[171] Claudia Galotti. Marinelli.
CLAUDIA. Dein Herr? – Erblickt den Marinelli und fährt zurück. Ha! – Das dein Herr? – Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und Sie, Sie sollen mich zu ihr führen?
MARINELLI. Mit vielem Vergnügen, gnädige Frau.
CLAUDIA. Halten Sie! – Eben fällt mir es bei – Sie waren es ja – nicht? – Der den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte? mit dem ich ihn allein ließ? mit dem er Streit bekam?
MARINELLI. Streit? – Was ich nicht wüßte: ein unbedeutender Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten –
CLAUDIA. Und Marinelli heißen Sie?
MARINELLI. Marchese Marinelli.
CLAUDIA. So ist es richtig. – Hören Sie doch, Herr Marchese. – Marinelli war – der Name Marinelli war – begleitet mit einer Verwünschung – Nein, daß ich den edeln Mann nicht verleumde! – begleitet mit keiner Verwünschung – Die Verwünschung[171] denk' ich hinzu – Der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen.
MARINELLI. Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani? – Sie hören, gnädige Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffällt. – Des sterbenden Grafen? – Was Sie sonst sagen wollen, versteh' ich nicht.
CLAUDIA bitter und langsam. Der Name Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen! – Verstehen Sie nun? – Ich verstand es erst auch nicht: ob schon mit einem Tone gesprochen – mit einem Tone! – Ich höre ihn noch! Wo waren meine Sinne, daß sie diesen Ton nicht sogleich verstanden?
MARINELLI. Nun, gnädige Frau? – Ich war von je her des Grafen Freund; sein vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben nannte –
CLAUDIA. Mit dem Tone? – Ich kann ihn nicht nachmachen; ich kann ihn nicht beschreiben; aber er enthielt alles! alles! – Was? Räuber wären es gewesen, die uns anfielen? – Mörder waren es; erkaufte Mörder! – Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen! Mit einem Tone!
MARINELLI. Mit einem Tone? – Ist es erhört, auf einen Ton, in einem Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen Mannes zu gründen?
CLAUDIA. Ha, könnt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton! – Doch, weh mir! Ich vergesse darüber meine Tochter. – Wo ist sie? – Wie? auch tot? – Was konnte meine Tochter dafür, daß Appiani dein Feind war?
MARINELLI. Ich verzeihe der bangen Mutter. – Kommen Sie, gnädige Frau – Ihre Tochter ist hier; in einem von den nächsten Zimmern: und hat sich hoffentlich von ihrem Schrecken schon völlig erholt. Mit der zärtlichsten Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschäftiget –
CLAUDIA. Wer? – Wer selbst?
MARINELLI. Der Prinz.
CLAUDIA. Der Prinz? – Sagen Sie wirklich, der Prinz? – Unser Prinz?
MARINELLI. Welcher sonst?
CLAUDIA. Nun dann! – Ich unglückselige Mutter! – Und ihr[172] Vater! ihr Vater! – Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich verfluchen.
MARINELLI. Um des Himmels willen, gnädige Frau! Was fällt Ihnen nun ein?
CLAUDIA. Es ist klar! – Ist es nicht? – Heute im Tempel! vor den Augen der Allerreinesten! in der nähern Gegenwart des Ewigen! – begann das Bubenstück; da brach es aus! Gegen den Marinelli. Ha, Mörder! feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden; aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich! – Denn warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Gesicht speien? – Dich! Dich Kuppler!
MARINELLI. Sie schwärmen, gute Frau. – Aber mäßigen Sie wenigstens Ihr wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind.
CLAUDIA. Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin? – Was kümmert es die Löwin, der man die Jungen geraubet, in wessen Walde sie brüllet?
EMILIA innerhalb. Ha, meine Mutter! Ich höre meine Mutter!
CLAUDIA. Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehört; sie hat mich gehört. Und ich sollte nicht schreien? – Wo bist du, mein Kind? Ich komme, ich komme! Sie stürzt in das Zimmer, und Marinelli ihr nach.[173]
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Emilia Galotti
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