[297] »Lausbub, liederlicher!« schrie der Sonnenwirt seinem Sohne bei dessen Heimkunft entgegen, »lügst mich an, als ob du bemüht wärst, Schimpf und Schand von mir abzuwälzen, und tust in gleicher Zeit das Gegenteil, machst schlechte Anschläg mit deiner Person zusammen, gibst bei Kirchenkonvent vor, du habest ein Ehverlöbnis eingegangen, um mich dadurch, wie du vermeinst, zu meiner Einwilligung zu zwingen, und sprengst mich selber vor die Herren, daß ich deine Schandtaten ausbaden soll.«[297]
»Nur gemach, Vater«, erwiderte Friedrich dem Wütenden, »von Lügen kann gar nicht die Rede sein, denn wie ich's mit der Christine hab, das hab ich Euch ja schon von Anfang an ohne Umschweif und ganz unverränkelt gesagt, und ausgemacht hab ich mit ihr nichts anderes, als daß wir bei der Wahrheit bleiben wollen. Habt Ihr aber gemeint, ich werd sie überreden, daß sie sich selber zum Nachteil und zur Schmach eine Lüge sagen solle, so seid Ihr eben schief dran gewesen, denn ich hab Euch nichts dergleichen versprochen. Dessen ist Euer Sohn nicht fähig. Zur Zeit Eurer Jugend mag's vielleicht Mode gewesen sein, ein armes Mädle mitsamt ihrem Kind ins Elend zu stürzen und sich von ihr rein zu schwören. Jetziger Zeit aber hält man so etwas für eine Schlechtigkeit, ich wenigstens halt's dafür, und ein rechtschaffener Vater sollt's auch dafür halten und sollt seinem Sohn nicht zureden, daß er's tue, sondern wenn er damit umgeht, das Mädle zu verraten, das ihn lieb hat und auf ihn vertraut, und das unschuldig Würmle – sein eigen Fleisch und Blut, Vater! – zu verleugnen, so sollt er ihm väterlich ins Gewissen reden und ihm vorstellen, daß ein Mensch, der das tut, sein Leben lang, und ob's ihm noch so gut ging, keine ruhige Stund mehr haben kann.«
Der Sonnenwirt tobte und ergoß sich in Verwünschungen über die Zuchtlosigkeit und dazwischen in Klagen über die unehrerbietige Aufführung seines Sohnes. Die Sonnenwirtin, welche zugegen war, freute sich innig über diese Stichelreden und schürte[298] den Zank, so daß es beinahe zu Tätlichkeiten kam. Der Sonnenwirt brach jedoch endlich ab und sagte: »Ich will nicht länger mit dir streiten, aber das erklär ich dir rundweg und hab's auch vor den Herren gesagt, mein' Konsens geb ich nun und nimmer dazu.«
»Dann steh ich wenigstens vor aller Welt gerechtfertigt da, wenn's ein Unglück gibt«, antwortete Friedrich.
»Und was das Rabenkind Geld kostet!« wandte sich der Sonnenwirt zu seiner Frau. »Denk nur auch, der Amtmann tut's nicht anders, als daß die Straf in Geld bezahlt werden soll. Fünfundzwanzig Gulden fordert er für den Fehltritt. Ich hab gebeten, man soll's den Burschen abverdienen lassen, wie andere seines Gelichters auch, die man in die herzoglichen Gärten nach Stuttgart und Ludwigsburg zum Arbeiten schickt; Schimpf und Spott ist er ja schon gewohnt. Aber der Amtmann hat gesagt, es sei nicht zu machen, und hat mir eine Verordnung vorgelesen, worin es heißt, die Beamten sollen besser auf das herrschaftliche Interesse sehen und, wo möglich, die Delinquenten künftig an den Beutel hängen, statt sie ihre Strafen in öffentlichen Arbeiten abverdienen zu lassen; ja, wenn auch nur die Terz, Quart oder die Hälfte der Strafe in Geld bezahlt werden könne, so müsse das geschehen und könne dann der Rest, wenn es absolut nicht anders herauszuschlagen sei, in eine Arbeitsstrafe verwandelt werden; sogar wenn einer nur eine Erbschaft zu erwarten habe, so müsse darüber an die Regierung berichtet[299] und der Bescheid abgewartet werden; und wenn je die Beamten sich nicht danach achten und dadurch das fürstliche Interesse Not leiden lassen sollten, so werde man sich an sie selbst und an ihr eigenes Vermögen halten. Das, hat der Amtmann gesagt, könn ich ihm nicht zumuten.«
