[202] Gallen. Struensee.
GALLEN. Er hat recht, und ich will die Schwäche überwinden!
STRUENSEE nahe zu ihr tretend. Gnädige Gräfin, Ihr zürnt mir! Und mit Recht.
GALLEN. Faßt Euch kurz, Graf Struensee; es ist Zeit, an den Maskenanzug zu gehen.
STRUENSEE. O, meine Bitte ist kurz, sie lautet nur: Verzeiht mir!
GALLEN. Was soll ich Euch verzeihn?
STRUENSEE. Nicht also, Gräfin! Euer Blick und Euer Ton sind hart, und Euer Wort ist schneidend. Wenn Euer Herz nicht für mich spricht, so hab' ich nichts zu hoffen.
GALLEN. Mein Herz? Fürwahr, Ihr müßt mir ein schwächlich Weiberherz zutrauen, um so zu sprechen!
STRUENSEE. Ein großes Herz trau' ich Euch zu. O Gräfin, denkt unsrer traulichen Gespräche draußen zu Hirschholm am stillen Waldsee im grünen Schatten der Buchen! Mit welch einem großen Sinne folgtet Ihr meinen Gedanken und Plänen, ja Ihr erhobt sie,[202] und durch Euch wurden sie veredelt! Das Werk der Reform Dänemarks, es ist zur schönen Hälfte Euer Werk. Und um ein Mißverständnis wendet Ihr nun unserm Werke und wendet mir den Rücken!
GALLEN. Ein Mißverständnis! Wie Euch der Hof gebildet! Welch ein höflich und vieldeutiges Wort, ein Mißverständnis!
STRUENSEE. Es ist das rechte Wort! Wir haben unsre herzliche Neigung für einander verkannt: sie war nicht angetan, um in schwierigem Augenblicke und beiläufig und auf Kommandowort in ein alltäglich Ehebündnis eingesargt zu werden. Denn ich schwör's Euch, Gräfin Mathilde, die Szene, welche heute an dieser Stelle sich ereignete und mein Herz so schmerzlich berührt hat wie das Eure, sie hätte nimmer stattgefunden, wär' einer andern Dame Hand in die meinige gelegt worden.
GALLEN. Das glaub' ich ohne Schwur!
STRUENSEE. Ihr irrt! Einer mir gleichgültigen Frau hätt' ich mich in solchem Augenblicke nicht entzogen! Genug. Eure Stimmung ist gereizter, als ich Eurer Seele zugetraut. Vielleicht hilft uns die Zeit!
GALLEN. Wem gehört die Zeit?!
STRUENSEE. Wohl wahr. Auch hab' ich verzichtet auf die Ideale meines Herzens. Kopf und Herz zugleich in poetischer Weise zu befriedigen, das ist dem Menschen nicht gestattet. Ein Reich regieren nach eignem Sinne und Lieb' und Freundschaft höchster Art dabei zu pflegen, zu genießen – das ist den Göttern vorbehalten. Uns ist nur Glück beschieden im Entsagen, und ich will entsagen!
GALLEN. Wie?
STRUENSEE. Betrachtet meine Laufbahn und mein Ziel! Liebe für die Menschen hat mein Sinnen und Trachten geleitet; Drang nach Gerechtigkeit und billiger Freiheit für jedermann, denn jedermann trägt Gottes Stempel, hat meine Maßregeln geschaffen – was find' ich am Ziele? Jedermann fühlt sich beeinträchtigt von mir und steht gegen mich auf. Der Bauer, welchen ich von der Scholle befreit, murrt, daß ich nicht mehr getan, der Bürger, welchem ich Selbständigkeit neben dem Adel verliehen, schilt und lärmt, daß ich ihn nicht aller Verpflichtung enthoben, der Soldat, welchem ich die sklavische Disziplin gelöst, wendet die Waffen gegen[203] mich, weil ich ihn nicht unabhängig gemacht, der Priester, welchen ich zu erheben getrachtet dadurch, daß ich seine Dogmen vernunftgemäß zu begründen heischte, er flucht mir, weil ich das Herkommen gestört, der Adel, welchem ich Bildung und Billigkeit lehren, welchen ich dadurch in Geist und Wahrheit zu edler Überlegenheit erheben gewollt, er verschwört sich gegen mich, weil ich ihn nicht um jeden Preis allmächtig gelassen – was blieb mir? Der König und das Weib! Der König, weil meine Persönlichkeit wohltätig auf ihn wirkt; das Weib, weil das Weib großmütig ist, uneigennütziger als der Mann, und mehr nach der Absicht richtet als nach dem Erfolge, weil das Weib liebt. Und jetzt? Jetzt verläßt mich auch das Weib, denn ihre Eitelkeit ist verletzt, und der Eitelkeit opfert sie all ihre Vorzüge. So find' ich das Ziel, Gräfin Mathilde! Alles ist nichtig und eitel geworden, woran ich mein Hoffen und Schwärmen, mein Sinnen und Trachten und Handeln, woran ich mein Leben gesetzt, alles, alles ist eitel und nichtig geworden, und Ihr wundert Euch, daß ich dem Ideal meines Lebens entsage? Mir ist's ein Wunder, daß ich's nicht längst getan. Er entfernt sich von ihr: Guldberg ist sichtbar hinter dem Vorhange.
