A.

[149] Ein schlechtgenährter Kandidat

Der oftmals einen Fehltritt that

Und den verbotnen Liebestrieb

In lauter Predigten verschrieb,

Kehrte einst bey einem Pfarrer ein

Den Sonntag sein Gehülf zu seyn.


Der hat ein Kind, zwar still und bleich,

Von Kummer krank, doch Engeln gleich. –

Sie hielt im halberloschnen Blick

Noch Flamen ohne Maaß zurück;

All itzt in Andacht eingehüllt.

Schön wie ein marmorn Heil'genbild. –

War nicht umsonst so still und schwach,

Verlaßne Liebe trug sie nach,

In ihrer kleinen Kammer hoch

Sie stets an der Erinnerung sog;

An ihrem Brodschrank an der Wand

Er immer immer vor ihr stand,

Und wenn ein Schlaf sie übernam,

Im Traum er immer wieder kam.


Für ihn sie noch das Härlein stutzt,

Sich wenn sie ganz allein ist putzt,

All ihre Schürzen anprobirt

Und ihre schönen Lätzchen schnürt,[149]

Und vor dem Spiegel nur allein

Verlangt, er soll ihr Schmeichler seyn.

Kam aber etwas fremds in's Haus,

That sie sich schlecht und häuslich aus.


Denn immer immer immer doch

Schwebt ihr das Bild an Wänden noch

Von einem Menschen, welcher kam

Und ihr als Kind das Herze nam.

Fast ausgelöscht ist sein Gesicht,

Doch seiner Worte Kraft noch nicht

Und jener Stunden Seligkeit

Und jener Träume Wirklichkeit

Die angeboren jedermann

Kein Mensch sich wirklich machen kann.


Ach Männer Männer seyd nicht stolz

Als wärt nur ihr das grüne Holz.

Der Weiber Güt' und Duldsamkeit

Ist grenzenlos wie Ewigkeit.

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 149-150.
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