Vierter Auftritt

[1584] Blanka. Cäcilia.


CÄCILIA. Du hier, Blanka!

BLANKA. Laß mich, laß mich! bist du gekommen, mir meinen[1584] Schmerz zu rauben. – Wahrhaftig nicht – Wahrhaftig nicht. Er ist itzt mein Liebstes, itzt hat er keinen Nebenbuhler mehr.

CÄCILIA. Ich bin nicht gekommen, dich zu trösten; – ich bin kein Bote des Himmels.

BLANKA. Seine Mörderin! Seine Mörderin!


Sieht den Leichnam tiefsinnig an.


CÄCILIA. Ich bitte dich, Blanka, bedenke, was Verzweiflung ist, komm mit mir – laß deinen Schmerz Schmerz bleiben, auch ich, ich kann den Anblick des Leichnams nicht aushalten.

BLANKA die immer den Leichnam starr ansieht, mit ruhiger Stimme. O daß der Mensch so über die Erde hingeht, ohn eine Spur hinter sich zu lassen, wie das Lächeln über das Gesicht, oder der Gesang des Vogels durch den Wald!

CÄCILIA. Armes, unglückliches Geschöpf! –

BLANKA. Siehe, da liegt er im Schöße der Erde – Sonne und Mond halten über ihn den ewigen Zirkeltanz, öffnen und schließen das fruchtbare Jahr; und er weiß es nicht, das Herz, das mich liebte, wird Staub, zu nichts mehr fähig, als vom Regen durchnässet und von der Sonne getrocknet zu werden –

CÄCILIA. Der ganze Julius ist nicht tot.

BLANKA. Kennst du die Haarlocke?

CÄCILIA. Es scheint Julius' Locke zu sein – aber ich bitte dich, warum rollst du die Augen so wild?

BLANKA in einem muntern Tone. Wer du auch seist, liebes Mädchen, freue dich mit mir. Heut, heut ist endlich der Tag meiner Verbindung! – o was sind mir meine vorige Qualen so lieb!

CÄCILIA. Hilf gütiger Himmel! sie hat den Verstand verloren.

BLANKA. Aber siehe, es ist schon Mitternacht, alles wartet, und Julius kommt nicht! – Ich bitte dich, warum werden die Hochzeitsgäste so blaß? Siehe, das Schrecken sträubt mir das Haar empor, daß mir seine Spitzen den Brautkranz herabstoßen – Ich unglückliche Braut, da bringen sie Julius' Leichnam!


Zeigt auf den Leichnam.


CÄCILIA ängstlich. Kennst du mich nicht Blanka? – Wenn sie der Alte hier fände! komm mit mir Blanka!

BLANKA. Merk auf meine Worte, Mädchen, denn ich rede Wahrheit; das Menschengeschlecht wird nimmermehr aussterben, aber unter Tausenden kennt kaum einer die Liebe.

CÄCILIA. O ich dacht es, daß ihre Ruhe betröge. Liebe? –

BLANKA. Hilfe, Hilfe! – das Ungeheuer, das alle Augenblicke[1585] seine Gestalten verwandelt, verschlingt mich! In was für schreckliche Formen es seine Muskeln wirbelt – ein Leopard – Tiger – Bär! Schreiend. Guido!

CÄCILIA. Ich bitte dich, Kind, geh mit mir!

BLANKA die in Cäciliens Arme sinkt. Liebe Cäcilia, es ist ein großes Unglück, seinen Verstand zu verlieren.

CÄCILIA. Gott sei Dank – ich hoffe der Zufall soll bloß die Wirkung des ersten Schrecken ohne folgende sein. Aber, ich bitte dich, komm mit mir.

BLANKA. Ach ich habe mein Gelübde des ewigen Leidens gebrochen! da erscheint mir Julius der Engel, mit der Schale des Zorns, deren Dunst schon Tod ist – ach ich habe mein Gelübde des ewigen Leidens gebrochen! – geuß deine Schale aus! Julius, es ist eins, Vernichtung oder ewige Qual; und laß keine deiner lindernden Tränen hineinfallen, um sie zu mildern.


Eine Nonne tritt auf und geht auf Blanka zu.


NONNE. Bist du hier Blanka? wir haben dich alle gesucht.

CÄCILIA. Ach die Unglückliche ist verrückt – aber warum ließt ihr sie aus dem Kloster?

NONNE. Verrückt! – Verrückt? –

CÄCILIA zornig. Aber warum ließt ihr sie auch aus dem Kloster?

NONNE. Wahrhaftig wir sind unschuldig – sie erfuhr es gleich, und wollte zu ihm, wir hielten sie ab, und da hat sie einige Stunden in wütendem Schmerz zugebracht – Gott, ich möchte das nicht noch einmal sehn! – auf einmal ward sie außerordentlich ruhig, wir brachten sie in ihre Zelle; und so ist sie uns entsprungen.

BLANKA. Julius, diese Erschütterungen sind unnatürlich. Ich seh es, ich seh es, das Ende der Tage ist gekommen, die Schöpfung seufzet den lebendigen Odem wieder aus, und alles, was da ist, gerinnet wieder zu Elementen. Siehe, der Himmel rollet sich angstvoll, wie ein Buch, zusammen, und sein schüchternes Heer entflieht! – Im Mittelpunkt der ausgebrannten Sonne steckt die Nacht die schwarze Fahne auf – Julius, Julius, umarme mich, daß wir miteinander vergehen.

CÄCILIA. O Gott – beste, beste Blanka, laß uns gehn.

BLANKA indem sie näher an den Leichnam tritt. Ha, wie ruhig er schläft, der schöne Schäfer! Laß uns einen Kranz winden, und ihn dem Schlafenden aufs Haupt setzen, daß er, wenn er erwacht, unter den Schäferinnen eine suche, die vor ihm erröte![1586] Leise. aber ich werde zu laut! Pst! Pst! daß der schöne Schäfer nicht erwache! Geht schleichend mit Cäcilia und der Nonne ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1584-1587.
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