Achte Szene.


[254] Schiller. Laura. Später der Hauptmann.


LAURA von Schiller ungesehen, am Fuß der Treppe links stehenbleibend, ringt die Hände.

SCHILLER. Das Vertrauen auf die Menschen dahin, das Vertrauen auf mich selbst dahin, alles dahin, und die Öde und die Verzweiflung vor mir!

LAURA. Schiller!

SCHILLER. Wer da? – O Gott, die mich verraten!

LAURA. Nein, nein! – Ja, ja!

SCHILLER. So jung, so schön, so liebenswürdig und schon so – klug.

LAURA. Um Gottes willen nicht!

SCHILLER. Was hab' ich Ihnen getan? Ich habe Sie geliebt! Ist es denn gar so beleidigend, von einem Menschen geliebt[254] zu werden, der freilich nicht schön ist und nicht reich und nicht vornehm?

LAURA. O Schiller!

SCHILLER. Der freilich seine Fähigkeiten überschätzt hat und jetzt erst einsieht, daß er Glücksgüter begehrt hat, welche ihm nicht gebühren. War es nötig, mich so in Staub zu treten, damit meine Zudringlichkeit in Schranken gewiesen werde, war es nötig –? Ja, ja, es war nötig! Mein Hochmut war nicht anders zu heilen. Sie sind ein kluger Arzt gewesen – Gott verzeih' es Ihnen, daß Sie mir den Verstand wiedergegeben und mir nicht das Leben, das nun so jammervolle Leben genommen haben! Er geht nach rechts hinten.

LAURA. Schiller, Schiller, Sie tun mir unrecht!

SCHILLER. Unrecht? Freilich, es ist alles unrecht, was Schiller tut!

LAURA. Nein, nein. Unrecht ist nur dieser Ausgang. Der falsche Hauptmann hat ihn ja herbeigeführt. Er hat mich, er hat uns betrogen!

SCHILLER. Das ist doch lieb von Ihnen, daß Sie mich einer Entschuldigung wert achten.

LAURA. O nicht so! Um Ihre Verzeihung bitt' ich flehentlich!

SCHILLER streng. Nicht jetzt noch Spott, es wäre entsetzlich!

LAURA erschöpft. Sie verstehen mich nicht, wie ich mich selbst nicht verstehe. Das hat wohl so kommen müssen, weil ich so lange leichtsinnig und gedankenlos war. Jetzt ist's zu spät – seit gestern abend – ach du lieber Himmel, ich kann es selbst nicht begreifen und noch weniger aussprechen! Aber, Schiller, ich könnte Sie auf den Knien bitten, mir nichts Feindseliges zuzutrauen! Feindseliges, ich gegen Sie, welch eine Verirrung! Ich habe Ihnen ja helfen wollen, und es ist ja auch meine Angst und Not, daß es so schrecklich verunglückt ist!

SCHILLER. Das klingt ja nicht wie Spott Einige Schritte tretend. sind meine Gedanken verwirrt? Sind Sie es nicht, die immer nur spöttisch lachte, wenn mein Herz in schwärmerischen Worten überfloß?

LAURA. Jawohl.

SCHILLER. Sind Sie es nicht, welche gestern abend wie zum Hohne Teilnahme und Mitgefühl für mich an den Tag legte und[255] gleich darauf dem Herzoge zugestanden hat, daß dies eine Verirrung gewesen sei.

LAURA. Ich schwieg wenigstens, wo ich nicht schweigen sollte.

SCHILLER. Sind Sie es nicht, welche sich meinen Todfeind, diesen Hauptmann, zum Führer und Leiter anempfehlen ließ?

LAURA. Jawohl.

SCHILLER. Die diesem Hauptmann das Buch einhändigte, an dessen Entdeckung mein Wohl und Wehe hing?

LAURA. Jawohl.

SCHILLER. Und Sie sprechen davon, daß Sie mir helfen gewollt?! O Fräulein, mein Geist ist zerbrochen und weiß nicht mehr, was groß und was klein ist in dieser Welt, aber soviel Fähigkeit der Folgerung ist doch noch übrig geblieben in meinem zerrütteten Sinn, daß ich in Ihnen das schimmernde Irrlicht erkenne, welches mich geblendet und ins Elend gelockt hat.

LAURA. O Schiller, wie schrecklich!

SCHILLER. Nein, nein, nicht so! Auch das ist falsch! Ich habe Ihnen zu danken; denn Ihr Anblick hat meine Seele erquickt! – Was können Sie dafür, daß ich mir einbildete ein Dichter zu sein!

LAURA. Schiller! – Kurze Pause, dann mit halber Stimme. Wenn ich nur was wäre und was hätte, um Ihnen einen Beweis zu geben! Mit Worten kann ich ja nichts beweisen. Hätt' ich ein Königreich und könnt' ich's Ihnen zu Füßen legen, vielleicht glaubten Sie mir dann.

SCHILLER. Allmächtiger Gott –!

LAURA. Aber ich bin und habe nichts als den Flitterputz eines armen Waisenmädchens, das seinem Wohltäter gefallen soll, ich habe nichts zu verschenken – als –

SCHILLER in höchster Spannung. Als –?

LAURA. Als ein kindisches Herz, das ein Dichter erst zu etwas machen müßte.

SCHILLER enthusiastisch. Das einen Dichter zum Gott erheben würde, wenn man's ihm anvertrauen –, mein Fräulein, um Gottes willen nur jetzt nicht wieder einen Irrtum meiner Seele! – Wenn man's ihm anvertrauen wollte dieses Herz! – Wär' es möglich –?[256]

LAURA. Anvertrauen! Wo soll ich armes Kind den Mut dazu finden, wenn der Dichter nicht mehr den Mut hat, ein Dichter zu sein?!

SCHILLER. Er findet ihn wieder, ich fühl's, es strömt der Mut von Ihnen wie strahlendes Morgenlicht in meine Seele, wenn das, was ich da höre und empfinde, kein Traum ist! Ist es kein Traum? Laura, Laura, dies Herz –?

LAURA die Augen niederschlagend. Ich kann nicht sprechen, Schiller.

SCHILLER. Aber die Hand vielleicht, die ich hier ausstrecke nach dem Himmel Ihr zustreckend. diese Hand berühren – und –?

LAURA. Ergreifen, Schiller.

SCHILLER. Ergreifen! – Ihr ewigen Götter des Himmels, ich bin geliebt!


Er stürzt in die Knie, ihre Hand vor sein Antlitz haltend.


LAURA. Von ganzer Seele; ich weiß es jetzt –

SCHILLER weich. Ich bin geliebt! Aufspringend. Ich bin geliebt! Jubel über Erde und Himmel hinaus. Kein Königreich auf Erden hat Raum für mein Glück. Ich bin geliebt, und nun bin ich auch ein Dichter!

LAURA. Das bist du gewiß – aber still! – Horchend; der Hauptmann erscheint oben.

SCHILLER die letzten Worte übersprechend. Ich bin's, weil du es sagst, weil nur die Liebe zu richten weiß über alles Himmlische auf Erden! Der Hauptmann tut erstaunt einen Schritt zurück.

LAURA. Still, man überrascht uns –!

SCHILLER. Heerscharen von Feinden mögen kommen! Sie innig ansehend. Ein Augenblick gelebt im Paradiese wird nicht zu teuer mit dem Tode gebüßt!


Der Vorhang fällt rasch.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 254-257.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Karlsschüler
Die Karlsschüler: Schauspiel in Fünf Akten (German Edition)

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon