Zweiter Brief

[13] Daß die Frauen sich selbst ernähren dürfen, wenn Niemand da ist, der sie ernährt, das hat man ihnen allerdings niemals streitig gemacht, nur über die Art, wie sie sich ernähren dürfen, hat man sich bis jetzt noch nicht allgemein verständigt, und doch kommt es mir vor, daß, die Nothwendigkeit einmal zugegeben, auf die Frage des Wie? nur mit der einfachen Antwort: »Wie sie können und wollen!« zu entgegnen ist.

Es lag und liegt hier in Bezug auf die Behandlung der Frauen eine ganz schreiende Ungerechtigkeit vor, nämlich die Beschränkung des freien Gebrauchs der angeborenen Fähigkeiten zu eigener Förderung; und von all den Tausenden und aber Tausenden von Männern, die aus vollster Ueberzeugung gegen die Unterdrückung und Beschränkung einzelner Racen oder bestimmter Culte geeifert haben, von all denen, welche ihrer Zeit die Emancipation der Katholiken in Irland, die Emancipation der Juden in Deutschland und schließlich die Emancipation der Neger in Amerika und der Leibeigenen in Rußland, als wesentliche Siege der Vernunft,[13] als Thaten einer unerläßlichen Gerechtigkeit begrüßt und gefeiert hatten, machten die Allerwenigsten es sich klar, daß neben ihnen, in ihren Häusern, in ihren Familien, mitten in der Bildung, mitten in der Gesittung, auf welche sie so stolz waren, mitten in der von ihnen allmälig errungenen Freiheit, innerhalb des Staates, dem sie angehörten, ihre eigenen Frauen, Töchter und Schwestern unter dem Banne der Ungerechtigkeit lebten und gelegentlich litten, deren Aufhebung für die Negersclaven sie als einen Sieg der Menschlichkeit gefeiert hatten.

Man fand es furchtbar, daß ein Pflanzer einem Neger, der etwa mit schönen Anlagen für die Mechanik, mit einem ungewöhnlichen Scharfblick für die Erkenntniß von Krankheiten, mit einer großen Gewandtheit für kaufmännische Verhandlungen geboren war, sagen konnte: Du baust Zucker, Du baust Baumwolle, Du putzest in meinem Hause das Silberzeug, Du machst meine Kleider, Du fährst mich im Wagen! Man weinte über Onkel Tom in seiner Hütte, und sagte einer Tochter, die vielleicht ein medicinisches Genie oder ein großes kaufmännisches Talent war: Du strickst Strümpfe, Du lernst den Haushalt führen; Du bekommst Unterricht, der so weit langt, daß Du einsehen kannst, was für Dich wünschenswerth und zu erreichen wäre, wenn man es Dir möglich machte, Deine Fähigkeiten zu entwickeln, aber entwickeln darfst Du sie nicht – denn Du bist ein[14] Weib. Du brauchst Dich aber darüber nicht zu beklagen, es ist Dein Beruf. So lange ich lebe, gebe ich Dir auch Obdach, Kleidung und Nahrung; findet sich Jemand, der Dich haben will, so gebe ich Dich Dem, der Dir auch Obdach, Kleidung und Nahrung geben wird; und wenn nicht – und wenn ich sterbe und es hat sich Niemand gefunden, der sich mit Deiner Ernährung belasten will – nun? – Nun? so fragten auch die Frauen; und als Antwort erfolgte dann stets ein geseufztes: Nun! so hast Du ja Allerlei gelernt und wirst Dir schon helfen! – Aber wie? aber womit? aber was habe ich denn gelernt? – –

