Vierzehnter Brief

[144] Karlsbad, im August 1869.


Eigentlich müßte dieser Brief schlechtweg die Aufschrift führen: »An die Frauen«, denn was ich jetzt in diesem Schlußbriefe noch zu sagen habe, hat mit der Zustimmung der Männer nichts zu thun, obschon es wahrscheinlich auf dieselbe rechnen darf; es liegt ausschließlich in der Einsicht und in dem Belieben der Frauen selber, was sie davon zur Ausführung bringen wollen und was nicht.

Ich habe in allen den vorhergehenden Briefen der allmählichen Gleichstellung der Frauen mit den Männern aus vollster Ueberzeugung das Wort geredet, wenngleich ich mir, wie ich Ihnen sagte, wohl bewußt war, daß ich in diesem Augenblicke damit keineswegs die Ansichten und die Verlangnisse aller Frauen ausgesprochen habe. Denn, wenn ich mir die Frauen ansehe, denen ich in den Straßen unserer Städte, in den Badeorten, in den Theatern, und in den Sälen unserer Gesellschaften begegne, so frage ich mich freilich selber unwillkürlich:[144] Kann man denn wirklich ernsthaft an die Emancipation der Frauen denken?

Nicht etwa, als ob die fehlende Körperkraft der Frauen oder ihre gelegentlichen Kränklichkeiten mir diesen Zweifel einflößten! Es ist ja mit der Emancipation der Frauen nicht gesagt, daß sie nun Alle Gewerb und Erwerb treiben, oder daß sie Grobschmiede und Locomotivführer werden sollen. Dazu giebt es, beiläufig bemerkt, auch viele kränkliche, von Nervenleiden, von Migränen, von allen möglichen kleinen und großen Unbequemlichkeiten schwer geplagte Männer, die eben so wenig wie die Frauen Grobschmiede oder Locomotivführer werden, die um ihrer Kränklichkeit willen auch diesem und jenem Amte nicht vorstehen können, ohne daß man deshalb es für nöthig erachtet hätte, diese Männer von der Gleichberechtigung mit den anderen stärkeren und robusteren Männern auszuschließen. Virchow, Humboldt, Rauch, Meyerbeer und Cornelius sind und waren stimmberechtigt so gut wie jeder Steinklopfer und Zimmermann.

Meine Bedenken liegen auf einer anderen Seite; und ich möchte eine große Anzahl von Ihnen, meine Leserinnen, fragen: Glauben Sie, daß ein verständiger Mann Ihnen irgend eine ernsthafte Bedeutung zutrauen kann, wenn er Sie auf Stelzenschuhen, in einer Kleidung, die von hinten und von vorn in ihren Aufbauschungen aussieht, als wäre ein altes Gardinenbett Ihr Schönheits-Ideal und als ließen Sie Ihre Kleider bei dem Tapezierer[145] machen – glauben Sie, daß man Ihnen einen ernsthaften Gedanken zutrauen kann, wenn man sieht, wie es keine Abgeschmacktheit in Kleidung und Frisur mehr giebt, die Sie mitzumachen und wo möglich noch zu übertreiben, nicht sofort beflissen wären, um durch diese Uebertreibung die Blicke der Männer auf Sich zu ziehen? Kann ein Mann Sie in diesen »Costümen« oder in Ihren Salon-Toiletten, die in allen Farben des Regenbogens schimmern, wirklich für seines Gleichen halten? – Ich versichere Sie, es fällt das selbst verständigen Frauen und Mädchen häufig schwer genug.

