm die Hand. Viel mehr!

ADOLPH. Sehen Sie, dieser Händedruck – das ist eine förmliche Abbitte.

STEIN. Sie ist es.

ADOLPH. So schämen Sie sich Ihrer falschen Scham! Wenn ich früher gewußt hätte, daß Sie Baron sind, wäre es denn jemals soweit zwischen uns gekommen? Hätte ich dann wohl die Dukaten zum Fenster hinausgeworfen? Hätte ich nicht Ihrer Schwester statt der Dukaten die Hand geboten?

STEIN erstaunt. Herr Graf!

ADOLPH. Was ist das zu erstaunen? Erschrecken sollten Sie vielmehr über das Unglück, dessen Urheber Sie zu werden im Begriffe standen. – Und Henriette! Sie sieht, wie meine Liebe von Tag zu Tage wächst, wie ich vergebens mit mir kämpfe, mich zerstreue; wie ihr Geist und Herz mich von der Liebe zu der Hochachtung führen, sie hört, wie oft ich klage, daß mein Stand, meine Verhältnisse mich von ihr trennen, sie hört und sieht das alles, und schweigt, – nennt sich Demoiselle Henriette Stein! – Nun warte nur, dir will ich auch den Kopf waschen.

STEIN. Wir verloren unser ganzes Vermögen.

ADOLPH. Das geht mich nichts an. Den Namen haben Sie[367] nicht verloren. Die Familie Stein ist eine der besten in Deutschland. Topp, Herr Bruder! schlagen Sie ein! Die Straßenjungen soll der Teufel holen, die keinen Respekt vor den Fenstern meiner Braut haben.

STEIN. Sie scherzen, Herr Graf!

ADOLPH ernst. Nie mit einem Unglücklichen. Das waren Sie wenigstens. Von heute an sind Sie es nicht mehr. Ich weiß, Sie suchen Dienste. Vielleicht kann ich etwas für Sie tun; wo nicht, so hat mein Vater Geld für uns alle.

STEIN. Ich lebe nicht von Almosen.

ADOLPH. Was ein Bruder dem andern gibt, ist kein Almosen.

STEIN. Herr Graf! Sie wollten im Ernst –

ADOLPH. In allem Ernst die fröhlichste Begebenheit meines Lebens feiern.

STEIN. Ein so rascher Entschluß in Ihren Jahren –

ADOLPH. Zum Henker! Bin ich denn nicht alt genug, um zu heiraten? Und rasch ist mein Entschluß ganz und gar nicht. Ich sage Ihnen ja, daß der Gedanke mir schon tausendmal durch Kopf und Herz gefahren ist. Nur der Unterschied des Standes hielt mich zurück. Ich war wie ein Luftballon, der noch angebunden ist; die Stricke werden entzweigeschnitten, und ich fliege in die Höhe.

STEIN. Wie? Sie hätten wirklich den wahren Wert dieses Mädchens erkannt? Sie wollten ohne Rücksicht auf Vermögen, ohne Scheu vor unserer jetzigen Lage –

ADOLPH. Hin zu ihr, daß ich Sie überzeuge!

STEIN. Zuvor noch einmal Verzeihung für mein Aufbrausen! Ich kam eben zum vierzigsten Male von der Tür eines Großen, wo übermütige Lakaien mich abgewiesen hatten. Ich war eben so voll Bitterkeit gegen die Menschen, so voll Wut gegen alles, was vornehm heißt, und nicht vornehm denkt. Hoffnungslos kehrte ich zurück, Verzweiflung füllte mein Herz, da hörte ich mit halben Ohren das Straßengeschwätz; in dieser Stimmung kam ich hinauf, und sahe, wie Sie meiner Schwester Hand an Ihre Lippen drückten; da erfuhr ich endlich die Geschichte mit den Dukaten, glaubte die Ehre meiner Schwester beleidigt, und – mein gepreßtes Herz machte sich Luft. Verzeihen Sie mir!


Umarmt ihn.


ADOLPH. Alles, nur das nicht, daß Sie mich zu Ihrem Mörder machen wollten.

STEIN. Es war der höchste Kleinmut, das Verzagen an jeder Hoffnung, das Verlöschen der letzten Funken meines Vertrauens[368] auf Gott! Im Überfluß erzogen, habe ich nie dulden gelernt. Den Meinigen zur Last, der Erde eine unnütze Bürde, sollte wenigstens mein Tod –

ADOLPH. Genug! mit dem Unglücklichen sollte der Glückliche nicht rechten; denn ihm wird jede Tugend leicht, aber wo bleibt das Verdienst? Kommen Sie, Freund! Arm in Arm zu Ihrer Schwester, daß ich noch heute mit frohem Mutwillen diesen Beutel voll Dukaten Hebt ihn auf. zu ihrem Fenster hinausschüttle! Will gehen. O weh! Da überfällt mich plötzlich ein kalter Schauer. Wir haben eine Kleinigkeit vergessen. Wenn Ihre Schwester mich nicht mag? Wenn sie lieber Rosen auf Westen sticken, als auf meinen Lebenspfad streuen wollte? wie dann?

STEIN. Der Ton, mit welchem sie von Ihnen gesprochen, läßt mich das nicht befürchten.

ADOLPH indem er ihn untern Arm faßt und mit ihm abgehen will. Ja? o wie? Erzähle mir, Bruder! wie war der himmlische Ton?

STEIN. Noch eins, Herr Graf, Sie haben einen Vater.

ADOLPH stutzt, läßt ihn los, – Pause. Ja, und einen guten Vater.

STEIN. Wollen und dürfen Sie einen so wichtigen Schritt ohne sein Wissen tun?

ADOLPH. Nein!

STEIN. Und muß seine Einwilligung nicht das erste Brautgeschenk für meine Schwester sein?

ADOLPH. Ja, Sie haben recht! Erst zu ihm, dann zu ihr; das fordert meine Pflicht und Ihrer Schwester Ehre.

STEIN. So ist's brav!

ADOLPH. Er wird einwilligen. Meine Mutter war auch nur ein armes Fräulein. Es war auch so eine Geschichte. Die Tante hat mir das einmal erzählt – ja, ja, er wird einwilligen. Geben Sie mir nur Ihr Taschenbuch, daß ich ihm die Beweise Ihrer Geburt vorlegen kann.

STEIN. Hier ist es.

ADOLPH. Und nun auf baldiges Wiedersehen! Ihrer Schwester kein Wort, – oder noch besser: geben Sie ihr zu verstehen, – Sie hätten mich – durch und durch gebohrt, und dann geben Sie wohl acht, was das für Effekt macht? Ob sie schreit? ob sie Tränen vergießt? ob sie wohl gar ohnmächtig wird? – Ach, wenn sie ohnmächtig würde? Entzückender Gedanke! Ich könnte närrisch werden vor Freuden! – Bruder,[369] wenn sie etwa ohnmächtig wird, dann laß mich gleich auf der Stelle holen, – dann knie ich zu ihren Füßen, – dann erwacht sie, – dann erblickt sie mich, – dann fällt sie mir in die Arme – ich muß fort, sonst werde ich selbst noch ohnmächtig!


Ab.


STEIN. Ich suchte den Tod, und fand das Glück meiner Schwester. Gute Henriette! Dir wird vergolten werden. Ab von der andern Seite.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 363-370.
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