»Da ist's kein Wunder«, bemerkte die Sonnenwirtin, »daß die Zucht immer mehr aus der Welt verschwindet. In der guten alten Zeit, wo man noch auf Sittsamkeit und Gottesfurcht gehalten hat, hat man die Sünder zu einer schimpflichen Haft, ja bei Wasser und Brot, verurteilt, damit sie auch gewußt haben, wie's tut, und nur in Ausnahmefällen bei gebrechlichen Personen hat man die Verwandlung der Straf in Geld verstattet. Jetzt aber ist die Ausnahm zur Regel worden, und auch wer nicht zahlen kann, der muß wenigstens der Herrschaft den Vorteil durch Arbeiten einbringen, damit sie ja nichts verliert. Lieber Gott, was ist das für eine Welt! Der Reich legt das Geld hin und lacht dazu, und der Herzog, als ob's an den Steuern nicht genug wär, lebt noch von den Sünden seiner Untertanen.«
»Und geht ihnen mit einem guten Beispiel voran«, lachte Friedrich. »Zürnen wird er ohnehin keinem drüber, denn es trägt ihm ja Geld ein, woran's ihm immer fehlt.«
»Schweig du still!« gebot der Sonnenwirt. »Ich hab dann den Amtmann bitten wollen«, fuhr er gegen seine Frau fort, »er solle dem Buben attestieren, daß er abhängig sei und über kein Vermögen zu verfügen hab. Der Amtmann aber hat mich ausgelacht[300] und hat mir geantwortet, da müßte man allen Kindern bei Lebzeiten ihrer Eltern Armutsattestate ausstellen, und überdies sei dies grad bei dem Buben nicht wahr, da er ja sein Mütterliches besitze, wenn er auch nicht frei darüber verfügen könne.«
»Und von dem Mütterlichen«, sagte Friedrich, »wird die Strafe bezahlt, dann könnt Ihr Euch nicht beklagen, Vater, daß ich Euch Unkosten verursach.«
»Du wirst dein Mütterlich's bald eingebrockt haben, du Lump, wenn du so fort machst«, versetzte der Sonnenwirt.
»Vater«, sagte Friedrich, »gebet mir die Christine und gebet mir mein Mütterlich's dazu, daß ich 'n Anfang hab, dann will ich's Euch schriftlich geben, daß ich Euch nicht bloß mit keiner weiteren Anforderung beschwerlich fallen will, sondern will auf alles Erbteil an Euch verzichten.«
»Du hast ohnehin kein Recht darauf«, erwiderte der Sonnenwirt. »Ich kann erben lassen, wen ich will, und wenn du dich nicht besserst, so laß ich dich ganz aus meinem Testament.«
»Vater«, versetzte Friedrich, »wenn's durch Eure Härte dahin kommt, daß ich vielleicht noch vor Euch sterben muß, dann wird Euch gewiß dieses Wort gereuen.«
»Es wär dir vielleicht besser, du führst noch bei guter Zeit in die Grube, eh das Unglück größer wird«, entgegnete der Alte. »Du kannst dich ja doch in nichts schicken. Mach nur so fort und verschenk Erbschaften, eh du sie hast. Du scheinst mir's[301] mit dem Eigentum leichter zu nehmen, als billig ist. Freilich, du hast ja schon Proben davon gegeben und hältst dich lieber nach Zigeuner- als nach Christenart.«
Friedrich fuhr auf, und der Zank drohte noch heftiger auszubrechen, als man über die Straße ein großes Geschrei vernahm, das demselben ein Ende machte. Es war ein Lärm und ein Zusammenlaufen, dessen Ursache man bald erfuhr. Während in der ›Sonne‹ Vater und Sohn in bösem Wortwechsel begriffen waren, hatte sich in der Nachbarschaft noch ein ärgerer Auftritt zugetragen. »Der Kübler hat sich leiblos gemacht!« rief man von allen Seiten. So war es auch. Der Kübler, der schon lange mit seinem Weibe im Unfrieden gelebt, hatte ihr zum Abschied Arndts ›Wahres Christentum‹ ein paarmal um den Kopf geschlagen und sich dann mit einem stumpfen Messer den Hals abgeschnitten. Da solche extreme Begebenheiten unter der zahmen Bevölkerung ziemlich selten waren, so geriet der ganze Flecken in Aufregung, und jeder andere Handel schwieg über dem unehrlichen Grabe des Selbstmörders, den man nach Vorschrift bei Nacht in einer Waldklinge verscharrte.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sonnenwirt
|
Buchempfehlung
»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818
88 Seiten, 5.80 Euro