8.

[56] Hier nennt der Dichter Adlichkeit,

Die adlich ist und All'n gemeit –

Dass Jeder wohl sein Lob ihr gibt

Und Adlichkeit vor Allem liebt.


Nach diesen kam nun Adlichkeit,

Die war' auch Allen wohl gemeit,

Da sie nicht stolz und thöricht war.

Sie war's, die aus des Reigens Schaar.

Mit ihren Hulden mich empfing

Wie keine – als dahin ich ging.

Sie war nicht dumm und ungewandt,

Vielmehr gar weis' und ohne Schand,

Wohl sprechend, wohl erwidernd jetzt –

Und Niemand ward von ihr verletzt,

Mit Hader Keinem je sie lohnt,

Sie war so helle, als der Mond

Ist unter andern Sternelein,

Die Lichter scheinen nur zu sein.[57]

Einnehmend war sie, schmuck und zier,

An Reiz' kein Weib vergleich' ich ihr.


So war sie werth in jedem Sinn,

Zu sein Kön'gin und Kaiserin

Ein Ritter schreitet bei ihr dicht

Der zierlich geht und zierlich spricht,

Weiß zu erzeigen Jedem Ehr' –

Der Ritter war ein feiner Herr.

Und in den Waffen wohl geübt,

In seine, Freundin baß verliebt.


Da kam Frau Muße wieder an,

Die trat zu mir ganz nah heran,

Von der ich Euch schon hab' gemalt

Das Wesen all' und die Gestalt

Sie ist's, von der ich Euch gesagt:

Wie mir durch ihre Gütigkeit

Die Huld kam, daß geöffnet mir

Desselben Blumengartens Thür.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 56-58.
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