Hundert und zwanzigster Brief

Rosalia an Mariane S**.

[349] Frau Grafe hat Wort gehalten. Sie stiftetete würklich eine recht artige Heurath zwischen unsern guten jungen Itten und der liebenswürdigen Meta Mooß, die mit van Guden hierher kam. Es war ganz besonders, daß wir alle nichts bemerkten, indem Meta selten aus dem Hause geht, und der junge Mann niemals zu van Guden kam, als mit Cleberg, wo er dann entweder mit uns in dem Gesellschaftssaal sich aufhielt, oder bey dem jungen Pindorf und seinem Lehrer Mooß auf der Stube war. Bey unsern kleinen Concerten sang Meta, und bey den Gesprächen war sie neben der kleinen Henriette oder mit den Ittenschen Töchtern[349] beschäftigt; aber nie hatte der junge Mensch eine besondere Unterredung mit dem lieben Mädchen gesucht. Frau Grafe aber behauptet, daß ihre ersten Vermuthungen aus dem Stillschweigen des jungen Itten, aus seinem starr vor sich Hinsehen gereizt wurden, der Ursache nachzuforschen; da habe sie nun auch bemerkt, daß Meta sich in acht nahm, den Herrn Itten anzublicken; und nach diesem sey die große Freundschaft von ihr zu den Schwestern, und von ihm für dem Bruder entstanden, woraus sie die ganze Geschichte des furchtsamen Liebhabers, und des edlen bescheidenen Mädchens errathen hätte. Der Verlöbnistag von Latten und Stiegen habe auf den guten Gesichtern der Meta und des Itten die geheimen Wünsche ihrer Herzen so deutlich gezeigt, daß sie mit der Frau Guden darüber gesprochen, und darauf durch ihren Mann für Itten die Amtmannsstelle zu Rebberg erhalten habe. Frau Guden statte ihre Meta als Tochter aus, und so wäre dieser Roman zu Ende gekommen, ehe irgend jemand an den Anfang gedachte. Mutter Guden habe auch Beobachtungen gemacht, und an Meta einen verdoppelten Fleiß, und Dankbezeugungen gefunden, die alle einer Bitte gleich gesehen hätten. Da nun[350] die Sache wegen des Beamtendienstes richtig war, so ging Frau Grafe zu van Guden, und erzählte ihr diese Neuigkeit mit einer umständlichen Beschreibung der Einkünfte, der artigen Wohnung, und der Freude, die sie fühle, dieser so schätzbaren Familie einen neuen Zusatz von Glück verschaft zu haben. Sie sprach eilig und abgebrochen, wie jemand, der nur geschwind weiter gehen will, und that nicht, als ob noch jemand anders im Zimmer wäre. – Die arme Meta saß da, hörte alles, schlürfte jedes Lob von des neuen Amtmanns Geist und Herzen, von den Tugenden der Familie, und auch von den vortheilhaften Umständen dieser Landstelle mit ein. Ihr Herz freute sich über alles, nahm Antheil an den Wohlergehen der Tugend. Wünsche und Furcht kamen auch an die Reihe. Sie schien lange von Ittens Liebe versichert; aber nun zweifelte sie. Er hatte noch nichts gesagt, und seine Aeltern würden auch wohl andre Absichten haben. – Diese Bilder tanzten auf ihrem Nähküssen umher, Thränen, die sie zu zerstreuen suchte, rollten in ihren Augen, die Stiche wurden ungleich, und sie hätte alles gegeben, wenn sie nur geschwind umgesehen aus dem Zimmer hätte kommen können. Die zwey Frauen stunden[351] in einem Fenster, und van Guden bemerkte währender Erzählung der Frau Grafe zwischen dem Fenstervorhang hindurch jede Bewegung der guten Meta. Frau Grafe ging, ohne sich setzen zu wollen, hinweg, und sagte noch: Jetzt will ich dem neuen Beamten auch um eine artige Frau sehen; und mit diesen Worten war sie zu der Thüre hinaus, Meta aber aus aller Fassung, denn nun weinte sie stark. Van Guden eilte zu ihr, und hielt sie am Arm, weil sie mit abgewandtem Kopf auch aus dem Zimmer schleichen wollte: Was fehlt dir, meine Tochter! warum weinest du? sagte sie ihr mit aller Liebe. Meta, betroffen und ängstlich, konnte ihr nichts anders antworten, als durch einen Thränenguß, und durch das Umschlingen eines Arms der van Guden, den das liebe Mädchen mit beyden Händen an ihre Brust drückte, und ihr Gesicht über die Hand ihrer mütterlichen Freundin beugte. Frau Guden wurde gerührt, und umfaßte ihre Meta mit Zärtlichkeit: Komm, meine Liebe! komm mit mir in mein Cabinet, sag mir da den Kummer deines Herzens, denn du mußt Kummer haben bey diesen Thränen. Glaube, mein Kind! was deine Mutter Guden thun kann, wird sie thun. Meta sträubte sich etwas,[352] sie wollte nicht in das Cabinet, hing sich aber an den Hals der van Guden, und ließ sich endlich von dieser wegführen. Als sie beysammen auf dem Sopha saßen wurde sie von der Guden auf das neue um die Ursache ihres Weinens gefragt. Nun sagte sie, daß die Nachricht von dem Glück der Ittenschen Familie sie so bewegt hätte. Van Guden küßte sie und sagte: Diese Thränen einer theilnehmenden Freude sind schön, meine Liebe! aber etwas zu stark, Liegt nicht auch ein Gedanke dabey, daß du einen deiner Brüder oder Schwestern eben so glücklich versorgt sehen möchtest? O nein! liebe Mutter! es ist gewiß kein Gedanke von Neid in mich gekommen. Das wäre auch kein Neid gewesen, meine Liebe, wenn du einem Bruder das nemliche Gute wünschtest, das der junge Itten erhielt. Mein älterer Bruder ist ja versorgt, und Wilhelm denkt an nichts. Es wäre mir leid, wenn die Ittens nicht in allem glücklich wären. Du bist mein edles gutes Mädchen; sey auch meine aufrichtige Tochter. Ich will dich was fragen. Nun zitterte und glühte das gute Geschöpf, und sah zur Erde, indem sie kaum Athem hohlte. Liebe Meta! hat der junge Itten dir nie mals von Liebe vorgesprochen?[353] Es dünkte mich oft, wenn du sangest, oder Henrietten bey einer Arbeit etwas lehrtest, auch, wenn du mit seinen Schwestern in Unterredung warest, daß seine Augen voll reiner Liebe und Verehrung auf dich geheftet waren. Ein lächelnder Zug von Vergnügen flog über Metas Gesicht, als van Guden dies sagte; doch antwortete sie: Ich habe ihn nicht oft angesehen. Das habe ich auch bemerkt, mein Kind! und es schiene mir, um aufrichtig mit dir zu sprechen, nicht ganz natürlich. Du bist sonst so freymüthig, so voll unschuldiger Offenherzigkeit – in deinen schönen Augen. Da kam nun wieder eine Anwandlung von Angst; aber sie sagte, van Gudens Hand küssend: Liebe Mutter! ich habe ihn deßwegen nicht oft angesehen, weil ich ein paar mal auch gedacht hatte, daß er mich zärtlich anblickte. Sie blieb auf van Gudens Hand