Andrer Auftritt


[385] Henzi. Fuetter. Richard. Wyß.


HENZI.

Bin ich noch euer Freund? – – Bestürzt euch diese Frage,

So gönnt mir, daß ich euch als Freund die Wahrheit sage.

Der große Tag ist da, der Bern und euer Wohl,

Mit Bitten oder Macht, stets billig, richten soll.

Doch wünsch ich blieb er nur so lange noch entfernet,

Bis ihr was Tugend sei, was eure Pflicht, gelernet.

Noch kennt ihr beides nicht. Und wünschet frei zu sein?

Wißt, Pflicht und Tugend nur muß dieses Glück verleihn.

Ein Lasterhafter kann zwar ohne Herrscher leben,

Stolz ohne Ketten gehn, vor keinem Richtstuhl beben;

Doch alles dieses ist der Freiheit kleinster Teil.[385]

Nur gleichgeteilte Sorg um das gemeine Heil;

Nur fromme Sicherheit, rechtschaffen ungezwungen,

Nicht unbelohnt zu sein, und nie zur Lehr gedrungen,

Der Wahrheit die man fühlt, nicht die der Priester sehn,

Und für uns sehen will, freimütig nachzugehn;

Nur unverfälschtes Recht, wenn ärmre Bürger bitten;

Nur ungestörte Wahl gleichgültger Mod' und Sitten;

Nur unbeschimpfte Müh, die nicht, statt Lohns Genuß,

Der Großen faulen Bauch mit sich ernähren muß;

Nur schmeichelhafte Pflicht fürs Vaterland zu streiten,

Statt eines Königes herrschsüchtgen Eitelkeiten,

Um die ein rasend Schwerd eh tausend Bürger frißt,

Als er ein einzig Wort in seinem Titel mißt:

Nur dieses, Freunde, macht der Freiheit schätzbar Wesen,

Für die schon mancher Held den süßen Tod erlesen.

Sagt denn ob man bei ihr die Tugend missen kann,

Die ihr so kühn verletzt, als kühner kein Tyrann?

Ist denn der Blutdurst auch zu einer Tugend worden?

Und ist es Bürgerpflicht, die Bürger zu ermorden?

Ein Vorsatz gleicher Art steht nur Rebellen an.

Seid ihr Rebellen? Wohl! Geht sucht euch euren Mann.

Für Helden hielt ich euch, die für den Riß sich stellen,

Von diesen ward ich Haupt, und kein Haupt von Rebellen.

RICHARD spöttisch.

Gewiß ein feiner Griff! hört und bewundert ihn!

Daß man Vorwürfe macht, Vorwürfen zu entfliehn.

Ist denn die Untreu auch zu einer Tugend worden?

Welch Laster ziert uns mehr, verraten oder morden?

HENZI.

Was sagst du? – – Solchen Spott verstehet Henzi nicht.

Ich hör es allzuwohl, daß Dücret aus euch spricht.

Wars ihm noch nicht genug, ins Laster euch zu stürzen?

Müßt ihr, auf seinen Trieb, auch Henzis Ehre kürzen?

Scheint der, der für sich nichts, und alles für den Staat,

Und eure Rechte tut, euch fähig zum Verrat?

Wie? oder ist bei euch, wer sich ein Missetäter

Zu werden scheut – – ist der so gleich auch ein Verräter?

Noch reuet mich es nicht, was ich im Zorn getan.

Der Zorn war tugendhaft. Er stünd euch allen an.[386]

Die unglückselge Roll riß ich in hundert Stücken.

O möcht ein Gleiches mir mit euren Herzen glücken!

Riß ich die Wut heraus, noch eh sie Wurzel schlägt,

Noch weil der seichte Geist der Menschheit Spuren hegt.

Jedoch auch die sind hin. Sonst würdet ihr erblassen,

Und nicht den, der euch straft, das was er strafet hassen.

Wann eure Wut nur Blut, nur Blut der Bürger sucht,

So sucht nur meines erst, der sie und euch verflucht.

Eh Steiger sterben soll – –

FUETTER.

Was Rolle? Steiger? Sterben? –

Versteht ihr was hiervon?

WYSS.

Genug uns zu verderben.

Welch schrecklicher Verdacht dringt mit Gewalt in mich.

Je mehr ich ihn bestreit, je mehr bestärkt er sich.

Hört ihr, wie Steiger ihm so sehr am Herze lieget – –

FUETTER.

Wie? Zweifl' ich länger noch, ob er, ob Dücret trieget?

Nein, deine Tugend, Freund, zerstreuet den Verdacht;

Dein Herz ward uns zum Glück, nicht zum Verrat gemacht.

Man malt die Unschuld oft in fürchterlichen Zügen.

Wo nichts zu tadeln ist, ist dennoch Stoff zum Lügen.

Allein erkläre dich. Wer dürst nach Bürger Blut?

Wir deine –?

HENZI.

Gütger Gott! So schöpf ich wieder Mut?

So find ich noch in euch die tugendhaften Freunde?

Des Lasters Feinde zwar, doch stets menschliche Feinde.

So war es Dücret nur, der mit verfluchter Hand

Die blutgen Urtel schrieb, die mich auf euch entbrannt?

So hab ich Steigers mich vergebens angenommen? – – –

Mein Zorn verlöscht so schnell, so schnell er erst entglommen.

Erkennet nun, wie wert mir eure Tugend ist,

Erkennt es, und verzeiht – –

FUETTER.

Ha! welche Teufels List!

O Freunde! ließen wir so schimpflich uns betriegen? – –

Doch wie? – – Zorn und Verdacht scheint noch in euch zu siegen?

Seid ihr noch nicht gewiß, daß Dücret Zwietracht spinnt,

Daß Henzi redlich ist, daß wir verraten sind?[387]

RICHARD.

Nicht der, des böser Sinn am Unglück sich ergötzet,

Der Redlichkeit und Wort für nichts als Worte schätzet,

Nicht der allein verrät, auch der, dem Pflicht und Freund

Auf seine Heimlichkeit ein Recht zu haben scheint,

Der aus blöder Begier sich alle zu verbinden,

Auch alle läßt den Weg uns zu verderben finden.

HENZI.

Genug! ich höre schon, worauf dein Eifer geht.

Wahr ists, ich war zu schwach. Ein Freund hat mich erfleht.

Ich hab ihm unsern Zweck – –

FUETTER.

Du hast – –

WYSS.

O Lastertaten!

HENZI.

Hört mich!

RICHARD.

Wir hörens schon. Wir sind – –

WYSS.

Wir sind verraten!

FUETTER.

So hast du Wort und Schwur – –

HENZI.

Die hab ich nicht verletzt,

Weil ihr dies neue Glied selbst eurer würdig schätzt.

Ein Mann, von alter Treu, in Glück und Sturm geübet,

Der nur die Tugend mehr als seine Freiheit liebet,

Sonst alles für sie wagt, und für euch wagen wird – –

FUETTER.

Ja, wenn im Urteil sich die Freundschaft nie geirrt,

So wär dein Fehl vielleicht – –

WYSS.

Kannst du ihn noch vertreten?

HENZI.

Wer so wie ich gefehlt, Freund, hat es nicht vonnöten.

WYSS.

Wie? Nicht vonnöten? Ei! du tugendhafter Mann,

Der schlechter als ein Weib den Mund regieren kann!

Verführer, was wirst du uns noch bereden wollen,

Wann du verraten willst, und wir nicht murren sollen?

»Ein Freund hat mich erfleht!« O träfe der Verrat,

Nur unser Glücke mehr und weniger den Staat,

So könnte noch dein Blut für deinen Frevel büßen,

So wär er größer nicht, als wir die Strafe wissen.

Doch einem Feind des Staats wär dies mehr Gnad als Pein,

Ein Leben voller Schimpf muß seine Strafe sein.

Die Enkel werden dich noch mit Entsetzen nennen,

Für deren Freiheit wir nun nichts als sterben können.

Denn wer steht uns dafür, daß dein unwürdger Freund,

Kein gleicher Schwätzer ist, daß er es treuer meint?[388]

HENZI.

Er selber steht dafür! Jedoch, ich seh ihn kommen,

Und eurem Vorwurf ist zugleich die Kraft benommen.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 385-389.
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