Zweites Buch

Ich hatte das ganze südliche Frankreich nach allen Richtungen durchstrichen, war über die Pyrenäen gegangen, hatte in Alhambra einsam schöne Stunden, in süßen Erinnerungen an die goldene Zeit der Abenceragen verträumt und auf den Kalkfelsen Gibraltars die blonden, rothgeröckten Söhne Albions ihre Parademärsche halten sehen. Wie Lord Byron hatte ich in Cintra geseufzt und wie er war ich ohne Befriedigung geblieben.

Wohin ich kam, umgaben mich die Huldigungen der Männer, alt und jung waren überwältigt von meinem Zauber. Fürsten knieeten zu meinen Füßen, schwarzlockige Hidalgos sangen zur Nachtzeit unter meinen Fenstern die glühenden Serenaden ihres Landes, und selbst der wilde Matador verdoppelte im Stiergefechte seine Anstrengungen, wenn mein Auge auf ihm ruhte und ihn inspirirte. Alle diese Huldigungen nahm ich an. Ich war unermüdlich in der Recherche nach dem Rechten, ich empfand süße, elegische Rührung am Herzen eines[91] Abkömmlings der Abenceragen, dessen orientalische Phantasie mich einwiegte mit wundersamen Träumen; ich fand die aufgethaute Wärme eines jungen Irländers von der Garnison zu Gibraltar pikant; ich amüsirte mich mit den Liebesextravaganzen eines Portugiesen – ich lernte spanisch und portugiesisch, ich copirte sämmtliche Murillo's der spanischen Schlösser in wenig Monaten, und als ich nach Neujahr in Paris anlangte, war ich todt müde und trotz dieser ernsten Anstrengung, glücklich zu werden, ebenso unbefriedigt als je.

Der Ruf meiner Schönheit war mir vorausgegangen. Alle books of beauty und keep sakes brachten mein Portrait; ich war der Gegenstand der stupendesten Erwartung. Ich hatte bei den ersten Putzhändlerinnen so enorme Bestellungen gemacht, daß man sie selbst in Paris surprenirend fand und gespannt war, mich, diese vielgepriesene Frau, zu sehen. Der Fürst, mein treuer Cavalier auf der ganzen Reise, war nach Paris vorausgeeilt, um mir ein Hotel einrichten zu lassen und empfing mich mit der Nachricht, wie sehr man mir entgegenharre.

Das ennuyirte mich und ich beschloß ein ganz neues Regime zu beginnen. Ich machte keine Visiten, sah nur einmal meinen Onkel, welcher Gesandter[92] war und mir die Scheidungsakte zwischen mir und meinem Manne zu unterzeichnen brachte, und verließ mein Haus gar nicht. Die Folge davon war, daß alle Fenster der gegenüberstehenden Häuser von den fashionabelsten jungen Männern zu ganz enormen Preisen gemiethet waren. Man macht Pari's darauf, wer der Erste sein werde, die miraculose Gräfin zu erblicken; der Fürst, selbst in Verzweiflung über mein wiederholtes Refusiren ihn zu empfangen, ward sehr recherchirt, weil man von ihm Auskunft über mich zu erhalten erwartete. Ich erfuhr durch Rosalinde all diese Extravaganzen und war degoutirt davon.

Eine finstere, lugubre Melancholie kam über mich, ich fing an die Welt und die Menschen zu hassen, dem Schicksal zu zürnen. Ich wollte versuchen, mir die Thüren des Jenseit zu eröffnen. Es schien mir picant, grade in Paris, wo alle Welt die Genüsse der Erde sucht, diese gänzlich zu verschmähen und, umgeben von einem wahrhaft eblouirenden Luxus, das Leben eines Anachoreten zu führen.

Ich ließ neben meinem pompösen, comfortablen Boudoir ein kleines, schlechtes Zimmer seiner Tapeten berauben, alle Möbel daraus entfernen, den Kamin vermauern und das Fenster verhängen.[93] Aus einem Kloster schaffte ich mir das abgelegte Gewand einer verstorbenen Nonne. Als ich es angelegt hatte, sah ich mich zum letzten Male im Spiegel. Strahlender als je, erschien meine fascinirende Schönheit in dieser Verhüllung. Dann zog ich mich in meine Zelle zurück und beschloß, den Pater Benoit holen zu lassen, der berühmt war durch seine strenge Ascese, seine große Schönheit und sehr en vogue in der beau monde, um mich mit ihm über den Zustand meiner Seele und meines Herzens zu berathen.

Als er die Prachtsäle meines Hotels durchwandert hatte, vermuthete er sicher, in eines jener eleganten Betzimmer geführt zu werden, in denen die vornehmen Damen, kokett vor ihren prie-dieu hingegossen, die Sünden des vorigen Tages bereuen. Wie sehr war er erstaunt, eine Zelle, eine von allem eitlen Tande entblößte Frau, in voller Schönheit der Jugend, vor sich zu sehen. Aber nicht minder frappirt war ich selbst.

Der Pater war ein Mann von kaum dreißig Jahren. Zehn Jahre lang Missionair in dem Innern von Afrika, war von der Sonne des Südens sein edles Antlitz gebräunt. Seine Züge waren scharf geschnitten wie die des Nero oder August; sein Blick ruhig und sicher, sein Mund fest geschlossen.[94] Schwarzes, glattes Haar legte sich weich um seine Schläfe und er trug sein einfaches Priestergewand mit der Eleganz, mit der Distinction eines Fürsten. Seine Hände waren aristokratisch fein und soignirt, wie er denn auch vortrefflich chaussirt war.

Einen Moment betrachtete er mich mit schweigendem Erstaunen. Dann sagte er: »Sie haben mich rufen lassen und ich finde Sie hier in einem Zustande, meine verehrte Gräfin, der mich zu der Frage ermächtigt, welch Leid Ihre Seele bedrückt?«

»O mein Vater!« rief ich, »ich bin von Gott verlassen!«

»Das ist Niemand, der ihn sucht.«

»Mein Vater! ein schwerer Fluch ruht auf meinem Geschlechte, hören Sie mich an. Ich stamme von Diogenes, ich muß einen Menschen suchen, wie er es that, einen Menschen, einen Mann in der vollen Idealität des Wortes, den rechten Mann. Unzählige Frauen unsers Geschlechtes sind daran zu Grunde gegangen, denn nur das Herz und die Seele sind die Wünschelruthe, mit denen man Herz und Seele, mit denen man den Rechten findet, und – wir Alle haben weder Herz noch Seele.«

»Sie freveln, meine Tochter!« sagte der Pater. Aber ich ließ ihn nicht weiter sprechen. »O!« rief ich, ihn unterbrechend, »hören Sie mich an.[95] Submiß dem Schicksalsspruch unsers Geschlechtes, habe ich die Liebe und den Rechten gesucht mit einer Ardeur, mit einer Vehemenz, die ihnen adorabel scheinen würde. Ich bin erst siebenzehn Jahre und schon war ich einem Grafen verheirathet, von dem ich geschieden bin; schon ist ein Lord zum Selbstmorde getrieben durch mich, ein Vicomte für mich im Duell geblieben, ein Fürst folgt mir mit stupider Hundetreue, ohne zu wissen weshalb, noch warum? Unter unzähligen Hidalgos der pyrenäischen Halbinsel habe ich umher gesucht nach Liebe und nach dem Rechten, ich habe Nichts gefunden als passagere Emotionen und gewöhnliche Cavaliere. Ich bin der Verzweiflung nahe. Ich finde es unter meiner Würde, zu den Regionen der Bourgeoisie hinabzusteigen und doch fürchte ich fast, ich finde nicht in der Aristokratie, was ich erstrebe. Da habe ich mich in meinen Zweifeln an Sie gewendet, mein Vater! Rathen Sie mir, que faire

»Frau Gräfin!« sagte der Pater, »wenn Sie nicht ein unwürdiges Spiel mit mir treiben, vor dem schon die Heiligkeit meines Gewandes mich schützen sollte, so ist es hohe Zeit, daß Sie Ihre Seele in sich sammeln zum Gebete, ehe Sie der Schwindel erfaßt, der Sie hinabreißen muß in den Abgrund des Wahnsinns.«[96]

Er wollte sich setzen, um mit mir zu sprechen, es war kein Sessel in dem Gemach. Da ich in Allem gern ganz war, so hatte ich, nun ich daran dachte, mich von allem Luxus zu debarrassiren, auch die gewohnte Bequemlichkeit eines Stuhles verschmäht und lag an der Erde. Ich sah dann frappant wieder wie eine Magdalena Correggio's aus.

Der Pater ging in das Boudoir, nahm einen Fauteuil und trug ihn in meine Zelle, wo er sich darauf niedersetzte. Ich kniete vor ihm nieder.

»O!« sagte ich, »Sie sehen aus, mein Vater, als ob Sie eine Seele hätten, aus Ihren Augen spricht ein mildes, liebendes Herz. Haben Sie Erbarmen mit mir, geben Sie mir von dem Ueberflusse Ihrer Seele, Ihrer Liebe einen Funken, daß er in mir ein Mirakel wirke. Sehen Sie, ich bin das unglückliche Götterbild des Pygmalion, die Schönheit ohne den belebten Hauch der Liebe. Lieben Sie mich, mein Vater! Sie, dessen Herz, dessen Seele groß und mächtig genug waren, den in Heidenthum versunkenen Völkern den Geist der Liebe einzuflößen, Sie müssen die Kraft haben, auch mir eine Seele, ein Herz zu geben, auch mir die Gnade der Liebe zu gewähren. Lieben Sie mich, mein Vater! Es ist ein Gott wohlgefälliges Werk.«[97]

Ich war außer mir. Aufgelöst in Thränen, umklammerte ich seine Kniee und preßte meine brennenden Lippen auf seine eleganten Hände, die er mir entzog, um sie segnend auf mein Haupt zu legen. Er betete leise, ich blickte zu ihm empor, er sah wunderschön aus.

»Gräfin,« sagte er dann ruhig, »Sie haben wohl gethan, daß Sie sich zu Buße und Andacht wendeten, denn Gott muß ein Wunder thun, um Sie von Ihrer furchtbaren Verblendung zu heilen. Sie haben Gott gelästert und vergessen, und sich an seine Stelle gesetzt. Sie haben sich angebetet in fürchterlichem Egoismus und dem Götzen Ihrer Eitelkeit die Herzen und das Leben von Männern geopfert. Nicht in der Natur des elendesten Kaffernweibes fand ich die Grausamkeit spielender Selbstsucht, die sich in Ihren koketten Worten verräth. Nicht Liebe haben Sie gesucht, sondern Befriedigung Ihrer Sinnlichkeit, Beschäftigung für Ihre unersättliche Phantasie. Suchen Sie Gott im Geiste, nicht in der makellosen Schönheit eines Mannes, und Gott wird sich Ihnen offenbaren in jener heiligen, unvergänglichen Liebe, die nicht zu suchen braucht nach dem Rechten, weil jeder Mensch, auch der elendeste, einer rechten Liebe werth ist. Aber Sie wollen Nichts lieben[98] als sich selbst und das ist Sünde, das ist Tod.«

Er war aufgestanden, ich hielt ihn zurück. »O, mein Vater!« rief ich, »sprich, sprich immer weiter, Deine milde Stimme calmirt den wilden Sturm meines Herzens, wie Oel das Meer; die Wogen meines Innern legen sich zur Ruhe, die Fluthen aplaniren sich, und wie der Mond sich spiegelt im ruhenden Meere, so schwebt Dein heilig ernstes Antlitz auf dem Spiegel meines Innern. Verlaß mich nicht, mein Vater! halte mich nicht unwerth Deines Gebetes, Du, der hinabstieg zu dem Stumpfsinn miserabler Wilden, häßlicher Negerinnen, niedrigen Pöbels. Sieh, mein Vater! ich bin Gräfin, ich bin von edelstem Stamme, ich bin schön, ich bin jung, o bete, bete mit mir, daß ich das Einzige erlange, was mir fehlt; gib mir die heilige Liebe Deines Herzens, gib mir Dein Herz, damit es lebe in meiner Brust und Deine Liebe mächtig werde in meiner Seele!«

Ich sprang empor und schloß ihn in meine Arme, ein flammender Kuß Benoit's brannte auf meiner Stirn, dann riß er sich los und verschwand. Ich sank auf die Erde zurück, ich träumte von den langen, unabsehbaren Wüsten Afrikas, verschmachtend lag ich da im öden Sonnenbrand, ich hörte[99] den Tritt von Kameelen, lange Karavanen zogen an mir vorüber, Niemand beachtete mich, Niemand hörte den leisen Ruf, den meine erschöpften Kräfte mir gestatteten. Da kroch ich mühsam weiter und fand das Lager eines Negerstammes. Schwarze, garstige Weiber, affenartige Kinder wälzten sich unter den Zelten umher, die elend aus Fellen und Tüchern bereitet waren. Ein schöner Mann stand inmitten des Lagers und theilte Worte der Liebe und Gnade den geistig Dürstenden aus, während ich ihn vergebens um einen Tropfen Wasser flehte, meine glühenden Lippen zu kühlen, um ein Wort des Trostes, meine Seele zu erfrischen. Ich sah ihn ungerührt an mir vorüberschreiten, er sagte, sich abwendend: »Sieh, Diogena! diese elenden, schwarzen Weiber sind glänzende Engel des Lichtes gegen Dich, denn sie lieben den Mann, deß harte Hand sie schlägt, und Du liebst Nichts.«

»O, Dich liebe ich!« wollte ich rufen, aber er war schon verschwunden.

Ich lief in mein Boudoir, ich befahl Rosalinde, mir noch einmal den Pater holen zu lassen. Sie schickte fort und der Diener kam mit dem Bescheide zurück, der Pater Benoit sei im Dienste des Klosters beschäftigt. Er könne erst morgen wiederkehren.[100]

Die Nacht verging mir in tödtlicher Unruhe; zuweilen war mir es wirklich, als liebte ich den Pater, als sei mit seinem Erscheinen ein neues Gefühl in mir erwacht, als perlten neue Quellen aus den profundesten Tiefen meiner Existenz hervor. Ich weinte, wenn ich an ihn dachte, ich wußte nicht, ob vor Liebe oder aus Depit, weil er kalt genug geblieben war, nicht auf meinen zweiten Ruf sogleich zu retourniren.

Am Morgen ließ ich meine goldenen Locken glätten, arrangirte meine Händchen und meine fabelhaft kleinen Füßchen, die in den Sandalen noch viel charmanter erschienen, als in der elegantesten pariser Chaussure, und erwartete sehnsüchtig die Ankunft des Paters, denn trotz aller Meditationen fing ich an, mich in meiner Solitude ganz unbeschreiblich zu langweilen. Ich grollte mit meinem Geschick. Da sah ich, so weit das möglich war bei der Distance, welche mich von der Bourgeoisie trennte, ganz einfache Bürgerfrauen, die gar kein Schicksal hatten, denen Nichts arrivirt war, die Nichts suchten und die dennoch ganz zufrieden waren. Sie hatten einen Mann, Kinder, Arbeit, Liebe für all dies – lauter furchtbar ignoble Dinge – aber sie sahen vergnügt und zufrieden aus und hatten so wenig Langeweile, daß sie selbst[101] die Agrements von Theatern und Bällen selten besuchten, die ihre Männer ihnen offerirten, sondern still begnügt in ihrer Häuslichkeit lebten.

Aber dies war ja ganz incomprehensibel! Warum hat die kleine Frauennatur in der Begrenzung ein Glück, für das immense Seelen, wie meine, bei dem rastlosesten Suchen kein Aequivalent finden? Ich fühlte Widerwillen gegen die Erde, der Himmel lockte mich. Ich dachte an die Gefilde der Seligen. O! im Jenseits wenigstens sind die Stände scharf geschieden, dort, sagte ich mir, müsse es deliciös sein. Alle Freuden, alle Genüsse auf der Seite der Aristokratie, der Seligen; alle Pein, alle Schmerzen für das Gros der Verdammten. Darin fand ich die göttliche Gerechtigkeit wieder, das erhob meine Seele zur Adoration und ich hoffte, Gott würde mir im Himmel die Compensation für alles Ennui der Erde bereiten.

In diesen Betrachtungen störte mich die Meldung, daß der Pater gekommen sei. Ich ließ ihn bitten, einzutreten. Aber wie erstaunte ich, als statt des Paters Benoit, den ich erwartet hatte, ein alter, düsterer Priester erschien. Ich fragte nach seinem Begehren.

»Der Pater Benoit hat mir gesagt, daß Ihre Seele, meine Tochter, in den Fesseln des Bösen[102] sei, und daß Sie Beistand suchen, sie daraus zu erlösen.«

»Und warum kommt er nicht selbst?«

»Er ist abgereist heute in aller Frühe.«

»Und wohin?«

»Zurück in die Wüsten Afrikas, wo er den Heiden das Wort des Lebens gepredigt hat, und wo er Menschen zu retten findet.«

»Warum verschmähte er, mich zu retten, deren Seele sich ihm hilfesuchend und vertrauend nahte?«

»Das beantworte Dir selbst, meine Tochter!« sagte der Priester. »Er floh die Erbsünde, denn Du bist die Schlange, Du bist der Satan in seiner verführerischsten Gestalt, und wohl dem reinen Jünglinge, daß er sich Deiner teuflischen Arglist entzog. Dir wäre besser, Dein gleißend Antlitz überzöge sich mit Aussatz und Deine Seele würde rein von Schuld und Sünde!«

Ich richtete mich majestätisch empor. Eine Thräne prächtigen Zornes trat in die schöne Iris meines Auges. O! grade in dem Herzen dieses unentweihten reinen Jünglings hatte ich die ewig glühende Liebe, jenes Naphtha des Lebens zu finden gehofft, von dem ich mich zu ernähren strebte. Ich begriff, daß die durch tausend Leidenschaften usirten Männer der beau monde mir jenes heilige,[103] primitive, indestructible Feuer nicht entgegenbringen konnten, von dem ich allein noch Rettung aus meiner Blasirtheit erwartete. Es verdroß mich, daß dieser junge Mönch mich, die göttliche Diogena, verschmäht hatte; mein Zorn wendete sich gegen den alten Pater, der, dies fühlte ich, mehr oder weniger zu jener mir verhaßten Abnegation Benoit's beigetragen haben mußte. Ich wollte dem Pater zeigen, wie wenig Einfluß er auf mich habe, und während er sich zu einer foudroyanten Rede vorbereitete und diese anfing, schellte ich Rosalinden und befahl ihr mit prächtiger Impertinenz, dem Pater einen Fauteuil in meinem Boudoir neben meiner Toilette zurecht zu setzen, da ich heute Abend meine Antrittsvisiten zu machen gedächte und mich sogleich coeffiren lassen müsse.«

Der Pater sah mich bewildert an. Dergleichen mochte ihm noch nicht vorgekommen sein. Er sagte keine Sylbe, sondern entfernte sich, über mir das Zeichen des Kreuzes machend.

