Dritter Brief

[21] Wenn ich jetzt noch über die Frage sprechen höre, ob es zweckmäßig und nöthig sei, Gewerbeschulen für Frauen zu gründen, fällt mir jedesmal Sancho Pansa's tiefsinniger Ausspruch ein: »Wenn's ist, wird's sein können

Wenn man sieht, daß in allen Culturländern, in den größten und aufgeklärtesten Städten, die aufgeklärten und werkthätigen Bürger die Nothwendigkeit erkannt haben, Gewerbeschulen für Frauen einzurichten, so wird man sich schließlich wohl überzeugen müssen, daß ein Bedürfniß fürsolche Anstalten vorliegt, und daß die Schulen, welche jetzt von der Privatwohlthätigkeit einzelner Bürger in einzelnen Städten errichtet werden, nur die Vorläufer der Realschulen und Gymnasien sein können, welche die Regierungen und die Stadtgemeinden in nicht zu ferner Zeit für die Töchter des Landes werden eröffnen müssen – so gewiß und so nothwendig als sie die Gymnasien und die Realschulen für die Söhne des Landes errichtet haben und erhalten.

Die erste Anstalt der Art, welche ich im Jahre 1864[21] in Paris zu sehen die Gelegenheit hatte, war eine École professionelle pour femmes, die unter dem speciellen Schutze von Herrn und Frau Jules Simon stand. Sie war hauptsächlich von den Töchtern der handarbeitenden Stände besucht und man unterrichtete die Mädchen dort, wie jetzt in den meisten derartigen Anstalten, in den Elementarwissenschaften, in weiblichen Handarbeiten und im Zeichnen, ausdrücklich mit dem Hinblick auf industrielle Verwerthung dieses letzteren Talentes.

Später, als ich wieder in Deutschland war, suchte mich ein Fräulein Marwedel auf, welche, wie ich höre, jetzt in Amerika ist, um mit mir den Plan einer Bildungs-Anstalt für Frauen zu besprechen, welche sie, im Beistande sehr verdienter Männer, in Leipzig zu errichten wünschte. Sie selber, einer guten Familie der gebildeten Stände angehörend, hatte einen rauhen Weg im Leben zurückzulegen gehabt, und wünschte andere Mädchen aus gleichen Lebenskreisen vor ähnlichen Nöthen und Sorgen zu bewahren.

Ihr Vorhaben war äußerst verdienstlich; denn gerade in diesen gebildeten Mittelständen, in denen die Mädchen mit mehr oder weniger hohen Ansprüchen an ein gewisses Wohlleben erzogen werden, fallen Noth und Entbehrung den davon Betroffenen oft doppelt schwer; und eben in diesen Ständen lernen die Mädchen in der Regel gar nichts, womit sich erfolgreich Brod verdienen und eine unabhängige Zukunft begründen ließe. Aber das Programm,[22] das man für jene Leipziger Anstalt ausgearbeitet hatte, beruhte, wie es mir gleich damals vorkam, auf einer falschen Voraussetzung.

Man schien anzunehmen, daß in den wohlhabenderen Mittelständen, auf die man es mit der Leipziger Anstalt abgesehen hatte, die Neigung bereits vorhanden sei, ihren Töchtern eine gewerbliche Bildung zu geben. Man hatte, trügt mein Gedächtniß nicht, es auf einen dreijährigen Cursus angelegt; es sollten neben dem reinen Gewerbe auch Gesang und verschiedene andere Gegenstände wissenschaftlicher Art gelehrt werden; und es hatte für mich den Anstrich, als suche man diese Mittelstände für die Gewerbeschule eben dadurch zu gewinnen, daß man die Mädchen in derselben nicht nur zu Arbeiterinnen und Selbsternährerinnen zu machen versprach, sondern sie auch halbwegs als gebildete junge Damen in die Welt zu schicken verhoffte. Auch das Jahrgeld war viel zu hoch angesetzt, nicht für das, was man leisten wollte, sondern für die Leute, auf die man es abgesehen hatte; und ich machte gleich damals den Einwand, daß Familien, die circa tausend Thaler – denn ich glaube, auf eine solche Summe liefen Lehrgeld und Pension für den ganzen Cursus hinaus – an die Ausbildung einer Tochter zu wenden im Stande wären, sich bis jetzt noch nicht dazu entschlössen, sie ein »Gewerbe« treiben zu lassen.

