Siebentes Kapitel

[205] Was für eine Frau die Marquise von Chaves war, und was für Leute meist bei ihr verkehrten


Die Marquise von Chaves war eine Witwe von fünfunddreißig Jahren, schön, groß und wohlgebaut. Sie hatte ein Einkommen von zehntausend Dukaten und war kinderlos. Nie habe ich eine ernstere und wortkargere Frau gesehen, und doch galt sie als die geistreichste Dame von Madrid. Vielleicht war dieser Ruf nur die Folge des großen Andrangs von vornehmen Leuten und von Gelehrten, den man täglich in ihrem Hause beobachten konnte. Es steht aber fest, daß ihr Name den Gedanken an überlegenes Genie eingab, und daß man ihr Haus in der Stadt das Bureau der geistreichen Werke nannte.

Wirklich las man dort täglich bald dramatische Gedichte,[205] bald andre Poesieen vor. Aber man las fast nur ernste Werke; alles Komische verachtete man. Man sah bei ihr die beste Komödie, den scharfsinnigsten und heitersten Roman als ein schwaches Erzeugnis an, das kein Lob verdiente; während das geringste ernste Werk, eine Ode, eine Ekloge, ein Sonett, als das größte Werk des Menschengeistes galt. Oft geschah es, daß das Publikum das Urteil des Bureaus nicht bestätigte, und bisweilen pfiff es sogar unhöflicherweise die Stücke aus, denen man dort großen Beifall gezollt hatte.

Ich war Saalmeister in diesem Hause, das heißt, mein Amt bestand darin, daß ich in den Räumen meiner Herrin alles für den Empfang der Gäste zu rüsten, den Herren Stühle, den Damen Polster zurechtzurücken hatte; nachher stand ich an der Tür, um die Eintreffenden zu melden und einzulassen. Am ersten Tage skizzierte mir der Oberpage jeden, dem ich die Tür aufhielt. Dieser Hofmeister hieß Andreo Molina. Er war von Natur kühl und ein Spötter, und es fehlte ihm nicht an Geist. Zunächst stellte sich ein Bischof ein. Ich meldete ihn, und als er ins Zimmer getreten war, sagte der Hofmeister: Dieser Prälat ist ein schnurriger Kauz. Er hat einigen Einfluß bei Hofe; aber er möchte gern glauben machen, er habe großen Einfluß. Jedermann bietet er seine Dienste an, aber er dient niemandem. Eines Tages trifft er beim König einen Kavalier, der ihn grüßt; er hält ihn an, überschüttet ihn mit Höflichkeiten, drückt ihm die Hand und sagt: Ich bin Euer Gnaden ergebenster Diener. Stellt mich, ich bitte Euch, auf die Probe; ich könnte nicht zufrieden sterben, wenn ich nicht eine Gelegenheit fände, Euch zu verpflichten. Der Kavalier dankt ihm voller Erkenntlichkeit; und als sie auseinander gehn, sagt der Prälat zu einem seiner Kirchendiener, der ihm folgt: Ich glaube, ich kenne diesen Menschen; mir ist dunkel, als hätte ich ihn irgendwo gesehn.

Einen Augenblick nach dem Bischof erschien der Sohn eines Granden, und als ich ihn eingeführt hatte, sagte Molina:[206] Dieser Edelmann ist wieder ein Original. Stellt Euch vor, daß er oft ein Haus betritt, um über eine wichtige Angelegenheit zu unterhandeln, und daß er wieder geht, ohne zu wissen, worüber er reden wollte. Aber, fuhr der Hofmeister fort, als er zwei Damen kommen sah: dort sehe ich Doña Angela de Pegnafiel und Doña Margarita de Montalvan. Diese beiden Damen sind sich sehr unähnlich. Doña Margarita spielt sich auf die Philosophie hinaus; sie bietet den größten Gelehrten aus Salamanca die Stirn, und nie werden ihre Schlüsse vor deren Gründen weichen. Doña Angela spielt dagegen nie die Gelehrte, obgleich sie kultivierten Geistes ist. Ihre Reden sind treffend, ihre Gedanken fein, ihre Ausdrucksweise zart, vornehm und natürlich. Diese Art, sagte ich zu Molina, ist liebenswert; aber die andre, scheint mir, paßt nicht recht für das schöne Geschlecht. Nicht sehr, erwiderte er lächelnd; sie macht sogar viele Männer lächerlich. Die Frau Marquise, unsere Herrin, ist auch ein wenig auf die Philosophie erpicht. Wie wird man heute hier disputieren! Gebe Gott, daß die Religion nicht in den Disput gezogen wird!

In diesem Augenblick sahen wir einen dürren Mann eintreten, der ernst und verdrießlich dreinsah. Mein Hofmeister verschonte ihn nicht. Der da, sagte er, gehört zu jenen ernsten Geistern, die als große Genies gelten wollen, weil sie viel schweigen oder bisweilen einen Ausspruch tun, den sie von Seneca haben; aber wenn man sie ernsthaft prüft, so sind sie nur dumm. Es folgte ein Kavalier von recht schöner Gestalt, der sehr selbstgefällig auftrat. Ich fragte, wer er sei. Ein dramatischer Dichter, sagte Molina. Er hat in seinem Leben hunderttausend Verse gemacht, die ihm keine vier Groschen eingetragen haben; dafür hat er sich freilich mit sechs Prosazeilen ein beträchtliches Einkommen errungen.

Ich wollte mich gerade nach der Art eines so leicht erworbenen Vermögens erkundigen, als ich auf der Treppe lauten[207] Lärm vernahm. Vortrefflich, rief der Hofmeister, da kommt der Lizentiat Campanario. Er meldet sich schon, ehe er noch da ist. Er beginnt schon an der Gartentür zu reden und hört nicht eher auf, als bis er wieder zum Hause hinaus ist. Wirklich hallte das ganze Haus von der dröhnenden Stimme des Lizentiaten wider, der schließlich mit einem befreundeten Bakkalaureus im Vorzimmer erschien und während des ganzen Besuchs weitersprach. Der Herr Campanario, sagte ich zu Molina, ist offenbar ein geistvoller Mann. Ja, erwiderte mein Hofmeister, er hat glänzende Einfälle, und seine Ausdrucksweise ist sehr verblümt. Er ist spaßig. Aber abgesehn davon, daß er ein unerbittlicher Schwätzer ist, wiederholt er sich unaufhörlich; und um die Dinge nach ihrem Wert zu schätzen, so glaube ich, die Liebenswürdigkeit und Komik, mit der er würzt, was er sagt, machen sein größtes Verdienst aus. Der größte Teil seiner Witze würde einer Sammlung von Bonmots keine besondere Ehre machen.

Es kamen noch andere Leute, von denen Molina mir lustige Bilder entwarf; er vergaß auch nicht, mir die Marquise zu schildern, und sein Bild war nach meinem Geschmack. Unsre Herrin, sagte er, ist trotz ihrer Philosophie ein ziemlich schlichter Mensch. Man kommt leicht mit ihr aus und hat in ihrem Dienst wenig Grillen zu ertragen. Sie ist eine der vernünftigsten Frauen von Stande, die ich kenne; sie hat nicht einmal eine Leidenschaft. Sie findet am Spiel sowenig Gefallen wie an der Galanterie, und sie liebt nur die Konversation. Ihr Leben wäre für die meisten Damen recht langweilig. Durch dieses Lob nahm der Hofmeister mich für meine Herrin ein. Aber schon nach ein paar Tagen konnte ich mich des Argwohns nicht mehr erwehren, daß sie keine so große Feindin der Liebe sei, und ich will erzählen, worauf sich dieser Argwohn gründete.

Eines Morgens stellte sich, als sie bei der Toilette war, ein kleiner Mensch von etwa vierzig Jahren bei mir ein; er war[208] von unangenehmem Äußern, schmutziger noch als der Dichter Pedro de Moya und obendrein sehr bucklig. Er sagte mir, er wolle die Frau Marquise sprechen. Ich fragte ihn, in welcher Angelegenheit. In eigner, gab er hochmütig zur Antwort. Sagt ihr, ich sei der Kavalier, über den sie gestern mit Doña Anna de Velasco gesprochen habe. Ich führte ihn in die Gemächer meiner Herrin und meldete ihn. Die Marquise ließ einen Ausruf vernehmen und sagte in übermäßiger Freude, er könne eintreten. Sie begnügte sich nicht damit, ihn freundlich zu empfangen, sie schickte alle ihre Frauen aus dem Zimmer. So blieb der kleine Bucklige, glücklicher als je ein Ehrenmann, mit ihr allein. Die Zofen und ich, wir lachten ein wenig über dies schöne Tête-à-tête, das fast eine Stunde dauerte; dann verabschiedete meine Herrin den Buckligen unter Höflichkeiten, die verrieten, wie zufrieden sie mit ihm war.

Sie hatte an seiner Unterhaltung so großen Gefallen gefunden, daß sie mir abends unter vier Augen sagte: Gil Blas, wenn der kleine Bucklige wiederkommt, so laßt ihn so heimlich wie möglich ein. Dieser Befehl, das will ich gestehen, erregte seltsamen Verdacht in mir; als jedoch der kleine Mensch wiederkam, es war am nächsten Morgen, führte ich ihn, entsprechend dem Befehl meiner Herrin, auf einer verborgenen Treppe in das Zimmer der gnädigen Frau. Ich tat das gehorsam noch zwei- oder dreimal, und ich schloß daraus, daß die Marquise sonderbare Neigungen hatte oder daß der Bucklige die Rolle eines Kupplers spielte.

Meiner Treu, sagte ich, in diesem Glauben befangen, wenn meine Herrin einen Ehrenmann liebt, so verzeihe ich ihr; aber wenn sie in diesen Affen vernarrt ist, so kann ich solche Geschmacksverirrung, offen gestanden, nicht entschuldigen. Wie falsch ich meine Herrin beurteilte! Der kleine Bucklige beschäftigte sich mit der Magie; und da man der Marquise sein Wissen gerühmt hatte und sie gern auf die Kunststücke eines Scharlatans einging, so hatte sie heimliche Unterredungen[209] mit ihm. Er zeigte im Glase Erscheinungen, sagte mit dem drehenden Siebe wahr und offenbarte für Geld alle Geheimnisse der Kabbala; oder besser, er war ein Schelm, der auf Kosten leichtgläubiger Menschen lebte; und man sagte, er erhöbe Tribut von mehreren Frauen von Stande.

Quelle:
Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. Wiesbaden 1957, S. 205-210.
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