Dritter Auftritt


[219] Nathan und der Derwisch.


DERWISCH.

Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!

NATHAN.

Bist du's? bist du es nicht? – In dieser Pracht,

Ein Derwisch! ...

DERWISCH.

Nun? warum denn nicht? Läßt sich

Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?

NATHAN.

Ei wohl, genug! – Ich dachte mir nur immer,

Der Derwisch – so der rechte Derwisch – woll'

Aus sich nichts machen lassen.

DERWISCH.

Beim Propheten!

Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.

Zwar wenn man muß –

NATHAN.

Muß! Derwisch! – Derwisch muß?

Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte?

Was müßt' er denn?

DERWISCH.

Warum man ihn recht bittet,

Und er für gut erkennt: das muß ein Derwisch.

NATHAN.

Bei unserm Gott! da sagst du wahr. – Laß dich

Umarmen, Mensch. – Du bist doch noch mein Freund?[219]

DERWISCH.

Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?

NATHAN.

Trotz dem, was du geworden!

DERWISCH.

Könnt' ich nicht

Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft

Euch ungelegen wäre?

NATHAN.

Wenn dein Herz

Noch Derwisch ist, so wag' ichs drauf. Der Kerl

Im Staat, ist nur dein Kleid.

DERWISCH.

Das auch geehrt

Will sein. – Was meint Ihr? ratet! – Was wär' ich

An Eurem Hofe?

NATHAN.

Derwisch; weiter nichts.

Doch neben her, wahrscheinlich – Koch.

DERWISCH.

Nun ja!

Mein Handwerk bei Euch zu verlernen. – Koch!

Nicht Kellner auch? – Gesteht, daß Saladin

Mich besser kennt. – Schatzmeister bin ich bei

Ihm worden.

NATHAN.

Du? – bei ihm?

DERWISCH.

Versteht:

Des kleinern Schatzes, – denn des größern waltet

Sein Vater noch – des Schatzes für sein Haus.

NATHAN.

Sein Haus ist groß.

DERWISCH.

Und größer, als Ihr glaubt;

Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.

NATHAN.

Doch ist den Bettlern Saladin so feind –

DERWISCH.

Daß er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen

Sich vorgesetzt, – und sollt' er selbst darüber

Zum Bettler werden.

NATHAN.

Brav! – So mein' ichs eben.

DERWISCH.

Er ists auch schon, trotz einem! – Denn sein Schatz

Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang

Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch

Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst

Verlaufen –

NATHAN.

Weil Kanäle sie zum Teil

Verschlingen, die zu füllen oder zu

Verstopfen, gleich unmöglich ist.[220]

DERWISCH.

Getroffen!

NATHAN.

Ich kenne das!

DERWISCH.

Es taugt nun freilich nichts,

Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.

Doch sind sie Äser unter Geiern, taugts

Noch zehnmal weniger.

NATHAN.

O nicht doch, Derwisch!

Nicht doch!

DERWISCH.

Ihr habt gut reden, Ihr! – Kommt an:

Was gebt Ihr mir? so tret' ich meine Stell'

Euch ab.

NATHAN.

Was bringt dir deine Stelle?

DERWISCH.

Mir?

Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.

Denn ist es Ebb' im Schatz, – wie öfters ist, –

So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,

Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.

NATHAN.

Auch Zins vom Zins der Zinsen?

DERWISCH.

Freilich!

NATHAN.

Bis

Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.

DERWISCH.

Das lockt Euch nicht? – So schreibet unsrer Freundschaft

Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab'

Ich sehr auf Euch gerechnet.

NATHAN.

Wahrlich? Wie

Denn so? wie so denn?

DERWISCH.

Daß Ihr mir mein Amt

Mit Ehren würdet führen helfen; daß

Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte. –

Ihr schüttelt?

NATHAN.

Nun, verstehn wir uns nur recht!

Hier gibts zu unterscheiden. – Du? warum

Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,

Was ich vermag, mir stets willkommen. – Aber

Al-Hafi Defterdar des Saladin,

Der – dem –

DERWISCH.

Erriet ichs nicht? Daß Ihr doch immer[221]

So gut als klug, so klug als weise seid! –

Geduld! Was Ihr am Hafi unterscheidet,

Soll bald geschieden wieder sein. – Seht da

Das Ehrenkleid, das Saladin mir gab.

Eh es verschossen ist, eh es zu Lumpen

Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,

Hängts in Jerusalem am Nagel, und

Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß

Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.

NATHAN.

Dir ähnlich gnug!

DERWISCH.

Und Schach mit ihnen spiele.

NATHAN.

Dein höchstes Gut!

DERWISCH.

Denkt nur, was mich verführte! –

Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?

Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?

Vermögend wär' im Hui den reichsten Bettler

In einen armen Reichen zu verwandeln?

NATHAN.

Das nun wohl nicht.

DERWISCH.

Weit etwas Abgeschmackters!

Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;

Durch Saladins gutherz'gen Wahn geschmeichelt –

NATHAN.

Der war?

DERWISCH.

»Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern

Zu Mute sei; ein Bettler habe nur

Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.

Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,

Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab;

Erkundigte so ungestüm sich erst

Nach dem Empfänger; nie zufrieden, daß

Er nur den Mangel kenne, wollt' er auch

Des Mangels Ursach wissen, um die Gabe

Nach dieser Ursach filzig abzuwägen.

Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild

Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!

Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,

Die ihre klar und still empfangnen Wasser

So unrein und so sprudelnd wieder geben.

Al-Hafi denkt; Al-Hafi fühlt wie ich!« –[222]

So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis

Der Gimpel in dem Netze war. – Ich Geck!

Ich eines Gecken Geck!

NATHAN.

Gemach, mein Derwisch,

Gemach!

DERWISCH.

Ei was! – Es wär' nicht Geckerei,

Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,

Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und

Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen?

Es wär' nicht Geckerei, des Höchsten Milde,

Die sonder Auswahl über Bös' und Gute

Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein

Und Regen sich verbreitet, – nachzuäffen,

Und nicht des Höchsten immer volle Hand

Zu haben? Was? es wär' nicht Geckerei ...

NATHAN.

Genug! hör auf!

DERWISCH.

Laßt meiner Geckerei

Mich doch nur auch erwähnen! – Was? es wäre

Nicht Geckerei, an solchen Geckereien

Die gute Seite dennoch auszuspüren,

Um Anteil, dieser guten Seite wegen,

An dieser Geckerei zu nehmen? Heh?

Das nicht?

NATHAN.

Al-Hafi, mache, daß du bald

In deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte,

Grad' unter Menschen möchtest du ein Mensch

Zu sein verlernen.

DERWISCH.

Recht, das fürcht' ich auch.

Lebt wohl!

NATHAN.

So hastig? – Warte doch, Al-Hafi.

Entläuft dir denn die Wüste? – Warte doch! –

Daß er mich hörte! – He, Al-Hafi! hier! –

Weg ist er; und ich hätt' ihn noch so gern

Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,

Daß er ihn kennt.[223]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 219-224.
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