[334] Tag um Tag verging, aber keiner brachte die ersehnte herzogliche Resolution. Die Tage wurden zu Wochen, und eine reihte sich an die andere, ohne dem Harrenden das Versprechen zu erfüllen, das er sich in Stuttgart mit fremdem Gelde erkauft hatte. Träg und eilig zugleich ging ihm die unbarmherzige Zeit; während sie ihn endlos auf die Gewährung, die er von der Menschenwelt forderte, warten ließ, zeigte sie ihm jeden Tag den unaufhaltsamen Fortschritt, welchen die Natur machte, um ihm ein Geschenk zu bringen, das jener Gewährung nicht zuvorkommen durfte, wenn es nicht den Stempel des Unglücks und der Schande tragen sollte.
»So kann die Sach nicht fortgehen«, sagte Christine eines Tages zu ihm. »Ich möcht naus, wo kein Loch ist. Die Meinigen haben mir ausgeboten, der Sommerverdienst sei zu End, und mit dem Winter geh das Hungerleiden vollends ganz an. Sogar mein Jerg, der mir immer noch ein wenig den Kopf gehebt hat, sagt, es sei in der ganzen Welt der Brauch, wer die Gais angebunden hab, der mög sie auch hüten.«
»Weiß wohl«, bemerkte er finster, »der Bauer tut alles gern, wenn er muß.«
»Aber bedenk auch, wie sie auf'm dürren Bäumle sind. Ich selber schäm mich, daß ich ihnen fort und fort hinliegen muß, und du solltest dich auch schämen. Ich weiß, was ich tu: wenn meine Zeit[335] kommen ist, so trag ich dein Kind in deines Vaters Haus und leg's ihm vor die Tür. Da, er soll's säugen, denn ich werd ihm nichts geben können.«
Dieser bittere Spott der Verzweiflung schnitt ihm glühend ins Herz. »Hat er seitdem nichts geschickt«, fragte er, »kein Brot, nicht einmal eine Schüssel Mehl?«
»Nichts«, erwiderte sie, »kannst dir wohl denken, daß ich dir's gesagt hätt.«
Er knirschte mit den Zähnen. »Wohl, wenn er's nicht sichtbar geben will, so soll er's unsichtbarlich geben. Ruf deinen Jerg, er muß uns behilflich sein, ich will mit ihm deines Vaters Wagen rüsten, und du schaffst Säck her, wenn's dran fehlt, so entlehnst du in der Nachbarschaft.«
»Was willst denn auf dem Wagen führen?« fragte sie schüchtern.
»Die Säck!« rief er noch barscher als zuvor.
»Und was willst in die Säck tun?«
»Fressen!« antwortete er. Seine Augen funkelten, die Narbe in seinem Gesicht war blutrot geworden, und sein ganzes Aussehen erschien so wild, daß sie nicht weiter zu fragen wagte.
Jerg, der kein Mann von vielen Worten war und sich unbedingt an seinen natürlichen Schwager anschloß, sowie er diesen tatkräftig auftreten sah, half ihm den Wagen zurechtmachen, während Christine unter der hinteren Türe saß und die Säcke flickte, wo sie Löcher an ihnen entdeckte. Niemand fragte, was dieses Vorhaben bedeuten solle. Der Vater lag oben im Bett und sah meist stillschweigend an die Wand oder nach der Decke hinauf, und die Mutter befand[336] sich bei ihm. Der kleine Bube tummelte sich um den Wagen herum und sah den beiden jungen Männern zu.
