Erste Szene.


[182] Gräfin Franziska von Hohenheim, bald darauf Generalin Rieger.


GRÄFIN FRANZISKA VON HOHENHEIM kommt links aus der offenen Ecktür und sieht einen Augenblick nach rückwärts, ob niemand komme. Dann tritt sie rasch an die Mitteltür. sieht in gleicher Absicht nach der Glastür hinaus und läßt dann die Portiere vorfallen. Alsdann geht sie einige Schritte gegen die Ecktür rechts und horcht eine kurze Weile. Ich höre noch nichts! – Geschwätzige Bäbele, laß mir eine Viertelstunde Einsamkeit für meinen Dichter! Nach dem Vordergrunde kommend und ein gedrucktes Blatt – Oktavform, ein halber Bogen – hervorziehend. Für meinen Dichter, der eben wieder Das Blatt entfaltend. frisch angekommen ist. Gott und der Herzog mögen mir's verzeihen, aber ich denke, 's ist ja nichts Böses, die lieblich schwellenden Worte eines Sängers zu lesen, der doch ebenfalls gewiß nichts Böses denkt, wenn er sie an mich richtet und sendet mit schwungvoller Seele! Sie setzt sich behaglich in die Sofaecke und liest.

Selig durch die Liebe

Götter – durch die Liebe

Menschen Göttern gleich!

Liebe macht den Himmel

Himmlischer – die Erde

Zu dem Himmelreich –

Weisheit mit dem Sonnenblick

Große Göttin, tritt zurück,

Weiche vor der Liebe.

Nie Erobrern, Fürsten nie

Beugtest du ein Sklavenknie,

Beug es jetzt der Liebe.

Ich will nicht hoffen, daß er – »nie Erobrern, Fürsten nie beugtest du ein Sklavenknie, beug es jetzt der Liebe« – ich will nicht hoffen, daß er damit eine Anspielung wagt auf – den Herzog!

GENERALIN rechts aus der Seitentür den Kopf steckend. Darf man eintreten?

GRÄFIN. Ach mein Gott! Fährt mit dem Blatt zur Seite, faltet es zusammen und steckt es ein.

GENERALIN. Durchlaucht noch nicht zurück?

GRÄFIN. Nein.

GENERALIN. Darf man?[183]

GRÄFIN. Ja doch!

GENERALIN. Ich hab' was Neues!

GRÄFIN. Aus dem Institut?

GENERALIN. Ach nein, unsere Mädchen sind stille Dinger, die richten nichts Neues an, aber unser Kind –

GRÄFIN. Laura?

GENERALIN. Die richtet an – der Störenfried!

GRÄFIN. Doch nichts Übles?

GENERALIN. Wenn's ein Übles ist, daß sie hübsch und liebenswürdig und dem jungen Mannsvolke den Kopf verrückt –

GRÄFIN. Bäbele!

GENERALIN. Wo ist sie denn?

GRÄFIN. Da oben Nach links hinten deutend. auf dem Theater, sie probieren den Clavigo.

GENERALIN. Die Karlsschüler? Und da laßt Ihr sie allein mit dem jungen Mannsvolk?!

GRÄFIN. Ich komme eben erst herunter, und die Probe wird nicht lange mehr dauern – seit wann bist du denn so ängstlich? –

GENERALIN. Ich nicht, Ihr wart ja aber so erschrocken, daß Laura in den Köpfen der Mannsbilder spuke. Mich ängstigt das nicht, mich freut's! Die Mädchen wachsen dazu auf, daß die Männer ein bißchen verrückt werden.

GRÄFIN. Bäbele!

GENERALIN. Franzel, wir sind ja allein, und dein Mädcheninstitut und die Stuttgarter Bürgerfrauen hören dich ja nicht!

GRÄFIN lachend. Aber Bäbele!

GENERALIN. Du bist eine leidlich tugendhafte Frau, aber du willst doch nicht eine Heilige werden, Gott verhüt's, nicht wahr, Franzel, du willst keine Heilige werden –?

GRÄFIN. Strenge Grundsätze sind in allen Dingen gut, besonders in meiner Stellung.

GENERALIN. Ja, aber nichts Unnatürliches, nicht wahr, Franzel, 's wär gar zu schad' um dein gutes Herze!

GRÄFIN. Topp, leichtsinnige Weinsberger Tante! Und was gibt's Neues mit der Laura?

GENERALIN. Die neuesten Blätter vom »Schwäbischen Magazin« sind heraus, hast sie schon gelesen?[184]

GRÄFIN erschreckend. Nein – Warum? An die Tasche fühlend, für sich. Die hat's gemerkt!

GENERALIN. Da steht's drin!

GRÄFIN. Was denn?

GENERALIN. Nu, die Liebeserklärung!

GRÄFIN. Ach mein Gott Für sich. – so arg nennen's die Leute?

GENERALIN. Was sagst du?

GRÄFIN. So arg nennen's die Leute?

GENERALIN. Was arg! Was ist's denn weiter, und 's ist doch so! 's ist nur unvorsichtig, und ich hätt' 's dem schüchternen Sünder gar nicht zugetraut, daß er den Namen seiner Herzallerliebsten mit abdrucken läßt vor aller Welt.

GRÄFIN sehr erschrocken. Warum nicht gar!

GENERALIN. Freilich!

GRÄFIN das Blatt hastig herausziehend und seitwärts ängstlich überfliegend. Das ist ja nicht möglich – das ist ja nicht wahr!

GENERALIN. Nicht wahr? Ich hab' doch lesen gelernt Das ihrige herausziehend. sieh sieh, da hast du's ja selber, schau, schau – du sagtest ja vorhin –?

GRÄFIN. Nun ja, ich hatte es nur flüchtig angesehn, aber auch jetzt find' ich keinen Namen. Sie halten beide ihr Blatt vor sich.

GENERALIN. Nun, du meine Güte, wie heißt denn die Überschrift?

GRÄFIN. »Der Triumph der Liebe« heißt sie.

GENERALIN. Ach was. »Die Entzückung an Laura« heißt sie.

GRÄFIN. An Laura! Steht auf und nimmt hastig das Blatt aus der Hand der Generalin.

GENERALIN hat gleichzeitig das der Gräfin genommen. Ach, du hast nur die erste Hälfte des Blatts, das ist nur so eine allgemeine Einleitung – in der zweiten Hälfte kommt die Hauptsache, an Laura geradezu! – Ich bin auch ordentlich erschrocken über dies geradezu und über die »Entzückung«. Da lies nur, wie's gleich anfängt: »Laura über diese Welt zu flüchten wähn' ich« – 's ist ein Phantast! Aber ich hab's gar zu gern, wenn einer so mir nichts dir nichts über alle Dächer fliegen, in alle Fenster hineinplatzen kann, nicht wahr? 's wird einem dabei so frei ums Herze![185]

GRÄFIN ist an das Sofa getreten, wie mit sich kämpfend, und hat das Blatt aufs Sofa geworfen. Die ganze Geschichte macht mir einen sehr unangenehmen Eindruck, und ich finde, daß du die Sache allzu leichtsinnig behandelst.

GENERALIN. Mag wohl sein. Sie geht links an die Ecktür, den Vorhang hebend und sich umsehend, die Tür öffnend und offen lassend. Dann geht sie an die Mitteltür und macht die Vorhänge eben falls auf.

GRÄFIN. Der junge Schiller ist Regimentsfeldscher mit 18 Gulden Monatsgage, und ans Heiraten kann er nicht denken. Das Mädchen aber ist in großen Verhältnissen auferzogen, ist des Herzogs Liebling und kann der glänzendsten Heiratsanträge sicher sein. Was soll also dieser Verkehr, dem gar keine Aussicht offen steht!? Wenn obenein der Herzog davon erfährt, und gar solch eine Liebeserklärung vor aller Welt an seine Laura zu lesen kriegt, dann kann ein Unglück geschehn. Du kennst seine Heftigkeit, und dem Schiller hat er schon zu wiederholten Malen die unpassende Schriftstellerei untersagt!

GENERALIN. Na, was verbietet der nicht alles!

GRÄFIN. Bäbele!

GENERALIN. 's ist wahr! Und das »Magazin« liest er nicht, das nennt er deutsche Suppe.

GRÄFIN. Aber der Hauptmann liest alles und trägt ihm alles zu, und, wie gesagt, was soll denn daraus werden, wozu denn das alles –?

GENERALIN. Wozu? Wozu blühn denn die Blumen? Und was draus werden soll? Das überlaßt doch dem lieben Gott, den ihr ja sonst mit allem möglichen Plunder belästigt. Wie ich dich damals in die Kirche begleitete, da du mit deinem ersten Manne, dem Leutrum, getraut wurdest, und der Herzog in seiner männlichen Herrlichkeit vorüber ritt und still hielt und dich anschaute, weißt du noch –?

GRÄFIN. Ach ja!

GENERALIN. Da sagt' ich leise. Das wär' ein Mann für dich, Franzel! Na, das war noch eine größere Dummheit als jetzt mit dem Schiller und der Laura! Du wurdest eben verheiratet, und der Herzog war verheiratet, und du warst doch eben keine Prinzessin, was stand denn da für Aussicht offen? Nicht die allergeringste. Eine Scheidung, zwei Scheidungen waren nötig, und ein Mittel[186] mußte gefunden werden, wie ein armes Fräulein einem regierenden Herrn angetraut werden könnte, waren das etwa nicht die ärgsten Phantastereien, nicht? Und 's ist doch alles wahr geworden, und du regierst doch jetzt Württemberg so gut wie er, nicht?

GRÄFIN. Ja, aber –

GENERALIN. Und, mit Respekt zu sagen, Seiner Durchlaucht weltliche Herrlichkeit und dein bißchen Schönheit, die sind mir zusammengenommen doch nicht soviel wert, das heißt so recht innerlich im Herzen nicht soviel wert, wie des jungen Schillers Schwung und Herrlichkeit, wenn er so in Zug kommt mit Predigen und Dichten. Denn das gibt mir eine Andacht und ein Herzklopfen, als wenn ich in der Kirche vor Gottes Thron stünde –

GRÄFIN. Mir auch!

GENERALIN. Und wenn einer noch einmal Wunderdinge zustande bringt, dann ist's der Schiller, das sollt ihr noch einmal sehen und an mich denken, und wenn für irgend einen unser Pflegkind nicht zu gut ist, dann ist's für den Schiller, das sag' ich, und dabei bleib' ich!


Geht nach rechts – Pause.


GRÄFIN. Ist denn die Laura im Einverständnisse.

GENERALIN. I Gott bewahre! Das dumme Ding weiß ihn ja gar nicht zu schätzen! Der ist er nicht hübsch genug, und ungeschickt und ungalant und wunderlich ist er auch, das ist freilich wahr.

GRÄFIN. Aber sie wird die Liebeserklärung im Magazin lesen!

GENERALIN. Wenn auch! Ich radiere den Namen Laura heraus oder klebe Englischpflaster drauf, da weiß sie den Kuckuck, auf wen die »Entzückung« geht, 's ist ja noch ein unerfahren Kind.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 182-187.
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