Sechstes Capitel

[81] Graf Gerhard hatte eine Krankheit überstanden. Mitten in einer Gesellschaft, bei einem Feste, das ein Kreis von alten Junggesellen sich gegeben hatte und bei dem es fröhlich genug hergegangen war, denn die Jugenderinnerungen waren den Herren bei dem Weine reichlich zugeflossen, hatte ein schlimmer Anfall ihn ereilt.

Wie ein Schwindel, wie ein plötzliches Vergehen der Sinne war es über ihn gekommen. Man hatte ihn mit dem Beistande eines Arztes nach seiner Wohnung gebracht; dort hatte er sich bald erholt, und die Krankheit hatte nicht lange gewährt. Jetzt war sie ganz vorüber. Nur eine Schwäche war ihm noch zurückgeblieben, und das Zittern in den Händen, das Renatus bei dem Wiedersehen seines Oheims aufgefallen war, hatte zugenommen, wenngleich der Graf es mit großer Geschicklichkeit zu verbergen wußte.

Die Fenster seines Zimmers waren geöffnet, die Wärme des Tages drang voll herein, obschon man mit den heruntergelassenen Markisen das Licht abdämpfte. In den großen Vasen auf den Ecktischen dufteten die schönsten Frühlingsblumen, Früchte, welche die Jahreszeit im Freien noch nicht darbot und die also aus Treibhäusern geliefert sein mußten, standen auf dem Tische vor dem Sopha, und in seinen seidenen Schlafrock gehüllt, genoß der Graf, von Polstern bequem gestützt, einer sehr behaglichen Ruhe. Bald sah er, wie das Sonnenlicht milde über die Bilder[81] an den Wänden hinglitt, dann betrachtete er die Blumen in den Vasen. Ein Schmetterling, der sich in das Zimmer verirrt hatte, flog von der einen Vase zu der anderen, wiegte sich bald auf dieser, bald auf jener Blume und flatterte dann gaukelnd auf und nieder, wo die Sonne ihm am wärmsten schien. Der Graf hätte stundenlang dem Spiele dieser bunten Flügelchen zusehen können, ohne an etwas Anderes zu denken, hätte der Brief, den er in seinen Händen hielt, ihn nicht beschäftigt.

Es war ein langer Brief. Er hatte ihn schon am verwichenen Tage erhalten und gelesen, aber er wollte ihn noch einmal lesen. Der Brief hatte ihn sehr gerührt, der Seelenzustand der Schreiberin hatte etwas Poetisches für ihn. Er klingelte, befahl dem Diener, ihm die Brille zu reichen, welche er in seinem Schlafzimmer zurückgelassen hatte, ließ sich aus der feinen Krystallflasche ein Glas Orgeade einschenken, und nachdem er getrunken und den goldenen Theelöffel mit weiblicher Genauigkeit quer über den Rand des Glases gelegt hatte, um dem Diener ohne Worte anzuzeigen, daß er das Glas nicht wieder füllen solle, zog er den Brief aus seiner Umhüllung hervor und begann ihn zum zweiten Male zu lesen. Er war aus Pyrmont datirt und von Hildegard geschrieben.

»Ich bin unfähig gewesen zu irgend einem Thun,« hob der Brief an, »das mag Ihnen erklären, mein verehrter Freund, weshalb Sie erst heute von mir erfahren, daß ich in Pyrmont bin, daß ich mich vierundzwanzig Stunden in Berlin aufgehalten, ohne Sie, ohne irgend Jemanden davon zu benachrichtigen, und daß ich Richten verlassen habe. Ach, ich habe mehr verlassen, als den Ort!«

Der Brief brach an der Stelle plötzlich ab, und erst am folgenden Tage war die Fortsetzung desselben geschrieben worden.

»Es ist eine lange Zeit vergangen,« hieß es in derselben, »ehe ich die Fassung gewann, mir selbst meine Zustände klar[82] zu machen, und gestern, als ich mich stark genug glaubte, Sie, dessen tröstliche Theilnahme mir seit manchem Jahre das Hoffen erleichterte, in meine entmuthigte Seele, in mein gebrochenes Herz blicken zu lassen – gestern übermannte mich die Verzweiflung wieder mit ihrer ganzen Stärke. Jeder meiner Gedanken war wieder nur ein Aufschrei, ein Aufschrei der Klage gegen ihn, dessen Namen zu nennen mir jetzt ein Schmerz ist.

Ich habe des Tages nicht vergessen, an welchem ich Ihnen, als wir in Richten zum ersten Male nach dem Kriege die Margarethenhöhe hinaufstiegen, die einfache Geschichte meines Lebens, die unbewußte Weise schilderte, in welcher mein Herz sich, von früher Kindheit an, dem schönen, verwaisten Knaben zugewendet hatte. Meine Liebe ist stets eine Kraft gewesen, die ich nur genoß, wenn ich sie im Dienste für Andere, in der Hingebung an Andere verwerthen konnte. Ich war sein, so lange ich mich meiner selbst erinnern kann, und seit sieben langen Jahren hat jeder meiner Athemzüge ihm gehört. Weshalb soll ich noch leben, da mein Dasein ihn nicht mehr beglückt? –

Schatten der Liebe, welche den Gegensatz zu ihrem Lichte bilden, haben Sie die bangen Zweifel geheißen, von denen meine Seele damals sich beunruhigt fühlte. Ach, ich wußte, daß mein ahnend Herz mich nicht betrog, daß es nicht vergebens sorgte und erbebte! Der Unglückselige hat sein Blut vergossen für des Vaterlandes Ehre, und während ich in brünstigem Gebete jedes Haar seines Hauptes der Huld des Höchsten anempfahl, ist Renatus nicht nur von mir, ist er von der wahren Ehre abgefallen, ist er sich selbst verloren gegangen, ist er abwendig geworden der Liebe und der Treue, die er mir gelobt hat.

Als er heimkehrte! Wie soll ich sie Ihnen aussprechen, die Wonne und das Glück, die ich empfand, die Seligkeit, mit der ich ihn in meine Arme schloß! Aber in jenem ersten Aufzucken[83] meines Herzens fühlte ich es – nur ich war glücklich, er war es nicht.

Was habe ich nicht alles gethan, ihn wiederzugewinnen, was gelitten, ihn zu sich selbst zurückzuführen! Es ist Alles vergebens gewesen, und meine Kraft ist erschöpft, meine Lebenslust dahin.

Fast fünf Monate sind in diesem stillen Kampfe entschwunden. Der Termin für die neuen Contracte mit seinen Beamten war gekommen. Ich hatte ihn am Morgen heiterer als sonst gesehen, er sprach von seinem Vorsatze, auf seinen Gütern zu leben, ich knüpfte wider meinen Willen meine Hoffnungen daran. Aber der Mittag war nahe, der Amtmann hatte sich schon lange entfernt, und Renatus ließ sich nicht sehen. Seine Sorgen waren stets die meinigen gewesen, ich kannte seine Angelegenheiten besser als er selbst, ich hatte mich darauf vorbereitet, sie leiten zu können, wenn es ihm nach unserer Verheirathung nicht gefallen hätte, sich mit ihnen zu beschäftigen, und eben deßhalb hatte ich dem Rathe beigepflichtet, daß er die beiden andern Güter verkaufen solle. Glücklich mit ihm zu sein, war in dem herrlichen Richten ja immer noch des Raumes genug.

Den ganzen Morgen hatte ich mich gefragt: Was wird er thun, wozu wird er sich entschließen? Die Ungewißheit ließ mir endlich keine Ruhe. Ich schickte nach seinem Zimmer, er war nicht dort. Man sagte, er sei in den Park gegangen. Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn sehen. Man reißt nothgedrungen sein Herz von dem geliebten Herzen eines Mannes los und verlernt es doch nicht, um den zu sorgen, der uns von sich stößt.

Ich ging in den Park hinab, ich suchte Renatus in den Wegen, welche ihm die liebsten waren, nur seine Fußtapfen sah ich, er war nicht dort .. Er fand die Laune spazieren zu gehen, und sagte sich nicht mehr: Hildegard wird am mich denken, wird um mich sorgen![84]

Bis an die Wiese folgte ich seiner Spur. Dann ging ich auf die Margarethenhöhe hinauf, und kaum dort angelangt, sah ich ihn von dem Rothenfelder Kirchpfade den Weg in die Höhe kommen. Das Herz schlug mir vor Freude, wie ich ihn in seiner Schönheit so leicht einhergehen sah. Ich wußte nicht, was ich that, als ich, der inneren Stimme folgend, so schnell ich konnte, ihm entgegeneilte.