Da ich ein paar Jahre von der Heimath entfernt[23] gewesen bin, weiß ich nicht, was aus dem Leipziger Gewerbs-Pensionate geworden ist. Inzwischen sind in Berlin die Clément'sche Gewerbeschule für Frauen und verschiedene Schulen für gewerbliches Zeichnen für Frauen eröffnet worden, und man hat in den Lehranstalten für Kindergärtnerinnen rüstig fortgearbeitet. Auch in Hamburg hat die unermüdlich thätige Frau Wüstenfeld mit Beihilfe vermögender Gönner eine Gewerbeschule für Frauen begründet und man hat den richtigen Takt gehabt, die Zahl der Lehrgegenstände wie die Lehrzeit und das Lehrgeld möglichst zu beschränken, während man für das Fortkommen der fleißigen und fähigen Lehrlinge möglichst die Hand zu bieten versprach. Das ist sicherlich vorläufig eine Hauptsache. Denn was für die Emancipation der Frauen zur Arbeit das Unerläßlichste ist – das ist vor allen Dingen, daß man den Ungläubigen es zeige, was für die Frauen zu erreichen möglich ist; und daß man den Vorurtheilsvollen zu Hilfe komme, indem man ihnen Beispiele von dem überwundenen Vorurtheil und von den günstigen Folgen dieser Besiegung eines Vorurtheiles vor die Augen stellt. Denn der Erfolg ist noch heute wie zu allen Zeiten der Herrscher, vor dem die Masse der Menschen sich beugt, im Guten wie leider auch im Bösen.

In der Lösung aller socialen Aufgaben, und die Emancipation der Frauen zur Selbständigkeit ist unter diesen Aufgaben sicherlich eine der wichtigsten, thut das[24] praktisch ausgeführte Beispiel immer mehr, als die gründlichst entwickelte Theorie. Entschlössen sich heute in den verschiedenen großen Städten unseres Vaterlandes eine Anzahl junger gebildeter und gesitteter Mädchen aus guten Familien, ebenso wie ihre Brüder in Comptoiren, in Magazinen und in Gewerken zu arbeiten, brächten sie es zu einem Erwerbe, zur Ersparung eines kleinen Vermögens, mit dem sie selber etwas anfangen oder das ihnen zu einer Mitgift für die Ehe werden könnte, so würden wir alle Erklärungen über die Berechtigung der Frauen zur Arbeit im Gewerbe bald kurzweg unterlassen dürfen. Denn der Uebelstand, den wir zu überwinden haben, das Mißtrauen, das auszurotten ist, begründet sich vornehmlich auch darauf, daß bisher in den Magazinen und Gewerken, in denen man sich weiblicher Gehilfen zu bedienen pflegte, häufig, ja zumeist, nur Mädchen ohne Erziehung eintraten, bei denen es denn wohl vorkommen konnte, daß der Verkehr mit Männern und die Aufsichtslosigkeit und Freihheit, zu denen ihr Leben außer dem Vaterhause ihnen Gelegenheit gab, von ihnen in einer ihnen selber verderblichen Weise mißbraucht wurden. Aber wenn man bessere Zustände erstrebt, darf man mit seiner Ansicht und mit seinem Maßstabe sich nicht an die schlimmen Zustände heften, die man ja eben abzustellen und zu besiegen hofft und beabsichtigt.

Es sind nun vielleicht sechs, sieben Jahre her, daß[25] ich mich in einer unserer Hafenstädte bei einem aufgeklärten und wohldenkendem Kaufmanne, der dort eines der größten »Kurzwaaren-Geschäfte«1 betrieb, erkundigte, weshalb er in demselben und in seinem Comptoir nicht Mädchen beschäftige?

Ich hatte dabei den heimlichen Zweck, ein paar hübsche, wohlerzogene Töchter aus einer sehr gesitteten und gebildeten Beamtenfamilie in diese Gewerbthätigkeit einzuführen. Die Mädchen schrieben beide eine schöne Handschrift, sprachen englisch und französisch, rechneten gut, waren an Ordnung gewöhnt, und da die Familie groß, das Gehalt des Vaters nicht hinreichend war, die Familie auch nur nothdürftig zu erhalten, so war derselbe gezwungen, durch Privatstunden, die er ertheilte, das Mangelnde zu erwerben, was ihm allerdings, aber nur auf Kosten seiner Lebenskraft, gelang. Ich hatte mir also gedacht, da diese in sich sehr glückliche Familie ihre Töchter bei sich zu behalten wünschte, da die Töchter eben so lebhaft wünschten, dem Vater eine Erleichterung zu bereiten, und der Ruf dieser Familie und dieser Mädchen der bestmögliche war, so würden sie am besten geeignet sein, das Beispiel vorzuführen, um das es mir zu thun war.