liegen, die ihr liebreich sagte: Wäre dir denn die Liebe dieses tugendhaften Jünglings nicht angenehm gewesen? Leise und mit äusserster Bewegung sagte sie: O ja, es hätte mich schon gefreuet; aber – zu was hülfe es nun! Wie das? meine Liebe! es wäre jetzt besser als jemals, da er dir mit seinem Herzen zugleich seine Hand, und eine gute Erhaltung[354] anbieten könnte. Ein neuer Strohm von Thränen floß über ihre den Augenblick blaß werdende Wangen: Ach liebe Mutter! sprach sie, haben Sie denn nicht gehört, daß Frau Grafe sagte, sie wolle sich nun nach einer artigen Frau für Herrn Itten umsehen? und da er den Dienst durch sie erhielt, so ist ja billig, daß er ihr in allem folgt; sie giebt ihm gewiß ein artiges und auch ein reiches Frauenzimmer, und es wird sich keine lang bedenken, des Herrn Ittens Frau zu werden. – Frau Guden umarmte sie, lobte ihre Gesinnungen, und dankte ihr für die Eröfnung ihres Herzens: Meine Meta! nun habe ich die süsse Hofnung, eine der besten Familienvereinigung zu stiften: eine Tochter von Mooß, und ein Sohn der Ittens! nie ist mehr stille und wahre Tugend verbunden worden. Nun lag Meta vor ihr auf den Knieen, weinte und küßte van Gudens Hände: Ach Mutter! englische Mutter! sonst konnte sie nichts sagen. Indessen hatten wir auch eine Scene in unserm Hause, denn Frau Grafe kam von van Guden gerade mit einem glänzenden Gesicht voll guter Laune zu uns, und brachte das Fürstliche Decret für den jungen Itten auf Rehberg, und sagten mein Mann möge die Stelle, die er dem[355] jungen Menschen zugedacht habe, jemand anders geben. Das war nun eine herzliche Freude unter uns, besonders auch, da Cleberg den jungen Itten aufsuchte, umarmte, und zu unsern Glückwünschen in mein Zimmer brachte. Die innerliche Freude des jungen Mannes war ein anfangender Rausch, der die Sprache hemmt und die Füße wanken macht. Er bewegte uns ausserordentlich, indem er mit zusammengefalteten Händen ausrief, nach dem Hause seines Vaters hinübersehend: O meine lieben Eltern! was muß der Name von Cleberg für euch seyn! Einer von euren Kindern so glücklich, so sehr glücklich durch dies edle Haus. Nun ergriff er eine meiner Hände, und eine von Frau Grafe, und küßte sie: Ewigen Dank! ewigen Seegen! stammelte er, und schwankte. Cleberg umfaßte ihn, und sagte auch, auf unsern Erker weisend: Mein lieber Freund! Sie machen mir dieses Fenster recht lieb, weil ich da schwur, daß ich mir den Eingang in ihr Haus verschaffen wollte. – Frau Grafe blieb bey mir, während daß Cleberg mit dem jungen Mann am Arm zu den Ittens eilte, um das Glück anzukündigen. Er sagte: O keine Seligkeit der Erde kann dieser gleichen, welche gute Eltern bey dem Glück und[356] der Tugend ihrer Kinder empfinden. Es war heiliges Entzücken bey der Frau Itten, als sie ihren Sohn umarmte, und mit ihrem mütterlichen Segen zu seiner Stelle einweyhte. Ihr Dank gegen Frau Grafe und mich war Ergiessung der besten Gefühle der Menschheit. Mein Cleberg und mein Oheim waren äusserst gerührt, denn sie hatten bey weitem diese hohe Freude bey der Versorgung ihrer Töchter nicht geäussert.