Sonst, wenn ich, noch ein halbes Kind, so im Laufe von der Höhe zu ihm heruntergeflogen war, hatten seine Arme sich mir entgegengebreitet und ich hatte mich an seine Brust geworfen mit dem Glücksgefühle, daß ich im Hafen sei. Jetzt, als ich athemlos vor Freude und Erregung vor ihm stand, mußte ich beschämt die Augen niederschlagen, um es nicht zu sehen, wie wenig die unerwartete Begegnung ihn erfreute.

Wo kommst Du her? fragte er mich, ohne mir auch nur die Hand zu reichen.

Ich habe Dich gesucht, gab ich ihm zur Antwort; ich befürchte, daß Du keine gute Verhandlung mit dem Amtmann hattest, daß es zu keinem Abschlusse gekommen ist! – Und als ich das ausgesprochen hatte, fiel mir's auf das Herz, daß zwischen mir und ihm schon seit lange immer nur von seinen Geschäften die Rede gewesen war.

Obschon die Mittagssonne heiß herniederbrannte, wollte ich über die Wiese den Rückweg nehmen, weil es uns am schnellsten nach dem Schlosse gebracht hätte, und ich scheute mich, mit ihm allein zu sein, weil es mir dann immer am schmerzlichsten fühlbar wurde, wie er mir gar nichts mehr zu sagen hatte.

Wider mein Erwarten äußerte er die Absicht, über die Höhe nach Hause zu gehen. Als wir hinaufstiegen, bot er mir den Arm. Ich wollte fragen, mich erkundigen; er hieß mich schweigen, meine Brust zu schonen; aber auch er sprach nicht zu mir. Die Sonne erwärmte das Laub und die Stämme,[85] daß uns aus den dicht verschatteten Gängen überall ein warmer Blätterduft ntgegenquoll. Von Zweig zu Zweig huschten die Vögel an uns vorüber, es sang und zwitscherte rund um uns her, es blühte, wohin man sah, und dazwischen zuckte und flammte das Sonnenlicht bald hier, bald dort zwischen der dichten Blätterfülle hervor und streute seinen glühenden Wiederschein über das grasige Erdreich hin, daß man wie auf dunkelrothen Blumen ging. Mitten in der Traurigkeit, die sich während dieses schweigenden Ganges immer lähmender auf mich herniedersenkte, wirkte die Herrlichkeit des Tages doch noch auf mich ein, und um nur die Stille zu unterbrechen, um nur nicht zu merken, wie einsam ich an seiner Seite sei, sagte ich: Siehst Du denn nicht, wie schön es hier ist?

Gewiß! entgegnete er mir, es wird mir schwer genug werden, es wieder zu entbehren.

Ich war nicht gleich im Stande, ihm auszudrücken, wie unerwartet mir seine Antwort kam, aber er mochte mein Erstaunen in meinen Mienen lesen, und ehe ich noch ein Wort gesprochen hatte, sagte er: Mein Urlaub geht zu Ende, unser Regiment kommt in den nächsten Wochen über den Rhein zurück. Ich muß es zu erreichen suchen, um meine Compagnie doch selbst in die Hauptstadt einführen zu können.

Er sprach das so einfach, so natürlich – und welche Grausamkeit wäre einem treulos gewordenen Herzen nicht natürlich? – daß er mich täuschte. Ich war es schon gewohnt worden, ihn nur an seine eigenen Wünsche denken zu sehen, und das Verlangen, mit den Tapfern, in deren Mitte er gekämpft hatte, unter unseres geliebten Königs Augen in die Hauptstadt einzuziehen, war ja ein berechtigtes. Ich selbst sehnte mich danach, ihn an der Seinen Spitze, im Siegesschmucke, im deutschen Eichenkranze zu erblicken. Indeß ich unterdrückte diesen Wunsch, und nur die Frage that ich, wann er gehen wolle.[86]

Sobald ich hier mit dem Amtmann abgeschlossen habe!

Du denkst also, ihn zu behalten? erkundigte ich mich.

Ja, als Pächter! entgegnete er kurz.

Mein Erschrecken war groß, indeß ich hatte seit lange die Erfahrung gemacht, daß meine Bitten, meine Vorstellungen ihn nicht bestimmten. Du hast also Deine Absichten geändert, Du willst die Güter nicht selbst bewirthschaften, wie Du es noch vor wenig Tagen vorgehabt hast? erkundigte ich mich.

Nein! sprach er sehr bestimmt.

Ich wußte mir nicht zu erklären, was geschehen sein konnte, ich schwieg also; aber das reizte seine Ungeduld, und heftiger, als es zu verantworten war, rief er: Sprich es doch aus, was Du denkst, und hülle Deine Unzufriedenheit nicht in dieses Schweigen, das mich verdammt, weil ich endlich, endlich einmal von den Sorgen freizukommen wünsche, die mein Erbtheil gewesen sind von Jugend auf! Was habe ich denn bis jetzt von meinem Leben, von diesen Gütern anders gehabt, als Sorgen? Von unseren übeln Vermögensumständen habe ich den Caplan sprechen hören, als ich mich, ein Knabe, noch an Märchen zu ergötzen wünschte! Um unserer Vermögensverhältnisse willen schickte man mich in das Heer, in einem Alter, in welchem mein Vater in wahrhaft königlicher Freiheit mit seinem Erzieher die halbe Welt durchreiste! Als ich nach längerer Zeit ins Vaterhaus zurückkam, empfing mich die Kunde, daß unsere Lage es für meinen Vater nöthig mache, auf mein mütterliches Erbe zurückzugreifen, und ich gab es hin! Im Feldlager, am Vorabende der größten Schlacht, erreichten mich mit der Nachricht von meines Vaters Tode die Berichte über unseren sich entwerthenden Besitz! Am Beiwachtfeuer, auf dem Siechbette im Lazareth, in den Sälen von Paris, bei dem Wiedersehen des Onkels, in dem Bureau von jenem Tremann und hier in meinem Hause höre ich immer und ewig nur dasselbe alte Lied![87] Und wenn einmal der Schatten meiner Bäume mich still umfängt, wenn ich endlich einmal aufathmen möchte in Gottes freier Luft, spricht Dein schon wieder sorgenvoller Blick: Schaffe Rath, schaffe Ordnung, so ist's nicht zu halten! – Nun denn – verzeihen Sie mir, mein edler, theurer Freund, daß ich den Ausdruck wiederhole, den ich mit Beschämung von seinem Munde hören mußte – nun denn, so mag zum Teufel gehen, was nicht zu halten ist! Ich verkaufe Rothenfeld und Neudorf, ich verpachte Richten, ich gehe zu meinem Regiment zurück! Ich will wissen, woran ich bin, ich will nicht länger die Last auf meinen Schultern fühlen, welche die Vergangenheit mir aufgebürdet hat. Ich will die Irrthümer meiner Voreltern und auch die meinigen nicht als eine mich ewig hemmende Kette durch das Leben schleppen! Ich will ein eigenes, neues Leben leben, ich will endlich einmal mein eigener Herr, endlich einmal frei, endlich frei sein!

Renatus hatte sich erhoben und ging auf dem engen Raume heftig auf und nieder. Noch an dem Morgen dieses Tages hatte er, wie ich schon erwähnte, davon gesprochen, daß er die Güter selbst bewirthschaften wolle; es mußte also etwas geschehen sein, das ihn verstimmt, das ihn andern Sinnes gemacht hatte. Ich vermochte mir nicht zu denken, was es gewesen sein könne, und ich wußte mir keinen Rath. Freilich hielt ich die Maßregeln, von denen er gesprochen hatte, soweit sie den Verkauf der beiden andern Güter betrafen, für richtig; aber ein Entschluß, in solcher Verfassung vollzogen, mußte mir immer als ein unheilvoller erscheinen, und ich wagte nicht, ihn zu billigen, nicht, wider ihn zu sprechen. Dazu kam das unabweisliche Gefühl, daß Renatus sich in solcher heftigen, in solcher über das erlaubte Maß hinausgehenden Weise nicht geäußert haben würde, hätte er einen Andern, hätte er nicht eben mich zur Seite gehabt. Ich glaubte es zu sehen, daß mein Erschrecken,[88] meine Angst ihm eine Genugthuung bereiteten, ich hatte in diesen letzten Monaten so viel, ach, so unaussprechlich viel von ihm ertragen, und keine Sylbe und kein Laut in seiner ganzen Rede dachten meiner! Ich war nicht mehr für ihn vorhanden!

Oft, unsäglich oft hatte ich es empfunden, daß ich zu seinem Glücke nicht mehr nöthig sei. Jetzt traf es mich aus seinen Worten wie ein Schlag, und wie ein Blitz drang die nicht mehr zurückzuweisende Erkenntniß in mein Herz. Er wollte frei sein, frei vor allen Dingen, frei von dem Worte, das ihn an mich band! Ich war es, die er fliehen wollte, wenn er zum Regimente ging! Die Liebe, die er mir geschworen hatte, war der Irrthum, von dem er loszukommen wünschte; und es kostete ihn nichts, sich von dem Erbe seiner Väter loszureißen, wenn er sich damit nur von mir zu trennen vermochte.

Wir waren nahe bei einander. Er war stehen geblieben und sah, an einen der starken Stämme angelehnt, in den Laubgang hernieder. Dieselbe Sonne beschien uns noch, dieselben sanften Töne des lockenden Vogelsang berührten noch unser Ohr, aber es war mir, als hätte sich eine Kluft aufgethan zwischen mir und ihm, und als träte er fern und ferner von mir zurück. In jedem Augenblicke wollte ich die Frage thun. Drei, vier Mal versuchte ich es, aber immer fehlte mir dazu das Wort, und mit jeder Sekunde schien er mir fern und ferner zu treten, wuchs in mir die Angst, daß mein Ton ihn nicht mehr erreichen könne. Ich war meiner Sinne fast nicht mächtig. Nur das Einzige fühlte ich noch klar: auch ich mußte frei werden, und wenn auch durch den Wahnsinn oder durch den Tod, von dieser Stunde martervoller Pein.

Renatus, fragte ich ihn, und meine eigene Stimme klang mir wie eine fremde, und die Frage klang mir so fremd, als hätte ich nichts mit ihr zu schaffen, Renatus, Du sprichst von Deinen Irrthümern, von deren Folgen Du frei zu sein wünschest?[89] Siehst Du die Liebe, die Du mir geschworen hast, auch als einen Irrthum an? Willst Du frei sein auch von den Banden, die uns an einander ketten? Sprich es aus!

Renatus fuhr zusammen, aber er antwortete mir nicht, und, die Arme über die Brust verschränkt, den Blick zu Boden gerichtet, starrte er finster vor sich nieder.

Was da in meiner Seele vorging! Wie könnte ich Ihnen das beschreiben? Ich hatte mir gesagt, daß er mich nicht mehr liebe, ich hatte ihm angeboten, ihm seine Freiheit wiederzugeben, und, denken Sie nicht übel von mir, weil ich es Ihnen eingestehe, ich erwartete, ihn zu meinen Füßen niedersinken zu sehen, und meine Arme waren wie meine Seele offen, ihn liebend und verzeihend zu umfangen. Indeß Renatus regte sich nicht, und wie von einem inneren Feuer schnell und hoch emporgetrieben, schoß ein Gefühl des Zornes in mir auf. Da er mich nicht mehr liebte, sollte er künftig mit Beschämung an mich denken, wollte ich den Triumph genießen, ihn zu demüthigen, und ich hatte es bis dahin nicht geahnt, welche Kräfte der Grimm und die Empörung uns verleihen können.

Ich blieb sehr ruhig sitzen, als er vor mir stand. Sieh' nicht so finster drein, Renatus, sagte ich. Es ist eine böse Stunde über Dich gekommen, aber ich habe mich Dir ja angelobt für gute und für böse Stunden, ich will Dir helfen, über diese hier hinauszukommen. Es ist gut, daß sie mich nicht unvorbereitet trifft. – Ich mußte innehalten, denn das Klopfen meines armen Herzens versetzte mir den Athem und ich brauchte eine kleine Zeit, ehe ich wieder meiner Herr geworden war.