Die Erinnerung an meine Pönitenzversuche, an Benoit, hatten Etwas, das mir penibel war und das ich zu verscheuchen trachten mußte. Die Gesellschaft ersehnte mich so lange, daß ich mich ihr wirklich schuldig war. Ich machte noch denselben[104] Abend meine erste Visitentournée und nach wenig Tagen war ich auch hier der Mittelpunkt des geselligen Treibens.

Paris war wie in einem Zaubertraum. Meine Anwesenheit inspirirte die Poeten und Musiker, die Dichter benutzten die interessanten Episoden aus meinem Leben, welche allmälig public geworden waren. Die Fabrikanten nannten ihre neuesten Producte à la belle Comtesse oder à la Diogène, und unter den jungen Cavalieren war eine vollkommene Concurrenz um den Besitz meiner Gunst eingetreten.

Ich wanderte, geschmückt mit allen Colifichets des raffinirtesten Luxus unter diesem Treiben einher, so kalt, so nichtachtend, wie die himmlischen Gestirne über die Erde schreiten. Oftmals versuchte ich die Wünschelruthe auszuwerfen, wenn aus den Herzen der Männer das Liebesmeer unter dem Strahl meiner Augen zu mächtiger Fluth emporschäumte, aber während ich alle Herzen entzündete, blieb das meine kalt. Ich sagte mir selbst, dein Herz, wenn du eines hast, ist ein Diamant, blendend, strahlenwerfend, hart, von Allen begehrt und kalt – aber auch der Diamant verbrennt, wenn nur das rechte, intensive Feuer ihn ergreift; dies Feuer muß existiren auch für mein[105] Herz, und wenn es einst brennt, dann sind all meine Skrupel auf einmal gelöst, dann weiß ich, daß ich ein Herz habe und dann habe ich den Rechten gefunden.

Diese Gedanken brachten mich auf die Gesetze der Schöpfung, auf Naturwissenschaften, Chemie und Anatomie. Die oberflächliche Conversation der Salons war mir insupportable geworden, ich wurde fast nervös, wenn die jungen Männer wieder mit den sich ewig gleichbleibenden banalen Liebesphrasen mir das matte Glühen ihrer usirten Herzen andeuteten, ich hatte keine Freude, keine Zerstreuung mehr von ihnen zu erwarten und ich war doch noch so jung, ich war Gräfin und schön, das heißt, zum Glück berechtigt. Um mich zu desennuyiren, fing ich an, mich in die Wissenschaften zu werfen. Ich besuchte einen Cursus um den andern; der Fürst, der sich dabei noch mehr als gewöhnlich langweilte, begleitete mich überall.

Ich ließ meine Zelle in ein Laboratorium verwandeln, ich verdampfte Quecksilber, experimentirte mit Jod, und hatte es bald zu einer Erkenntniß in den tiefsten Tiefen der Wissenschaft gebracht, die Berzelius und Faraday, denen ich in elegantem Salonjargon die tiefsinnigsten Briefe schrieb, in Entzücken versetzten. Da brachte mir eines[106] Tages, als ich ermüdet von einer anstrengenden, mehrtägigen Beobachtung, erschöpft auf meine Chaise longue gesunken, der junge Professor, welcher mir bei meinen Studien behilflich war, einen seiner Freunde mit, um ihn mir zu präsentiren.

Ich hatte mir ein Costume arrangirt, das vortrefflich für meine dermaligen Zwecke paßte. Ich trug eine Robe montante von graubraunem Wollenstoffe, oben mit einer schwarzen Spitze geziert, die nur mit einer Cordelière um die Taille befestigt war. Lose Aermel ließen sich während der Arbeit leicht zurückschlagen und zeigten meine superben Arme mit schwarzen Steinkohlen-Braceletts geschmückt. Um den Kohlenstaub für meine goldenen Locken zu vermeiden, hatte ich mir ein kleines schwarzes Käppchen von Velours anfertigen lassen, das in der Form den mittelaltrigen Coeffuren gleichkam. Schwarze Stiefelchen chaussirten meine Füßchen vortrefflich; das Ganze war eben so graziös einfach als distinguirt.

Als die beiden jungen Männer bei mir eintraten, fanden sie mich mit dem neuesten Werke über den Elektro-Magnetismus beschäftigt. Es war von der belebenden Wirkung desselben auf die Nerven die Rede. Ich hatte lange darüber nachgedacht und mochte Etwas zerstreut sein, als mir[107] der Professor seinen Freund nannte. Der Diener präsentirte den Männern die Fauteuils und es entstand eine wunderliche Pause, weil ich in Meditationen, der neue Gast in den Anblick meiner Schönheit versunken war.

Endlich raffte ich mich empor und sagte: »Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie bitte, mir noch einmal Ihren Namen zu wiederholen. Ich kenne sämmtliche Namen aller adeligen Geschlechter auswendig nebst ihren Wappen, ich habe ein immenses Gedächtniß, indessen für die Namen der Bürgerlichen ist es miraculös schwach und sie entschwinden mir sehr leicht wieder.«

Der Angeredete sagte sehr ruhig: »Ich heiße Friedrich Wahl.«

»Ein Deutscher also?«

»Ja, gnädige Gräfin.«

»Und was führt Sie nach Paris?«

»Ich bin Prosector an dem anatomischen Cabinet.«

Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte mich. Ich fragte: »Sagen Sie mir, mein Herr, gibt es Menschen, die das Unglück haben, ohne Herz geboren zu sein?«

»Unmöglich! gnädigste Gräfin!« entgegnete Friedrich, »auch ist dies ein Mangel, über den sich[108] wie mich dünkt, noch Niemand beklagt haben wird, am wenigsten in Ihrer Nähe.«

Ein glühendes Roth überflog sein Gesicht. Der milde Klang seiner Stimme frappirte mich angenehm. Ich zog mein Lorgnon hervor, ihn zu betrachten. Er machte mir einen lebhaften Eindruck. Groß, kräftig und regelmäßig gebaut, mit schönen, gradlinigen Gesichtsformen, großen blauen Augen, über die sich oft ein feucht verschwimmender Glanz ergoß, und mit reichem hellbraunem Lockenhaar, war er der Typus eines Deutschen, eine angenehme Diversion unter all den dunkeln Franzosen und fadblonden Engländern. Seine Tournure hatte Nichts von der recherchirten Nachlässigkeit der eleganten Cavaliere, seine Toilette war die simpelste von der Welt, sein ganzes Maintien erinnerte mich an die Haltung Napoleon's, wie er in sich selbst ruhend, mit übereinander geschlagenen Armen dargestellt wird.

Er hielt meinen Blick ruhig aus und sagte, indem ein leises Lächeln über seine Züge glitt: »Sie scheinen kurzsichtig zu sein, Frau Gräfin! Befehlen Sie, daß ich Ihnen näher rücke?«

Diese Worte von einem Manne gesprochen, der noch wenig Augenblicke vorher ganz fascinirt gewesen war von dem Zauber meiner Schönheit,[109] machten mir einen wunderbaren Effect. Ich wollte diese Impertinenz mit einem wahrhaft aristokratischen Contrecoup vergelten und fragte: »Wollen Sie mir sagen, mein Herr Wahl, was Sie zu mir führt? Sie bedürfen wahrscheinlich einer Protection, die Sie in mir zu finden hoffen und die ich gern gewähren will.«

Friedrich lächelte wieder und entgegnete: »Gnädige Gräfin! ich bedarf keiner Protection, denn ich bin ganz und gar unabhängig.«

»Sie sind reich?«

»Im Gegentheil. Ich würde Ihnen vermuthlich arm erscheinen, hätten Sie Gedächtniß genug, die Einkünfte eines Bürgerlichen zu behalten; aber ich bin reich, weil ich früher ganz arm gewesen bin und mir also relativ sehr reich erscheine.«

»Und wem verdanken Sie diese Wandlung Ihrer Verhältnisse?«

»Mir selbst, und ich möchte auch sonst Niemandem Etwas verdanken.«

Friedrich's Selbstgefühl enchantirte mich, weil es mir in dieser Weise neu war. Ich hatte mich bis dahin in halbliegender Stellung, mit prächtiger aristokratischer Nachlässigkeit verhalten und mit der Kette meines Lorgnon gespielt. Jetzt fand ich, daß dieser Mann die Mühe verlohnte, sich für ihn[110] aus den indolenten Alluren zu reißen. Ich richtete mich empor, kreuzte graziös meine Füßchen auf dem Tabouret und lehnte meine superbe, sammetweiche, fabelhaft kleine Hand auf das dunkle Sophakissen. Sie sah darauf aus wie eine röthliche, chinesische Primel, die im Frühjahr zum ersten Sonnenstrahl aus dem dunkeln Erdreich hervorguckt. Ich merkte, daß Friedrich, trotz seines Selbstgefühls, trotz seines forcirten Spottes, kein Auge von meinen Händchen verwenden konnte, und ich gönnte ihm generös die Freude des Anstaunens, indem ich sie in das rechte Licht brachte.

»Aber um Alles in der Welt, lieber Professor!«

sagte ich lachend zu dem Chemiker, der schweigend und ganz verwundert über diese originelle erste Entrevue dagesessen hatte, »was haben Sie mir da für einen wunderlichen Gast gebracht. Ich glaube, Sie wollen mich persuadiren, statt der chemischen Analysen einmal einen Charakter zu analysiren, wer weiß, ob ich dazu das Talent habe und ob die Elemente nicht so flüchtig sind, daß ich sie nicht zu fixiren verstehe.«

»Sie würden noch mehr erstaunen, verehrteste Gräfin,« sagte der Chemiker, »wenn Sie wüßten, was meinen Freund zu Ihnen geführt hat. Er ist ein begeisterter Anhänger der Jetztzeit, des Liberalismus,[111] der Entwickelung der Humanität, wie sie sich jetzt unter uns offenbart, und war begierig, Sie, gnädige Gräfin, kennen zu lernen, weil ich ihm erzählt hatte, daß all dieses für Sie gar nicht existire.«

»In der That,« fiel ihm Friedrich, abermals flüchtig erröthend, in das Wort, »in der That, ich war begierig, eine Frau kennen zu lernen, die ganz Paris als das Wunder der Schöpfung anstaunt, deren Geist alle Welt anerkennt und die es dennoch möglich gemacht haben sollte, sich vor dem Einflusse der heiligsten und erhabensten Ideen zu bewahren, die die bewegende Kraft unsers Jahrhunderts sind.«

»Also auf eine Proselytin war es abgesehen!« rief ich aus. »O, mein Herr Wahl! den Gedanken desavouiren Sie gewiß, wenn Sie mich kennen. Ich bin nun einmal von einer besondern Natur, ich bin wunderbar exclusiv, mein Geist hat seine eigenthümlichen Alluren. Vielleicht, daß ich mich zu groß fühle, mich in Ihre heilige Allgemeinheit zu verlieren, vielleicht scheine ich mir eines besondern Loses würdig, ein être à part zu sein. Denken Sie, was Sie wollen. Geben Sie mir Seraphsschwingen, mich zum Aether zu tragen, oder die Fledermausflügel eines Dämons, mich hinabzusenken[112] in die nächtlichen Tiefen der Existenz – nur vor den Alluren Ihrer staubgeborenen Menschen lassen Sie mich sicher sein. Ich mag nicht im Staube leben, ich mag Nichts mit der Menge gemein haben, und mein Fatum ist mir gnädig gewesen: ich heiße Diogena, ein Name, den vielleicht Niemand außer mir trägt auf Erden. Vielleicht hat mich dies für meine exclusiven Neigungen prädestinirt.«

Indem ich diese Worte sprach, hörten wir in meinem Laboratorium das Platzen einer Retorte, und der Professor, auf den dieser Ton eine magnetische Attraction übte, stand auf, um sich zu überzeugen, was geschehen sei. Ich blieb mit Friedrich allein und sagte: »Mir wäre es ganz recht, wenn das ganze Laboratorium in die Luft gesprengt würde, den Professor ausgenommen.«

»Und doch behauptet mein Freund, Sie wären mit dem Studium der Chemie leidenschaftlich beschäftigt,« meinte Friedrich.

»Ich war es, jetzt ist die Zeit vorüber. Ich kenne jetzt von der Chemie Alles, was man bis auf diese Stunde entdeckt hat, ich bin zu neuen unerhörten Forschungen vorgedrungen; was ich suchte, fand ich nicht, und so hat ihr Reiz für mich aufgehört.«[113]

»Und darf ich fragen, welches Problem Sie zu lösen begehrten?«

»Ich hoffte aus der Art, in der sich in der Natur die wahlverwandten Elemente ergreifen, um sich unauflöslich zu fassen und zu vereinen, eine Analogie zur Decouverte des Wahlverwandten in den Menschennaturen zu finden. Während ich die Dinge in ihre Elemente auflöste, hoffte ich den Weg zu der mir verwandten, mir ewig eigenen Menschennatur zu finden, es reussirte nicht und so bin ich der todten Wissenschaft müde und um eine Illusion ärmer.«

»Das heißt um eine Wahrheit reicher!« sagte Friedrich.

»Das ist auch eine von den modernen Tendenzphrasen, die ich hasse. Ich suche die Wahrheit nicht, ich suche die Liebe und das Glück.«

»Sie suchen die Liebe? In Andern oder in sich?«

»Ich fand sie weder in jenen noch in mir.«

»Sie, Sie, Gräfin! Sie suchten nach Liebe und vergebens? Aber das ist ja unmöglich, da Jeder anbetend und verlangend vor Ihnen niederstürzen muß!«

»Was wollen Sie,« sagte ich indifferent, »es mag in einer fehlerhaften Organisation meines Herzens liegen, daß die Liebe nicht in demselben agiren und reagiren kann. Ich möchte das Herz[114] in seiner physischen Structur kennen, um es in seinen Empfindungen danach zu beurtheilen. Ich möchte wissen, wie das Fluidum, das die Welt beseelt, das in dem einzelnen Menschen agirt und von ihm ausströmt, auf die ihm verwandte Natur influirt. Mit einem Worte, ich möchte Anthropologie studiren und Anatomie treiben. Wollen Sie mein Lehrer sein?«

»Haben Sie jemals eine Leiche gesehen, gnädige Gräfin?«

Ich dachte an Ermanby und mir schauderte. Ein leichter Frison fuhr über meine Glieder, aber ich schämte mich seiner, als einer unwürdigen Schwäche. Ich sagte Friedrich, daß ich vor den Schrecken einer Wissenschaft nicht zurückbebe; daß freilich mich die geringste Geschmacklosigkeit in der Ausdrucksweise eines Menschen au dernier degré degoutire, daß mich ein unharmonisches Geräusch nervös mache, daß ich aber mehr ertragen könne als ein Mann, wenn es darauf ankäme, mich durch neue Sensationen aus meinem Ennui zu befreien.

»So haben Sie die Gnade, Frau Gräfin! Ihren Wagen zu befehlen, und erlauben Sie mir, Sie heute versuchsweise in die Morgue zu führen.«

Es geschah. Als wir in dem feuchten, nebligen[115] Winterwetter durch die nassen, dampfenden Straßen von Paris fuhren, blickte Friedrich mehrmals seufzend zu den geschlossenen Fenstern hinaus. Ich fragte ihn, was ihm fehle.

»O,« sagte er, »in diesem Momente, Frau Gräfin, fehlt mir Nichts, aber grade das erinnerte mich an eine Zeit, in der ich Alles entbehrte, in der ich hungernd und frierend aus der Armenschule in meine elende Bodenkammer heimkehrte, und meine kranke Mutter ohne Feuer fand, weil sie für dies Ersparniß das Licht kaufte, bei dem ich mich für meine Lectionen vorbereitete. Meine Mutter ist in der Armuth gestorben und ich genieße jetzt zu meinem Schmerze ohne sie ein Wohlleben, das ihr fürstlich scheinen würde und das ich so gern mit ihr getheilt hätte.«

»Und haben Sie keinen Bruder, keine Schwester, die jetzt an Ihrem Succeß Theil nehmen?«

»Ich habe Niemand. Mein Vater starb vor meiner Geburt, ich bin ganz allein in der Welt; ich habe Niemand, der liebend an mich denkt, Niemand, der meiner bedarf in besonderer Liebe; da wendet denn das Herz sich der Menschheit zu und sucht in ihr die Liebe seines Herzens.«

Bei diesen Worten legte sich wieder der feuchte Glanz über die Iris seines tiefblauen Auges. Die[116] Rührung in dem Angesichte eines schönen Mannes hat eine aparte Grazie; ein Charakter ist so selten eine weiche, impressionable Natur. Ich fragte mich innerlich, was mich an diesem deutschen Professor interessire, dessen Manieren, dessen Moquerie zu Anfang unserer Entrevue wirklich so sehr an das Beleidigende streiften, daß man es nur pardonniren konnte, wenn man annahm, er ignorire den usage du monde. Endlich fiel es mir ein, es sei eben dies bürgerliche Element, das mir neu und darum reizend sei. Die ausgezeichnetsten Frauen unseres Hauses, Gräfin Ilda Schönholm, Gräfin Cornelie, meine Mutter Sibylle, Margarethe Thierstein, Alle hatten einen bürgerlichen Liebhaber, eine Episode mit einem Bürgerlichen gehabt, und Alle hatten einen passageren Reiz darin gefunden. Dies beruhigte mich über die unwillkürliche Sensation, die ich empfand; ich hatte gewähnt, mein adelig Blut revoltire dagegen, daß ein gewöhnlicher Professor, ein Friedrich Wahl, es schneller fließen machte.

