Erste Szene


[334] Der Prinzessin Palast.

Major Borgia. Prinzessin von Carignan.


MAJOR. Eure Hoheit verzeihen, daß ich mich untertänigst beurlaube. Es wird Kriegsrat über einen Deserteur gehalten, bei dem ich unumgänglich gegenwärtig sein muß.

ARMIDA. Eben deswegen, Herr Major, habe ich Sie rufen lassen. Er ist unter meinem Fenster in Verhaft genommen worden, ich war wach, als der Schuß geschah. Der Mensch muß eine verborgene Melancholei haben, die ihn zu dergleichen gewaltsamen Entschließungen bringt.

MAJOR. Man will sagen, daß er nicht von geringem Herkommen sein soll. Einige haben mir sogar behaupten wollen, er sei ein Lord und von einem der ersten Häuser in England.

PRINZESSIN. Desto behutsamer müssen Sie gehen. Erkundigen Sie sich sorgfältig nach seiner Familie bei ihm.

MAJOR. Es ist schon geschehen. Er will aber nichts sagen, und die Strenge der königlichen Verordnungen –

PRINZESSIN. Ich gelte auch etwas bei dem König und mein Bruder; und ich will, daß Sie ihm das Leben nicht absprechen, Herr Major, wenn Ihnen Ihr zeitlich Glück lieb ist.

MAJOR. Nach dem Kriegsreglement hat er das Leben verwirkt –[334]

PRINZESSIN. Ich gehe, mich dem Könige deswegen zu Füßen zu werfen, unterdessen erkundigen Sie sich aufs sorgfältigste nach seinen Eltern und sehen Sie, daß Sie ihnen, so geschwind es sein kann, Nachricht von diesem Vorfall geben. Ich bitte mir's von Ihnen zu Gnaden aus, Herr Major!

MAJOR. Eurer Hoheit Befehle sind mir in allen andern Stücken heilig –


Sie gibt ihm noch einen Blick und geht ab. Der Major gleichfalls von der andern Seite.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 334-335.
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