142. Grabschrift einiger Steine[45] 1

O Fremder, wie du auch den Weg hieher genommen,

Du magst aus klein Paris2, durch grüne Gärten kommen,

So hast du, wenn du nicht gar fallend schon geflucht,

Gewiß doch falschen Grund durch diesen Schlamm gesucht,

Und wünschest, daß doch hier in dem verdammten Wege

Zum Trost des Wanderers vom Hainberg Marmor3 läge!

Wiß, diesen ganzen Raum, soweit dein Blick sich streckt,

Wir Steine haben den vor kurzem noch bedeckt.

Dem Feuer trotzten wir in ungeheuern Massen,

De Vaux, der sie erschuf, hat bald sein Werk verlassen.

O Menschen, wie verführt euch Rach' und Eifer nicht!

Weil uns de Vaux gebraucht, mißgönnt ihr uns das Licht.

Uns, die wir uns darauf den Weg zu bessern freuten,

Uns würdigt euer Zorn nicht einmal zu beschreiten,

Höhlt mühsam Erdreich aus, darein ihr uns versenkt,

Daß Niemand mehr an uns, wir arme Steine! denkt.

Verdorrend, weil auf uns sich seine Wurzeln strecken,

Wird euren Enkeln uns vielleicht ein Baum entdecken.[45]

Das Schicksal, das uns traf, o Fremder, weißt du nun,

Laß den besprützten Fuß bey unserm Grabe ruhn,

Und gab dir die Natur ein fühlend Aug' zum Weinen,

Gönn' eine Zähre nur Der Welt entrißnen Steinen.

Fußnoten

1 Ein Platz zu Göttingen, hinter der Mauer, an welcher das Observatorium steht, war vordem ein Garten. Die Franzosen hatten darauf Magazine und Backöfen erbaut. Nach wiederhergestellter Ruhe verscharrte der Mann, der den Platz wieder als Garten anbauen sollte, die Steine von den eingerissenen Backöfen in die Erde.


2 Eine Gasse in Göttingen.


3 Marmor rude.

Linn.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 1, Berlin 1841, S. 45-46.
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