Du willst frei sein, sagte ich, Du möchtest ein neues Leben leben! – Ich streifte den Ring von meinem Finger, den ich seit sieben Jahren, seit sieben langen Jahren nicht von mir gelassen hatte, und reichte ihm denselben hin. – Nimm das[90] Pfand zurück, das Dich an die Vergangenheit bindet, ohne Deine Liebe begehre ich Dein nicht. Ich gebe Dich frei!

Renatus trat mit rascher Bewegung auf mich zu. Sein Auge belebte sich, aber ich sah es, ich konnte mich nicht darüber täuschen, es war kein Schmerz, es war eine aufzuckende Freude, die es erglänzen machte. – Behalte ihn, o, behalte den Ring, bat er, als ein Andenken an mich, und ich will den Deinigen heilig halten in Bewunderung Deines edlen, großen Herzens!

Ich konnte ihm nicht antworten; ich schüttelte verneinend mein Haupt. Ich hätte es nicht vermocht, den Ring wieder an meiner Hand zu tragen. Er war mir einst ein Pfand des Glücks gewesen, er wäre mir jetzt eine mahnende Erinnerung an ein langes Leid geworden. Aber ich war es so gewohnt, ihn zu tragen, meinen Finger von dem kleinen Reif umspannt zu fühlen; es fehlte mir etwas, es wurde mir kalt, es fiel mir Alles, Alles auseinander, da ich ihn fortgegeben, da Renatus ihn zurückgenommen hatte. Es war ein Zauberring für mich gewesen, nun war der Bann gelöst und die Entzauberung brach schnell heran.

Ich war mit meinen Gedanken, mit meiner Kraft zu Ende. Ich sah das Spielen der Blätter, ich fühlte den Sonnenschein, ich hörte die Vögel singen; es bedeutete mir nichts mehr. Ich athmete, das war Alles! Nicht einmal mein Leiden fühlte ich. Nur eine Stumpfheit, nur eine Leere empfand ich. Es war mir Alles ein Räthsel, es war mir Alles klar und doch so unverständlich. Ich hätte nicht sagen können, ob ich wache, ob ich träume.

So saß ich eine Weile. Die Zeit kam mir sehr lang vor. Ich wunderte mich, daß die Sonne noch immer schien, daß die Vögel noch immer sangen. Es war mir, als hätte ich Ewigkeiten durchlitten und durchlebt.

Renatus sprach zu mir. Er sagte mir, wie er seit Jahren[91] vor der Stunde sich gefürchtet hätte, in welcher der Irrthum unserer Herzen uns deutlich werden würde. Er habe lange gefühlt, daß er in jugendlicher Verblendung den Frevel begangen habe, mich an sich zu ketten, ehe er sich seines eigenen Wesens recht bewußt geworden sei. Er gestand mir, daß er mich nie geliebt, daß er sich vergebens bemüht habe, sich mit der Freundschaft, der Verehrung, der Bewunderung zu begnügen, die er für mich fühle, die er mir bewahren werde ....

Ich fühlte ein Verlangen, laut aufzulachen, aber ich unterdrückte es, denn mit diesem Lachen hätte ich dem Wahnsinne Raum gegeben, der mit seinen grauen, verwirrenden Flügeln sich auf mein Haupt herniedersenken wollte.

Ich ließ Renatus sprechen fort und fort. Es war der Anfang der Befreiung, die er sich bereitete. Mit lebhaften Worten schilderte er mir die Leiden, die Schmerzen, die er um mich getragen hatte. Er um mich! – Ich unterbrach ihn nicht; auch nicht, als er es mir ausmalte, das Glück, das er sich einst mit mir geträumt, das er ersehnte, das er von der Zukunft sich erhoffte.

Ach, er kannte die Liebe, er kannte sie sehr wohl! Und angstvoll, von Minute zu Minute harrend, strebte ich, zu erkennen, wer ihn fühlen lehren, was er nicht für mich gefühlt. Die Liebe hatte er ertödtet in meiner Brust; wie ein böser Geist stieg aus ihrer Asche die Eifersucht, diese niedrigste der Leidenschaften, in mir empor. Ich sehnte mich danach, den Namen Eleonore von seinem Munde zu vernehmen, denn mich verlangte nach einem Gegenstande für den Haß, der in mir brannte, aber ich hatte mich betrogen. Er hatte Eleonore Haughton nicht geliebt. Nur seine Phantasie hat sie beherrscht, nur seine Eitelkeit hat sie beschäftigt. Sie war für ihn zu mächtig, wie meine Liebe für ihn zu mächtig gewesen ist – und nicht einmal der elende Trost war mir gegönnt, das Wesen hassen[92] zu dürfen, das er, ich erkannte es in jener unheilvollen Stunde, das er liebte und auf das sein Sinn gerichtet war.

Ich war sehr elend, sehr unglücklich, mein theurer Freund!

Als Renatus endlich zu sprechen aufhörte, schien er eine Antwort zu erwarten, aber was sollte ich ihm sagen? Ich erhob mich und wollte gehen. Er hielt mich bei der Hand zurück. Das dünkte mir der Gipfel seiner Herzenshärtigkeit.

Ich zog meine Hand aus der seinigen. Du bist jetzt frei, was willst Du noch von mir? fragte ich ihn.

Deine Vergebung! sagte er, und dem bittenden Klange seiner Stimme konnte ich nicht widerstehen. Wie eine leuchtende Flut strömten sie auf mich ein, alle die Erinnerungen jener goldenen Tage der Jugend. Die Fülle meines einstigen Glückes, die Gewalt meines Schmerzes überwältigten mich. Ich breitete meine Arme aus, ich warf mich an seine Brust, und an seinem Herzen, an seinem treulosen Herzen weinte ich um ihn – um mich!

Matt wie eine Sterbende, riß ich mich endlich von ihm los. Ach, er hielt mich nicht! Wo willst Du hin? fragte er mich, da ich, nicht wissend, was ich that, mich nach dem Dorfe wendete. Wo willst Du hin?

In die Verbannung! gab ich ihm zur Antwort. War die Welt mir doch öde und leer, wohin ich immer ging. Er bot mir seinen Beistand an, er wollte mich begleiten. Die kleinste Hülfsleistung von ihm wäre mir wie eine Schmach erschienen. Ich hieß ihn gehen. Er trug Bedenken, mich zu verlassen. Ich bin des Alleinseins lange schon gewohnt! versicherte ich ihm.

Dir gegenüber habe ich nur zu gehorchen! sprach er, und mir die Hand noch einmal reichend, die zurückzuweisen ich zu stolz war, ging er, ohne sich auch nur noch einmal nach mir umzusehen, langsam die Höhe hinab.

Trockenen Auges blickte ich ihm nach. Es war mir Alles[93] werthlos, Alles gleichgültig, selbst mein eigenes Unglück. Nur das Eine fühlte ich, ich konnte mein Haupt unter seinem Dache nicht mehr zur Ruhe legen, ich konnte ihn nicht wiedersehen.

Als ich in das Schloß kam, sagte man mir, Renatus sei ausgeritten und werde erst am Abende wiederkehren. So sehr war ich an seine rücksichtslose Grausamkeit gewohnt, daß ich es ihm Dank wußte, mir Freiheit für den einen Tag geschafft zu haben. Ich konnte Vittoria, ich mochte Cäcilie nicht um mich haben. Ich bat meiner Mutter, sich mit mir zurückzuziehen; ich sagte ihr Alles, Alles! – Auch sie begriff es, daß ich nicht bleiben konnte, auch sie wünschte, sich zu entfernen; nur so schnell, wie ich es begehrte, konnte es für sie und mich und für Cäcilie nicht ausgeführt werden; und ehe ich über diesen Abend hinaus in seinem Hause geblieben wäre, hätte ich mein Haupt auf freiem Felde betten und des Himmels Sterne mir zum Zelte machen mögen.

Meine Mutter sah meine Angst. Es fiel ihr ein Auskunftsmittel ein. Am folgenden Tage sollte, wie wir wußten, eine meiner näheren Bekannten ihr Vaterhaus verlassen, um nach dem Fräuleinstift zum heiligen Grabe aufzubrechen, in welchem der König ihr eine der freigewordenen Stellen gnädig zuertheilt hatte. Ich konnte ihren Wohnsitz noch vor der Nacht erreichen, und sie hatte, da sie nur mit ihrem Mädchen reiste, einen Platz für mich in ihrem Wagen; sie hatte es mir sogar angeboten, sie zu begleiten, falls ich die Hauptstadt und unsere Freunde wiederzusehen wünschte.