Nun stimmte Frau Grafe wieder zu dem Muntern, und da sie mich von ihren Absichten unterrichtet hatte, so winkte sie dem Herrn Amtmann von Rehberg zu uns, und sagte ihm mit etwas ernstem Ton: er müsse sich nun auch bald nach einer guten artigen Frau umsehen. Er lächelte, erröthete; sagte aber ganz bescheiden: Er glaubte zuerst verbunden zu seyn, einen Beweis zu geben, daß er die Stelle verdiene, eh er es wage, eine ganze Haushaltung auf Rehberg zu führen. Ihre Bescheidenheit steht ganz schön; aber Sie denken doch, Herr Grafe mußte wissen, daß Sie der Mann für den Plan sind: und ich will jetzt für eine Frau dazu sorgen. Itten blieb staunend bey mir, sprach nichts, sah vor sich hin; nur auf einmal wandte er um und ging fort, kam aber[357] in einigen Augenblicken wieder, und gab mir ein Heft Papier, mit einer sehr bedenklichen Miene, und furchtsam sagte er: Sie hatten immer viele Güte für mich, lesen sie dieses Heft, und verhindern Sie um des Himmels willen jeden andern Vorschlag, oder – (stockend setzte er hinzu,) lassen sie mir das Amt wieder nehmen. Er entfernte sich ehrerbietig, und ging zu den Männern, ich aber in mein Schlafzimmer. Als ich unter der Thüre den jungen Itten noch einmal anblickte, machte er eine bittende Bewegung gegen mich, und ich wurde um so viel begieriger auf sein Papier: Da fand ich einen Auszug von van Gudens Briefen, die er für sie abschreiben mußte, und dieser Auszug betraf nur die Stellen, in denen van Guden von ihrer Meta Meldung thut, und immer war am Ende eines Absatzes ein Wunsch, daß er einmal diese Meta sehen möchte; oder ein Gebet für das Glück dieses herrlichen Mädchens. Bey dem Tag ihrer Ankunft mit van Guden steht die Beschreibung ihrer Gestalt und des Eindrucks, den sie auf ihn gemacht hatte: kurz, ein Tagebuch über alles, was er an ihr bemerkte, und was er fühlte. Sehnsucht nach Glück, um es mit ihr zu theilen. Der Vorsatz, niemals[358] zu reden, um die unschuldsvolle Ruhe des Engels nicht zu stöhren, jeder Blick, den sie ihm gegönnt, jedes Wort, jeder Ton ihres Gesangs, alles war angemerkt, Einmal hatte er die Hand ihres Bruders gefaßt, gerade in dem Augenblick, als Meta sie loßließ. Er fühlte noch die sanfte Wärme des Drucks der Schwesterliebe, und er war nur zu glücklich. – Ich weinte über dem Heft aus zärtlicher Bewegung, die das Bild dieser reinen Flamme eines tugendhaften Mannes mir gab. Ich freute mich über die Sicherheit seines Glücks, und kam wieder in die große Stube mit meinem Mantel: Itten blickte mich an, machte mir die Thüre auf, und ich sagte ihm nur: Ich geh zur Frau Guden; edler junger Mann, hoffen Sie alles. Ich brachte sein Heft zu van Guden, die mir den Auftrit mit ihrer Meta erzählte; und dem guten Mädchen das Tagebuch ihres Geliebten zum lesen brachte. Als wir dachten, daß sie fertig seyn könnte, ging van Guden zu ihr, und fand sie auf ihren Knien betend: Liebe Mutter, segnen Sie mich und meinen Itten. O wie glücklich bin ich, und, o mein Gott: ich will gut seyn mein ganzes Leben; sagte sie mit gefaltenen Händen. Van Guden hob sie aus, und sagte ihr, Frau[359] Grafe hätte an keine andre Frau gedacht als an sie, und spreche nun würklich mit Ittens Eltern darüber, welche den Abend mit uns bey ihr speisen würden. Der junge Mann wurde kurz darauf gerufen, und Frau Guden führte ihn selbst zur Meta, indem sie ihm sagte: Meine liebe Tochter und ich haben Ihr Heft gelesen. Meine Meta liebt Sie, und ich segne Euch beyde. Mit diesem schloß sie die Hände der zwey jungen Leute in ihre, küßte beyde, und kam zu mir. Bald darauf kam Itten, kniete nur einen Augenblick, und dankte van Guden und mir, eilte zu seinen Aeltern, um mit diesen zu sprechen, und Abends war Meta als seine Braut erklärt, die Frau Guden als ihre Tochter ausstattet.

Um 10 Uhr Abends.

Mariane! ich bin nicht wohl, vielleicht – doch ich habe noch einen schönen Abend gelebt, ich sah das Glück und die Freude guter Menschen, sah Hr. von Pindorfs Entzücken für seine Kinder und seine Freundin, denn er kam noch unvermuthet.

Mariane! ich bin Mutter, habe meinen Sohn in meinen Armen. Welch ein unaussprechliches Gefühl! ich lebe! O bete um Gesundheit und Tugend für mein Kind und mich.


Fußnoten

1 Sternheim, 1. Theil, S.


2 von Baur.


Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 3, Altenburg 1797.
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