Als es Nacht wurde, mußte Jerg die Kuh aus dem Stalle führen, und Friedrich half ihm sie an den Wagen spannen. Dann befahl er Christinen, eine Laterne anzuzünden und mitzunehmen. Sie kam mit der Laterne, blieb aber stehen und sagte: »Um Gottes willen, Frieder, was hast vor? Mir ist's, als sei's nichts Gut's.«
»Hörst den Teufel schon Holz spalten?« sagte er. »So gut du dein Kind in meines Vaters Haus tragen kannst, so gut kann ich ihm auch Futter draus holen.«
»Ach Gott«, seufzte sie, »das ist eine unrechte und gewagte Sach. Ich will nichts davon.«
»Du läßt mir ja keine Ruh!« rief er, und der Grimm klang aus seiner gedämpften Stimme heraus. »Vorwärts!«
Er ergriff sie am Zopfbändel und zog sie fort. Sie verbarg die Laterne unter der Schürze und folgte willig. Der Wagen fuhr langsam durch den Flecken. Es war überall still, kein Mensch begegnete ihnen. Vor der ›Sonne‹ hielten sie an. Auch dort lag alles im Schlafe. – »Ihr beide bleibt da unten«, sagte Friedrich, »für euch ist's ein fremdes Haus, man soll euch keinen Einbruch vorwerfen können. Ich bin hier in meinem eigenen, das weiß sogar der Hund, die unvernünftig Kreatur, denn sehet, er rührt sich nicht.«
Er öffnete einen Laden und verschwand mit einem Sack, den er bald schwerer, als er zuvor gewesen war, wiederbrachte. So trug er mit starker Hand[337] einen Sack um den andern herab und bot ihn zu dem Laden heraus, wo ihn Jerg in Empfang nahm und auf den Wagen lud. Ohne durch einen Laut im Hause gestört zu werden, brachte er endlich den letzten Sack. Nachdem das nächtliche Geschäft beendigt war, gab er Jerg einen Wink, mit dem Wagen umzukehren, wobei er die in Eile geladenen Säcke hielt, damit keiner herunterfiel. »Vorwärts, marsch!« kommandierte er dann, und der Wagen setzte sich wieder in Bewegung.
Christine, die sich in das Unternehmen gefunden zu haben schien und dem seltsamen Tone Friedrichs entgegenwirken zu müssen meinte, bemerkte scherzend: »Du kommst mir vor, wie ein Räuberhauptmann, der über seine Bande hinein befiehlt.«
»Was nicht ist, kann noch werden«, murmelte er dumpf.
Als sie den Wagen abluden, überzählte er die ungleich gefüllten Säcke. »Es werden zirka sechs, sieben Scheffel sein«, sagte er mit der Sicherheit des Kenners.
»Was ist's für Frucht?« fragte Jerg.
»Dinkel und Haber.«
»Da wär ja für Menschen und Vieh gesorgt.«
»Es ist an dem für die Menschen genug. Den Haber betracht ich als bar Geld.«
»Hab mir's wohl vorgestellt.«
»Wollen's gleich auseinander tun. Die Säcke da enthalten Dinkel, die schlachtet ihr ins Haus, ihr brauchet nicht alle, könnt mir noch ein oder zwei davon lassen.«
»Ja, ist denn die Frucht für uns?« fragte Jerg.[338]
»Nein, aber für eure Mäuler. Zu was meinst denn, daß ich sie da rausgeführt hab? Mach mir nur keine Umständ. Den Rest davon und den Haber will ich in etwas anders verwandeln, das noch mehr Brot geben soll.«
Jerg lachte verschmitzt.
»Merkst was?« fragte Friedrich.
»Mir ist's immer, als müßt ich wieder einen Gang für dich nach Rechberghausen tun«, sagte Jerg.
»Hast's troffen.«
»Zufällig weiß ich, daß der Christle morgen runter kommt.«
»So nimm ihn zu dir da raus. Ich will dann auch kommen, daß wir mit ihm handelseins werden.«
»Wenn nur dein Vater nicht erfährt, was du ihm für einen Besuch gemacht hast!« seufzte Christine, die nachgerade wieder unruhig wurde.
»Der erfährt's freilich«, erwiderte er. »Der Knecht, der neben der Frucht liegt, ist aufgewacht, hat sichein wenig auf'm Ellenbogen aufgerichtet und hat mich anglotzt. Der schweigt nicht.«
»Jesus, Jesus! Und das sagst du erst jetzt.«
»Es kommt immer noch früh genug. Gut ist's aufalle Fäll, wenn die Sach mit dem Christle morgengleich ins reine kommt. Jetzt aber fort ins Bett und laß dir von vollen Schüsseln träumen.«
Am folgenden Morgen gab es in der ›Sonne‹, sobald der Sohn des Hauses sich blicken ließ, einen jener stürmischen Auftritte, welche der Nachbarschaft sooft verrieten, wie es um den Frieden desselbenstand. Sein Vater empfing ihn mit einer Flut von[339] Schimpfworten, warf ihm den nächtlichen Diebstahl vor und drohte, ihn alsbald wieder ins Zuchthaus zu bringen. Der Knecht hatte ihn angegeben, schon deshalb, um, wie er nachher entschuldigend zu ihm sagte, für den Fall der Entdeckung sich selbst von dem Verdachte zu reinigen; doch wollte er ihn nur einen kleinen Sack mit Getreide haben fortschleppen sehen.