Die Männer sahen den Balken in ihrem eigenen Auge nicht! Sie wollten ihn nicht sehen! Sie wollten es nicht sehen, daß wirklich, soweit es seinen Lebensunterhalt betraf, der Neger, den man bei dem Tode seines Herrn zu fernerer Arbeit gegen fernere Ernährung verkaufte, in gewissem Sinne besser daran war, als das weiße Frauenzimmer in den civilisirten Staaten, das seinen Ernährer verlor, keine Arbeit ordentlich verstand, und eben deshalb, da es von den Erben nicht verkauft werden konnte, nur zu oft dahin gerieth, sich je nach ihrem Stande, ein für allemal an den Ersten Besten, oder sich alltäglich zu verkaufen und in diesem letzteren Falle meist ein Ende zu nehmen, von welchem die Phantasie es aus keuscher Selbstsucht in der Regel sehr gerathen findet, das Auge abzuwenden.[15]

Sie kennen mich, meine Freunde! und ich darf es um so eher sagen, da genug Personen leben, die das Gegentheil bezeugen könnten, wenn ich nicht die Wahrheit spräche: ich bin meinen Eltern eine gute und fleißige Tochter, meinen Geschwistern eine treue und werkthätige Schwester gewesen, und habe gegen meinen Mann und seine Kinder mit Glücksgefühl und nach meinen besten Kräften meine Schuldigkeit gethan. Ich gehöre also keineswegs zu den Frauen, deren zügellose Phantasie oder deren Selbstsucht sie gewaltsam aus den Schranken der Familie herausgedrängt hätten. Aber ich habe innerhalb meines Vaterhauses, innerhalb einer mich liebenden und von mir geliebten, jedoch nicht reichen Familie, Jahre voll so trüber Sorgen vor der uns drohenden Zukunft verlebt, daß ich noch nicht ohne Herzbeklemmung daran zurückdenken kann. Und das alles nur – weil es sich für uns sechs Schwestern, da wir Töchter eines geachteten Kaufmanns und Stadtraths waren, »nicht schicken« sollte, uns fröhlich unser Brod zu verdienen, unserem Vater, dessen liebes Haar in dem Hinblick auf die sechs unversorgten Töchter viel zu früh ergraute, das Leben zu erleichtern; und unsern zwei Brüdern, auf deren Jugend das einstige Loos von sechs unversorgten Schwestern wie ein Alpdruck lastete, eine freie Freundschaft für uns einzuflößen. Dabei waren wir gut und häuslich erzogen, waren nicht unschön und nicht unbegabt. Aber mancher junge Mann, der die Eine oder die Andre von uns[16] vielleicht gern zur Frau genommen hätte, stand davon ab, im Hinblick auf die große nicht vermögende Familie, auf die fünf einst zu versorgenden Schwestern. Es ist dies keine Voraussetzung, keine Beispielerdichtung, sondern eine Thatsache.

Als ich dann endlich krank und müde von dem innerlichen fruchtlosen Ringen nach einem Ausweg, unfähig, mich unwürdigen Ehebanden zu fügen, in welche meines Vaters in dieser Hinsicht vorurtheilsvoller Wille mich hatte hineinzwingen wollen, mein Talent erkannt hatte, als ich zu begreifen anfing, wie ich mir helfen und daß ich auch meiner Familie damit helfen könnte, wenn ich ihr die Sorge für mich abnähme, da verlangte mein sonst so aufgeklärter Vater noch ganz ausdrücklich, daß ich dies heimlich thäte. Ich ging aus meinem Vaterhause fort, beladen mit dem Tadel aller meiner Onkel, Tanten, Cousinen; ich mußte es über mich ergehen lassen, daß man mir den Vorwurf machte, mit meinem Leben außer dem Hause mehr Geld aufzuwenden, als von meinem Vater zu fordern mir zustehe. Meinen eigenen Schwestern verbarg mein Vater es, daß ich mich selber unterhielt – weil ihm die Selbstständigkeit einer seiner Töchter als eine Ungehörigkeit erschien. Meine leiblichen Schwestern – ich erfuhr dies erst nach meines Vaters Tode – hatten bis dahin geglaubt, daß mein Vater mich zum großen Theile versorge; und der theure, sonst so wahrhafte Mann, hatte[17] diese Täuschung aufrecht erhalten, weil, nach seiner Ansicht, die Autorität des Familienoberhauptes darunter gelitten haben würde, wenn er eingestanden hätte, daß seine dreißigjährige glücklich begabte Tochter sich ihr Brod jetzt selbst zu verdienen im Stande sei. Und das that derselbe Mann, der mir die Erlaubniß zu diesem Broderwerb gegeben, der Freude an meinen Arbeiten, der die größte Achtung vor dem Beruf des Dichters und des Schriftstellers empfand, der stolz darauf war, seine Söhne in geachteten Stellungen selbstständig zu wissen.