Als ich mit dem Kaufmann von der Sache theoretisch sprach, war er mit mir völlig einverstanden. Er kannte[26] in den gebildeten Ständen aus Erfahrung Fälle genug, in denen die Familienväter sich zu Tode arbeiten mußten, weil sie die einzigen Erwerber in der Familie waren; er hielt mir, da er im Stadtrath mit der Armenpflege zu thun hatte und auch sonst vielfach in der Stadt Bescheid wußte, im Gegensatze die verhältnißmäßig weit bessere Lage der weniger gebildeten Stände vor, in denen, wie bei seinem Portier und bei seinem Kassenboten, die Frau und die Töchter auch zu arbeiten und zu erwerben verständen, so daß in diesen Familien wirklich Jeder etwas zurück- und in die Sparkasse legen konnte, wovon in dem Beamtenhause nicht im Entferntesten die Rede war; und ich glaubte also, da er obenein die musterhafte Wohlerzogenheit der Mädchen rühmte, um die es sich bei dem Vorschlage handelte, meinem Ziele wenigstens von seiner Seite bereits sehr nahe gerückt zu sein, als er mir nach allen seinen Zugeständnissen plötzlich die Erklärung abgab: »daß nur leider solch ein Versuch ganz unmöglich sein würde.« »Aber weshalb denn unmöglich?« fragte ich betroffen. »Sehen Sie!« gab er mir zur Antwort, »ich würde die Mädchen unter den jungen Leuten nicht beschützen und bewahren können. Sie wissen nicht, wie unsere jungen Männer sind. Sie müßten die Redensarten hören, die sie unter einander führen! Und es geht auch sonst nicht. Ich habe früher das Frühstück und das Vesperbrod für die jungen Leute durch unser[27] Hausmädchen in das Comptoir bringen lassen; alle Augenblicke ist da etwas vorgekommen. Bald haben die Mädchen sich über die jungen Leute beschwert, dann wieder hat meine Frau über die Intimitäten der Mädchen mit den jungen Männern zu klagen gehabt – kurz es geht nicht. Sie sehen das selber wohl ein.«

»Gar nichts sehe ich,« versetzte ich darauf, »als daß Sie einige nicht wohlerzogene Männer in Ihrem Geschäfte haben, die sich die unanständige Freiheit nehmen, sich gegen weibliche Dienstboten, die sich selbst nicht achten, unanständig zu betragen. Oder betragen sich die jungen Männer, die, wie ich zufällig weiß, zum Theil sehr guten Familien angehören, etwa auch unanständig gegen Ihre Töchter oder gegen die andern Mädchen und Frauen, mit denen sie in dem Hause ihrer Eltern oder in anderen gebildeten Häusern zusammenkommen?« – Der Kaufmann meinte, daß sei ganz etwas Anderes. Ich mußte ihm das verneinen, und zwar aus fester Ueberzeugung verneinen.

»Glauben Sie,« fragte ich ihn, »daß Ihre jungen Leute, wenn zwei junge Mädchen aus guten Familien, mit denen sie sonst in der Gesellschaft zusammengekommen wären, hier mit ihnen im Geschäfte und im Comptoir zusammen arbeiteten, sich in deren Beisein die unschicklichen Reden erlauben würden, deren Sie vorhin als eines Hindernisses erwähnten?« – »Bewahre der Himmel! ganz gewiß nicht!« versetzte der Kaufmann mit voller[28] Zuversicht. – »Halten Sie es für möglich, daß die jungen Leute im Beisein von gesitteten und gebildeten Mädchen eine jener Unschicklichkeiten gegen die weiblichen Dienstboten Ihres Hauses begangen haben würden, über die Sie vorhin klagten?« – O!« rief er im Tone völliger Abwehr eines solchen Verdachtes. – »Besorgen Sie, daß Ihre jungen Leute sich eine Rohheit gegen gebildete junge Mädchen erlauben würden, von denen sie wüßten, daß sie aus ihres Vaters, aus eines geachteten Mannes Hause, in das Comptoir, und Abends aus dem Comptoir in ihres Vaters Haus gehen, während sie mit denselben Mädchen vielleicht zwei Stunden später auf irgend einem Familienballe in ihrem eigenen Verwandtenkreise zusammentreffen könnten?« – »Nein! ich kann nicht sagen, daß ich dies besorge!« gab er mir zu. – »Sie müssen also zugestehen,« nahm ich das Wort, »daß – und dies ist meine festeste Ueberzeugung – daß die Anwesenheit wirklich gesitteter junger Mädchen in den Werkstätten, Comptoiren und Magazinen auf die Gesittung der dort arbeitenden jungen Männer vortheilhaft einwirken, ihnen zu einem Zügel und zu einer Schranke werden würde. Weshalb also wollen Sie den Versuch nicht wagen?«

