VII

[171] Kaum hatte Katerina Lwowna die Kerze ausgeblasen und sich auf dem weichen Pfühle ausgestreckt, als sie auch sofort einschlief. Nach den ausgelassenen Spielen dieser Nacht schläft sie so fest, daß auch Arme und Beine wie erstarrt sind; und sie hört durch den Schlaf, wie die Türe aufgeht und der gestrige Kater als ein schweres Knäuel aufs Bett springt.

»Was ist das für eine Plage mit diesem Kater?« fragt sich die todmüde Katerina Lwowna. »Ich habe ja die Türe mit eigenen Händen zugesperrt und auch das Fenster geschlossen, und er ist schon wieder da. Gleich werde ich ihn hinauswerfen!« Katerina Lwowna wollte schon aufstehen, aber die schlafenden Arme und Beine gehorchten ihr nicht. Der Kater stieg aber auf ihrem Körper umher und schnurrte so seltsam, wie wenn er Menschenworte spräche. Katerina Lwowna überlief es kalt.

»Morgen muß ich ganz bestimmt Weihwasser mit ins Bett nehmen«, sagt sie sich, »anders kann ich diesen seltsamen Kater gar nicht los werden!«

Der Kater aber schnurrt ihr dicht vor dem Ohre und spricht: »Bin ich denn ein Kater? Du urteilst nicht klug, Katerina Lwowna, wenn du mich für einen Kater hältst. Ich bin ja der ehrengeachtete Kaufmann Boris Timofejitsch. Ich sehe jetzt blos darum so schlecht aus, weil mir nach[171] dem Imbiß, den mir meine liebe Schwiegertochter vorgesetzt hat, alle Gedärme gesprungen sind. Darum erscheine ich auch denen, die von der Sache wenig verstehen, als ein Kater. Wie geht es dir nun jetzt, Katerina Lwowna? Wie beobachtest du Gottes Gebot? Ich bin vom Friedhofe hergekommen, um zu sehen, wie du mit Ssergej Philippowitsch das Bett deines Mannes wärmst. Schnurr – Murr, ich sehe ja nichts. Fürchte mich nicht: nach deinem Imbiß sind mir, wie du siehst, auch die Augen ausgelaufen. Schau mir doch in die Augen, meine Liebe, fürchte dich nicht!«

Katerina Lwowna sah hin und schrie vor Entsetzen auf. Zwischen ihr und Ssergej liegt wieder der Kater. Er hat den Kopf des Boris Timofejitsch in der gleichen Größe, wie ihn der Verstorbene bei Lebzeiten gehabt hat, und statt der Augen Feuerkreise, die sich nach verschiedenen Richtungen drehen.

Ssergej erwachte, beruhigte Katerina Lwowna und schlief wieder ein. Sie konnte aber nicht mehr einschlafen, und das war gut.

Sie liegt mit offenen Augen da, und plötzlich kommt es ihr vor, als ob jemand über das Tor in den Hof gestiegen wäre. Sie hört, wie die Hunde aufspringen, sich aber gleich wieder beruhigen, wie wenn sie jemand streichelte. Es vergeht eine Minute, und sie hört, wie der Riegel unten zurückgeschoben wird und wie die Haustür aufgeht. »Entweder kommt mir das alles nur so vor, oder mein Sinowij Borissowitsch ist eben zurückgekehrt und hat die Türe mit seinem Schlüssel aufgemacht«, dachte sich Katerina Lwowna und stieß Ssergej in die Seite.[172]

»Sserjoscha, hör einmal«, sagte sie, sich auf einen Ellenbogen aufrichtend und die Ohren spitzend.

Jemand stieg tatsächlich die Treppe hinauf und näherte sich langsam mit leisen Schritten der versperrten Schlafzimmertüre.

Katerina Lwowna sprang schnell im bloßen Hemd aus dem Bett und machte das Fenster auf. Ssergej stürzte im gleichen Augenblick auf die Galerie und umschlang mit den Beinen den Balken, an dem er schon mehr als einmal aus dem Schlafzimmer der Hausfrau hinuntergeglitten war.

»Nein, du sollst nicht fort! Leg dich hier nieder ... Bleib in meiner Nähe«, flüsterte Katerina Lwowna und warf ihm durch das Fenster seine Kleider und Schuhe zu. Sie selbst schlüpfte aber wieder unter die Bettdecke und wartete.

Ssergej hörte auf Katerina Lwowna; er glitt den Balken nicht hinunter, sondern kauerte sich auf der Galerie unter dem Dachvorsprung nieder.

Katerina Lwowna hört indessen, wie ihr Mann dicht vor die Türe kommt und mit verhaltenem Atem lauscht. Sie hört sogar sein Herz vor Eifersucht klopfen; sie fühlt aber kein Mitleid, sondern nur ein böses Lachen in sich aufsteigen.

»Ja, suche nur den gestrigen Tag!« denkt sie sich und lächelt so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.

Das dauerte an die zehn Minuten. Schließlich wurde es Sinowij Borissowitsch zu dumm, draußen zu stehen und zu lauschen, wie seine Frau schläft. Er klopfte an.

»Wer ist da?« rief Katerina Lwowna nach einer Weile mit verschlafener Stimme.[173]

»Einer von der Familie«, antwortete Sinowij Borissowitsch.

»Bist du es, Sinowij Borissowitsch?«

»Natürlich! Als ob du es nicht hörtest!«

Katerina Lwowna sprang im bloßen Hemd auf, ließ den Mann ein und schlüpfte wieder in das warme Bett.

»Vor Sonnenaufgang ist es immer so kalt,« sagte sie, sich in die Decke hüllend.

Sinowij Borissowitsch trat ein, sah sich um, betete vor dem Heiligenbilde und sah sich wieder um.

»Nun, wie geht es dir?« fragte er seine Frau.

»Es geht«, antwortete Katerina Lwowna, sich aufsetzend und eine vorne offene Jacke anziehend.

»Ich soll wohl den Samowar bereiten?« fragte sie.

»Nein, wecke die Aksinja, daß sie es macht.«

Katerina Lwowna schlüpfte in die Schuhe und lief hinaus. Eine halbe Stunde blieb sie fort. In dieser Zeit machte sie den Samowar und schlich sich leise auf die Galerie hinaus.

»Bleib da!« flüsterte sie Ssergej zu.

»Wie lange soll ich noch sitzen?« fragte Sserjoscha gleichfalls flüsternd.

»Wie dumm du doch bist! Sitz, bis ich dich rufe.«

Und Katerina Lwowna setzte ihn wieder auf die gleiche Stelle hin.

Ssergej konnte aber von der Galerie alles hören, was im Schlafzimmer vorging. Er hörte, wie die Türe wieder aufging und wie Katerina Lwowna zu ihrem Mann zurückkehrte. Jedes Wort konnte er hören.

»Was hast du so lange getrieben?« fragte Sinowij Borissowitsch seine Frau.[174]

»Den Samowar habe ich gemacht«, antwortet sie ruhig.

Es vergehen wieder einige Minuten. Ssergej hört, wie Sinowij Borissowitsch seinen Rock auf den Kleiderrechen hängt. Nun wäscht er sich und spritzt mit dem Wasser umher; dann läßt er sich ein Handtuch geben; dann beginnt er wieder ein Gespräch.

»Wie habt ihr den Vater beerdigt?« fragt er.

»Er ist verschieden, und wir haben ihn beerdigt«, antwortet sie.

»Das ist doch wirklich sonderbar!«

»Gott allein weiß, wie es gekommen ist,« antwortet Katerina Lwowna, mit den Teetassen klappernd.

Sinowij Borissowitsch geht nachdenklich durch das Zimmer.

»Nun, und wie hast du die Zeit verbracht?« fragt Sinowij Borissowitsch seine Frau von neuem aus.

»Ich glaube, unser Zeitvertreib ist jedermann bekannt; Bälle besuchen wir nicht, Theater ebenfalls nicht.«

»Du scheinst dich aber wenig über die Rückkehr des Gatten zu freuen!« beginnt Sinowij Borissowitsch wieder, sie scheel anblickend.

»Wir beide sind ja nicht mehr so jung, daß wir vor Freude den Verstand verlieren sollen! Was soll ich mich auch freuen? Nun muß ich wieder für dich arbeiten und herumrennen!«

Katerina Lwowna lief hinaus, um den Samowar zu holen, machte wieder einen Sprung auf die Galerie zu Ssergej, zupfte ihn am Ärmel und sagte ihm: »Sserjoscha, paß jetzt auf!«

Ssergej wußte zwar nicht recht, was jetzt kommen sollte, machte sich aber bereit.[175]

Katerina Lwowna kehrte ins Schlafzimmer zurück Sinowij Borissowitsch kniete eben auf dem Bett und hängte über dem Kopfende seine silberne Uhr mit der Glasperlenkette auf.

»Sagen Sie mir einmal, Katerina Lwowna, warum haben Sie, wo Sie allein waren, beide Betten aufgedeckt?« fragte er plötzlich die Frau mit seltsamem Ausdruck.

»Ich habe Sie immer erwartet«, antwortete Katerina Lwowna, ihn ruhig anblickend.

»Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar ... Wie kommt aber dieser Gegenstand zu Ihnen ins Bett?«

Sinowij Borissowitsch hob von ihrem Bett den wollenen Gürtel Ssergejs auf und hielt ihn ihr vor die Augen.

Katerina Lwowna verlor gar nicht die Fassung.

»Ich habe ihn im Garten gefunden und mir damit den Rock festgebunden.«

»So, so!« sagte Sinowij Borissowitsch mit eigentümlicher Betonung. »Von Ihren Röcken haben wir ja auch manches gehört.«

»Was haben Sie gehört?«

»Manches von Ihren Heldentaten!«

»Ich weiß nichts von Heldentaten.«

»Das werden wir alles untersuchen«, antwortete Sinowij Borissowitsch, der Frau seine geleerte Teetasse zuschiebend.

»Wir werden alle Ihre Taten ans Licht bringen«, sagte Sinowij Borissowitsch nach einer langen Pause, die Brauen runzelnd.

»Ihre Katerina Lwowna ist gar nicht so furchtsam. Sie hat keine Angst davor«, antwortet sie.[176]

»Was?!« herrschte sie Sinowij Borissowitsch mit erhobener Stimme an.

»Nichts, ist schon vorbei«, antwortete die Frau.

»Du, paß auf! Du bist mir hier allzu gesprächig geworden!«

»Warum soll ich auch nicht gesprächig sein?« erwiderte Katerina Lwowna.

»Hättest doch mehr acht auf dein Benehmen gegeben!«

»Das brauche ich nicht. Ich kann gar nicht wissen, was die bösen Zungen über mich alles gesagt haben, und nun muß ich alle diese Schimpfreden über mich ergehen lassen. Das ist doch wirklich unerhört!«

»Ich spreche nicht von den bösen Zungen, mir sind aber alle Ihre Liebesabenteuer bekannt.«

»Was für Liebesabenteuer?« schrie Katerina Lwowna in aufrichtigem Zorne auf.

»Das weiß ich schon selbst.«

»Und wenn Sie es wissen, so sagen Sie es mir bitte!«

Sinowij Borissowitsch antwortete nichts und schob der Frau wieder die geleerte Tasse hin.

»Offenbar wissen Sie selbst nicht, was zu sagen«, sagte Katerina Lwowna verachtungsvoll und warf wütend den Teelöffel in die leere Tasse des Mannes. »Nun, sagen Sie einmal, was Sie gehört haben? Wer soll mein Geliebter sein?«

»Keine Eile, Sie werden es schon hören.«

»Hat man Ihnen vielleicht etwas von Ssergej gesagt?«

»Das werden wir bald alles erfahren, Katerina Lwowna. Niemand hat mir noch meine Gewalt über Sie genommen und niemand kann sie mir nehmen ... Sie werden bald selbst alles sagen ...«[177]

»Ach! Das kann ich nicht leiden!« schrie Katerina Lwowna, mit den Zähnen knirschend, auf, wurde kreideblaß und sprang plötzlich durch die Türe hinaus.

»Da ist er!« sagte sie nach wenigen Augenblicken, Ssergej bei der Hand ins Zimmer führend. »Fragen Sie ihn und mich aus. Vielleicht wirst du sogar etwas mehr erfahren, als dir lieb ist.«

Sinowij Borissowitsch war ganz bestürzt. Er blickte bald Ssergej an, der an der Schwelle stand, bald seine Frau, die ruhig, mit gekreuzten Armen auf dem Bettrande saß, und wußte gar nicht, womit das alles enden sollte.

»Was hast du vor, du Schlange?« brachte er mit Mühe hervor, ohne vom Sessel aufzustehen.

»Frage mich nun aus, was du so gut weißt«, antwortete Katerina Lwowna frech. »Du willst mich mit Schlägen einschüchtern«, fuhr sie fort, bedeutungsvoll mit den Augen zwinkernd. »Das wird niemals sein! Was ich aber vielleicht noch vor allen deinen Drohungen über dich beschlossen habe, das werde ich jetzt tun.«

»Was? Hinaus!« schrie Sinowij Borissowitsch Ssergej an.

»Warum nicht gar!« höhnte Katerina Lwowna.

Sie sperrte schnell die Türe zu, steckte den Schlüssel in die Tasche und legte sich wieder in ihrer offenen Jacke aufs Bett.

»Nun, Sserjoscha, mein Liebster, komm einmal her!« rief sie den Burschen zu sich heran.

Ssergej schüttelte seinen Lockenkopf und setzte sich kühn neben die Hausfrau.

»Mein Gott! Was ist denn das? Was wollt ihr, ihr[178] Barbaren?!« schrie Sinowij Borissowitsch, ganz rot vor Zorn, sich vom Sessel erhebend.

»Wie? Paßt dir das nicht? Schau nur, schau nur, mein Liebster, wie schön das ist!«

Katerina Lwowna lachte auf und küßte vor den Augen ihres Mannes Ssergej mit großer Leidenschaft.

Im gleichen Augenblick brannte auf ihrer Wange ein betäubender Schlag, und Sinowij Borissowitsch stürzte ans offene Fenster.

Quelle:
Ljesskow, Nikolai: Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten. München 1921, S. 171-179.
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