So weit war ich in meinen Meditationen gekommen, als wir in der Morgue anlangten. Friedrich war dort bekannt. Er führte mich in den Saal, in dem die Leichen ausgestellt waren. Dort lag ein junger Mann, aufgedunsenen, blau unterlaufenen[117] Gesichts, man hatte ihn aus dem Wasser gezogen, ganz in der Nähe des Pontneuf. Ein Greis, mehr einem Skelett, als einer menschlichen Gestalt zu vergleichen, mumienhaft eingetrocknet, war sein Nachbar. »Er ist wol vor Hunger und Schwäche gestorben,« meinte Friedrich, und führte mich weiter an der Leiche eines jungen Mädchens vorüber, die sich im Kohlendampfe erstickt hatte. Lange, aufgelöste Haarflechten hingen an ihrem Haupte hernieder, die Augen waren starr geöffnet, ein weißer Schaum stand vor dem schön geformten Munde. Ich bebte vor Entsetzen; der furchtbare Leichengeruch drohte mich ohnmächtig zu machen, meine Sinne schwanden. »O,« sagte ich zu Friedrich, »aber dies ist ja horribel, und unter solchen Scenen des crassesten Todes konnten Sie leben? O, um des Himmels willen, aber das ist insupportabel!«

»Und doch, Frau Gräfin, lehrt uns nur der Tod das Leben verstehen, doch finden wir, indem wir die todte menschliche Gestalt in ihrer wunderbaren Organisation betrachten, das Mittel, dem lebenden Organismus zu Hilfe zu kommen, wenn ihn Störung bedroht. Aber lassen Sie uns gehen, dies ist, ich wußte es, kein Anblick für eine Dame wie Sie.«[118]

Er hatte meinen Arm genommen und wollte mich hinausführen. Es schien mir, als läge eine leichte Färbung von Spott auch in diesen letzten Worten. Das verdroß mich. Ich überwand den Degout, den instinctiven Schauder, den ich fühlte, dieser stolze Mann sollte sich nicht rühmen können, eine Faiblesse an mir gesehen zu haben. Ohne die geringste Flection der Stimme rief ich lächelnd: »O, fürchten Sie Nichts, Herr Wahl! in uns Frauen der Aristokratie ist Muth und Race, wir dauern aus, wo Ihre Bürgerfrauen matt zusammenbrechen. Für die Wissenschaft ist mir kein Sacrifice zu schwer. Führen Sie mich jetzt nach Hause, bestellen Sie die nöthigen Bestecke, sorgen Sie für die anatomischen Präparate, die uns indispensabel sind und kommen Sie in drei Tagen zu mir, wir wollen unsern Cursus dann beginnen.«

»Sie scherzen, Frau Gräfin!« sagte Friedrich.

»Was berechtigt Sie zu dem Glauben, daß ich dies der Mühe werth finde?« fragte ich mit einem superben Accent von Hochmuth, vor dem Friedrich erbleichte. Als ich dies sah, fühlte ich, daß man diesem Manne gegenüber andere Alluren annehmen müsse, als gegen die an weibliche Impertinenz gewöhnten Männer der Salons. Ich lenkte ein, gab ihm mit graziösem Lächeln mein Händchen[119] und sagte neckisch: »Auf übermorgen also, mein Herr Professor! Sein Sie nur nicht zu rigorös mit Ihrer Elevin und denken Sie hübsch, daß wir Frauen der Aristokratie unsere eigenthümlichen Alluren haben, für die ich im Voraus Ihre Nachsicht erbitte. Wollen Sie die haben?«

»Frau Gräfin,« rief Friedrich, »o Sie wissen es, daß diesem Blicke, diesem Klange kein Mann widersteht, warum ziehen Sie mich in einen Zauberkreis, in dem ich niemals zu leben hoffen darf?«

»So tragisch?« sagte ich. »Aber wer denkt denn an Zauber und Zauberkreise? Von Anatomie ist die Rede, und ich erwarte Sie also übermorgen. Auf Wiedersehen, mein Herr Professor!«

Ich sprang aus dem Wagen, er geleitete mich zu meinem Zimmer, wo ich ihn mit einer nobeln Handbewegung congedürte.

Während ich meine Toilette machte für einen Ball bei dem preußischen Gesandten, ließ ich meinen Kammerdiener kommen und sagte ihm, ich wünsche ein Changement mit meinem Laboratorium vorzunehmen. Der Schornstein müsse vermauert, die Fenster mit Spiegelgläsern versehen, ein Fenster oben an dem Plafond angebracht werden, weil ich volle Lumière brauche. Dann bestellte ich einen Sectionstisch mit einer Marmorplatte,[120] Schränke für anatomische Präparate, Glasflaschen und Spiritus zur Conservirung derselben und eine Menge von Odeurs der kostbarsten Art, um während der Lectionen zu räuchern und sich später damit zu desinficiren. Dabei machte ich die Condition, daß Alles in zwei Tagen beendet sein müsse.

Als ich eben mein Bracelett anlegte, und Rosalinde noch einen Esprit von Brillanten an meiner Coiffure befestigte, trat der Fürst Callenberg ein, und blieb wie geblendet von meiner Schönheit in der halb erhobenen Portière meines Boudoirs stehen, in das ich bereits aus dem Toilettenzimmer getreten war.

»Sie kommen sehr apropos, lieber Fürst!« rief ich ihm entgegen. »Ich war heute in der Morgue, um mich mit dem Anblick von Cadavern zu familiarisiren, da ich übermorgen meinen anatomischen Cursus beginne. Könnten Sie mir nicht die Leiche irgend eines Kindes aus einem aristokratischen Hause verschaffen? Es liegt mir etwas Unbehagliches darin, an einer Leiche von niederm Stande zu operiren.«

Der Fürst sah mich mit einem fast stupiden Ausdrucke von Bewilderung an. »Aber meine Gräfin!« sagte er, »was für miraculöse Inclinationen[121] hat Ihre immense Seele? Sie vaguiren aus einem Extrem in das andere. Werden Sie denn niemals ein Genügen finden? Sie wissen, ich respectire Ihre Alluren, indessen dies scheint mir doch fast zu extravagant. Sie, Sie, theure Gräfin! wollten die rosigen Händchen mit Blut beflecken? Aber wo wollen Sie denn enden?«

Es war die längste Rede, welche Fürst Callenberg jemals gehalten, das erste Raisonnement, das ich jemals von ihm gehört hatte. Auch wirkte es auf mich wie das maiden-speech eines immer schweigenden Parlamentsmitgliedes. Ich sah, wie sehr der Fürst mich lieben müsse, um zu einer Demonstration verleitet zu werden, die so ganz außer den Grenzen seiner Natur lag. Deshalb nahm ich mir die Mühe, ihm zu antworten, was ich nicht immer that.

»Sie fragen mich, lieber Fürst! wann ich Ruhe und Genügen finden würde? Sehen Sie das Leben meiner Mutter und meiner Tante Faustine an und antworten Sie sich selbst. Wir sind die Incarnation der Rastlosigkeit, der Leere, des Müßigganges unserer Tage; wir sind die weiblichen ewigen Juden, auf uns ruht ein Fluch, wir sind tragische Gestalten, Vampyrnaturen – und doppelt destructiv, weil wir das Bewußtsein davon[122] haben, weil eine Eiseskälte des starrsten Egoismus uns unverwundlich macht. Sehen Sie denn nicht, Alles um mich her geht zu Grunde, die Herzen brechen und verbluten sich, wohin ich wandernd komme, und ich muß fort, immer weiter fort – o, darin liegt aber ein furchtbares Malheur!« rief ich, und warf mich in Verzweiflung dem Fürsten an die Brust, in heiße Thränen ausbrechend.

Der Fürst hatte mich nie eblouirender gesehen, als in diesem Momente. Er schloß mich an sich und sagte: »O, meine Diogena! dürfte ich Dich ewig so halten, dürfte ich meine Arme einen Talisman sein lassen, der Dich einfriedete in eine andere Welt!«

Die enorme Liebe machte ihn fast beredt. Eine Weile ruhte ich an seinem Herzen, dann richtete ich mich empor und sagte: »O, wiegen Sie mich nicht ein in Reverien von Glück und Ruhe, die für mich nicht existiren; meine tragische Mission ist noch lange nicht beendet; ich muß fort und suchen, wo ich den Rechten finde. Und nun lassen Sie uns eilen, zu dem Ball bei dem Ambassadeur, ich bin zu allen Contretänzen engagirt.«

Zwei Tage darauf waren alle meine Befehle erecutirt und der anatomische Cursus begann. Ich ward der Wissenschaft mit unglaublicher Leichtigkeit[123] Herr, meine kleinen Händchen kamen mir wunderbar bei dem Präpariren zu Statten. Mit derselben Perfection, mit der ich früher die elegantesten Decoupuren von schwarzem Papier gefertigt, machte ich jetzt die feinsten Nervenpräparate, spritzte Venen aus und secirte die zartesten Zellgewebe. Mein Lehrer war in der vollsten Admiration dieses stupenden Talentes. Vorzüglich aber interessirte mich das Herz, als wir nach einigen Tagen uns damit zu beschäftigen anfingen. Es tentirte mich, diesen Muskel, in dem sich unsere sublimsten Sensationen vibrirend kund geben, in seinen minutiösesten Details zu kennen und ich arbeitete noch fort, als schon die Dämmerung begann und Friedrich sein Messer aus der Hand legte.

»Lassen Sie uns aufhören, gnädige Gräfin!« sagte er, »es wird zu dunkel.«

»O, dunkel ist Alles!« rief ich achtlos aus.

»Alles?« fragte Friedrich – »auch Ihr sonnenhelles Dasein?«

»Unseliger! müssen Sie mich daran mahnen?«

Ich hatte die kleine Aermelschürze von dunkelm Taffet abgeworfen, die ich bei der Arbeit trug, und war aus dem Cabinet in mein Boudoir getreten. Rosalinde präsentirte mir ein Lavoir von Sèvresporzellan, in dem ich mich säuberte, reichte[124] es dann Friedrich, goß Odeurs über unsere Hände, parfumirte das Zimmer und entfernte sich. Ich warf mich in einen Fauteuil zunächst dem Kamin, gab Friedrich ein Zeichen, sich ebenfalls niederzusetzen, kreuzte meine Füßchen auf dem Tabouret vor dem Feuer, dessen Gluth mich beschien, und beobachtete in halber Distraction den schweigsamen Friedrich, dessen Auge mit Spannung all meinen Bewegungen folgte.

»Frau Gräfin!« sagte er endlich, »wissen Sie wol, daß Sie mich meiner Wissenschaft abwendig machen? Ich werde nicht mehr wiederkehren dürfen.«

»Wie das?«

»O, ich empfand es gestern, Frau Gräfin! ich kann nicht mehr seciren. Ich sehe Nichts als Sie. Ich kann die Spitze meines Messers nicht mehr in die Iris einer Pupille stoßen, ohne daß mir Ihr wundervolles Auge vorschwebt. Meine Hand zittert, meine Gedanken verwirren sich, Ihr Name schwebt auf meinen Lippen, ich werde zerstreut, meine Schüler kennen mich nicht wieder.«

»So werden Sie mindestens wieder den Reiz der Neuheit für dieselben haben.«

»Sie scherzen,« sagte Friedrich, »und doch spreche ich ernsthaft über eine heilige, ernsthafte Empfindung.[125] Wollen Sie mir die Güte erzeigen, mich anzuhören?«

»Mit wahrem Interesse für Alles, das Sie berührt, lieber Friedrich!«

»So hören Sie! Ich habe Ihnen gesagt, daß ich einsam aufgewachsen bin, in Noth und Arbeit, daß ich mir langsam und stufenweise den Weg gebahnt habe zu der Stellung, die ich jetzt einnehme und die mir bis vor wenigen Tagen genügte, all meinen Forderungen und Wünschen entsprach. Ich lebte ein ernstes Dasein mitten in dem Vergnügungswirbel und mitten unter dem wilden Lebensstrudel von Paris, ganz meiner Wissenschaft angehörend mit dem Geiste, ganz dem Volke mit meinem Herzen. Es war ruhig und friedlich in meiner Seele.«

Er hielt inne und schien zu erwarten, daß ich ihn unterbrechen würde, da ich dies nicht that, fuhr er fort: »Mein Freund, Ihr Lehrer in der Chemie, lernte Sie kennen und statt der ernsten Gespräche, die wir sonst auf unsern Promenaden, an unserm Kamine führten, trat Ihre Strahlenerscheinung zwischen uns. Ich ward begierig, eine Frau kennen zu lernen, die im vollsten Glanze der Jugend und Schönheit, von den brillantesten Festen heimkehrt zu tiefsinnigen Forschungen an[126] dem Schmelzofen. Mein Freund verschaffte mir die Gunst, Ihnen vorgestellt zu werden.«

Noch einmal unterbrach er sich, fuhr mit der flachen Hand über die Stirn und sagte dann, tief athemholend, wie Jemand, der einen entscheidenden Schritt zu thun bereit ist: »Ihre erste Erscheinung wirkte auf mich wie ein neuer Tag, wie ein neues Licht. Ihre aristokratisch hochmüthige Weise stieß mich ab, beleidigte mein Selbstgefühl; ich hätte Sie fliehen und verabscheuen mögen, hätte nicht ein trügerisches Gefühl, das ich damals nicht erkannte, mir zugerufen: bleibe! um die Hochmüthige zu demüthigen. Zeige ihr durch eine Einsicht in das All der Wissenschaft die große, geheimnißvolle Weltmacht, den Allgeist, vor dem ihr Hochmuth so thöricht ist, wie das Revoltiren eines Insektes gegen die Weltordnung. Zeige ihr, daß sie Deinesgleichen ist – denn das allein wollte ich, um Ansprüche machen zu dürfen an Sie.«

Ich fuhr empor, Friedrich bemerkte es und hielt mich zurück, indem er, vor mir niederknieend, meine Hände in den seinen festhielt.

»Unterbrechen Sie mich nicht, sagte er mit einer Art von Heftigkeit, es handelt sich hier nicht um eine flüchtige Declaration. Ich stehe nicht als ein Bettler vor Ihnen, der um ihre Gunst[127] fleht, ich stehe als ein Mann da, als ein liebender Mann, der – selbst sehr leidend – unsägliches Erbarmen hat mit Ihnen und Sie retten möchte, weil er die Kraft der Liebe zu seinem Beistande hat.«

»Und wissen Sie, ob ich diesen von Ihnen anzunehmen geneigt bin?« fragte ich, während meine Seele in ungekannter Verehrung zu ihm emporblickte.

»Das müssen Sie, Gräfin! ich würde versuchen, Sie dazu zu zwingen, weil ich Sie liebe.« – Er schwieg abermals und schien zu überlegen, dann sagte er: »Ich hielt Sie für kokett, für untergegangen in dem Schlammpfuhl niedriger Sinnlichkeit, die unablässig nach neuem Genusse jagt. Ich hatte von Ihrem Leben gehört, was man in den Salons und aus diesen in die Kaffee's berichtet. Man nannte mir die große Zahl Ihrer begünstigten Liebhaber – aber ich glaubte nicht mehr daran, als ich Sie gesehen hatte, mit Ihren Kinderhändchen, mit Ihrem edeln zarten Wesen, den Schrecken des Todes gegenüber Stich halten – als ich gesehen hatte, wie Sie in dem Ernste der Wissenschaft Trost und Ersatz suchten für ein Glück, welches das Leben Ihnen grausam versagte. Sie sind nicht schlecht, Gräfin! o nein, nein! Ein Engel[128] sind Sie an Leib und Seele, aber Sie sind sehr unglücklich gewesen.«

»O, namenlos, namenlos unglücklich!« rief ich aus, »einsam ohne Liebe und die Liebe suchend, die Liebe, die allein mich glücklich machen konnte, die ewig ekstatische, nimmer verglühende Liebe!«

Friedrich sah wie verklärt aus, er legte sich meine Hände über seine Schultern und umschlang meinen Leib mit seinen Armen. »Du armes, armes Kind!« sagte er selbst mit der spielenden Grazie eines Kindes, »ich ahnte es gleich, was Du suchtest in den Herzen der Gestorbenen – Du suchtest die Liebe! – Ach, meine Diogena! mein holdes Engelsbild! die Liebe ist nur in dem lebenden Herzen, denn die Liebe ist das Leben! Sieh, mein Engel, hier, hier, fühle es, da klopft die Liebe in meiner Brust zum ersten Male in meinem Leben. Sieh, hier ist ein Herz, in dem nie ein anderes Frauenbild lebte, als das Deine, – hier ist ein unentweihter Altar – wohne hier, Du Göttliche! Du, Du allein und für ewig.«

Eine seltsame Wehmuth überschlich mich. Friedrich war magnifik in dieser Ekstase, die den ernsten, ruhigen Mann wunderbar embellirte. Es schmeichelte mir, das erste Weib zu sein, das ihn die Gewalt der Liebe kennen lehrte; es freute mich,[129] den stolzen Bürgerlichen vor mir knieen zu sehen, und während mich die Hoffnung, er sei vielleicht der Rechte, in süße Emotion versenkte, beruhigte mich der Gedanke, daß ja auch all die andern exclusiven Gräfinnen sich ihrer Liaison mit einem Bürgerlichen nicht geschämt hätten. Vor allen Dingen aber gefiel er mir und ich raisonnirte mir dies Alles nur vor, um mir die Regungen zu seinen Gunsten nicht einzugestehen. Indessen hielt ich es meinem Range angemessen, ihm den Sieg nicht zu leicht zu machen.

Ich machte mich sanft von ihm los und sagte, indem ich meine Rechte auf sein Haupt legte und mit der Linken sein Kinn in die Höhe hob, so daß ich ihm fest in die schöne blaue Iris seines treuen Auges sah: »Und wer bürgt Ihnen dafür, lieber Friedrich! daß ich überhaupt für Liebe sensibel, der Liebe capabel sei?«

»O Diogena!« rief er mit dem Tone der vollsten Conviction.

»Sehen Sie, Friedrich! ich war verheirathet, der Graf hat mich geliebt, Lord Ermanby, der Vicomte Servillier sind aus Liebe für mich gestorben, Fürst Callenberg betet mich an; ich habe sie Alle zu lieben versucht, ich habe es nicht vermocht. Mein Herz ist todt geblieben und kalt, ich denke[130] ihrer nicht mehr. Ich suche heute noch nach Liebe, nach der Liebe, die ich meine – und –«

»Und?« fragte Friedrich bebend und erbleichend.

»Ich hoffe, ich habe sie gefunden« – lispelte ich leise und lehnte mich an ihn.

»O Gott des Himmels!« rief er und preßte mich mit glühender Leidenschaft an sich, mich mit seinen Küssen bedeckend.

Ach, es liegt ein eigenthümlicher Charme in der Fülle unentweihter Liebe. Friedrich's Ekstase enchantirte mich, und während ich ihm immer und immer wiederholen mußte, daß ich noch nie geliebt, daß ich immer unbefriedigt, immer kalt gewesen sei, schwor er mit höchster Conviction, jetzt würde ich lieben lernen, denn seine Liebe müsse mich erwärmen.

»Sieh, Diogena!« sagte er, »die Liebe ist ein ewig bindendes Gefühl, Du mußt mein werden durch den Segen der Kirche, mein Weib, meine Hausfrau! Du mußt da sein, wenn ich müde bin von der Arbeit, mir zulächelnd, mich belebend; die Hebe, welche dem Hercules den Trank ewiger Jugend bietet. O Süße, willst Du mein Weib sein?«

Ich war wie aneantirt. Von Ehe, von Heirath zu sprechen mir, der Gräfin Diogena, mir, der Nichte Faustinens, das war doch wirklich zu[131] bürgerlich. Aber das ist der Fehler der Roturiers, sie sind materiell in ihren Begriffen, sie verlangen solide Possession, wohl hypothekirt ins Kirchenbuch geschrieben. Sie verstehen Nichts von der Aisance unserer Liaisons, die wir binden und lösen nach unserm Ermessen. Was uns idealste Poesie scheint, ist ihnen profunde Depravation. Das ist ein großes Uebel mit der Bourgeoisie. Ich bedachte mich einen Moment, was ich thun solle. Sagte ich ein decidirtes Nein, so riskirte ich, Friedrich, mit seinen sogenannten moralischen Idealen, auf ewig von mir zu entfernen; und das wollte ich nicht, denn er gefiel mir, ich liebte ihn sogar auf meine Façon. Da fiel mir ein, wie sich Gräfin Ilda Schönholm, auch eine nahe Verwandte meiner Mutter, klug aus dem Embarras gezogen hatte, und als Friedrich mich noch einmal fragte: »Diogena! willst Du mein Weib sein? mein treues, liebendes Weib?« antwortete ich wie Jene:

»Ich will es versuchen!«

»Und wirst Du glücklich sein? wirst Du mich lieben?«

»Ich will es versuchen!« antwortete ich wieder.

Friedrich ließ mich los und sah mich forschend an. »Diogena!« rief er, »mein Engel! mein[132] Kopf verwirrt sich, ich verstehe Dich nicht. Was will es sagen, dies wunderbare: Ich will es versuchen? und wie versucht man die Ehe? – O mein Engel, das ist ein häßliches, böses Wort – das sprach die kalte herzlose Gräfin, nicht Du, nicht meine süße, schöne Geliebte!«

Friedrich war so ganz Glück, so ganz zum frohen Jüngling umgewandelt, daß er mich mit sich fortriß. Er schilderte mir die Seligkeit der Ehe, wie er sie sich bisweilen in seinen einsamen Reverien ausgemalt hatte, dies Du und Du engsten Beisammenseins, paisibler Begrenzung, mit einer Liebe, mit einer Innigkeit, daß ich anfing, ein Penchant dafür zu fühlen und mich selbst danach zu sehnen.

»O,« rief ich, »mein Friedrich! das, was Du mir da schilderst, ist wol schön, aber unerreichbar für die Gräfin Diogena, so sehr Deine süße Geliebte sich danach sehnt. Sieh, mein Friedrich! an die Gräfin hat die Welt Ansprüche, ich habe die Gesellschaft zu menagiren, ich habe Egards zu nehmen für meine Position, die ich durch meine wissenschaftlichen Capricen wol ein wenig compromittirt habe, die Gesellschaft – –«

»Ach, mein Engel! wirf sie von Dir diese Sklaverei der Gesellschaft. Ich liebe nicht die Gräfin,[133] ich liebe Dich, Du Geliebte! Komm, meine süße Diogena! laß uns Paris verlassen, laß uns fortgehen von hier nach irgend einem stillen Fleck der Erde, an dem Niemand uns kennt, Niemand unsere traute Einsamkeit stört. Willst Du das, Liebe?«

»Mit tausend Freuden!« rief ich aus. Die Proposition war so originell bei unsern beiderseitigen Verhältnissen, daß sie mich um ihrer Originalität willen reizte. Friedrich verließ mich, um sich einen Urlaub zu erbitten, ich expedirte meine Visitenkarten mit dem officiellen p. p. c. an alle meine Bekannten, ließ eine simple Toilette packen, befahl nur Rosalinden, sich zu meiner Begleitung parat zu halten, und verbot den Domestiken, den Fürsten, auch wenn er danach frage, über meine Abreise zu avertiren. Das anatomische Cabinet wurde geschlossen, die Studien in den todten Herzen der Cadaver für's Erste suspendirt, denn ich war entschlossen, noch einmal mit einem lebenden, liebenden Herzen zu experimentiren.

In den Emotionen des unerwarteten Glückes, der ersten Liebe, unter den Präparationen für unsere Abreise, dachte Friedrich nicht mehr an das bürgerliche Amusement einer solennen Copulation. Ich war sein, dies satisfaisirte ihn und machte ihn indifferent gegen die ganze übrige Welt.[134]

Nach wenig Tagen saßen wir in meiner höchst comfortablen Kalesche, ohne Domestiken, nur Rosalinde mit uns. Dies gab ein wunderliches Dilemma; denn während ich mich über die bürgerliche Simplicität dieser improvisirten Reise divertirte, war Friedrich enchantirt von dem ungekannten Comfort, den er in einer eigenen Reiseequipage genoß. Ihn machte es glücklich, tausend kleine Dienste zu übernehmen, die sonst mein Kammerdiener mir leistete, und ich fand es süß, von seiner adorirenden Liebe bedient zu werden; so waren wir Beide sehr heiter und animirt. Es war die angenehmste Zeit, deren ich mich erinnere.

Wir gingen von Paris nach Marseille, schifften uns für Neapel ein und durchwanderten die Inseln und Italien nach allen Distancen. Friedrich's profunde Gelehrsamkeit bot ihm überall Stoff zu neuen Entdeckungen, die er vor meinem immensen Geiste niederlegte, wie ein Anderer den duftenden Strauß an den Busen der Geliebten drückt. Meine divinatorischen Apercus inspirirten ihn, und unter seinen heißen Liebesküssen dictirte er mir ganze Volumen voll tiefsinniger Forschungen, die seinen Namen auf die späteste Nachwelt tragen werden.

Dies Reisen, getheilt zwischen Liebe und Wissenschaft, hatte etwas wunderbar Ausfüllendes.[135] Ich ennuyirte mich nie, ich gewann Geschmack an einem laborieusen Leben bei rastlosem Reisen, die Existenz eines gelehrten Touristen contentirte mich so sehr, Friedrich's Liebe war so ungeheuchelt frisch und warm, daß ich in der That nicht daran dachte, ob ich ihn liebe oder nicht. Ich fragte mich nicht, was empfindest du? Ich ließ mich in diesem passiven bien être gehen.

Indeß Friedrich fand, nachdem, mir selbst ein Mirakel, dies Touristenleben mehr als ein Jahr gedauert hatte, ohne mich zu ennuyiren, diese Art der Existenz unbefriedigend. Er verlangte nach einem festen Domicil, er wollte wieder ein bürgerliches Glück und häusliche Ruhe. Mich in Paris in bürgerlicher Glückseligkeit als Frau Professorin zu etabliren, wäre ein Heroismus gewesen, dessen ich mich nicht capabel fühlte. Mir bangte davor, Personen meines Kreises während dieses bürgerlichen Idylls zu begegnen, obschon es mich noch immer merveilleusement contentirte. So schlug ich Friedrich vor, nach Pisa zu gehen und sich dort um die vacante Professur der Anatomie bei der Universität zu bewerben.

Friedrich fand die Idee zusagend, meldete sich zu dem Amte und erhielt es, da sein Ruf bereits ein europäischer war. Nach wenig Wochen war[136] ein stilles Haus an dem Katharinenplatze gemiethet und ich hauste darin mit Rosalindens Beistand, unter dem Titel der Frau Professorin. Aber nach dem Eintritte in dies Haus ging ein veritables Changement mit Friedrich vor.

Er zeigte Collegia an, es meldeten sich Zuhörer, sein Auditorium ward das frequentirteste. Das spornte seine Ambition, er fing an rastlos zu studiren, er operirte und secirte den ganzen Tag. Ich fand es horribel, es langweilte mich tödtlich, und ich konnte nicht umhin, mich darüber zu beklagen.

Wenn ich in dem stillen, todten Pisa die langen Tage allein zugebracht hatte, so erschien Friedrich am Abende, strahlend vor Satisfaction über irgend ein Problem, das er in Bezug auf die Blutkügelchen oder die Nervenphysik decouvrirt hatte. – Mit komischer Consequenz wollte er mich bereden, ich müsse ein Interesse dafür haben, weil ich einst selbst hätte Anatomie studiren wollen. Er begriff nicht, daß man aus bloßer Caprice sich für eine Wissenschaft portiren könne, daß man sie cultivire, um sich zu desennuyiren, und sie abandonnire, wenn sie diesem Zwecke nicht mehr entspreche. Es that ihm leid, mich dafür indifferent zu sehen und er bot die ganze Gewalt seiner Liebe auf, die Wolken der Unzufriedenheit, der Ermüdung zu[137] bannen, die anfingen, sich über meine immense Seele zu lagern. Aber auch dies gelang nur temporär. Ich hatte seine Liebe nun durch mehr als funfzehn Monate genossen, sie war immer dieselbe, immer ernst und mild, bisweilen feurig und überwältigend, aber das Alles kannte ich nun à fond.

Ich regrettirte, diese herannahende Ermüdung nicht cachiren zu können, ich wollte es ernstlich, es mislang. Naturen wie die meine können nicht heucheln, es gibt einen Grad des Egoismus, der die Heuchelei unmöglich macht, weil er in wahnsinniger Verblendung sich ein despotisches Recht der Selbstbefriedigung zugesteht und nicht einmal die Milde hat, das Unrecht mit möglicher Schonung zu thun.

Eines Abends saß ich auf dem Balcon unsers Hauses und sah hinab durch das Laub der dichten Bäume vor unserm Fenster, auf den Platz. Einige Kinder spielten daselbst, es war sehr still. Friedrich kam von der Anatomie nach Hause, er war müde und lehnte seinen Kopf an meine Schulter, um zu ruhen, während sein Arm mich umschlang. Es war ein heißer, siroccoschwüler Abend und nach wenig Minuten fühlte ich, daß Friedrich's Haupt schwer und schwerer auf meiner Schulter wurde. Er war eingeschlafen.[138]

Eine Thräne trat mir in die Augen, ich fühlte mich tief degradirt. So weit war ich gesunken, daß ein bürgerlicher Professor es wagte, einzuschlafen in meinen Armen, in den Armen der Gräfin Diogena. Mit prächtiger Indignation sprang ich empor. Friedrich fuhr auf wie elektrisirt. »Was gibt es, Diogena!« fragte er erschrocken.

»O, Nichts, eine Kleinigkeit!« sagte ich kalt, die Gräfin Diogena wird es müde, dem Professor Friedrich Wahl in Sklavendiensten zu huldigen.

Friedrich sah mich ganz bewildert an und sagte: »Ich verstehe Dich nicht, meine Diogena!«

»Du wirst es begreifen, wenn ich Dir sage, daß Du an meiner Seite eingeschlafen bist.«

»Dann war ich sicher sehr müde.«

»Nicht müder als ich es bin, dergleichen zu ertragen.«

»Aber mein holdes Leben!« rief Friedrich, der jetzt erst zu bemerken schien, daß ich wirklich irritirt sei, »wie oft hast Du an meinem Herzen geschlummert und welch ein Glück ist mir das gewesen. Mit welch andächtiger Liebe habe ich Dein Köpfchen an meine Brust gedrückt und die sanften Athemzüge Deiner Lippen belauscht; wie kannst Du zürnen, wenn ich einmal ausruhe an dem Herzen meines Weibes! Du thörichtes, liebes Kind!«[139]

Friedrich wollte mich umarmen, aber ich ließ es nicht zu. »Ich mag wol unverständig sein, lieber Friedrich!« antwortete ich, »aber ich will Dir bekennen, daß mir unsere ganze Lebensweise anfängt au suprême degré zu misfallen. Wir kommen ganz in die bequemen Alluren der Ehe hinein, das ist ein Horreur. Du thust, als hättest Du positive Rechte an mich –

»Diogena!« rief Friedrich, »und habe ich die nicht?«

»Und wodurch?«

»Du redest irre, Diogena!« rief Friedrich und faßte meine Hand. »Wodurch? Und bist Du nicht mein Weib? Hast Du nicht liebend Dich mir zu eigen gegeben mit heißen, flammenden Worten? Bist Du nicht mein gewesen seit fast zwei Jahren, mein ganz und gar, so daß ich des Kirchenbundes nicht mehr begehrte, weil ich es empfand, es konnte dessen nicht mehr bedürfen? Ich liebe Dich, ich bin Dir eigen mit Seele und Leib in treuster Hingebung und Du kannst fragen, wodurch ich ein Recht habe an Dich? Du kannst das fragen, das liebende Weib?«

»Friedrich!« sagte ich – und zum ersten Mal im Leben empfand ich einen tödtlichen Schmerz bei diesen Worten, denn ich wußte, daß ich ein[140] vergiftetes Stilet drücke in sein Herz – »Friedrich! ich mag Dich nicht täuschen, ich liebe Dich nicht mehr!«

Er erblaßte, trat einige Schritte von mir zurück und stand da in starrer Versteinerung. »Kann man denn aufhören zu lieben?« sagte er, wie Jemand in wüstem Traume nach dem Unmöglichen fragt – »kann man denn aufhören zu lieben, was man geliebt hat, wie ich Dich?«

»O,« rief ich, »ich glaube, ich habe Dich niemals geliebt. Vergib mir, mein Friedrich! Du weißt es, ich kann wol nicht lieben. Du kennst das Herz, das anatomische Herz in seinen geheimsten Verzweigungen, mein Herz ist Dir ein Mysterium geblieben, es ist aber unergründlich, Dir, mir selbst ein Räthsel. Du hast gewähnt, Deine Liebe, eheliches Glück könne mir genügen, aber –, mein Friedrich, ich bin ja kein gewöhnliches Weib, keine gewöhnliche Frauennatur. O! ich wußte es wohl, als ich es Dir sagte: Ich will es versuchen Dein Weib zu sein; ich wußte, ich könne die tödtliche Dauer der Ehe nicht ertragen, die vehemente Impetuosität meines Wesens revoltirt gegen die Dauer, gegen die unwandelbare Treue.«

Friedrich sah mich an, als sei die Welt im Versinken begriffen und sagte tonlos: »Diogena! ein[141] Weib, das sich einem Manne zu eigen gibt ohne den Vorsatz wandelloser Treue, ist sehr elend.«

»O!« rief ich mit allem prächtigen Stolze meines aristokratischen Bewußtseins, »so urtheilst Du, befangen in blödsichtiger Bürgerlichkeit. Die Treue ist Bornirtheit, ich bin unbegrenzt, meine Untreue ist sublim, ist göttlich. Was Du Wankelmuth nennst, ist die erhabene Forschungslust des Adepten, der rücksichtslos das letzte Geldstück, welches die Seinen vor dem Hungertode retten sollte, seinem Schmelztiegel übergibt, um den Stein der Weisen zu finden, den er so wenig kennt, als ich das Herz, die Liebe, den Mann, den ich suche. Wir glauben Beide an die Existenz eines Unmöglichen, eines Mirakels, und wir müssen es suchen, bis wir es finden.«

»Diogena! ich glaubte an Dich, ich liebte Dich, Du brichst mir das Herz!«

»Ich darf die Opfer nicht achten, die es mich kostet,« sagte ich, »denn auch ich leide in diesem Momente. O, ich leide sehr!« rief ich, und fing zu weinen an.

Als Friedrich meine Thränen sah, stürzten auch die seinen unaufhaltsam hervor. »Diogena!« sagte er, »meine ganze Liebe war Dein, ist Dein und das genügt Dir nicht?«[142]

Ich war gerührt, nahm mild seine Hand und sagte: »Mein Friedrich! Du bist der erste Mann, den ich beklage, weil er mir nicht genügte. Aber sieh! ich kann nicht anders. Deine Liebe bleibt sich ewig gleich, ist immer dieselbe, gewährt ein ruhig Glück. Das habe ich nie gewollt. Ich verlange eine göttliche Anbetung in täglich neuer Form, ich verlange täglich neue, gesteigerte Gluth, ich verlange vielleicht Unmögliches – aber das Mögliche widert mich an. Ich weiß, ich bin eine Titanennatur, ein weiblicher Faust, was kann ich dafür, daß Ihr nur Männer, nur Menschen seid. Schaffe mir einen Halbgott, ihn will ich lieben und treu sein – wenn ich es kann.«

»Diogena, um Gottes willen! ein Fieberwahnsinn umnebelt Deine Seele, so kann kein Weib reden zu dem Manne, dessen Herz ihr Bild in sich schließt, dessen Gattin sie geworden. Du bist krank, meine Diogena!«

Ich hielt ihm ruhig meine Hand hin und sagte: »Fühle die gleichmäßigen Pulsschläge meines Blutes, ich bin nie ruhiger gewesen als in dieser Stunde.«

»Dann sei Gott Dir gnädig in Deiner wahnsinnigen, kalten Verblendung,« rief Friedrich und stürzte hinaus.[143]

Ich blieb allein zurück, grandios in meinem Bewußtsein, mich von diesem bürgerlichen Despotismus befreit zu haben. Friedrich kehrte am Abende nicht zurück. Ich befahl Rosalinden, meinem Kammerdiener nach Paris zu schreiben, daß er mein in Florenz warten solle, ließ packen und verließ Pisa noch in der Nacht, entschlossen, mich durch neue Reisen von der Fatigue dieses Stilllebens zu erholen.[144]

Quelle:
Fanny Lewald: Diogena. Leipzig 1847, S. 89-145.
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