Kurze Pause.
GALLEN für sich. Er ist edler als ich und beschämt mich tief! – Laut. Und wohin wollt Ihr Euch wenden, wenn Ihr entsagt?
STRUENSEE. Wie habt Ihr Euch verändert in der Schule dieser Dänen! Meinen Idealen entsag' ich, meinem Amte nimmermehr!
GALLEN. Weh Euch!
STRUENSEE. Jawohl, weh mir, denn ich erfülle nur noch meine Pflicht, der Zauber meines Lebens ist dahin. Aber dafür bin ich ein Mann, daß ich aushalte in dem, was ich begonnen, daß ich einstehe mit Leib und Leben für das Trachten meines Geistes. Wenn ich dann unterliege, dann unterliegt ein Minister Struensee, aber Struensees Geist bleibt unbeschädigt, und der Geist ist ewig! Früh oder spät erfüllt er mit seinem Odem dies Königsschloß und wirkt über Land und Meer, und diejenigen, welche mich gestürzt, werden geächtet von der Geschichte Europas!
GALLEN für sich. Und er hat recht, und wir sind klein neben ihm.
STRUENSEE. Gräfin Mathilde! Ich seh's, Ihr steht bei meinen Feinden! O Gott, das schmerzt mich tief! Nicht weil[204] meine Feinde dadurch wachsen, nein, weil ich eine Freundin, meine beste Freundin verloren. Und Euch bringt es kein Glück, Ihr kämpft gegen Euer bestes inneres Wesen, Ihr verliert Euch, indem ich Euch verliere! Arme Mathilde!
GALLEN sich nach Guldberg umsehend, der bei dem Worte »Mathilde« wieder einen Augenblick den Vorhang erhoben. Nicht diesen Namen, Struensee! Man hört Musik. Verlaßt mich, der Ball beginnt!
STRUENSEE. Warum nicht diesen Namen? Laßt mir gepeinigtem Manne den Namen Mathilde, den Namen, der bis daher alles in sich schloß, was mir wert und heilig ist auf Erden!
GALLEN für sich. Ich verletze meinen Schwur, wenn ich ihn unterbreche – und doch treibt mich mein Herz dazu!
STRUENSEE. Ich fürchte mich nicht, Euch mein Herz zu enthüllen! Wenn Ihr auch bei meinen Feinden steht, Ihr mißbraucht meines Herzens Geheimnisse nimmermehr!
GALLEN. Um Gottes willen, Struensee!
STRUENSEE. Ja, was ich Euch nicht sagen konnte, solange Ihr in meiner liebevollen Freundschaft für Euch nur Liebe suchtet, Liebe zwischen Mann und Weib, das kann ich Euch jetzt gestehen, seit Ihr mich aufgegeben, seit Ihr mich zu hassen glaubt. Erkennt darin, Mathilde, welch ein edles Herz Ihr habt! Ich, den Ihr zu hassen glaubt, kenne Euer Herz und vertraue ihm das wichtigste Geheimnis meines Lebens –
GALLEN. Haltet ein! Für sich. Gerechter Gott, ich darf ihn nicht verhindern! Und sie hören ihn!
STRUENSEE sie bei der Hand fassend. 's ist ein Geheimnis, welches den Kopf verwirkt, sobald es an ein unrechtes Ohr schlägt, und diese Gefahr, Mathilde, ist der unsägliche Reiz daran, und diese Gefahr, Mathilde, treibt mich mit unwiderstehlicher Gewalt, es gerade Euch anzuvertrauen, Euch, die mich eben darum verlassen hat –
GALLEN. Laßt meine Hand los, Struensee, ich bin des Todes –!
STRUENSEE sich besinnend, langsam. Wär't Ihr schwächer, als Ihr in meinem Herzen steht?
GALLEN. Schwach. Struensee, schlimmer noch als schwach – rachsüchtig, meineidig, o mein Gott! Sie verhüllt ihr Gesicht.
STRUENSEE. Ich verstehe Euch nicht, Mathilde – Du heißt ja[205] Mathilde. Mathilde! In diesem Namen liegt ja alles! O laß mir die süße Genugtuung, meinen Kopf in deine Hand zu geben dafür, daß du mich verlassen hast. Diese Strafe lehre dich, daß ich deine Feindschaft nicht verdient. Ja, Mathilde, ich liebe! –
GALLEN. Du tötest dich und mich, Struensee!
STRUENSEE. Nein, Liebe belebt! Mit meiner Liebe im Herzen gehe ich wie auf sonnenbeschienener Wolke über die Schwerter und Verwünschungen meiner Feinde dahin, denn die Frau, welche ich liebe, sie ist – Aufschreiend, da die Königin hastig eintritt. die Königin!
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