»Wenn Ihr mich ins Zuchthaus bringen wollet, Vater, so steht's Euch frei«, sagte Friedrich. »Ihrhabt's ja schon einmal getan. Freilich haben die Leut verschiedentlich drüber geurteilt, daß Ihr Eurem eigenen und einzigen Sohn zum Ankläger worden seid.«
»Das ist nicht wahr«, entgegnete der Sonnenwirt. »Die Sach ist damals ohne meine Schuld offenkundig worden, und ich hab's nicht hindern können, daß sie vor Amt kommen ist.«
»Also wollt Ihr jetzt nachholen, was Ihr damals versäumt habt?«
»Gib raus, was du mir gestohlen hast.«
»Es ist weit fort, Ihr findet's nicht, und wenn Ihr alle Eure Stallaternen anzündet. Laßt mich majorenn werden und gebt mir mein Mütterlich's heraus, dann will ich mit Euch abrechnen und will Euch den Schaden ersetzen, daß nicht ein Kreuzer dran fehlen soll, und wenn der Fruchtpreis derweil anzieht, so soll der Gewinn Euer sein. Dann könnt Ihr von Stehlen sagen, so viel Ihr wollt, 's glaubt 's Euch niemand.«
»Hast du deinem Weibsbild davon gebracht?«
»Ihr könnt in und unterm Bett bei ihr suchen, Ihr[340] findet nichts. Es ist aber eine rechte Schand für Euch, Vater, daß ein reicher Mann wie Ihr dem kranken Hirschbauer ein einzigsmal eine Schüssel Mehl schickt.«
»Was?« fuhr der Sonnenwirt auf, »ich hab schon öfter gesagt, daß man hinausschicken soll.«
»Dann ist's unterwegs in irgendein Loch gefallen«, versetzte Friedrich.
Der Sonnenwirt schwieg unschlüssig. Es machte ihn betroffen, obwohl er es sich bei den bekannten Gesinnungen seiner Frau leicht erklären konnte, daß seine Befehle nicht vollzogen worden waren, und unter diesen Umständen glaubte er, bei seinem reichen Fruchtvorrate, den von dem Knecht angegebenen Verlust ohne Geschrei ertragen zu sollen. Er ging zur Stube hinaus und ließ seinen Sohn in Ungewißheit, was er tun werde.
»Hast dein' Hausdieb im Verhör gehabt?« fragte seine Frau draußen.
»Woher weißt du's denn?«
»Du schreist ja so laut, daß man's in Göppingen hört. Und jetzt willst immer noch in deiner Langmut zusehen?«
Der Alte kratzte sich hinter dem Ohr. »Das Stehlen will ich ihm vertreiben«, sagte er. »Du aber sagst mir weder im Pfarrhaus noch im Amthaus ein Wort davon, sonst ist's zwischen uns aus, und ich laß ihn morgen heiraten und nehm alle beide ins Haus zu mir.«
»So hitzig?« maulte sie.
»Erstens«, erklärte er, »hätt ich ihn zwar gern in[341] Numero Sicher, aber nicht im Zuchthaus, und zweitens möcht ich mir nicht nachsagen lassen, daß ich dem Hirschbauer nichts als ein Schüssele mit Mehl geschickt hab. Was sie jetzt haben, das sollen sie behalten.«
Der Tag verging ruhiger als er begonnen hatte. Friedrich wußte zwar immer noch nicht, wessen er sich zu versehen habe; auch ließen ihn gewisse Anspielungen seiner Stiefmutter, welche von der Notwendigkeit sprach, Schlösser und Riegel ausbessern zu lassen, nichts Gutes ahnen; doch meinte er aus dem Betragen seines Vaters schließen zu dürfen, daß seine eigenmächtige Pfändung ohne Folgen bleiben werde.
