1. Auftritt.

[4] Soliman sitzt tiefsinnig, den Kopf auf die Hände gestützt, im Vordergrunde. Levi kömmt durch den Haupteingang.


LEVI.

Mein kaiserlicher Herr hat mein verlangt? – –

Ihr habt mich rufen lassen, großer Sultan? – –

Der Sklave harrt auf seines Herrschers Wink. – –


Beiseite.


Noch immer keine Antwort! –


Laut.


Herr und Kaiser!

Verzeiht's dem treuen Knechte! – Seid Ihr krank?

Herr, Ihr seid krank! –

SOLIMAN.

Wär' ich's, du hilfst mir nicht! –

LEVI.

Doch, großer Herr, doch! – traut dein alten Diener!

Wenn's einer kann, ich kann's. Ich gab Euch Proben

Von meiner Treue wie von meiner Kunst.

Seit vierzig Jahren schleicht mein scharfes Auge

Dem Wandeln Eures Lebens forschend nach.

Was ich von hohen Meistern früh erlernte,

Was die Natur mir später selbst bekannt,

Auf Euch begrenzt' ich alles Wissens Ende.

Ich kenne Eures Lebens tiefsten Bau,

Vertraut mit seinen Kräften, seinen Wünschen. –

Des Arztes Kunst sei allgemeines Gut,

Wohl weiß ich das und mocht' es treu erfüllen;

Denn Euer Wohl war mir der Menschheit Leben:

Ein Held und Kaiser gilt ein ganzes Volk!

SOLIMAN.

Ich kenne dich und kenne deine Treue,

Und deine Kunst hat sich mir oft bewährt;

Drum hab' ich dein verlangt. – Sprich unverhohlen!

Wie weit steckst du noch meines Lebens Ziel? –

Zeig' dich, wie ich dich immerdar gefunden,

Als treuen Knecht, mit offnem, gradem Sinn! –

Wie lange soll ich leben? – Ich will Wahrheit! –

LEVI.

Herr! diese Frage kann nur der dort lösen;

An diesen Rätseln scheitert meine Kunst.

SOLIMAN.

O Stümperei des armen Menschenwitzes! –

Des Lebens innern Bau wollt ihr verstehn,[4]

Der Räder heimlichstes Getrieb berechnen,

Und wißt doch nicht, wie lang das Uhrwerk geht,

Wißt nicht, wann diese Räder stocken sollen!

LEVI.

Mein großer Herr! schmäht nicht die edle Kunst! –

Die enge Grenze ward von Gott gezogen,

Und in die stille Werkstatt der Natur

Hat keines Menschen Auge noch gesehn.

Erklären mögen wir des Lebens Weise,

Sein Keimen, seine Blüten, seinen Tod;

Doch in das Chaos ferner Möglichkeiten

Verliert sich traurig der bedrängte Geist,

Wenn er's versucht, dem Rätsel abzulauschen,

Was sechs Jahrtausende noch keinem Ohr vertraut. –

Ich kann Euch sagen: dieser Nerven Stärke,

Dies Feuer, das im Heldenauge glüht,

Und Eurer Seele rüstige Begeistrung,

Sie deuten mir auf manches volle Jahr,

Das Euch der güt'ge Gott noch zugemessen;

Doch nicht bestimmen mag ich's mit Gewißheit,

Und nur ein Gaukler rühmt sich dieser Kunst. –

SOLIMAN.

Noch manches volle Jahr? – war's nicht so, Levi? –

LEVI.

Wenn Ihr Euch schont und mit verwegner Hand

Nicht eigenmächtig Eures Lebens Fäden,

Nicht eigenmächtig Eure Kraft zerstört,

So darf ich gern zehn Jahre Euch versprechen;

Doch schonen müßt Ihr Euch! – Euch war's vergönnt,

Bis an des Greisenalters dürre Schwelle

– Was Gott nur wenig Herrlichen verhieß –

Die Kraft, den Ruhm, das Glück Euch treu zu fesseln

Und noch des Lorbeers frischen Blütenkranz

Durch Eurer Locken Silber zu verflechten.

Nun ruhet aus, mein großer Held und Kaiser!

Ruht aus auf Euern Siegen! Was ein Gott

Noch Euern Tagen zugezählt, die kleine Weile

Genießt im kühlen Schatten Eures Ruhms!

Euch gab der Himmel mehr als Menschenleben,

Ihr habt für eine Ewigkeit gelebt!

SOLIMAN.

Still, Alter! still! – Mehr hab' ich nicht verlangt!

Zehn Jahre gibt mir deine Kunst, wenn ich

In lasser Ruhe mich begraben wollte?

Mein Leben ist der rüst'gen That gewohnt, –

So wird's doch noch ein Jahr des Kriegs ertragen.

Mehr brauch' ich nicht! – Geh, rufe mir den Mehmed! –


Levi geht ab.


Quelle:
Theodor Körner: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Stuttgart [o.J.], S. 4-5.
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