Fünfte Szene

[437] Sabine – Vorige.


FRAU STAAR. Gut Binchen, daß du kömmst. Sag' uns doch ein wenig, gleichen die jungen Herrn in der Residenz alle diesem Musje Olmers?

SABINE. Alle, die Anspruch auf feine Bildung machen.

FRAU STAAR. So? scharmant.

HERR STAAR. Er ist ja ein Grobian.

FRAU BRENDEL. Dreht Brotkugeln.

FRAU MORGENROTH. Befleckt die Tischtücher.

FRAU STAAR. Tituliert keinen Menschen.

SPERLING. Verhöhnt die Poesie.

FRAU BRENDEL. Lobt keinen Kuchen.

FRAU MORGENROTH. Läßt die Hälfte auf dem Teller liegen.

HERR STAAR. Weiß von keinem Tischgebet.

FRAU STAAR. Will heidnische Lieder singen.

SPERLING. Küßt die Nachbarin.

FRAU STAAR. Hat weder deinem Vater noch dem Herrn Pastor loci geduldig zugehört.

SABINE. O weh! o weh! der arme Olmers! – Liebe Großmutter, in der Residenz verbannt man so viel möglich allen Zwang. Komplimente sind dem, der sie macht, im Grunde ebenso lästig, als dem, der sie empfängt. Man läßt die Leute essen wovon sie Lust haben, und soviel sie mögen, man nötigt nie. Das Tischgebet ist nicht mehr gebräuchlich, weil die Kinder nur plappern, und die Erwachsenen nichts dabei denken. Ein anständiger Scherz, ein frohes Lied, würzen das Mahl. Der Titel bedient man sich bloß im Amte, im geselligen Leben würden sie nur die Freude verscheuchen. Kurz, ein guter Wirt sucht alles zu entfernen, was die Behaglichkeit seiner Gäste stören könnte. Man kömmt, man setzt sich, man steht, alles nach Belieben. Man geht wieder ohne Abschied zu nehmen.

FRAU STAAR. Hör' auf! ich bekomme meine Schwindel.

FRAU BRENDEL. Ohne Abschied! ist das möglich?

FRAU MORGENROTH. Sich nicht einmal zu bedanken für genossene Ehre![437]

SABINE. Wenn die Gäste vergnügt sind, so hält der Wirt das für den besten Dank.

FRAU STAAR. Ach du mein Gott! ist denn die Residenz zu einer Dorfschenke geworden?


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 437-438.
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