Zur verabredeten Stunde ging er in des Hirschbauern Haus. Der Erwartete war bereits da, ein Mann mit rundem, schelmisch lächelndem Gesicht und einem sogenannten Hörn auf der Stirne, das in der Mitte über beiden Augen saß und so groß war, daß Friedrich es im Scherz ein drittes Auge nennen konnte. »Bist schon da, Dreiäugiger?« sagte er, die Hand bietend. Die Alte hieß ihn sehr freundlich willkommen und bedankte sich bei ihm für den stolzen Küchengruß, den er gesandt habe; sie vermied es klüglich zu fragen, wie er eine so bedeutende Beisteuer aufgebracht. Man schwatzte eine Weile von gleichgültigen Dingen, ohne daß der Hirschbauer, der in der Stube zu Bette lag, sich in das Gespräch mischte. Dann gingen die drei miteinander fort, um unter dem Hause ihr Geschäft miteinander abzumachen.[342]
»Was meinst, Christle?« sagte Friedrich. »Der Jerg ist doch ein scharfsinniger Kopf, der hat's von selber gemerkt, daß ich wieder einen Handel mit dir machen will.«
»Es ist gut merken gewesen, Frieder«, sagte Jerg. »Seit einiger Zeit hast du immer das link Aug von Zeit zu Zeit zugedrückt und hast mit dem rechten grad vor dich hingesehen, so daß ich immer hab denken müssen: der tut in Gedanken zielen. Es ist mir dabei eingefallen, was der Krämerchristle von dir gesagt hat: die Katz läßt das Mausen nicht.«
Alle drei lachten. »Ich will dir beweisen, daß ich noch ein scharfsinnigerer Kopf bin als der da«, sagte Christle. »Tut's dir nicht and nach deiner schönen Buchs?«
»Ja, wenn ich die wiederhaben könnt!« rief Friedrich.
»Bruderherz, kannst sie haben! Ich hab dir sie aufgehoben, weil ich wohl gewußt hab, daß du wieder nach ihr fragen wirst.«
Sie lachten noch stärker. »Heißt das«, setzte Christle hinzu, »bei der Hand hab ich sie nicht, sondern ich hab sie in Gmünd versetzt, aber dort kann ich sie jeden Augenblick wiederhaben. Und damit du siehst, daß ich nicht bloß scharfsinnig, sondern auch ehrlich gegen dich bin – wie?« unterbrach er sich, zu Jerg gewendet, »was hat er denn zu dem Geld gesagt, das ich ihm für das Gewehr geschickt hab? Hat er mich nichts geheißen?«
»Ei ja, 'n dreiäugigen Spitzbuben.«
»Siehst, um das nämlich Geld kannst dein Gewehr[343] wiederhaben. Jetzt geh und heiß mich noch einmal 'n Spitzbuben.«
»Bist ein Biedermann«, sagte Friedrich.
»Was, du, der best Schütz weit und breit, hast dich zur Ruh setzen wollen? Du könntest's ja vor den Bauern nicht verantworten. Und ein paar Fährten hab ich dir ausgewittert, ich sag nichts, aber das Herz wird dir im Leib lachen. Nun, du kommst doch zu mir und holst die Büchs, dann gehen wir miteinander.«
»Aber Geld hab ich keins«, sagte Friedrich. »Kannst Haber brauchen und etwas Dinkel?«
»Das führ ich nach Gmünd, freilich, und bring gleich das Gewehr mit zurück.«
»Da beim Jerg kannst die Frucht fassen, je eher, je lieber, aber in der Stille muß es sein.«
»Heut abend noch will ich sie holen. Auf Wiedersehen, du verlorner und wiedergefundener Sohn.«
»Der hat gut uneigennützig sein«, sagte Friedrich, nachdem jener sich verabschiedet hatte. »Wenn ich eine glückliche Hand hab, so hat er den Vorteil davon und keine Gefahr. Er weiß die beste Schlich im Wald und die beste Schlich im Handel, aber den gefährlichen Teil überläßt er andern, und wenn's zum Klappen kommt, so hat er nichts getan. Aber wo ist denn meine Christine?«
»Im Beckenhaus«, antwortete Jerg. »Der Beckenbub hat sie in aller Eil geholt. Ich weiß nicht, was dort los ist. Da kommt sie ja!«
Christine kam atemlos herbei. »Weißt was Neu's, Frieder?« rief sie schon von weitem.[344]
»Nu, was denn?«
»Die Resolution ist da, du bist schon seit vierzehn Tag majorenn und weißt nichts davon.«
»Was Teufel! Wie kommt denn das, und woher hast denn du's?«