Wie mir zu Muthe war, als ich das Schloß verließ, welches ich mich gewöhnt hatte, als meine Heimath zu betrachten – ich finde keine Worte, es Ihnen auszudrücken. Vom Leben scheiden, ist für den Gläubigen nicht schwer, die Hoffnung leiht ihm ihre tragenden Schwingen; aber sich loszureißen von all seinem Glauben, von seinem Lieben, von all seinem Hoffen[94] und in das Leben, in die kalte, fremde Welt hinauszugehen, das, mein theurer Freund, das ist sehr schwer, sehr bitter, und ich habe es ertragen.

Unsere Reisetage gingen still dahin. Ferdinanden's Verlobter war auf dem Schlachtfelde gefallen, sie war vereinsamt wie ich, und doch die Glücklichere, denn ihr Schmerz war rein. Wir fuhren die ganzen Tage, wir rasteten die Nächte; sie fühlte keine Neigung und ich hatte nicht die Kraft, unsere Freunde in der Hauptstadt wiederzusehen. So langten wir im heiligen Grabe, im Stifte an, und so habe ich es nach kurzem Aufenthalte unter dem Schutze einer der Stiftsdamen wieder verlassen und mich derselben mit Bewilligung meiner Mutter für den Besuch von Pyrmont angeschlossen. Meine Gesundheit, die nie stark gewesen ist, hat sehr gelitten, der Arzt verlangte für mich den Gebrauch jener Quellen, und ich durfte mich seinem Rathe nicht widersetzen, denn ich habe eine Mutter, die von meinem Siechthume leiden, die mein Tod betrüben würde. Ich muß ein Leben zu erhalten suchen, das mir völlig werthlos ist.

Am Beginne jedes Morgens frage ich mich mit schmerzlicher Ermüdung: was soll mir dieser Tag? Ich werde mich dies fragen bis an mein Lebensende! Die Liebe, wie ich sie fühlte, ist eine Blüthe, die, einmal entblättert, nicht wieder blüht, und wenn ich zurückblicke in die Vergangenheit und ich finde alles verwelkt, was ich in mir gepflegt um seinetwillen, der es nicht verdiente, und wenn ich mich frage: wie konnte das geschehen, wie durfte er es wagen, wie vermochte er es zu thun? so finde ich keine Antwort in mir, wie ich kein Verschulden in mir finde. Nur das Lied des Dichters fällt mir immer ein, und Tag und Nacht klingt sein trauriges Wort: ›Mußt es eben leiden!‹ in meiner Seele wieder.

Wenn Gott Erbarmen mit mir hat, wenn er mein Gebet erhört und mir es nicht zu fern steckt, meines Daseins Ziel,[95] dann, mein verehrter, mein theurer Freund, Sie Einziger, der schon seit Jahren meinen Kummer in selbstloser Güte zu theilen nicht verschmähte und gegen den mein Herz zu erschließen mir jetzt ein trauriger Genuß ist, dann lassen Sie mir diese Worte auf den Grabstein setzen; und so lange der rohen Willkür und dem Leichtsinne eines Mannes noch Gewalt gegeben ist über eines Weibes liebend Herz, wird ihnen der Wiederhall in mancher Brust nicht fehlen.

Leben Sie wohl, mein theurer, väterlicher Freund! Sie haben mir einst gestanden, daß ich Ihnen den Glauben an die höchsten Güter des Menschen wiederzugeben so glücklich gewesen bin, und Sie haben mir damit einen Trost gewährt, an dem ich mich jetzt oft zu halten genöthigt bin, wenn mein ganzes Dasein mir als ein verfehltes vorkommt, wenn ich mich frage: Wozu habe ich gelebt und wozu soll ich leben? –

Ihnen, mein Freund, bin ich doch etwas werth, zu etwas gut gewesen, und ich weiß Ihnen für die Ermuthigung, welche diese Gewißheit mir gewährt, nicht besser zu danken, als indem ich Ihnen mich mit allem meinem Kummer nahe. Nehmen Sie, der, wie Sie mir selber sagten, das Leben von seinen Höhen bis zu seinen Tiefen kennt, und den diese Kenntniß nachsichtig gemacht hat, nehmen Sie mich duldsam auf und denken Sie in irgend einer guten Stunde an die arme Hildegard[96]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1871, S. 81-97.
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