Man sagt freilich: andere Zeiten, andere Sitten, und die Frauen haben seit den letzten dreißig, vierzig Jahren viel an Freiheit des Beliebens gewonnen; aber Sie wollen doch Alle mehr oder minder festhalten an den alten Herkommnissen der deutschen Zucht und Sittsamkeit; wie ist es Ihnen also möglich, in den Straßen zu erscheinen, wie Sie es thun? – Ich traf neulich bei einem Besuche, den ich in einer angesehenen Familie zu machen hatte, eine dem Adel angehörende Frau mit ihrer Tochter, die ebenfalls eine Visite in dem Hause abstatteten; und die Unterhaltung der Mütter und der im neuesten Geschmack oder besser Ungeschmack gekleideten Töchter beider Familien wendete sich nach wenig Augenblicken auf die wachsende Sittenlosigkeit und Zudringlichkeit der jungen Männer aus den gebildeten Ständen. Es hieß: ein Mädchen könne nicht mehr unbegleitet durch die Straßen gehen, ohne von[146] den unehrbaren Anträgen der Männer beleidigt, ohne von ihnen verfolgt zu werden u.s.w. – Ich hörte ruhig zu und dachte an so manches junge Frauenzimmer, dessen bescheidene Tracht es vor ähnlichen Erfahrungen bewahrt; aber des Zornes und der Empörung unter jenen Frauen war kein Ende, bis ich endlich die Bemerkung machte: »Aber wenn Sie Sich so auffallend und noch auffallender kleiden, als die Frauenzimmer, für die Sie nicht gehalten sein wollen, so können Sie Sich doch nicht darüber wundern, daß man Sie für solche Frauenzimmer hält?« Sie sahen mich sammt und sonders an und schwiegen; nur die eine der beiden Mütter gab mir Recht.

Sie tragen Bänder um den Hals, die weit hinter Ihnen her flattern, diese Bänder heißen in der Sprache der Modisten »suivez-moi«, und Sie wundern Sich, daß man Ihnen nachgeht! Sie tragen Cocarden hinten mitten auf den Röcken, die den Namen führen »protegez-moi«, und sind erstaunt, wenn man sich gemüssigt fühlt, Ihnen diesen Dienst zu leisten! Ihre ganze jetzige Tracht, von Ihren kürbißförmigen Frisuren bis zu Ihren chinesischen Schuhen, ist die Erfindung der verrufensten französischen Frauengesellschaft, und Sie setzen Ihren Stolz darin, es dieser gleich oder noch gar zuvorzuthun. Sie würden es vielleicht unschicklich finden, vielleicht Bedenken tragen, neben ernsthaft arbeitenden oder studirenden jungen Männern zu den Füßen eines Lehrers als Lernende zu sitzen, und Sie reizen durch Ihre auffallende, Ihre Gestalt[147] völlig Preis gebende Kleidung auf der Straße die Begehrlichkeit jedes Vorübergehenden, und erschrecken dann wie die Kinder, und klagen wie die Kinder über die nothwendigen Folgen Ihres eigenen thörichten Thuns! Sie fürchten, ernstes Arbeiten neben ernsten Männern könne jenen mysteriösen Hauch der zartesten Weiblichkeit von Ihnen abstreifen, und Sie setzen ihre wahre Weiblichkeit und Würde alltäglich ganz freiwillig wahrhaft kränkenden Berührungen und Beleidigungen aus.

Aber nicht genug, daß die jetzigen Trachten fast durchgehends schamlos sind, sie sind neben ihrer völligen Unzweckmäßigkeit – ich denke nur an Ihre sogenannten Hüte – auch von einer Kostbarkeit, welche die Mittel der meisten Familien um ein Bedeutendes übersteigt; und es wird aller Orten an traurigen Beispielen nicht fehlen, in denen die Putzsucht und der Luxus die Töchter in Schande gestürzt, die Väter zu Ausgaben verleitet haben, an denen sie zu Grunde gegangen sind. Als in ... der Bank-Director wegen Cassen-Defecte in das Gefängniß wandern mußte, schob man sein Verschulden schließlich auf den Luxus seiner Frau und Töchter; und ganz neuerdings sagte mir in einer Gesellschaft ein Banquier, während eine Dame in Brillanten starrend vor uns stand: »Die Brillanten und die points d'Alençons, welche diese Frau heute an sich hat, sind weit mehr werth, als ich ihrem Manne borgen würde!

Es ist geradezu lehrreich und dem Auge wohlgefällig,[148] wenn man einmal die Mode-Journale vom Anfange der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts in die Hand nimmt, um sie mit den jetzigen Trachten zu vergleichen. Wir liebten es damals auch, uns zu schmücken, wir suchten in den Sälen, in denen wir uns in einer uns bekannten Gesellschaft bewegten, eben so wie Sie, zu gefallen und durch die Eigenartigkeit unserer Toiletten aufzufallen, aber alte und junge Frauen der gesitteten Gesellschaft hielten an dem Grundsatze fest, daß es für eine Frau, die sich selber achte, nicht anständig sei, in der Straße durch Kleidung aufzufallen. Sah man in der Straße eine auffallende Tracht, so wußte man, was man von ihrer Trägerin zu halten habe. Jetzt – nicht einmal, nein, alltäglich – fragen wir uns bei unseren Spaziergängen, ob das wohl anständige Frauenzimmer sind, und wir sind oft ganz verwundert, wenn man dies bejaht. – Die frühere Straßenkleidung war bescheiden, die jetzige ist frech. Jene Kleider hatten eine schickliche Länge; sie reizten nicht durch ihre Kürze und ärgerten nicht durch das Herumzerren der kostbaren Stoffe durch den Straßenkoth. Die Farben waren durchweg anspruchslos, die reichlichen Falten der Röcke fielen, sich dem Körper anpassend, von der Taille nieder, die Garnirungen waren mäßig, die Hüte saßen auf dem Kopfe und rahmten das Gesicht ein; und man würde das Frauenzimmer für wahnsinnig, ganz entschieden für wahnsinnig gehalten haben, das ohne Shawl oder Mantille, das ganz unverhüllter[149] Gestalt, oder vollends mit einem Thurmbau von falschen Haaren, wie er jetzt beliebt ist, durch die Straßen gegangen wäre. Dabei fragt man sich noch obendrein ganz unwillkürlich: Wen wollen Sie denn täuschen mit dem Haarschmuck, den wir Alle, die Männer sowohl als die Frauen, fix und fertig, mit Chignon und Kamm und Cavalierlocken, zu so und so viel Thalern an dem Fenster jedes beliebigen Friseurladens zum Kaufe hängen sehen? Es taxirt ja jede Frau die Herrlichkeit dieses Ihres Haarwuchses bei Heller und Pfennig richtig ab – und es leben doch ein gut Theil verständiger junger und älterer Männer unter uns, die sich die Frage aufwerfen: Wie viel Tage, wie viel Monate muß der Mann arbeiten, wie viel Waare muß er umsetzen, wie viel Artikel muß er schreiben, ehe er die Mittel zur Bekleidung eines solchen Frauenzimmers herbeizuschaffen vermag?

Neben diesen verständigen Männern geht nun, um das Unheil voll zu machen, auch noch die ganze große Zahl aller der unbemittelten Männer und Frauen durch die Straßen, die mit ihrer schweren Arbeit kaum des Lebens Nothdurft für sich und die Ihren zu erwerben fähig sind. Glauben Sie, daß diesen Menschen bei Ihrem Anblick und wenn sie an den Schaufenstern die Preise Ihrer Kleidungsstücke und Frisuren lesen, nicht alltäglich und allstündlich der Gedanke kommen muß: Mit dem Gelde, das eine solche Schärpe, ein solcher Haaraufsatz kosten, könnte ich meine Kinder kleiden, könnte[150] ich mit den Meinen mehr als eine Woche leben; mit dem Geldwerthe dieses Schleppkleides und dieser weißen Röcke, die den Straßenkehricht fegen, wäre dir für Monate geholfen und deine kranke Frau könnte sich einmal in Ruhe auscuriren lassen!

Es fällt mir nicht ein, und wird keinem vernünftigen Menschen einfallen, daß diesem Zuschautragen der Verschwendung jetzt, so wie in früheren Zeiten, durch eine den Luxus beschränkende Kleiderordnung entgegengearbeitet werden könne; aber man hat in England sehr wohl daran gethan, gewisse Arten von Luxus sehr hoch zu besteuern, und ich sehe das geflissentliche Zurschautragen einer sinnlosen Verschwendung in den Straßen niemals ohne den Gedanken an, daß dies recht eigentlich das Verbrechen »der Aufreizung der Stände gegen einander ist«, welches unsere Gesetze schwer bestrafen, wo es mit dem gedruckten oder dem gesprochenen Worte, und nicht, wie durch Ihren Luxus mit der That geübt wird. Kann irgend etwas die Arbeiter herausfordern, mit Recht eine Lohnerhöhung zu verlangen, so ist es sicherlich die jetzige Verschwendungssucht der Frauen aus den sogenannten besitzenden Ständen; und es ist wirklich an der Zeit, daß die ernsthaften und gutdenkenden Frauen sich zusammenthun, um durch ihr Beispiel diesem ihr eigenes Geschlecht mehr und mehr herabziehenden Gebahren entgegenzuarbeiten. Wir haben nicht nöthig, zu Quäkerinnen zu werden, wir brauchen nicht auf das Vergnügen zu verzichten, in schönen Stoffen[151] und in edlem Schmucke so vortheilhaft für unsere Gestalt als immer möglich zu erscheinen; aber wir verdienen es nicht, die Achtung, welche man den deutschen Frauen um ihrer Zucht und Sitte willen zollt, fernerhin für uns zu heischen, wenn wir nicht aus freier Erkenntniß ausüben, was sonst das Gesetz gebot, wenn wir uns nicht von der Nachahmung einer fremdländischen und sittenlosen Frauenwelt emancipiren, in der Alles hohl und Alles leer und Alles käuflich ist, wie jene Frauenzimmer selber.