Nun denn, trotz alle dem und alle dem wurde der Versuch doch nicht gewagt. Der Kaufmann und die Eltern der Mädchen gaben Alles zu, was man irgend wollte, aber von beiden Seiten hatte man Scheu, gegen die bestehenden Vorurtheile und Gewohnheiten anzugehen,[29] und zwei Jahre darauf hatte der wackere Beamte seine Kräfte in Ernährung seiner Familie erschöpft. Er starb an Abzehrung und es trat denn auch wieder einmal einer jener Fälle ein, deren ich in meinem ersten Briefe gedachte. Es blieb kein Pfennig Vermögen zurück, die höchst brave Frau entschloß sich, wirklich noch am Sarge ihres Mannes, eine Schule zu errichten, mit der es leider nicht recht gehen wollte; einige Monate nach des Vaters Tode heirathete die eine Tochter einen achtungswerthen und wohlhabenden Mann, der aber reichlich ihr Vater hätte sein können. Die Andere trat acht Tage nach des Vaters Tode als Gesellschafterin mit sechszig Thalern jährlichem Gehalte in eine begüterte Familie ein, in der sie sich durch zehn, durch fünfzehn Jahre, wie das immer geschieht, an jede Bequemlichkeit des Lebens, an Luxus und Ueberfluß gewöhnen wird, um dann vielleicht mit vierunddreißig Jahren eben so hilflos, eben so erwerbsunfähig, nur älter und verwöhnter, als an ihres Vaters Todestage, dazustehen und angstvoll darüber nachzusinnen, ob sich mit Unterricht in Sprachen und Musik so viel verdienen lasse, als man unerläßlich zum Leben nöthig hat.

Ich wiederhole es Ihnen hier, wie in meiner Lebensgeschichte, wie in den Osterbriefen für die Frauen, und in dem vorigen Briefe, ich kenne nichts Beklagenswertheres, als das Loos der unbemittelten Mädchen in den sogenannten »besseren Ständen«, und[30] ich habe heute noch in meiner eigenen Familie, in welcher ähnliche Fälle und Sorgen ebenfalls nicht fehlen, so gut wie gar Nichts dazu thun können, die Eltern darüber aufzuklären, wie sie es anfangen müßten, dieser Noth und diesem Elende abzuhelfen. Im Englischen unterrichten und Clavierunterricht ertheilen, Gouvernante oder Gesellschafterin werden, darauf läuft es stets hinaus. Und doch ist in diesen Fächern das Angebot der Arbeit bereits so weit über den Bedarf derselben hinausgegangen, daß man in Berlin neben Lehrern, die zwei Thaler und mehr für die Stunde erhalten, gründlich gebildete und vorzügliche Clavierspielerinnen findet, die für sieben und einen halben Groschen eine Stunde ertheilen, wobei denn die Stunde, welche sie mitunter auf das Kommen und Gehen zu verwenden haben, stillschweigend in den Kauf gegeben werden muß. In kleinen Städten ist das Honorar natürlich oft noch weit geringer, und von dem Gehalte der Gouvernanten und Gesellschafterinnen läßt sich vollends nicht so viel erübrigen, daß ein vor Noth gewahrtes Alter damit zu erreichen wäre.[31]

1

Eisen-, Posamentier- und Quincaillerie-Waaren.

Quelle:
Fanny Lewald: Für und wider die Frauen. Berlin 1870, S. 21-32.
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