[186] »Ich habe aus Ihren früheren Reden geschlossen,« begann er, »daß Sie sich unser Vaterland nur als eine traurige Abwechselung von dürrer Kieferheide und reizloser Fläche denken. – Sie haben indessen nur einen kleinen Teil Polens gesehen. Wenn man aufwärts geht an der Weichsel, dahin, wo sie aus dem Krakauischen herunterströmt, da kommt man über saftig grüne Wiesen, durch kühle hohe Eichenwälder. Und wenn man sich wieder halb nach Osten wendet, da erheben sich die sanften Hügel der Ukraine, welche hinabführen in die ungeheuren Grasebenen, durch welche die flüchtigen Pferde in großen Herden jagen. Diese Grasebenen sind das[186] Meer unseres Vaterlandes, und aus ihrer schönen, großartigen Einsamkeit kommen unsere schönsten Lieder. O, ich ritt einst in der Nacht über jenes grüne Meer, mein Herz war traurig und lag zusammengepreßt von scharfem Weh in meiner Brust, der Mond schien hell und klar, und ich sah mit tränenlosem, ödem Auge in die unbegrenzte Fläche hinein. Da hörte ich plötzlich eines jener ukrainischen Lieder, es klang wie eine Geisterklage durch die stille Nacht. Von der tiefen Einsamkeit sprach es, und daß kein Baum in der Nähe sei, mit dessen Flüstern der Hirte schwatzen könne. O, wie schön war diese Einsamkeit, hieß es weiter, als die Pferde noch frei waren und keine andern Sättel zu fürchten hatten als die polnischen. Da jagten sie fröhlich an meiner Hütte vorüber und wieherten mir ihre Freude zu, daß sie täglich größer und stärker würden und bald einen polnischen Reiter tragen könnten.
Und jetzt kommt der Tatar
Mit dem dicken Schädel,
Wirft das stumpfe Auge,
Wirft die starke Schlinge
Auf das freie Tier,
Schlägt die plumpen Beine
Um den freien Leib,
Ach, du Meer von Polen,
Grüne Ukraine,
Du bist jetzt verlassen;
Einsam, einsam, einsam,
Seit der Tatar kommt –
Ach, ihr freien Pferde,
Und ihr freien Polen!
Ich hatte vorher nicht weinen können, obwohl ich mein Liebstes verloren hatte, jetzt rannten mir die Tränen stromweis über das Gesicht, ich wendete den Kopf meines Pferdes wieder herum nach Volhynien zu, von wo! ich gekommen war, um mein Mädchen zu suchen. Das Tier eilte rastlos nach der Heimat, und als beim Anbruch des Morgens eines jener[187] schlanken Steppenrosse wiehernd und wild an mir vorüberflog, da sah ich schon von weitem die ewigen hohen Wälder, in welchen meine Heimat liegt.
Dort zwischen den alten Bäumen, auf den feuchten, mit hohem Gras bewachsenen Wiesen war ich groß geworden, hatte den Wolf gejagt und das muntere Pferd getummelt. Mein Vater war ein reicher Gutsbesitzer, und ich war das einzige auf der Welt, an dem er noch Freude hatte, seit er Steuern zahlen mußte an den russischen Herrn. Er war immer ein alter strenger Mann, solange ich mich seiner erinnere, der die Freiheit noch gesehen hatte, und die Leute erzählten von ihm, daß er nicht mehr gelacht habe, seit der russische Statthalter in Zitomierz erschienen wäre. Seine Untertanen behandelte er hart, aber sie waren ihm damals zugetan, weil er für den bravsten Polen der Provinz galt. Mir ließ er aus der Schweiz einen Lehrer kommen, der mich in allem unterrichten mußte. ›Kasimir,‹ pflegte er zu sagen ›lerne fleißig, dein Vaterland wird kluge Leute brauchen, wenn es die Fesseln der Arglist abschütteln will.‹ Er selbst lehrte mich unsere vaterländische Geschichte, und wie Hamilkar seinen Sohn zog er mich auf in tödlichem Hasse gegen die Moskowiter.
Eines Tages hatte mich die Fährte des Wildes weiter als gewöhnlich in die Wälder gelockt, ich verirrte mich zwischen den Sümpfen des dunklen Buchenwaldes und entkam mit Mühe und Not auf eine Lichtung festen Bodens. Es war wohlgepflegtes Ackerland, und nach sorgfältigem Umherblicken entdeckte ich in der Dämmerung das Häuschen dessen, dem wahrscheinlich diese Besitzung gehören mußte.
Der Herr des Häuschens war nicht daheim, seine Tochter empfing mich, wies mich zurecht, und ich kam bei einbrechender Nacht, mit gesundem Leibe nach Hause. Aber schon den andern Tag verirrte ich mich wieder nach jener Gegend, Ludmilla hatte mir den Weg so vortrefflich gezeigt, daß ich[188] keinen andern mehr finden konnte, als den zu ihres Vaters Häuschen. Dieser Vater war ein sogenannter Slachtcziz, das heißt, er gehörte zu dem niedrigen, herabgekommenen Adel, der oft nichts weiter besitzt als ein Paar tüchtige Arme und ein Paar muskulöse Schenkel, um ein Pferd zu bändigen, das noch keinen Reiter getragen. Ludmillas Vater hatte noch ein Paar Stück Ackerland gerettet, die auf den offenen Plätzen des Forstes in der Nähe seines Häuschens lagen. Er sagte lange Zeit nichts zu meinen Besuchen, als er aber gewahrte, daß meine Neigung zu Ludmillen immer heftiger und leidenschaftlicher wurde, da trat er mir eines Tages in den Weg, als ich eben wieder auf seine Wohnung zuritt, und sprach: ›Du liebst mein Kind, du bist jung und reich, mein Mädchen sieht hier wenig solche Bursche, auch wenn ich sie einmal zur Kirche fahre, sie wird deiner Neigung schwerlich entgegen sein. Wenn du sie heiraten willst, so wird dir dein Vater die Türe weisen, willst du bloß deinen Scherz mit ihr treiben, so trifft dich am hellen Mittage die Kugel meiner Büchse – was willst du in meinem Hause?‹
Ich hatte Ludmillas Liebe gewonnen, unter der hohen, breitästigen Rüster neben ihrem Hause hatte ich sie zum ersten Male den Tag vor dieser Anrede geküßt, die Sonnenstrahlen waren durch die dunkeln Blätter geschlüpft bis auf unsere Häupter, und wir hatten uns im stillen Walde miteinander verlobt, ich liebte, daß mich das Herz schmerzte vor glücklicher Regung. Deshalb antwortete ich dem Vater, daß ich seine Tochter heiraten würde, mein Vater möge sagen, was er wolle.
Als wir zu seiner Wohnung kamen, stürzte uns Ludmilla entgegen, das schöne braune Haar flatterte aufgelöst um ihre Schultern, die roten Wangen waren bleich, die größte Bestürzung sprach aus allen Zügen und Bewegungen. Wir erfuhren, daß der russische Steuerbeamte aus Berdiczow dagewesen sei und sich aufs unanständigste und zudringlichste gegen sie betragen habe. In der nächsten Woche wolle er[189] wiederkommen, und wenn die rückständige Steuer nicht bezahlt würde, so könnt's was Neues geben.
Ich teilte dem Alten an Barschaft mit, was ich besaß, tröstete das Mädchen, das sich ängstlich an mich schmiegte, und ritt unter dem festen Vorsatz nach Hause, meinen Vater zu unterrichten und seine Einwilligung zu erbitten. Er war denselben Abend bei guter Laune, der Ungarwein schmeckte ihm, und er hörte mit unverhehltem Vergnügen meine Schilderung Ludmillens und ihrer Liebenswürdigkeit. ›Gib sie mir zum Weibe‹, sagte ich, ermutigt durch seine Heiterkeit, ›ich liebe sie über alles.‹
›Du bist nicht gescheit, Kasimir,‹ sagte er laut lachend, ›amüsier dich, soviel du willst, aber mit dem Heiraten bleib mir vom Leibe.‹
Meine Erwiderung ward durch einen ankommenden Boten unterbrochen, der uns die erste Nachricht von den Unruhen brachte, die in Warschau ausgebrochen waren. Ich mußte sogleich zu Pferde steigen und die Nachricht den nächsten Gutsbesitzern mitteilen, sie auffordern, alles bereit zu halten, wenn Volhynien vielleicht ebenfalls losbrechen könnte. Darüber vergingen zwei Tage, erst am dritten konnt' ich mein Mädchen wieder aufsuchen.
Es war gegen Abend, als ich in die Nähe ihres Häuschens kam, laut schallte meine Stimme wieder im winterlichen Forste, denn ich kündigte mich immer durch ein altes Liebeslied an, das sie vor allen gern hören mochte. Aber sie erschien nicht an der Tür, wie sie zu tun pflegte. Hastig und besorgt sprang ich vom Pferde und warf den Zaum über einen Pflock unweit der Haustür. Diese stand offen, die Tür des Zimmers ebenfalls, alles war leer, die ärmlichen Hausgeräte lagen zerbrochen durcheinander, mir ahnte das Entsetzliche. In Todesangst rief ich, durchsuchte ich alle Winkel, nirgends eine Antwort, nirgends ein Lebenszeichen. Auch der kleine Pferdestall war leer, trostlos stand ich vor[190] dem Hause, und obwohl ich alle Hoffnung aufgegeben hatte, schrie ich Ludmillens Namen voll Verzweiflung in den Wald hinein. Schauerlich klang er von den Bäumen nach allen Seiten wieder, der Abend war hereingebrochen, ich bemerkte, daß sich mein Pferd losgerissen hatte, aber ich weiß heut noch nicht, wie diese Bemerkung nur in mir entstehen konnte, denn meine Augen und meine Seele waren nur von der Leere erfüllt, von der trostlosen Öde, die mich umgab.
Ein Geräusch weckte mich, es war ein junger, etwas blödsinniger Bauer aus dem nächsten Dorfe, der eine große Zuneigung für Ludmillen hatte und in jeder Woche einige Male abends nach beendigtem Tagewerke herüberkam, um irgend eine Botschaft für das Mädchen zu übernehmen, oder die gröbsten Wirtschaftsarbeiten für sie zu verrichten. Er gab mir Auskunft.
›Ich hab' auf dich gewartet, Herr‹, sagte er, als ich ihn stürmisch um Nachrichten anging, ›gestern schon und heute wieder – du kannst vielleicht Ludmillen helfen, wenn's auch mir nichts hilft – vorgestern kam der Russe wieder, der neulich hier war und das Mädchen angefaßt hatte. Er hatte diesmal einen Wagen mit und mehrere Soldaten. Drin im Hause machte er einen großen Spektakel; am Ende schleppten sie Ludmillen heraus auf den Wagen und den Alten auch. Dem Alten waren aber Hände und Füße mit Stricken festgebunden, und der Russe hatte des Alten Büchse in der Hand – es waren fünf Männer, Herr, mit Waffen, ich konnt' nichts tun, als die Zähne zusammenbeißen und mich hinter die Sträucher verstecken. Sie waren noch nicht lange fort, da hörte ich einen Schuß – ich dachte: Der ist dem Alten in die Brust gefahren, nahm den Stein, der immer dort neben dem Pferdestalle lag, und lief schnell auf dem Fußsteige über den Sumpf – du weißt, Herr, der Fußweg ist noch einmal so kurz als der andere, und so kam ich dem Wagen zuvor und wartete hinter einem Erlenbusche.[191] Der Wagen kam, aber der Alte fehlte, ich griff fest in meinen Stein, der Russe wollte das Mädchen um den Hals nehmen, aber sie schlug ihn ins Gesicht, und da warf ich meinen Stein, aber ich hab' den Rechten nicht getroffen, Herr, bloß den Kutscher. Er fiel 'runter, und ein anderer nahm den Lenkstrick und sie fuhren weiter, daß die Achsen krachten, immer auf die Stadt zu. Herr, reite nach der Stadt, du bist reich, hilf der Ludmilla von den schwarzen Kerlen.‹
Mit der höchsten Ungeduld hatte ich diese Erzählung angehört, jetzt rannt' ich nach meinem Pferde. Auf mein Pfeifen kam es herbei, aber um meine Ungeduld noch mehr zu foltern, sprang es scheu umher und wollte sich nicht fangen lassen. Die kleinen Hindernisse vollenden, was oft das größte Unglück nicht vermag, sie bringen die Verzweiflung zum Ausbruch. Ich schrie, weinte, tobte, bis ich den Zügel des Pferdes in Händen hatte. Dann ward ich still, als ob das Tier mir alles Verlorne wiederbringen könnte. Durch die Nacht hin jagte ich nach der Stadt. Jeder Pole ist gegen den fremden Herrn verschworen, er beachtet die kleinste Bewegung gegen den Verhaßten. Überall erhielt ich Nachricht, wohin das schöne polnische Mädchen geschleppt worden sei. Aber der Vorsprung des Entführers war zu groß, ich holte ihn nicht ein, und am Ende unserer Wälder verlor ich auch seine Spur. So ritt ich aufs unsichere in die Steppe der Ukraine hinein; bis dahin hatte ich alle die kriegerischen Anstalten meiner Landsleute, die ich überall angetroffen hatte, unbeachtet gelassen, das Mädchen beschäftigte meine ganze Seele. Jetzt hörte ich in stiller Mondnacht den Pferdehirten mit seiner einsamen, patriotischen Klage, er preist seine öde Verlassenheit, wenn die Steppe, wenn die Pferde dem Vaterlande angehören. Ich schämte mich tief, alles Unglück meines Landes trat vor meine Seele, unaufhaltsam ritt ich nach der Heimat, und wo mein Pferd vorüberflog, da rief ich den Polen zu, sie sollten sich bereithalten.[192]
Es war ein finsterer Abend, als ich zu Hause ankam und in den Hof hinein ritt. Aus dem Zimmer meines Vaters schallte bacchantischer Lärm, mein Pferd stand plötzlich still, es wurde am Zügel gehalten. Zu gutem Glück war es mein Reitknecht, der mit Lebensgefahr Tag um Tag auf meine Rückkehr gelauert hatte. ›Fort, Herr!‹ rief er ›fort, um aller Heiligen willen! Das sind die Russen, die da oben saufen und singen, das ganze Schloß liegt voll.‹
Er hatte sich ein gesattelt Pferd beiseit gebracht, und wie ein Dieb floh ich von meiner Väter Hause. Von heißem Haß getrieben hatte mein Vater voreilig seine Leute und die Umgegend bewaffnet, war überfallen, überwältigt und – erschlagen worden. Im Augenblicke war nichts zu tun; unter mannigfachen Fährlichkeiten kam ich bis Warschau.«
»Aber warum,« sprach Stanislaus, »haben Sie sich nicht der Expedition Chrzanowskis angeschlossen, die in diesen Tagen südlich hinauf nach Zamosc zu abgegangen ist, vielleicht eine Verbindung mit Dwernicki bewerkstelligt und sicherlich eher als jedes andere Korps bis in Ihre Heimat dringt? Sie können dort am meisten wirken durch Ihre Bekanntschaft und zuerst Nachricht von Ihrer Ludmilla erhalten.«
Die beiden übrigen Zuhörer vereinigten sich zu dieser natürlichen Frage.
Kasimir entgegnete, daß er diese schwachen Expeditionen für äußerst nachteilig hielte. »Entweder«, sagte er, »sie erreichen unsere Provinzen gar nicht, oder sie bringen ihnen, wenn sie bis hin gelangen, nur Verderben, beschleunigen den Aufstand, können ihn nicht genügend unterstützen und vernichten so alle Aussicht auf ein Gelingen im ganzen und großen. Ich mag zu diesem heillosen Verfahren meine Hand nicht bieten. – Ludmilla? – ach, geben Sie mir doch noch einmal die Flasche her, der Wind kommt kalt von der Seite – sie hat mir lange das Herz schwer gemacht; der Vorfall ist in der ganzen Provinz bekannt: ist sie noch in Wolhynien,[193] so retten sie meine Landsleute mit eben dem Eifer, womit ich's täte, wäre ich da – 's war ein schönes, süßes Mädchen – was hilft's – ich höre auch, daß ein Unternehmen der ganzen Armee nach den östlichen Provinzen im Werke ist–«
»Das gebe Gott!« schaltete der Litauer ein. »Und auf dieses«, fuhr Kasimir fort, »warte ich. Das entscheidet den Krieg; Litauen, Podolien, Wolhynien, die Ukraine, dieses Altpolen ist wichtiger als alles.«
Stanislaus konnte sich eines leichten Spottes über diesen Provinzialstolz nicht enthalten, aber Kasimir nahm ihn gutmütig auf, und die schwermütige Darstellung, welche der Litauer von dem Insurgentenkampfe in seiner Heimat entwarf, nahm alle Teilnahme und Aufmerksamkeit in Anspruch.
Er wurde aber in der Schilderung seiner blonden, blauäugigen Landsleute stürmisch unterbrochen, die Wachtposten riefen an, man hörte einen Trupp Reiter heransprengen, die Spieler fuhren auseinander – es ward nach dem General Uminski gefragt; über die eingefallene Mauer der Hütte traten in weiten Reitmänteln die hohen Gestalten Skrzyneckis und Prondzinskis ein. Zwei Adjutanten folgten ihnen und ersuchten alle in der Hütte Anwesenden, General Uminski ausgenommen, den Ort zu verlassen.
Es geschah sogleich, die Adjutanten zogen sich ebenfalls zurück, und die drei berühmten Offiziere blieben allein. Prondzinski wandte sich sogleich mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit an Uminski und setzte ihm den neuen Feldzugsplan auseinander, der entworfen wäre und für dessen Gelingen man seine eifrigste Tätigkeit in Anspruch nehme. Es handelte sich nämlich darum, mit der Hauptarmee schleunigst eine große Diversion nach Nordost hinab bis nach Litauen hinein vorzunehmen, auf diesem Wege die bereits heranziehenden Garden aufzuheben und der litauischen Insurrektion[194] Hilfe zu bringen. Die schwierigste Aufgabe war es nun, Diebitsch mit der russischen Hauptarmee, die ihnen jetzt gegenüberstand, zu täuschen und in dem Wahne zu erhalten, er habe noch immer das polnische Hauptheer vor sich. Zu diesem letzten Unternehmen sei er, nämlich General Uminski, bestimmt.
Während dieser Auseinandersetzung stand Skrzynecki unbeweglich am Feuer und sah nachdenklich in die Flamme hinein. Als indessen Prondzinski eine augenblickliche Pause machte, wendete sich jener rasch zu den Sprechenden, bestätigte mit wenig Worten das Gesagte und fügte hinzu, General Uminski solle sogleich einen Angriff auf die nächsten feindlichen Posten machen, damit der Abzug der Hauptarmee verdeckt würde. »Halten Sie Diebitsch fortwährend in Atem; wird er die Täuschung zu früh gewahr, so steht alles auf dem Spiele, drängt er nach Warschau hin, so weichen Sie nur Schritt für Schritt.«
»Nimmermehr ist er so töricht,« fiel Prondzinski ein, »seine Kommunikationslinie aufzugeben, er geht rückwärts über den Bug.«
»Nun, wie Gott will. General Uminski, ich mache Sie auf die größte Wichtigkeit Ihres Postens aufmerksam, möge der Himmel Sie beschützen – jetzt zu Pferde, meine Herren.«
Sie verließen die Hütte, die Hufschläge der Rosse verloren sich nach allen Seiten, es ward einen Augenblick still, das Feuer des kleinen Raumes fiel in Kohlen zusammen, ein leichter Wind flog über die eingeschlossene Fläche und jagte noch ein paar kleine Flämmchen auf. Ein ununterrichteter Zuschauer hätte nicht geahnt, daß eben ein so wichtiger Moment in dem Befreiungskriege der Nation eingetreten sei, ein Moment, dessen Folgen sich jahrelang über Europa verbreiten sollten.
Von allen Seiten wurde bald darauf die Stille durch[195] Flintenschüsse, den Lärm der Trommeln, das Schmettern der Trompeten unterbrochen. Uminski griff die Russen an.
Ausgewählte Ausgaben von
Das junge Europa
|
Buchempfehlung
Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro