Dritte Szene

[435] Herr Staar – Die Vorigen.


HERR STAAR. Bleibt mir vom Halse mit Eurem vornehmen Gaste! Der kann sich erst aus meiner Lesebibliothek das Sittenbüchlein holen, und solches fleißig studieren.

FRAU BRENDEL. Jawohl, Herr Vizekirchenvorsteher, der ist gar sehr in der Erziehung verwahrlost.

HERR STAAR. Erst hat er nicht einmal ordentlich sein Tischgebet verrichtet.

FRAU STAAR. Und noch obendrein über die armen Kinder gelacht, die doch ihr »Komm Herr Jesu sei unser Gast« recht ordentlich herunterbeteten.

HERR STAAR. Als ich, nach alter scherzhafter Weise, die Gesundheit: Was wir lieben, ausbrachte, gleich rief er: was uns wiederliebt und seinem Nachbar einen Kuß gibt.

FRAU BRENDEL sich verschämt mit dem Fächer wedelnd. Ich hatte das Unglück ihm an der linken Hand zu sitzen.

FRAU STAAR. Die hübsche Mamsell Morgenroth, die ihm zur Rechten saß, wurde feuerrot.

HERR STAAR. Die Sabine warf ihm einen grimmigen Blick zu.

FRAU STAAR. Am Ende wollte er ja gar ein heidnisches Lied[435] singen: Freude schöner Götterfunken! nein, so verrucht geht es bei uns nicht zu.

HERR STAAR. Weil er selbst keinen Titel hat, so gibt er auch keinem Menschen seine gebührende Ehre.

FRAU STAAR. Wenn mein Sohn, der Bürgermeister, auch Oberälteste, die wichtigsten Prozesse abhandelte, so saß er und kritzelte mit der Gabel auf dem Teller.

FRAU BRENDEL. Und Zucker hat er in den Kaffee geworfen, eine ganze Hand voll!

FRAU MORGENROTH. Und statt nach Tische zur gesegneten Mahlzeit die Hand zu küssen, hat er sich ein einziges Mal ringsherum verbeugt.

HERR STAAR. Ich möchte nur wissen, wie der Herr Minister solche Leute empfehlen kann.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 435-436.
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