Beginnen Sie also vor allem Anderen mit diesem Werke der Selbstemancipation – oder der Emancipation von Sich selbst und von Ihrer Eitelkeit und Putzsucht –; Sie alle zunächst, denen es um die wirkliche Erhebung unseres Geschlechtes Ernst ist. Glücklicherweise zählt unser Vaterland der besonnenen Frauen und Mütter noch genug, hat es noch Mädchen genug, die einen sittlichen Idealismus in sich tragen. Beginnen Sie also das Werk dieser Emancipation, und Sie werden sicherlich dafür in Ihren Familien, von Ihren Vätern, Ihren Brüdern, Ihren Männern des Dankes nicht entbehren. Wenden Sie nur den dritten Theil des Geldes und der Zeit, die Sie jetzt an Ihren und Ihrer kleinen und großen Töchter Putz verschwenden, auf gute Bücher und auf deren Lesen, und Sie werden Sich und ihren Männern und Ihren Vätern das Leben verschönern und die Last und die Sorgen des Alters erleichtern. Sie werden dann auch sicherlich in wenig Jahren den Vorstellungen sehr geneigt werden[152] welche ich Ihnen in diesen Briefen gemacht habe; und wollten Sie einen Verein begründen, der dem sinnlosen Kleideraufwand, als ein neuer Mäßigkeitsverein, entgegenträte, so würden Sie wirklich etwas Gutes stiften. Es sind oft große Dinge aus kleinen Anfängen hervorgegangen; und da jetzt bereits edle, hochgesinnte Männer für die Emancipation der Frauen thätig sind, ist es da nicht an den Frauen selber, jenen Männern durch ihre Selbsterziehung soweit als immer möglich vorzuarbeiten? Ist es nicht die Pflicht der Frauen, jenen Männern entgegenzu gehen, um sobald als möglich die hülfreiche Hand ergreifen zu können, die ihnen von dem männlichen Gerechtigkeitsgefühle dargeboten wird?

Es ist erhebend, wie der großherzigste Vertheidiger der Frauenrechte, wie John Stuart Mill, in verschiedenen seiner Schriften für die Frauen eintritt, und es ist rührend, die Worte zu lesen, mit welchen er seine gesammelten kleinen Schriften dem Andenken seiner verstorbenen Gattin weiht. »Sie brachte jeder Gesellschaft,« so sagt er von ihr, »in welcher sie erschien, in ihrer Person Licht und Leben und Anmuth mit, und doch war der Grundzug ihres Wesens ein gewaltiger Ernst, der aus dem Zusammenwirken der stärksten und tiefsten Gedanken und der erhabensten Empfindungen entsprang. Alles, was einzeln in Einzelnen gefunden, Bewunderung erregt, schien sich in ihr vereint zu haben: ein zartes und gesundes Gewissen, eine nur durch ihr Gerechtigkeitsgefühl[153] beschränkte Großmuth, die trotzdem oftmals über ihre Absichten, doch niemals über die der Anderen hinausging; ein so großes und liebevolles Herz, daß Jeder, der nur die kleinste Entgegnung zu gewähren vermochte, zehnfach wiederempfing, was er geboten hatte. Dazu eine Stärke und Wahrheit der Einbildungskraft, eine Feinheit der Wahrnehmung, eine Genauigkeit und Bestimmtheit der Beobachtung, denen durch die Tiefe ihres speculativen Geistes und durch ein fast unfehlbares Urtheil in allen praktischen Dingen das Gleichgewicht gehalten wurde. Die Erhabenheit ihres Geistes war so groß, daß die höchsten Ausdrücke der Dichtkunst, der Beredtsamkeit und der Künste überhaupt, neben ihr nur als etwas Natürliches, ihrem ganzen Wesen Angemessenes erschienen etc.«

Nicht wahr? Es ist etwas Erstrebenswerthes für ein Weib, ein ähnliches Anerkenntniß, ein ähnlicher Nachruhm von den Lippen eines edeln, großen Mannes! Es ist auch etwas Großes um das Wort von Abraham, Lincoln, der sicherlich kein Freund der Phrase war: »Nächst Gott sind es die Frauen, denen unser Land seine Errettung verdankt!« Mich dünkt, solche Lobsprüche sind am Ende doch wohl mehr werth, als das widerwillig gethane Zugeständniß der weiblichen Modewelt, daß man die eleganteste Frau des Ortes, oder wie die Pariser von ihrer Kaiserin sagen, die eleganteste Frau der Zeit gewesen sei.

Und nun zum Schlusse, mit meinem Gruße an die[154] mir geneigten Leser, nur noch die Versicherung, daß nichts auf der Welt diesen Briefen ferner gelegen hat, als etwa ein Kämpfen oder ein Erringenwollen für mich selbst, als ein Plaidoyer in eigener Sache; denn die Emancipation, die ich den Frauen wünsche und für sie erhoffe, habe ich für meinen Theil, so weit sie mir für mich irgend begehrenswerth erschien, vollständig erreicht. Ich bin seit siebenundzwanzig Jahren mit meinem Leben und Lebensunterhalte einzig auf mich selbst gestellt gewesen, ich bin rechtlich frei, kann über meinen Erwerb und Besitz verfügen nach Belieben, und ich besitze einen Wirkungskreis, wie er meinen Fähigkeiten entspricht, meinen Neigungen gemäß ist. Ich habe die Wirksamkeit und Thätigkeit in unserem Hause und in unserer Familie wie jede an dere Hausfrau und jede andere Familienmutter, ich habe Einfluß in einem großen Freundeskreise und besitze in der Presse das Mittel, meiner Ueberzeugung – dichtend oder rein didaktisch – Ausdruck zu geben, um derselben wo möglich Geltung zu verschaffen. Eine andere öffentliche Thätigkeit und Wirksamkeit habe ich für mich niemals angestrebt, ja, ich habe sie abgewiesen, so oft man mich auch aufgefordert hat, mich an die Spitze von Vereinen zu stellen, in Vereine einzutreten, oder gar öffentliche Vorträge zu halten. Ich bin nicht in der Gewohnheit eines solchen persönlichen Heraustretens erzogen, und es würde mich dieses eine Ueberwindung kosten, die mir aufzuerlegen ich keinen zwingenden Anlaß sehe. Das schließt aber nicht aus, daß[155] anders erzogene oder begabtere und gelehrtere Frauen als ich ihren Platz auf dem Katheder einer Universität oder auf einer anderen hervorragenden Stelle sehr wohl behaupten könnten. Wie unsere Verhältnisse jetzt liegen, genügt es mir, die nicht mehr jung ist, wenn ich aus der Ferne, ohne daß Sie mich mit Augen sehen und mit Ohren hören, zu Ihnen sprechen kann. Ich würde es aber als ein großes Glück für mich erachten, wenn ich mit meinen Erörterungen Eindruck auf Sie machte, wenn ich Sie auf die Wege führen könnte, die Sie zu Ihrer Selbsterhebung einzuschlagen haben; ja, die Sie nothwendig werden gehen müssen, wenn Sie Sich nicht selber Ihrer Menschenrechte entäußern und, um mich eines Ihnen Allen geläufigen Ausdruckes zu bedienen, es nicht selber etwa anerkennen wollen, daß »Gott nicht den Menschen, sondern nur die Männer nach seinem Ebenbenbilde geschaffen habe,« wovon in der Bibel, in dem Buche, auf dessen Aussprüche Sie Sich mit Ihrem Glauben wie mit Ihrem Hoffen stützen, wahrlich nichts geschrieben steht.

Und somit für diesmal Lebewohl, und möchten diese Briefe eine gute Stätte bei Ihnen finden!

Quelle:
Fanny Lewald: Für und wider die Frauen. Berlin 1870, S. 144-156.
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