[248] Szene: vor dem Hause des Nathan, wo es an die Palmen stößt.
Recha und Nathan kommen heraus. Zu ihnen Daja.
RECHA.
Ihr habt Euch sehr verweilt, mein Vater. Er
Wird kaum noch mehr zu treffen sein.
NATHAN.
Nun, nun;
Wenn hier, hier untern Palmen schon nicht mehr:
Doch anderwärts. – Sei itzt nur ruhig. – Sieh!
Kömmt dort nicht Daja auf uns zu?
RECHA.
Sie wird
Ihn ganz gewiß verloren haben.
NATHAN.
Auch
Wohl nicht.
RECHA.
Sie würde sonst geschwinder kommen.
NATHAN.
Sie hat uns wohl noch nicht gesehn ...
RECHA.
Nun sieht
Sie uns.
NATHAN.
Und doppelt ihre Schritte. Sieh! –
Sei doch nur ruhig! ruhig!
RECHA.
Wolltet Ihr
Wohl eine Tochter, die hier ruhig wäre?
Sich unbekümmert ließe, wessen Wohltat
Ihr Leben sei? Ihr Leben, – das ihr nur
So lieb, weil sie es Euch zu erst verdanket.
NATHAN.
Ich möchte dich nicht anders, als du bist:
Auch wenn ich wüßte, daß in deiner Seele
Ganz etwas anders noch sich rege.
RECHA.
Was,
Mein Vater?
NATHAN.
Fragst du mich? so schüchtern mich?
Was auch in deinem Innern vorgeht, ist
Natur und Unschuld. Laß es keine Sorge
Dir machen. Mir, mir macht es keine. Nur
Versprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher[248]
Sich einst erklärt, mir seiner Wünsche keinen
Zu bergen.
RECHA.
Schon die Möglichkeit, mein Herz
Euch lieber zu verhüllen, macht mich zittern.
NATHAN.
Nichts mehr hiervon! Das ein für allemal
Ist abgetan. – Da ist ja Daja. – Nun?
DAJA.
Noch wandelt er hier untern Palmen; und
Wird gleich um jene Mauer kommen. – Seht,
Da kömmt er!
RECHA.
Ah! und scheinet unentschlossen,
Wohin? ob weiter? ob hinab? ob rechts?
Ob links?
DAJA.
Nein, nein; er macht den Weg ums Kloster
Gewiß noch öfter; und dann muß er hier
Vorbei. – Was gilts?
RECHA.
Recht! recht! – Hast du ihn schon
Gesprochen? Und wie ist er heut?
DAJA.
Wie immer.
NATHAN.
So macht nur, daß er euch hier nicht gewahr
Wird. Tretet mehr zurück. Geht lieber ganz
Hinein.
RECHA.
Nur einen Blick noch! – Ah! die Hecke,
Die mir ihn stiehlt.
DAJA.
Kommt! kommt! Der Vater hat
Ganz recht. Ihr lauft Gefahr, wenn er Euch sieht,
Daß auf der Stell' er umkehrt.
RECHA.
Ah! die Hecke!
NATHAN.
Und kömmt er plötzlich dort aus ihr hervor:
So kann er anders nicht, er muß euch sehn.
Drum geht doch nur!
DAJA.
Kommt! kommt! Ich weiß ein Fenster,
Aus dem wir sie bemerken können.
RECHA.
Ja?
Beide hinein.[249]
Ausgewählte Ausgaben von
Nathan der Weise
|
Buchempfehlung
Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.
68 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro