XX

[328] Ohne Theresen's Erlaubniß erhalten zu haben, kehrte Alfred mehrmals im Laufe des Tages zurück. Sie schien sich deß zu freuen, obgleich sie ihn nur ganz flüchtig dabei sah, es erquickte sie, ihn in ihrer Nähe zu wissen.

Als er spät am Abend nochmals wiederkam, fand er den Arzt bei ihr, der sie und Agnes dringend bat, nun endlich an sich selbst zu denken, sich die Ruhe zu gönnen, deren besonders Therese bedürftig war. Alfred vereinigte seine Bitten mit denen des Doctors und machte den Vorschlag, Frau Berent als Stellvertreterin zu holen, die mehrmals während der Krankheit des Präsidenten ihre Dienste angeboten hatte.

Ihre Tochter war hergestellt, der Mann durch Julian's Vermittelung zur Einwilligung in die Scheidung bewogen, die Frau wünschte lebhaft sich dem Präsidenten dankbar bezeigen zu können, und diese zuverlässige, erfahrene Frau bei dem Bruder zu wissen, beruhigte Therese. Alfred selbst übernahm es also sie zu holen.

Auf dem Wege zu ihr sprach er bei Sophie ein, um auch ihr, wie er verheißen hatte, noch einmal Nachricht von Julian zu bringen. Was sie gelitten, in der tödtlichen Qual der dauernden Ungewißheit, wer vermöchte das zu beschreiben? Täglich und immer flehender hatte sie Alfred beschworen, ihr den ersehnten Anblick des Geliebten zu verschaffen, und immer[328] hatte er es für unausführbar erklärt, immer sie auf eine andere Zeit vertröstet.

Jetzt, als sie von seinem Auftrag hörte, eine Krankenwärterin für die nächste Nacht zu holen, schien plötzlich ein Gedanke in ihr aufzutauchen.

Und wenn die Frau, die Sie holen wollen, behindert ist, fragte sie, was thun Sie dann?

Dann werde ich den Doctor oder sonst Jemand um eine andere zuverlässige Wärterin fragen, entgegnete Alfred, denn Therese muß ruhen, wenn sie nicht unterliegen soll.

Jetzt ist es Zeit! rief Sophie, jetzt oder niemals kann ich ihn wiedersehen! Ich beschwöre Sie, Alfred, lassen Sie mich bei ihm wachen. Sagen Sie, die Frau sei krank, sagen Sie, was Sie für Recht halten, und lassen Sie mich ihre Stelle vertreten.

Unmöglich! sagte Alfred. Wenn Therese, wenn Julian Sie erkennten, wie peinlich müßte es für die Erstere, wie nachtheilig für den Letztern sein. Das ist unmöglich, theure Sophie!

Es soll mich Niemand erkennen, Alfred, versicherte sie, Sie selbst nicht. Trauen Sie so viel meiner alten Gewohnheit, meiner Kunst, die ich zum Letztenmal, zu meiner letzten eigenen Befriedigung üben will.

Aber Sie werden es nicht ertragen. Julian ist sehr verändert, Ihre Bewegung wird Sie verrathen.

Und stürbe ich des martervollsten Todes und wankte das Weltall um mich her, kein Wort, keine Bewegung soll ihm verrathen, daß ich es bin, die neben ihm wacht. Bester, theuerster Freund, rief sie, vertrauen Sie mir, vertrauen Sie meiner Liebe. Alfred! ein Frauenherz bricht eher, als es dem Geliebten ein Leid zufügt. Können Sie Ihrem Freunde, können Sie seiner Schwester eine Pflegerin schaffen, die treuer, liebender über ihn wachte, als ich? Sie wissen, mein Frieden hängt[329] daran, ihn noch einmal zu sehen. Seien Sie barmherzig, Alfred! wer weiß, ob noch einmal der Zufall sich mir so günstig bezeigt. Erfüllen Sie meine Bitte, Sie müssen, Sie werden es thun!

Es sei! – sagte Alfred, ich wage es im Glauben an die Kraft weiblicher Liebe. Kleiden Sie sich an. In einer Stunde komme ich, Sie zu holen.

Sie sprach kein Wort, sondern schlug nur die Hände zusammen und hob sie gen Himmel empor, wie um zu danken für die Erhörung eines heißen Gebetes.

Alfred sah die ausdrucksvolle Geberde mit Rührung. Nun Muth und Kraft, Sophie! sagte er, und verließ sie, um sich vorher noch in seine Wohnung zu verfügen, wo er eine Besorgung hatte.

Als er die Treppe seines Hauses hinaufstieg, schlich eine große, in einen dunkeln Mantel gehüllte Figur an ihm vorüber. Schon seit einigen Tagen war es ihm vorgekommen, als folge ihm dieselbe in gemessener Entfernung, wenn er Abends durch die Straßen ging; er hatte es aber nicht sonderlich beachtet. Nun, da der Schein des Gaslichtes auf den Träger des dunkeln Mantels fiel, erkannte Alfred den Kaplan, der durch eine Seitenthüre nach dem Theile des Hauses ging, in welchem die Zimmer Carolinen's lagen. In der ersten Aufwallung des Zornes wollte er ihm nacheilen, ihn zurückhalten; ein anderer Gedanke schien ihm aber zu kommen, und er ließ den Kaplan ungehindert seinen Weg verfolgen, der ihn bald in Carolinen's Stube führte.

Sie ging dem Kaplan entgegen, der ihre Hand mit einer schlechtverhehlten Zärtlichkeit küßte. Dann nahmen sie nebeneinander Platz und Ruhberg sagte: Ich fürchte, verehrte Freundin, daß die Augenblicke, die ich heute bei Ihnen verweilen darf, uns zugezählt sind. Irre ich nicht, so ist Herr von[330] Reichenbach zu Hause und Sie wissen, wie ich es gern vermeide, ihm zu begegnen, wie nur die innigste Theilnahme für Sie mich veranlassen kann, Ihr Haus zu besuchen, das zugleich das seine ist.

O, ich weiß es, rief Caroline; ich weiß, daß er Sie absichtlich kränkt, weil er mich dadurch tief verwundet. Er will mich von Allem trennen, was mir werth ist, er will mich ganz elend machen, damit ich den Zustand unerträglich finde, damit ich die Scheidung verlange, die er ersehnt. Aber so lange Sie mir bleiben, bleibe ich standhaft. Ihr Beistand soll mir den Muth und die Ausdauer geben, mich fest und beharrlich im Guten zu zeigen.

Wohl mir, wenn ich dazu die Fähigkeit hätte, denn ich fürchte, Ihnen stehen harte Proben bevor, sagte Ruhberg. Nicht von mir ist es, daß Herr von Reichenbach Sie zu entfernen wünscht. Was ist dem stolzen Manne der unbedeutende Priester? Was kann es ihn kümmern, ob seine Gemahlin denselben bei sich sieht, da er selbst sie kaum seiner Beachtung würdigt? Nur als Diener der Kirche fürchtet er mich; die geistige Pflege will er Ihnen entziehen, denn er haßt den Katholicismus und möchte Sie demselben entfremden. Das ist es, was meine Besorgniß erregt, und davor möchte ich Sie bewahren.

Wie wenig kennen Sie Alfred, sagte Caroline, wenn Sie glauben, daß er daran denkt, mich der Kirche abwendig zu machen! Seine Gleichgültigkeit gegen die Religion –

Ist in Haß übergegangen, unterbrach sie Ruhberg, seit die Satzungen der Kirche sich als unübersteigliche Scheidewand zwischen ihn und seine unerlaubte Neigung stellen. Trauen Sie meinen Worten und dem Urtheil unserer Freunde, die ihn beobachten. Es ist Alles nicht so, wie es sein sollte, und während er Sie auf jede Weise beschränkt, überläßt er selbst sich[331] einem Leben, das hart gegen die heiligen Pflichten der Ehe verstößt, die wahre, christliche Ehe vernichtet.

Was meinen Sie damit? fragte Caroline erglühend.

Was anders als das Verhältniß, welches Ihnen so gerechten Kummer macht! entgegnete Ruhberg mit merklicher Zurückhaltung.

Nein! nein! sagte Caroline, das ist es nicht, Sie wissen mehr, Sie verschweigen mir etwas. Bei Ihrem Amte, bei der Pflicht des Seelsorgers beschwöre ich Sie, mich nicht in Zweifel zu lassen. Ich bin auf Alles gefaßt, was mir bevorsteht, aber die Ungewißheit ertrage ich nicht.

Und wenn ich Ihre Bitten aus übergroßer Schwäche für Sie erfülle, was bürgt mir dafür, daß Sie schweigen, daß der gerechte Unmuth der beleidigten Ehefrau Sie nicht hinreißt, das Vertrauen zu verrathen, das ich Ihnen beweise?

Der heiligste Eid, wenn Sie ihn fordern.

Gut, sagte der Kaplan, so hören Sie denn, daß Herr von Reichenbach ein neues Verhältniß mit einer Schauspielerin angeknüpft hat, die früher die Freundin des Präsidenten war. Er besucht Fräulein von Brand nicht mehr, aber er bringt seine Zeit bei der Schauspielerin Sophie Harcourt zu, und so innig und ganz ausfüllend müssen die gegenseitigen Beziehungen sein, daß sie ihren Abschied von der Bühne verlangt hat, vermuthlich um ausschließlich sich und ihrer Liebe zu leben.

O, unerhört, unerhört! rief Caroline und stand auf, um in das Zimmer ihres Mannes zu eilen.

Der Kaplan hielt sie zurück. Wo wollen Sie hin? fragte er.

Zu ihm!

Ist das die Mäßigung, die Ruhe, die ich forderte? Halten Sie so Ihr Versprechen?[332]

Ich muß ihn sehen, ich muß ihm seine Treulosigkeit vorhalten! rief Caroline.

Haben Sie persönlich Beweise dafür? fragte der Kaplan, oder wollen Sie ihm sagen, daß Sie mich gesehen, daß Sie mir die Nachricht verdanken? Es wäre ein schlechter Lohn für die Dienste, die ich Ihnen leiste in einer Zeit, in der mich tausend neue Pflichten in Anspruch nehmen, denn es scheint im Rathe des Himmels beschlossen zu sein, daß mir die verantwortungsvolle Würde unseres verstorbenen Freundes auferlegt wird.

Caroline hörte seine letzten Worte nicht. Ja! sagte sie, ich selbst muß mich davon überzeugen, ich muß selbst Beweise haben für seine Untreue, dann –

Nun und was dann? fragte der Kaplan.

Sie wollte sprechen, hielt aber das Wort zurück und Ruhberg ergänzte für sie: Dann werden Sie, schwergeprüfte Freundin, sich berechtigt glauben, den Ehebund zu lösen, der Sie so unglücklich macht, und frei sein, sich selbst und Ihren Ueberzeugungen zu leben.

Das sagen Sie, Herr Kaplan! rief Caroline, Sie, der Sie mir die Scheidung stets als eine Sünde vorgehalten haben? Sie, der mich fast gezwungen hat, nicht einzuwilligen, als ich auf des Domherrn Rath geneigt war, auf den Willen meines Mannes einzugehen?

Damals hielt ich es für möglich, den Frieden Ihrer Ehe herzustellen, damals glaubte ich an eine Rückkehr Ihres Herrn Gemahls zu seiner Pflicht; aber diese Zuversicht habe ich lange schon verloren, meinte mit bedauerndem Tone der Kaplan.

Da sah ihn Caroline forschend an und sagte: Sie hassen meinen Mann, Herr Kaplan, das weiß ich, und er hat es kaum besser um Sie verdient! Durch den Präsidenten kenne ich aber auch das Verhältniß, in dem unsere Güter zu der[333] Kirche stehen. Sagten Sie nicht, daß Sie sichere Hoffnung hätten, Domherr zu werden an des verstorbenen Fernow Statt?

Ja, wenn der Herr seinen Segen dazu gibt!

Und jetzt scheint Ihnen die Scheidung erlaubt, die Sie früher verwarfen?

Was bezweckt die Frage, gnädige Frau!

Nichts, gar nichts! mein Herr Kaplan, denn ich bedarf Ihrer Antwort nicht, sagte Caroline spöttisch. Aber nun begreife ich den Eifer, mit dem Sie mir die neue Untreue meines Mannes zu verrathen eilten; nun verstehe ich die dringende Ueberredung, mit der Sie mich veranlaßt haben, Sie gegen den Willen meines Mannes zu sehen! Nun sehe ich ein, weshalb die Trennung unserer Ehe für Sie nicht mehr als unzulässig erscheint!

Es war vergebens, daß der Kaplan sie zu unterbrechen suchte, ihre Heftigkeit ließ es nicht dazu kommen.

Sie selber haben mir die Augen aufgethan, rief sie, und jetzt erst sehe ich klar! Aber Sie waren damit zu schnell, Herr Kaplan! denn wie sehr ich Sie auch schätze, ehe ich mich und meinen Sohn völlig in die Abhängigkeit von einem Dritten überantworte, ehe ich die Reichenbach'schen Güter dem freien Besitze ihrer Eigenthümer entziehe, ehe ich meinen Sohn und mich, auch dem verehrtesten Manne, auf Gnade und Ungnade übergebe, will ich lieber all das Leiden noch länger ertragen, das meine jetzigen Verhältnisse mir auferlegen.

In dem Augenblick hörte man den Knaben in dem Vorsaal. Der Kaplan erhob sich. Er hatte sein ruhiges Lächeln nicht einen Augenblick verläugnet. Ueberlegen Sie, was Sie mir sagten, prüfen Sie meine Behauptungen, theure Freundin! sprach er, und wenn Sie sich, wie Sie müssen, von meiner Wahrhaftigkeit überzeugt haben werden, wenn Sie, wie schon so oft, verzweifelnd nach Beistand und Rath verlangen, dann denken[334] Sie, daß ein Diener der Kirche Nachsicht hat für die Verblendeten, daß er persönliche Kränkungen zu vergeben wissen muß. Ich darf und will mich nicht an Ihre Worte erinnern, gnädige Frau, denn Sie sind es nicht, es sind die Qualen der Eifersucht, die aus Ihnen sprechen.

Er wollte sich entfernen, Caroline blieb stehen, ungewiß, was sie beginnen solle. Plötzlich fragte sie: Wo sagten Sie, wo wohnt die Schauspielerin, derer Sie gedachten?

Ich weiß es nicht, entgegnete der Kaplan, aber was thut es auch zur Sache, da Ihre Geduld und Liebe Ihrem Gatten zu verzeihen wünschen.

Sie wendete sich zornig von ihm ab. Ist Dein Vater schon zu Hause, fragte sie den Knaben, der eben in das Zimmer trat. Felix bejahte es, und die Mutter befahl ihm, den Vater zu ihr zu bitten.

Der Knabe richtete die verlangte Botschaft aus, fügte aber aus eignem Antriebe die Nachricht hinzu, daß der Herr Kaplan dagewesen und eben fortgegangen sei. Alfred wußte das bereits.

Das ist komisch, sagte Felix, der Herr Kaplan kommt so oft, lieber Vater, aber immer, wenn Du nicht zu Hause bist. Er kommt immer nur zu der Mutter, nie zu Dir!

Alfred sah den Knaben überrascht an, erschrocken vor der sittlichen Verwahrlosung, die denselben bedrohte. Felix misdeutete die Bestürzung des Vaters und fügte begütigend hinzu: Ich meine, es ist doch unrecht von Mama, weil Du es ihr neulich verboten hast, als ich in der Nebenstube war.

Ein Sohn als Angeber seiner Mutter! ein Kind, eingeweiht in solche Mishelligkeiten! sagte Alfred schaudernd zu sich selbst, und statt zu Caroline zu gehen, hieß er den Knaben der Mutter sagen, daß er behindert sei, sie zu sprechen, weil ein Geschäft ihn zwinge, auszugehen.

Er eilte, im Innern von dem traurigen Ereigniß in seinem[335] Hause beschäftigt, davon, um Sophie zu holen, die seiner bereits lange warten mußte. Als er durch die Säulenhalle vor seinem Hause schritt, vertrat ihm eine Frau den Weg. Es war Caroline.

Was willst Du? fragte er, überrascht sie zu sehen.

Ich muß Dich sprechen, Alfred! sagte sie.

Jetzt nicht, jetzt nicht! rief er ungeduldig. Hat Dir Felix nicht gesagt, daß ich beschäftigt sei? Was soll die unnöthige Eile?

Alfred! man will uns arglistig trennen, der Kaplan –

Jetzt plötzlich? rief er, aber halte mich nicht auf, spiele nicht Komödie, Caroline! Ich bin nicht in der Laune, Dir dabei zu helfen, und die Straße ist kein Ort dazu. Was wir miteinander zu sprechen haben, kann bis morgen ruhen.

Er wollte an ihr vorbeigehen, sie aber hing sich an seinen Arm und sagte ängstlich dringend: Alfred! Du gehst zur Harkourt! Woran soll ich mich halten, wenn mein Mann mich verläßt?

An die Nachrichten und an die guten Lehren des Kaplans, entgegnete er ihr, den ich Dir zu sehen verboten und dem Du die Nachrichten über die Harkourt vermuthlich verdankst.

Er machte sich gewaltsam los und eilte davon.[336]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872, S. 328-337.
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