»Von der Dote; die hat mich holen lassen. Aber von wem's die hat, das bringst du nicht raus, und wenn ich dich raten laß, bis die Kuh 'n Batzen gilt.«
»Nu, so sag's.«
»Die Kathrine aus dem Amthaus ist's.«
»Was! Das wär!«
»Ja, die Kathrine ist zu der Dote geschlichen und hat sie ums Tausendgott'swillen bittet, sie soll sie nicht verraten, aber seit vierzehn Tag sei der Bescheid von Stuttgart da und lieg auf des Amtmanns Schreibtisch. Es hab ihr schier das Herz abdruckt, daß wir nichts davon wissen sollen. Du könnest herzhaft auftreten und die Proklamation verlangen. Aber wenn's rauskäm, daß sie's ausgeschwätzt hat, so wär sie unglücklich.«
»Nein, nein, da muß man ganz still sein. Brav ist's von dem Mädle, das muß ich sagen, aber so viel seh ich auch bei der Gelegenheit, daß es keine einem nachträgt, wenn man sie einmal hat küssen wollen.«
»So, du Lümple, was muß ich hören? Ist's beim Wollen blieben? Hat sie dich heißen um ein Haus weiter gehen?«
»Ich hab mir nicht Müh gnug geben. Aber was denkt der Amtmann? Getraut sich der, fürstliche Resolutionen zu unterschlagen? Da steckt gewiß die[345] Frau Sonnenwirtin mit unter der Decke. Ich möcht nur wissen, ob mein Vater etwas davon weiß.«
»Ja, ja«, sagte Jerg vergnügt, »man spricht 's ganz Jahr von der Kirbe (Kirchweih), endlich ist sie.« Er ging und ließ die beiden allein.
»Wenn ich gestern gewußt hätt, was ich heut weiß«, sagte Friedrich, »so hätt mein Vater seinen Dinkel und Haber noch. Jetzt darf ich mein Mütterlich's fordern und brauch dich keine Not mehr leiden zu lassen. Wiewohl, ich will's ihm bei Heller und Pfennig zahlen. Aber hätt'st dein Geheul auch noch ein paar Tag unterwegs lassen können.«
»Wenn man eben alles wüßt, dann wär man reich«, versetzte Christine.
»Und hätt ich's nur eine Stund früher gewußt«, fuhr er fort, »dann hätt ich den Handel mit dem Christle nicht gemacht.«
»Was hast denn mit dem gehandelt?«
»Meine Büchs will ich wieder von ihm zurückkaufen. Um deinetwillen hab ich sie von mir getan, und um deinetwillen nehm ich sie wieder an mich. Es ist auch so noch immer möglich, daß ich sie einmal brauch, um Weib und Kind zu verhalten. Doch ist's nur für den äußersten Fall, und besser wär's, ich hätt sie ihm noch gelassen, denn so ein Teufelshirsch kann einen bis ins Zuchthaus führen.«
»Laß du das Wildern sein«, sagte Christine, »und denk auf andere Weg, wie du Weib und Kind ernähren willst. Wiewohl, es geht nicht immer so schlimm aus. Hab ich dir's nie von unsrem Haus erzählt? Es ist ein altes Sagen in unserer Familie,[346] ich hab meinen Vater schon davon reden hören, daß sein Urururgroßvater ein arger Wilderer gewesen sei. Den hat der Herzog gefangen und hat ihn wollen auf einen Hirsch schmieden lassen, hat sich aber anders besonnen, wie er schon halb angeschmiedet gewesen ist, und hat ihn begnadigt, weil ihm seine Antworten so gefallen haben, hat ihm auch das Haus da baut und ihn hergesetzt, um den Wilderern aufzupassen, weil ihm alle ihre Schlich und Weg wohlbekannt gewesen sind. Nach ihm ist sein Sohn auf dem Haus gesessen, und dann wieder dessen Sohn, und so immer fort, so daß das Haus seit Urgedenken unsrer Familie angehört. Sie hat sogar dem Herzog eine besondere Steuer draus zahlen müssen, die erst unter meinem Vater in Abgang kommen ist.«
»So?« sagte Friedrich. »Da kommt wahrscheinlich auch der Nam Hirschbauer her?«
»Mag sein, ich weiß nicht«, erwiderte sie.
»Jetzt aber laß uns drauf denken, wie wir unser Haus bauen. Majorennitätserklärung, Proklamation, Kopulation, das muß wie Blitz und Donner aufeinander gehen. Voran, voran, eh's der Teufel erfährt und Unsamen streut!«
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sonnenwirt
|
Buchempfehlung
Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.
242 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro