VI

[199] Seit vielen Tagen hatte Alfred einen Brief von seinem Freunde, dem Domherrn, erwartet. Endlich langte er an. Nach einer kurzen Einleitung hieß es in demselben:

»Ich kann Frau von Reichenbach zu keiner bestimmten Erklärung, zu keinem Eingehen auf Ihre Wünsche bewegen. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn diese Hartnäckigkeit nicht von den Rathschlägen des Herrn Kaplan herrühren sollte. Er ist Ihr entschiedener Feind. Ich weiß nicht, womit Sie ihn bei Ihrer letzten Anwesenheit in Rosenthal verletzt haben mögen, aber er verbirgt seinen Widerwillen gegen Sie durchaus nicht. Er tadelt überall laut das Verfahren gegen Ihre Frau, er hat dieser gesagt, daß bei einer Ehescheidung Sie allein für den schuldigen Theil erklärt werden, daß man Sie böslicher Verlassung beschuldigen würde und daß Frau von Reichenbach viel vortheilhafter bei einer Scheidung gestellt sein dürfte, als bei der Trennung, die Sie ihr vorschlagen. Dies sagte mir Ihre Frau selbst; zugleich aber auch, daß Ruhberg ihr rathe, sich noch nicht zu entscheiden, sondern Ihre Rückkehr zu hoffen und zu fordern.«

»Ruhberg spielt ein schlecht verstecktes Spiel. Mich dünkt, er will Sie durch den Widerstand Ihrer Frau zu einem Aeußersten treiben; er hofft, daß Sie die gerichtliche Scheidung endlich doch verlangen werden, und sieht sich im Geiste bereits an meiner Stelle und als Verwalter Ihrer Güter, als Erzieher[199] Ihres Sohnes. Irgend einen bestimmten Anschlag führt er ganz entschieden gegen Sie im Schilde, darum seien Sie vorsichtig, lieber Freund! Lassen Sie sich nicht ungeduldig machen, denken Sie an die Vorsätze, die Sie gefaßt, sich für fremdes Wohl zu opfern, und beharren Sie fest in Dem, was Sie für das Rechte erkannt haben. Ich gebe die Angelegenheit nicht aus den Händen, vielleicht sende ich Ihnen bald eine bessere Botschaft. – Seien Sie vorsichtig, mistrauen Sie allen Vorschlägen, die Ihnen von Ruhberg kommen, und verzeihen Sie es einem alten Freunde, wenn er Sie vielleicht in übergroßer Besorgniß mit Rathschlägen belästigt, deren ein Mann wie Sie sicher nicht bedarf.«

Alfred ward durch diesen Brief in die bitterste, verdrießlichste Stimmung versetzt. Er hatte, als er ihn empfing, mit Lust bei der Arbeit gesessen und in warmen Worten das Glück getheilter Liebe, das Glück einer Ehe geschildert. Spöttisch sah er jetzt auf die Blätter herab, die vor ihm lagen.

Welch lächerliches, widerwärtiges Narrenspiel ist das Leben! sagte er zu sich selbst. Da sitze ich und spreche von einem Glücke, das ich nie gekannt habe; das mir aus nächster Nähe winkt und das ich nicht erfassen darf. Da male ich Liebe und fühle nichts als Zorn, während die Welt vielleicht einst mich um das eheliche Glück beneidet, dem ich diese Schilderung nachbildete. O! wenn das Publikum wüßte, welche tiefe Wunden, welche heiße Sehnsucht sich oft hinter den Worten verbergen, an denen es sich erfreut! Wenn sie wüßten, daß nur zu oft der Schmerz es ist, der die Binde von unseren Augen nimmt und uns lehrt nach den Geheimnissen in der eigenen Brust zu forschen und fremde Seelen zu verstehen! Wenn sie ahnten, wie schwer wir die Erfahrungen bezahlt haben, wie herb, wie drückend sie uns gewesen sind, die wir für sie mit dem Zauber der Dichtkunst verklären, die wir ihnen darbringen als eine[200] Warnung, gehüllt in die duftigen Schleier der Fabel! – Wie arglose Kinder spielen sie mit der Rose, erfreuen sich an dem Glanz der Tropfen in ihr und denken, es sei der Thau, der die Blume erfrischt. Es sind unsere Thränen, ihr Thoren! heiße, bittere Thränen. Unser Herzblut ist es, das wir vergossen haben, als die Dornen uns zerrissen, die wir euch zu vermeiden lehren. O! das Leben thut oft weh; es macht Schmerz, in seine Tiefen zu schauen, und wie selten erringt man die lichte Höhe, auf der das Glück thront und die Freiheit und der Friede.

