[107] König Aridäus. Philotas. Strato.
ARIDÄUS. Kriege, die Könige unter sich zu führen gezwungen werden, sind keine persönliche Feindschaften. – Laß dich umarmen, mein Prinz! O welcher glücklichen Tage erinnert mich deine blühende Jugend! So blühte die Jugend deines Vaters! Dies war sein offenes, sprechendes Auge; dies seine ernste, redliche Miene; dies sein edler Anstand! – Noch einmal laß dich umarmen; ich umarme deinen jüngern Vater in dir. – Hast du es nie von ihm gehört, Prinz, wie vertraute Freunde wir in deinem Alter waren? Das war das selige Alter, da wir uns noch ganz unserm Herzen überlassen durften. Bald aber wurden wir beide zum Throne gerufen, und der sorgende König, der eifersüchtige Nachbar unterdrückte, leider! den gefälligen Freund. –
PHILOTAS. Verzeih, o König, wenn du mich in Erwiderung so süßer Worte zu kalt findest. Man hat meine Jugend denken, aber nicht reden gelehrt. – Was kann es mir itzt helfen, daß du und mein Vater einst Freunde waren? Waren: so sagst du selbst. Der Haß, den man auf verloschne Freundschaft pfropfet, muß, unter allen, die tödlichsten Früchte bringen; – oder ich kenne das menschliche Herz noch zu wenig. – Verzögere daher, König, verzögere meine Verzweiflung nur nicht. Du hast als der höfliche Staatsmann gesprochen; sprich nun als der Monarch, der den Nebenbuhler seiner Größe, ganz in seiner Gewalt hat.
STRATO. O laß ihn, König, die Ungewißheit seines Schicksals nicht länger peinigen. –
PHILOTAS. Ich danke, Strato! – Ja, laß mich es nur gleich hören, wie verabscheuungswürdig du einen unglücklichen Sohn seinem Vater machen willst. Mit welchem schimpflichen Frieden, mit wie viel Ländern soll er ihn erkaufen? Wie klein und verächtlich soll er werden, um nicht verwaist zu bleiben? – O mein Vater! –
ARIDÄUS. Auch diese frühe, männliche Sprache, Prinz, war deines Vaters! So höre ich dich gern! Und möchte, meiner nicht[107] minder würdig, auch mein Sohn itzt vor deinem Vater so sprechen! –
PHILOTAS. Wie meinst du das? –
ARIDÄUS. Die Götter – ich bin es überzeugt – wachen für unsere Tugend, wie sie für unser Leben wachen. Die so lang als mögliche Erhaltung beider, ist ihr geheimes, ewiges Geschäft. Wo weiß ein Sterblicher, wie böse er im Grunde ist, wie schlecht er handeln würde, ließen sie jeden verführerischen Anlaß, sich durch kleine Taten zu beschimpfen, ganz auf ihn wirken? – Ja, Prinz, vielleicht wäre ich der, den du mich glaubst; vielleicht hätte ich nicht edel genug gedacht, das wunderliche Kriegesglück, das dich mir in die Hände liefert, bescheiden zu nützen; vielleicht würde ich durch dich ertrotzt haben, was ich zu erfechten nicht länger wagen mögen; vielleicht – Doch fürchte nichts; allen diesen Vielleicht hat eine höhere Macht vorgebauet; ich kann deinen Vater seinen Sohn nicht teurer erkaufen lassen, als – durch den meinigen.
PHILOTAS. Ich erstaune! Du gibst mir zu verstehen –
ARIDÄUS. Daß mein Sohn deines Vaters Gefangener ist, wie du meiner. –
PHILOTAS. Dein Sohn meines Vaters? Dein Polytimet? – Seit wenn? Wie? Wo?
ARIDÄUS. So wollt' es das Schicksal! Aus gleichen Waagschalen nahm es auf einmal gleiche Gewichte, und die Schalen blieben noch gleich.
STRATO. Du willst nähere Umstände wissen. – Eben dasselbe Geschwader, dem du zu hitzig entgegen eiltest, führte Polytimet; und als dich die Deinigen verloren erblickten, erhob sie Wut und Verzweiflung über alle menschliche Stärke. Sie brachen ein, und alle stürmten sie auf den einen, in welchem sie ihres Verlustes Ersetzung sahen. Das Ende weißt du. – Nun nimm noch von einem alten Soldaten die Lehre an: Der Angriff ist kein Wettrennen; nicht der, welcher zuerst, sondern welcher zum sichersten auf den Feind trifft, hat sich dem Siege genähert. Das merke dir, zu feuriger Prinz; sonst möchte der werdende Held im ersten Keime ersticken.
ARIDÄUS. Strato, du machst den Prinzen, durch deine, zwar freundschaftliche, Warnung verdrüßlich. Wie finster er da steht! –[108]
PHILOTAS. Nicht das! Aber laßt mich; in tiefe Anbetung der Vorsicht verloren –
ARIDÄUS. Die beste Anbetung, Prinz, ist dankende Freude. Ermuntere dich! Wir Väter wollen uns unsere Söhne nicht lange vorenthalten. Mein Herold hält sich bereits fertig; er soll gehen, und die Auswechselung beschleunigen. Aber du weißt wohl, freudige Nachrichten, die wir allein vom Feinde erfahren, scheinen Fallstricke. Man könnte argwohnen, du seist vielleicht an deiner Wunde gestorben. Es wird daher nötig sein, daß du selbst, mit dem Herolde einen unverdächtigen Boten an deinen Vater sendest. Komm mit mir! Suche dir einen unter den Gefangenen, den du deines Vertrauens würdigen kannst. –
PHILOTAS. So willst du, daß ich mich vervielfältiget verabscheuen soll? In jedem der Gefangenen werde ich mich selbst erblicken. – Schenke mir diese Verwirrung. –
ARIDÄUS. Aber –
PHILOTAS. Unter den Gefangenen muß sich Parmenio befinden. Den schicke mir her; ich will ihn abfertigen.
ARIDÄUS. Wohl; auch so! Komm Strato! Prinz, wir sehen uns bald wieder.
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