So tief war noch vor achtundzwanzig Jahren das Vorurtheil auch in den aufgeklärtesten Männern der gebildeten und sogenannten höheren Stände eingewurzelt, daß der Müßiggang und die Abhängigkeit ihrer Töchter eine Ehrensache für sie sei. Sie hielten eine Pflicht, die ihnen oft sehr schwer zu erfüllen war, für ein Ehrenrecht, und opferten diesem falschen Ehrbegriff in unzähligen Fällen das Lebensglück ihrer Töchter. Sie schienen gar nicht zu sehen, was in solcher Lage Hunderte von Mädchen empfunden haben und heute noch empfinden, daß die Negersclavin, die für ihren Herren Werth hat, wenn er sie nebenbei nur gut behandelte, ein weit befriedigteres Ehrgefühl und Gewissen haben konnte als wir, die wir das Bewußtsein mit uns herumtrugen, daß wir denen, welche wir auf der Welt am meisten liebten, daß wir unsern Vätern, unsern Brüdern, eine drückende Sorge, eine schwere Last waren, und die wir, wenn wir[18] mit Rosen im Haare durch die Ballsäle geflogen waren, umschwärmt und umschmeichelt von jungen Männern, uns, wenn wir Abends die Blumen aus dem Haare nahmen, doch fragen mußten: aber was wird aus uns, wenn keiner von diesen Männern uns zur Frau nimmt und versorgt?

In dem Glauben, Liebespflichten gegen die Töchter zu erfüllen, gaben und geben die Väter ihnen, ihrem eignen falschen Ehrgefühle zu genügen und um die Standesgenossen an einen Wohlstand glauben zu lassen, der doch nicht ausreicht, die Töchter lebenslang in müßigem Wohlleben zu erhalten, oft die gewissenloseste Erziehung von der Welt. Unser ganzes Schicksal wurde auf einen Zufall gestellt; auf den Zufall, ob unsere Liebenswürdigkeit oder unsere Schönheit einen Mann so weit zu reizen und zu fesseln im Stande wären, daß er uns zu besitzen wünschen, und sich deshalb mit der Sorge für unsern standesmäßigen Unterhalt beladen würde. Unsere Väter, sammt und sonders Männer, die sich für leichtsinnig halten würden, wenn sie ihr Haus nicht gegen Feuer- und Hagelschaden versichern, wenn sie ihr Schiff, das sie auf das Meer schicken, nicht in eine Assecuranz einschreiben lassen, die sich es zum höchsten Unrecht anrechnen würden, sich in eine Unternehmung einzulassen, deren Ende sie nicht mit ziemlicher Gewißheit berechnen können, führen uns in das Leben ein, ohne irgend voraussehen zu können, was aus uns werden wird; und[19] während sie für ihre Söhne, für das sogenannte »starke« Geschlecht, mit Vorsicht alle Pfade ebnen, ihnen alle Mittel für einen selbständigen Lebensweg vorbereiten, geschieht für uns, für das zarte für das sogenannte »schwache« und hilflose Geschlecht Nichts von alle dem. Und doch sagt man noch: »O! ein Junge, der schlägt sich durch!« –

Von der Tochter schweigt man. Die Tochter sollte, konnte sich nicht »durchschlagen.« Was blieb ihr also? – Sie verkümmerte, wenn sie keinen Mann fand! – Und es sind ihrer unverantwortlich und beklagenswerth Viele in Entbehrungen und in still verborgenen Thränen verblaßt und verkümmert![20]

Quelle:
Fanny Lewald: Für und wider die Frauen. Berlin 1870, S. 13-21.
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