[465] Frau Staar im Nachthabit – Vorige.
FRAU STAAR. Nun? Herr Bau- Berg- und Weginspektors-Substitut, was sind das einmal wieder für Romanstreiche?
SPERLING. Ei von mir ist gar nicht die Rede.
BÜRGERMEISTER. Herr Olmers will Sabinchen heiraten, und Sabinchen will ihn.
FRAU STAAR. Und deshalb vexiert man mich aus dem Bette? Hab ich denn nicht meine Meinung schon rund und deutlich an den Tag gelegt? nein, daraus wird nichts.
HERR STAAR. Aber es hat sich allerlei zugetragen –
FRAU STAAR. Was kümmerts mich?
BÜRGERMEISTER. Der Herr kann uns aus einer großen Verlegenheit helfen.
FRAU STAAR. Gleichviel.
HERR STAAR. Das Mädchen hat mit ihm hinter dem Laternenpfahl gesteckt.
FRAU STAAR. Desto schlimmer.
BÜRGERMEISTER. Sie bekömmt nun doch keinen Mann.
FRAU STAAR. So mag sie als eine ehrsame Jungfrau sterben.
BÜRGERMEISTER. Der Herr hat Geld –
FRAU STAAR. Ist Numero zwei.
HERR STAAR. Und Verdienste –
FRAU STAAR. Ist Numero drei.
BÜRGERMEISTER. Er hat auch einen feinen Titel.
FRAU STAAR. Einen Titel? wie? was hat er denn für einen Titel?
OLMERS zieht sein Taschenbuch hervor. Wenn die Frau Untersteuereinnehmerin die Güte haben wollen, einen Blick auf dieses Papier zu werfen, so schmeichle ich mir, die Frau Untersteuereinnehmerin werden, nach den bekannten edlen Gesinnungen, welche die ganze Welt an der Frau Untersteuereinnehmerin rühmt –
FRAU STAAR besänftigt. Nun, nun, der Herr ist ein höflicher Herr, das muß man Ihm lassen. Was ist es denn für ein Titelchen?
OLMERS. Geheimde-Kommissionsrat.
FRAU STAAR erstaunt. Rat!
HERR STAAR ebenso. Kommissionsrat!
BÜRGERMEISTER ebenso. Geheimde-Kommissionsrat!
FRAU STAAR. Ei ei, das verändert allerdings die Sache. Etwas [465] Geheimes haben wir in unserer Familie noch nicht gehabt. Ja wenn dem so ist, und der Herr Geheimde-Kommissionsrat unserm Hause die Ehre erzeigen wollen –
OLMERS. Mein Glück ruht ganz in den Händen der Frau Untersteuereinnehmerin.
FRAU STAAR. Der Herr Geheimde-Kommissionsrat dürfen auf mich zählen.
OLMERS. Die Frau Untersteuereinnehmerin sind die Güte selbst.
FRAU STAAR. Und der Herr Geheimde-Kommissionsrat ein Muster von guter Lebensart.
BÜRGERMEISTER. Nun wohlan, Kinder, kommt herein, daß wir sogleich einen Kontrakt und einen Steckbrief aufsetzen.
HERR STAAR. Topp! wir wollen Punsch machen. Ich hol' euch Zitronen.
Ab in sein Haus.
OLMERS. Darf ich die Ehre haben, der Frau Untersteuereinnehmerin die Hand zu bieten?
FRAU STAAR. Der Herr Geheimde-Kommissionsrat finden jederzeit an mir eine bereitwillige Dienerin.
Olmers führt sie in das Haus.
BÜRGERMEISTER zu Sperling. Nehme mirs der Herr nicht übel. Wenn das Vaterland in der Klemme ist, da muß ein guter Patriot allenfalls seine Tochter dem Moloch opfern. Ab.
SPERLING. Gehorsamer Diener!
SABINE zu Sperling. Herr Bau- Berg- und Weginspektors-Substitut, ich bitte um ein Hochzeitsgedicht. Sie verneigt sich tief, und geht in das Haus.
SPERLING. Warte nur! eine Ehrenpforte will ich dir schreiben, ein Kunstwerk!
KLAUS. Wer weiß hinter welchem Zaune das Weib jetzt sitzt und an meinen Würsten schmaust.
SPERLING. Herr Klaus, komm' Er hinauf zu mir. Ich will Ihm mein Triolett auf den Galgen vorlesen.
KLAUS. Ei, ich habe den Teufel von Ihrem Trio! schaffen Sie mir meine Schinken!
Er geht fort.
SPERLING allein. Ganz umsonst kann ich es doch nicht geschrieben haben. – Wenn nur der Nachtwächter käme. – Zu dem Publikum mit süßer Höflichkeit. Ist denn keiner, der sich heraufbemühen möchte, mein Triolett zu hören?
Der Vorhang fällt.
Ende
Ausgewählte Ausgaben von
Die deutschen Kleinstädter
|
Buchempfehlung
Sechs Erzählungen von Arthur Schnitzler - Die Nächste - Um eine Stunde - Leutnant Gustl - Der blinde Geronimo und sein Bruder - Andreas Thameyers letzter Brief - Wohltaten Still und Rein gegeben
84 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro