92. Eine Probe / wer unter drey Brüdern des Vatters eheliches Kind.

[864] Man lieset in Theat. Vitæ Human. lib. 4 tom. 2. eine Historie oder Geschicht / die sich in Scythia soll zugetragen haben. Es war ein Vatter / der hatte drey Söhne / unter welchen zween unehliche / der dritte aber ehelich gebohren war: Aber diß war niemand /auch den Söhnen selbst nicht bewust. Der Vatter stirbet / er macht sein Testament / und setzet den einen zum Erben ein; Aber die beyde Unehliche schliesset er aus / doch machte er keinen nahmhafftig / welchen unehlich / und welcher ehelich gezeuget wäre. Nach des Vatters tödtlichen Hintritt wird das Testament eröffnet / und erfahren die Söhne aus den beyliegenden Schrifften / wie die Sache mit ihnen beschaffen sey. Sie erstarren darüber / sehen einander an / verwundern sich / und konte kein Richter sie in dieser Streit-Sache entscheiden. Die Unehlichen sagten / sie wären eheliche und rechtmäßige Kinder: Der rechte und Eheliche wolte beweisen / daß er / und kein ander / der rechte und echte sey. Wie sie sich über diesen Streit nicht vergleichen können / lassen sie endlich die Sache an den König und das Gericht gelangen / welche / nachdem sie die Sache eingenommen / die drey Söhne lassen zu sich fordern. Sie werden ernstlich vermahnet nach Warheit auszusagen / wer unter ihnen der ehelich-Gebohrne sey. Wie aber diese Streitigkeit zu keinem Ausschlag kan gebracht werden / da lasset der König des Vattern todten Leichnam herbringen /denselbigen an einen Baum binden. Darauf wird einem jeden Bogen und Pfeil gegeben / und ihnen[865] befohlen zu schiessen / welcher des Vatters Hertztreffen würde / der solte der rechte und nechste Erbe seyn. Der gantze Königliche Hof kommet zusammen / diesem Werck beyzuwohnen / und sammlet sich von allen Orten ein grosses Volck bey einander: Der erste nimmt seinen Bogen / legt den Pfeil darauf / schiesset und trifft nahe bey dem Hertzen / das thut auch der ander / und fehlt auch des Hertzens nicht weit. Es war nunmehr an dem dritten / welcher / wie er seinen Bogen gespannet / die Pfeile darauf geleget / erinnert er sich der vielen Wolthaten / die ihm vom Vatter erwiesen / hebet an bitterlich zu weinen / legt den Bogen nieder und saget: Ey / das sey ferne von mir /daß ich um des liederlichen Geldes willen solte meine Hände verunreinigen an meines Vatters Blut. Er ist mein Vatter / ich sein Sohn. Der König mache und setze zum Erben / welchen er will. Ich will lieber den Pfeil mir selbst in meinen Leib schiessen / als daß ich solte nach meinem Vatter zielen. Wie dieses der König gesehen / und seine Erklärung angehöret / hat er denselbigen / als rechten Erben erkläret / die andern beyden aber hat er ausgeschlossen.


Besser ist ein Ding verschweigen / als Dinge schreiben / daraus nur Uneinigkeit entspringet. Uber zeitliches Gut werden offt die besten Freunde uneins. Ja um Geldes willen tragen Kinder keine Scheu / ihre leibliche. Eltern zu schimpffen und zu verunglimpffen. Was aber fromme Kinder seyn / die leiden lieber Schaden / als daß sie sich an den Ihrigen solten vergreiffen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 864-866.
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