Er stützte das Haupt in die Hand und blieb nachdenkend, bis der Schritt eines Eintretenden ihn aufstörte. Es war der Präsident. Er sah ungemein heiter aus und rief ihm schon an der Thüre zu: Nun! Noch nicht im Costüme?

Alfred stand auf und fragte zerstreut: Wovon sprichst Du da?

Von dem Balle bei Frau von Wöhrstein.

Ja so! den hatte ich im Augenblicke wirklich fast vergessen!

Du kommst doch hin? fragte der Präsident.

Ich hatte es mir vorgenommen, weil unser ganzer Kreis daran Theil nimmt; nun ist mir aber die Lust vergangen. Ich bin verstimmt, habe unangenehme Nachrichten erhalten und bleibe lieber zu Hause.

Julian fragte, was dem Freunde begegnet sei, Alfred berichtete und jener meinte: Das ist nun ein peinlicher Zustand, den Du noch eine Weile zu ertragen haben wirst. Solche Verhältnisse ordnen sich endlich, wenn auch langsam, und sie ordnen sich nicht schneller, falls man sich das Leben durch sie verbittern läßt. Uebrigens ist nicht von Deinem Vergnügen die Rede, sondern von einem Dienste, den Du mir leisten sollst. Ich bin plötzlich behindert, durch unabweisliche Geschäfte, den Ball zu besuchen; Therese will deshalb auch zu Hause bleiben. Das[201] möchte ich nicht, um der Baronin willen, und ich wollte Dich bitten, meine Schwester zu begleiten. Kann ich es möglich machen, so komme ich vielleicht später etwas hin, aber ich zweifle daran.

Alfred erklärte sich sofort bereit, den Präsidenten zu vertreten, und man verabredete, daß er in seinem Wagen mit dem Assessor, Therese und Eva in dem Wagen der Letztern fahren und man sich dort zusammenfinden sollte.

So bleibt Agnes doch zu Hause? fragte Alfred.

Therese hat es verlangt und sie kann Recht haben, entgegnete Julian. Sie behauptet, das Mädchen sei anscheinend nicht bestimmt, in der großen Welt zu leben; deshalb wolle sie es an keinen Luxus gewöhnen, und was dergleichen Rücksichten mehr sind. Uebrigens würde es mich gar nicht wundern, wenn Agnes sich hier vortheilhaft verheirathete; denn sie wird täglich schöner. Findest Du das nicht?

Ich habe nicht darauf geachtet; aber sie ist hübsch und natürlich, meinte Alfred.

Das ist für mich ihr größter Reiz! sagte der Präsident. Wenn ich an Sophien's Genialität mit Bewunderung zurückdenke, wenn das tiefe, durch Welt- und Menschenkenntniß gebildete Wesen meiner Schwester mir Achtung gebietet, oder wenn die neckische Sorglosigkeit Eva's mich belustigt, so muß ich mich oft wundern, wie der Zufall hier in unserm Kreise gerade drei Frauen nebeneinander stellte, die man als die Resultate unserer socialen Verhältnisse auf die Bildung der Frauen in den höheren Ständen bezeichnen könnte.

Ich habe die Bemerkung ebenfalls gemacht, meinte Alfred, mochte sie Dir aber nicht mittheilen, weil Deine Schwester dabei betheiligt war. Eva ist eins von den vielen harmlosen Mädchen, die von ihren Müttern für den Heirathsmarkt erzogen und mit jenen oberflächlichen Reizmitteln geschmückt worden sind, die die[202] Käufer anlocken und blenden. Wie leer diese armen, kleinen Odalisken selbst dabei ausgehen, wie ohne innern Halt sie dabei bleiben, wenn das Leben ihnen später eine ernstere Seite zeigt, das berücksichtigen die Mütter eben so wenig, als die Prediger der Frauenemancipation an das Elend denken, in das sie Naturen, wie Sophie stürzen. Herausgerissen aus der schönen Begrenzung der Sitte, der Gewalt ihres Liebesbedürfnisses, der wechselsuchenden Leidenschaft des Mannes überlassen, müssen gerade die reichsten Frauenherzen am schwersten darunter leiden und ewig sehnsuchtsvoll nach jener reinen Höhe blicken –

Alfred hielt inne, weil ihn eine unüberwindliche Scheu abhielt, von Therese zu sprechen. Julian bemerkte es und sagte: Du meinst nach der reinen Höhe der Weiblichkeit, auf der meine Schwester steht?

Alfred bejahte es und Jener meinte: Damit ist es auch ein eigen Ding! – Ich fühle, daß Therese geschaffen ist, durch ihr Herz, durch ihren Geist das Glück eines Mannes zu machen, und doch, so sehr ich dies anerkenne und sie liebe, gestehe ich Dir, ich würde mir vielleicht eine weniger selbständige Natur zur Frau erwählen. In ihrer selbständigen Durchbildung liegt mehr Emancipation verborgen, als in Sophien's ganzer Vergangenheit.

Das heißt, sagte Alfred lebhaft, jene edle Entwicklung aller weiblichen Seelenkräfte, welche die Frau zur schönen Ergänzung des Mannes, zu seiner wahrhaft würdigen Gefährtin macht und –

Dem Manne das reizende Vorrecht entzieht, die Geliebte zu beschützen, ihr Alles in Allem zu sein, unterbrach ihn Julian. Eben diese Art von weiblicher Vollendung hat für mich doch auch ihre Bedenken. Das ist in unsern Verhältnissen so geworden, es hat sein Gutes, aber man wird manchmal aller Civilisation müde und verlangt Natur. Solch ein Naturkind[203] ist Agnes. Ich habe Eva einmal scherzend mit Champagnerschaum verglichen; Agnes ist der klare Bergquell, aus dem ein Trank uns Labsal wird, wenn unsere überreizten Nerven nach Erfrischung schmachten; sie ist das helle Wasser, in dem sich Erde und Himmel rein und unentstellt spiegeln. Du glaubst nicht, welche Anlagen diese Kleine hat. Es unterhält mich immer wieder sie zu beobachten, und ich glaube, sie wird mir fehlen, wenn die Eltern sie einst zurückfordern werden.

Es scheint mir, als würdest Du diese einstige Trennung zu verhindern wissen, bemerkte lächelnd Alfred. Uebrigens sehe ich nicht ein, was Dich davon abhalten könnte, wenn es Dir wünschenswerth wäre.

Hältst Du mich für so thöricht? rief der Präsident, glaubst Du, ich würde mir eine Frau aufbürden? und obenein ein solches junges Kind? Das fällt mir nicht ein; am wenigsten jetzt, wo man im Staatsrath ernstlich daran denkt, die goldenen Ketten der Ehe in ganz solide Fesseln zu verwandeln.

Was heißt das? fragte Alfred.

Nun, ich meine, wir sprachen schon davon, daß man wieder die Berathungen über das neue Ehescheidungsgesetz aufgenommen hat, das die Trennungen erschwert. Aber davon ein andermal. Ich muß eilen; mich rufen Geschäfte und ich werde meiner Schwester sagen, daß sie und Eva auf Dich rechnen können.

Mit diesen Worten empfahl sich der Präsident.[204]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872, S. 199-205.
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