1. Der Blinde

[37] Zween Kenner, die ein Werk von Dürer's Kunst erhoben,

Hört' einst ein Blinder lachend an;

Wie, sprach er, könnt ihr was so ungemäßigt loben,

Wo ich nichts Sanftes fühlen kann?

Erklärt mir das Gewäsch von Zeichnung, Farbe, Schatten:

Wo nicht, so gebt mir zu, daß es nur Grillen sind.

Die Antwort, als sie ihn genug gehöret hatten,

War in drey Worten: Du bist blind.


Das Glück, die Wahrheit zu erfinden,

Das Glück, das Weise nur empfinden,

Hört man die Thoren öfters schmähn;

Wer kann dafür, daß sie nicht sehn?


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 37.
Lizenz:
Kategorien: