[156] Der Hof eines in U-form gebauten Phalansters. Das Erdgeschoß der beiden Flügel bildet eine offene Säulenhalle. In der Halle rechts sind zwischen in vollem Gang befindlichen Maschinen Arbeitsleute beschäftigt. In der Halle links hantiert in einem Museum, voll verschiedenster naturwissenschaftlicher Gegenstände, mechanischer und chemischer Apparate und anderer Raritäten, ein Gelehrter. Alle zum Phalanster Gehörigen sind gleich gekleidet. Adam und Lucifer entsteigen mitten im Hofe der Erde. Tag.
ADAM.
Welch' Land, welch' Volk, wohin wir da gerieten?
LUCIFER.
Land, Volk, das sind veraltete Begriffe.
War der Begriff vom Vaterland nicht kleinlich?
Nur blindes Vorurteil konnt ihn erzeugen,
Engherzigkeit, Wetteifer nur erhalten.
Jetzt ist die ganze Erde unsre Heimat,
Genosse zum Gemeinzweck jedermann,
Und über weiser Ordnung lindes Walten
Wacht hochgeschätzt die hehre Wissenschaft.
ADAM.
So hat sich meiner Seele Ideal
Denn doch verwirklicht. Ei wie ist das prächtig!
So habe ich es immer mir gewünscht.
Um eines thut's mir Leid: ich misse schmerzlich
Des Vaterlandes herrliche Idee.
Sie hätt' vielleicht in dieser neuen Ordnung
Doch auch bestehen können. Denn der Mensch
Braucht eine Schranke, scheut Unendlichkeit,[156]
Verliert an innerem Gehalt, wenn er
Sich in die Weite schrankenlos verliert;
Hängt an Vergangenheit und Zukunftsträumen.
Ich fürchte, daß er für die weite Welt
Sich nimmer so begeistern wird, wie er
Sich für der Eltern Grab begeistern konnte.
Wer für Blutbande gern sein Leben ließe,
Hat für die Freundschaft höchstens eine Thräne.
LUCIFER.
Verwirfst dein Ideal schon, wie ich merke,
Bevor du es leibhaft verwirklicht sahst.
ADAM.
O glaube das nicht! Doch ich bin begierig
Von der Idee zu hören, welche nun
Die weite Welt vereint, die jetzt die alte
Begeisterung, dies ew'ge, heil'ge Feuer
Des warmen Menschenherzens, das bislang
Durch hundert Nichtigkeiten ward geschürt,
Und nur zu hohlen Kämpfen ausgenützt,
Endlich zu edlerm, wahren Ziele lenkt.
Doch sage mir, wo sind wir eigentlich,
Was ist dies für ein Ort? dann führe mich,
Daß meine Seele in dem Glücke schwelge,
Welches dem Menschen nach so vielen Kämpfen
Als wohlverdienter Lohn zu teil geworden.
LUCIFER.
Dies ist, gleich vielen andern, ein Phalanster,
Des zeitgemäßen Menschen neues Heim.
ADAM.
So gehn wir denn!
LUCIFER.
Halt, halt, nur nicht so eilig!
Wir müssen uns vorher der alten Haut
Entledigen. Wenn wir als Adam hier
Und Lucifer erschienen, würde diese
Gelehrte Welt an uns gewiß nicht glauben,[157]
Und uns vernichten, oder gar am Ende
Zur Analyse in Retorten thun.
ADAM.
Ei, welchen Unsinn schwätzest du da wieder!
LUCIFER.
Ist schon nicht anders in der Geisterwelt.
ADAM.
So thue wie du willst, doch schnell, nur schnell!
Lucifer verwandelt beide den im Phalanster Befindlichen ähnlich.
LUCIFER.
Nimm diesen Kittel. Fort mit deinen Locken!
Nun sind wir fertig.
ADAM.
Sprechen beim Gelehrten
Zuerst wir vor.
LUCIFER.
Gelehrter, sei gegrüßt!
DER GELEHRTE.
Ach, stört mich nicht bei meinem großen Werke,
Hab' keine Zeit zu plaudern!
LUCIFER.
Thut uns leid,
Sehr leid! Wir sind Gelehrten-Kandidaten,
Und kommen aus dem tausendsten Phalanster,
Uns hat dein großer Ruf hiehergeführt.
GELEHRTER.
Ein lobenswerter Eifer, muß bekennen.
Doch meine Arbeit kann jetzt unterbleiben;
Wenn nur das Feuer unterm Scheidekolben
Nicht ausgeht, fügt der Stoff sich mir nach Wunsch.
LUCIFER.
Ach, habe ich mich nicht geirrt, so blieb auch
In dir noch, dessen Witz Natur und Menschen[158]
Durchs Destillirrohr trieb, als Bodensatz
Die große Eitelkeit!
GELEHRTER.
Nun können wir
Uns sorglos unterhalten. Aber sagt mir,
Zu welchem Fach gehört ihr eigentlich?
ADAM.
Wir knüpften an kein Fach die Wißbegier,
Begehren volle Übersicht des Ganzen.
GELEHRTER.
Da geht ihr fehl! Im Kleinen steckt das Große.
Die Gegenstände sind gar mannigfaltig,
Und unser Dasein nur sehr kurz bemessen.
ADAM.
Sehr wahr! Ich weiß wohl, daß auch solche nötig,
Die Sand zutragen, die den Stein behaun;
Es wölbt sich keine Kuppel ohne sie.
Jedoch sie tappen alle nur im Dunkeln
Umher, und keiner weiß, wozu er hilft.
Der Meister selbst nur überblickt das Ganze;
Und brächt' er auch nicht einen Backstein fertig,
Erschafft er doch das Werk gleich einem Gott.
Und solch ein Meister ist auch groß im Wissen.
LUCIFER.
Und deshalb kommen wir zu dir, o Weiser!
GELEHRTER.
Ihr thatet wohl daran, kann 's würdigen.
Des Wissens Zweige sind vielfält'ge Züge
Ein und desselben großen Organismus,
Sie fesseln nur vereint.
LUCIFER.
Wie Frauenschönheit.
GELEHRTER.
Bei alledem ist doch nur die Chemie ....[159]
LUCIFER.
Des Lebens Sitz, der Mittelpunkt.
GELEHRTER.
Getroffen!
LUCIFER.
Das Nämliche hat zwar von der Mathesis
Ein Mathematiker schon längst gesagt.
GELEHRTER.
Es hält, aus Eitelkeit, in seiner Sphäre
Sich selbst ein jeder für den Mittelpunkt.
LUCIFER.
Hast die Chemie zum Lieblingsstudium
Ganz gut gewählt.
GELEHRTER.
O dessen bin ich sicher!
Sehn wir uns aber das Museum an,
Hat in der heut'gen Welt nicht seinesgleichen.
Der Vorzeit jetzt schon ausgestorbne Tierwelt
Findest du da in echten Exemplaren
Wohl ausgestopft vertreten. Ehmals hausten
Zu Tausenden auf Erden diese Tiere,
Als unsre Väter selbst noch wild gewesen,
Die Herrschaft auf der Welt mit ihnen teilend.
's geht über sie manch wunderliche Sage,
Zum Beispiel über dieses Tier, es habe
Dem Menschen als Lokomotiv gedient.
ADAM.
Das ist ein Roß, doch sehr entartet schon,
Von ganz verkommner Rasse, sag' ich dir.
Hei, Alborak war ganz ein andres Tier!
GELEHRTER.
Von diesem hier erzählt man, daß der Mensch sich's
Als Freund hielt, ohne irgend eine Leistung,
Und daß es seine Sprache wohl verstanden,
Ja selbst den ungesprochenen Gedanken[160]
Ihm treu erkenntlich aus den Augen las.
Ja, was noch mehr, man sagt, daß es sogar
Vom Menschen sich das Laster angeeignet,
Den garstigen Begriff des Eigentums,
Als dessen Hüter oft sein Leben lassend.
Erzähle dies nur wie's geschrieben steht,
Nicht als ob ich's so ohne weiters glaubte.
Viel tollen Wahnsinn, eitle Schwärmerei
Gab's in der bunten Vorzeit, unter andern
Verblieb auf uns auch dies einfält'ge Märchen.
ADAM.
Das ist der Hund. Was du von ihm erzählst,
Ist alles wahr.
LUCIFER.
Adam, nimm dich in acht,
Du wirst dich noch verraten!
GELEHRTER.
Dieses Hornvieh
War einst der Knecht des armen Bauernvolkes.
ADAM.
So wie der arme Mann des Reichen Zugstier.
GELEHRTER.
Das ist der Wüstenkönig.
ADAM.
Ja, der Löwe. –
Da ist der Tiger, hier das flinke Reh.
Was lebt denn für Getier dann noch auf Erden?
GELEHRTER.
Wie kannst du fragen! Ist's bei euch denn anders?
Es lebt, was nützlich ist, und was bisher
Die Wissenschaft nicht recht ersetzen konnte:
Das Schwein, das Schaf. Jedoch bei weitem nicht
So unvollkommen, wie es die Natur,
Die alte Stümperin hervorgebracht;
Denn jenes ist nichts als lebend'ges Fett,[161]
Und dieses eine Masse Fleisch und Wolle,
Die nur, wie eines Chemikers Retorte,
Dem klug vorausbestimmten Zwecke dient.
Doch, wie ich sehe, kennst du alles das;
Drum gehn wir weiter. Hier ist unsre Sammlung
Von Mineralien. Da sieh einmal,
Dies riesige Stück Kohle. Ganze Berge
Gab es von diesem Stoff, die Menschen konnten
Schon fertig aus der Erde Schoß sich holen,
Was jetzt die Wissenschaft erst aus der Luft
Mit unsäglicher Mühe läutern muß.
Dieses Metall da hieß bei ihnen Eisen.
Es war, so lang's nicht auf die Neige ging,
Unnötig nach dem Alumin zu schürfen.
Das hier ist Gold, ein ganz merkwürd'ges Erz,
Doch äußerst unnütz; denn als noch der Mensch
In seinem blinden Glauben über sich
Stehende höh're Wesen angebetet,
Ja solche, die das Schicksal selbst beherrschten,
Hielt er das Gold für ebenso allmächtig,
Und opferte auf dessen Glücksaltären
Wohlleben, Recht und alles was ihm heilig,
Um nur in den Besitz von einem Stückchen
Des gleißenden Metalles zu gelangen,
Wofür er alles leicht in Tausch erhielt;
Unglaublich, doch erwiesen, Brot sogar.
ADAM.
Zeig' etwas andres mir, das kenn' ich alles.
GELEHRTER.
Fremdling, bist wahrlich sehr gelehrt! Wohlan,
Gehn wir zur Pflanzenwelt der Urzeit über.
Hier was Besonderes: die letzte Rose,
Die auf der Welt geblüht. Ein nutzlos Blümlein,
Das mit noch hunderttausend andren Schwestern,
Der schwanken Ähre oft den besten Boden
Benahm; ein Lieblingsspielzeug großer Kinder.
Uns will es, in der That, ganz seltsam dünken,
Wie man sich einst um solche Spielereien[162]
Ereifern konnte. Selbst der Geist trieb Blüten:
Die schwärmerischen Phantasiegebilde
Des frommen Glaubens und der Poesie,
Und hat derart in trügerischen Träumen
Sich wiegend seine beste Kraft vergeudet,
So, daß sein Lebenszweck brach liegen blieb.
Als Rarität bewahren wir allda
Zwei solche Werke. Eins ist ein Gedicht.
Der kindische Verfasser dieser Dichtung
Hieß damals, als das Individuum noch
In frevelhaftem Dünkel Geltung heischte,
Homer. Er führt uns eine ganz phantast'sche
Welt vor darinnen, die er Hades nennt.
Längst widerlegten wir schon jede Zeile.
Das andre Werk ist der Agricola
Des Tacitus, ein lächerliches, aber
Auch recht bedauernswertes Sammelbild
Von den Begriffen der Barbarenwelt.
ADAM.
Also verblieben diese wen'gen Blätter
Als Testament aus jenen großen Tagen
Der Nachwelt doch! Und können sie die kläglich
Entnervten Enkel der gewalt'gen Ahnen
Zu keiner kühnen Heldenthat entflammen,
Die eure künstlich aufgebaute Welt
In Trümmer schlüge?
GELEHRTER.
Was du da bemerkst
Ist richtig, und wir sahen selbst es ein.
Das Gift, das sie enthalten, ist gefährlich;
Darum darf sie nur lesen, wer bereits
Die Sechzig überschritten und sich gänzlich
Der Wissenschaft geweiht.
ADAM.
Die Feenlieder
Der Ammen aber, pflanzen diese niemals
Ahnungen in das zarte Kinderherz?[163]
GELEHRTER.
Gewiß, deshalb erzählen unsre Ammen
Den Kindern von Äquationen nur,
Und von Geometrie.
ADAM beiseite.
Ach Mörder ihr,
Scheut ihr euch nicht, das Herz der einz'gen Fülle
Und schönsten Zeit des Lebens zu berauben!
GELEHRTER.
Nun, gehn wir weiter! Welche sonderbar
Geformten Instrumente und Geräte!
Das hier ist ein Kanonenrohr; darauf
Kaum leserlich die rätselhafte Inschrift:
Ultima ratio regum. Wie es
Gebraucht ward, wer kann's wissen? Siehe da
Ein Schwert, ausschließlich nur zu Menschenmord;
Und keine Sünde war's damit zu töten.
Dies Bild ist ganz mit freier Hand gemacht.
Es nahm vielleicht ein halbes Menschenleben
In Anspruch, und der Gegenstand desselben
Ist eine windige Allegorie.
Der Sonnenstrahl verrichtet heute solche
Arbeit für uns in einigen Sekunden,
Und während jener mit geflissentlich
Erdachtem Truge idealisierte,
Dient dieser unsren Zwecken ganz getreu.
ADAM beiseite.
Die Kunst, der Geist kam aber wohl abhanden ....
GELEHRTER.
Die hunderterlei Gegenstände da,
Wie schnörkelig, wie kindisch alle sind!
Die Blümlein auf dem Kelche, und am Stuhl
Die abenteuerlichen Arabesken
Sind alles Arbeit fleiß'ger Menschenhände
Mit leichtem Sinn verschwendet. Ist ein Trunk
Erfrischender aus jenem Becher drum?
Sitzt man auf diesem Stuhle deshalb weicher?[164]
Jetzt thun die Arbeit unsere Maschinen
In zweckmäßigster und einfachster Form;
Darin liegt aber eben die Gewähr
Für des Erzeugnisses Vollkommenheit,
Daß ein Arbeiter, der heut' Schrauben macht,
Sein Lebtag unabänderlich dabeibleibt.
ADAM.
Drum fehlt auch alles Leben, giebt's in keinem
Der Werke Individualität,
Die den Lehrmeister irgend überträfe.
Wo sollen Geist und Kraft wohl Spielraum finden,
Um ihren göttlichen Ursprung zu zeigen,
Wenn Kampflust sie verzehrt, und sie sich umschaun
In dieser regelrechten Welt voll Ordnung?
Sie finden nicht einmal die wilde Lust
Aufregender Gefahr, kein einziges
Blutdürstiges, mordgier'ges Raubtier mehr.
So täuscht' ich mich auch in der Wissenschaft!
Ich finde eine fade Kinderschule
Anstatt des Heils, das ich von ihr erwartet.
GELEHRTER.
Ist nicht die Brüderlichkeit eingeführt?
Wo giebt's ein Menschenkind, das Mangel litte?
Derlei Ideengang verdiente wirklich
Bestraft zu werden.
ADAM.
Sag' mir also, welches
Ist denn wohl die Idee, die Einheit haucht
In solches Volk, die als gemeinsam' Ziel
Begeistern kann?
GELEHRTER.
Die herrschende Idee
Ist: wie das Leben fristen? Als auf Erden
Der Mensch erschien, da war die junge Erde
Noch eine wohlgefüllte Speisekammer;
Er hatte nur die Hände auszustrecken,
Um fertig zu erlangen, was er brauchte.[165]
So praßte er gleich einer Käsemade,
Ganz unbekümmert fort, und hatte Muße,
Von solcher Wollust Wonnerausch erfüllt,
In abenteuerlichen Hypothesen
Pikanten Reiz und Poesie zu suchen.
Doch wir, beim letzten Bissen angelangt,
Wir müssen geizen, denn wir sehen ein,
Daß unser Käse rasch zur Neige geht,
Und wenn er alle ist, wir insgesamt
Elend verhungern. In viertausend Jahren
Kühlt schon die Sonne aus, die Erde ist
Nicht mehr imstande Pflanzen zu erzeugen;
Viertausend Jahre also sind noch unser,
Um für die Sonnenglut Ersatz zu finden.
Bei unserm Wissen, mein' ich, langt die Zeit.
Zur Heizung könnte Wasser dienen, dieser
Stark oxydierte unter allen Stoffen
Feuerhältigste, flammenreichste Stoff.
Und vom Geheimnis unsres Organismus
Stehn der Enthüllung heute wir schon nah.
Grad' recht, daß wir darauf zu sprechen kommen,
Beinahe hätt ich die Retorte da
Total vergessen; denn in dieser Sache
Bemühe ich mich derzeit eben auch.
LUCIFER.
Der Mensch muß wohl sehr altern, wenn er schon,
Um zu organisieren zur Retorte
Und Abziehblase seine Zuflucht nimmt.
Wenn aber auch dein Werk gelingen sollte,
Welch' Unding wird das sein? Wie ein Gedanke,
Dem Worte fehlen, heißes Liebesweh,
Das ohne Gegenstand, ein scheußlich Wesen,
Verbindungslos, von der Natur verleugnet,
Mit nichts verwandt, mit nichts in Gegensatz,
Wenn keine Individualität
Ihm Schranken setzt. Und woher sollt' es auch
Den eigenartigen Charakter nehmen,
Von äußerlichem Einfluß abgeschlossen,[166]
Vor Leid bewahrt, in einem engen Glase
Zu trübem Sein erwacht?
GELEHRTER.
Sieh' her, wie's siedet,
Wie's flimmt und flammt! Schau, hie und da bewegen
Sich wirklich schon verschwommene Gestalten.
In diesem warmen wohlverkorkten Glase
Sind Wahlverwandtschaft so wie Gegenwirkung
Mit vielem Fleiß ganz richtig kombiniert.
Und endlich wird der Stoff gezwungen sein
Sich, wie's berechnet, mir nach Wunsch zu fügen.
LUCIFER.
Gelehrter, ich bewundre dich! Nur eins
Ist mir nicht klar, ob du imstande wärst
Zu machen, daß Verwandtes nicht einander
Anziehe, und nicht meide Gegensatz?
GELEHRTER.
Einfält'ge Rede! Diese Eigenschaft
Ist doch ein ewiges Gesetz der Stoffe.
LUCIFER.
Ja, ich verstehe, aber sage mir,
Worauf es wohl beruht?
GELEHRTER.
Worauf's beruht?
Es ist Gesetz, weil's so ist und nicht anders,
Erfahrung lehrt's und liefert den Beweis.
LUCIFER.
Bist also nur der Heizer der Natur,
Und's Übrige verrichtet sie allein?
GELEHRTER.
Doch ich setz' ihr mit meinem Glase Schranken,
Und zieh' sie aus dem rätselhaften Dunkel.
LUCIFER.
Ich sehe immer noch kein Lebenszeichen.[167]
GELEHRTER.
Es bleibt gewiß nicht aus. Der ich so lange
Der Organismen unnahbar Geheimnis
Belauscht, das Leben hundertmal zergliedert ....
LUCIFER.
Hast stets nur einen Leichnam aufgefaßt.
Die Wissenschaft hinkt immer nur der jungen
Erfahrung nach, und ganz wie eines Königs
Besoldeter Poet, ist sie bereit
Wohl jede Großthat gleich zu kommentieren,
Doch ist sie nicht im mindesten berufen –
Werdendes als Prophet vorauszukünden.
GELEHRTER.
Was spöttelt ihr? Seht ihr nicht, eines einz'gen
Funkens bedarf's noch, und es kommt zu Leben.
ADAM.
Den Funken aber, woher nimmst du den?
GELEHRTER.
Ein Schritt ist's nur mehr, der noch übrig ist.
ADAM.
Wer aber diesen einen Schritt nicht that,
Hat nichts gethan, weiß gar nichts. Alles andre
War nur im Vorhof' draußen; dieser Schritt
Gerade führt ins Allerheiligste.
Wird's jemals einen geben, der ihn thut?
Unterdessen beginnt der über dem Destillierkolben schwebende Rauch sich zu verdichten und es donnert.
DIE STIMME DES ERDENGEISTES aus dem Rauche.
Niemals! Denn dieses Kolbens Raum hier ist
Mir viel zu eng und viel zu weit. Nun, Adam,
Du kennst mich ja? Nicht wahr, man hat bisher
Nicht die geringste Ahnung noch von mir?
ADAM.
Hast du vernommen diese Geisterstimme?[168]
O schau nur, schau du eitler schwacher Mensch,
Wie wolltst du den bezwingen, der dort schwebt?!
GELEHRTER.
Anfall von Wahnsinn, ach, du machst mir bange!
Der Destillierkolben zerspringt, der Geist verschwindet.
Zerbrochen ist das Glas, nun kann ich wieder
Das ungeheure Werk von vorn beginnen.
So nah' am Ziele, bringt ein Sandkorn noch,
Der dumme blinde Zufall uns zu Falle.
LUCIFER.
Einst nannte man's ein unerbittlich Schicksal,
Und unter seiner Wucht zusammenbrechen
War sicherlich weit weniger beschämend,
Als sich nun vor dem dummen blinden Zufall
Zu beugen. Was bedeutet dies Geläute?
Man läutet.
GELEHRTER.
Man stellt die Arbeit ein, es ist bereits
Zeit zum Spaziergang. Alle kommen schon
Aus den Fabriken, von den Feldern heim.
Nun wird bestraft, wer was verschuldet hat,
Jetzt werden Fraun und Kinder eingeteilt.
Kommt, gehn wir hin, da hab' ich auch zu thun.
In langen Reihen kommen Männer, in anderer wieder Frauen, einige mit Kindern, unter ihnen auch Eva mit einem Kinde. Sie bilden einen Kreis im Hofe. Ein Greis tritt vor sie hin. Adam, Lucifer und der Gelehrte stehen im Vordergrunde beim Museum.
DER GREIS.
Numero dreißig!
LUTHER aus der Reihe tretend.
Hier.
DER GREIS.
Du hast schon wieder
Den Kessel über's Maß geheizt. Es scheint
Wahrhaftig eine Leidenschaft von dir,
Unser Phalanster in Gefahr zu bringen.
[169]
LUTHER.
Wer könnte der Versuchung widerstehn,
Wenn einen das unbänd'ge Element
Wutschnaubend, zischend, prasselnd, funkensprühend
Mit tausend Flammenzungen rings umtobt,
Sich reckt und streckt, und wild sein Opfer fordert,
Furchtlos hinanzutreten, und zu schüren,
Wohl wissend, daß man es bemeistern kann.
Der kennt des Feuers mag'schen Zauber nicht,
Dem 's unter Topf und Tiegel nur bekannt.
DER GREIS.
Sinnlos' Gewäsch, heut' Mittag wirst du fasten.
LUTHER zurücktretend.
Doch morgen schür' von neuem ich die Flamme.
ADAM.
Was sehe ich? Der Mann ist mir bekannt.
Das war ja Luther.
DER GREIS.
Siebenhundertneun!
CASSIUS tritt hervor.
Hier.
DER GREIS.
Dich ermahn' ich schon zum drittenmal,
Weil ohne Grund du immer Händel suchst.
CASSIUS zurücktretend.
Was? Ohne Grund? Weil ich mich nicht beklage?
Ein Feigling, wer nach fremder Hilfe heult,
Solang sein Arm gesund ist. Oder war
Mein Gegner etwa schwächer, warum hat er
Sich nicht verteidigt?
DER GREIS.
Keine Widerrede!
Nicht einmal die Gestaltung deines Schädels
Entschuldigt dich, denn die ist edel, die[170]
Ist tadellos. Dein Blut ist nur zu hitzig!
Man wird dich heilen bis du zahm geworden.
ADAM.
Ach Cassius, wüßtest du wer ich bin!
Einst focht ich bei Philippi dir zur Seite.
So weit kann also sich die schlechte Ordnung,
Die Theorie verirren, daß solch' edler
Hochsinn'ger Geist ihr nur im Wege steht,
Und nicht einmal erkannt wird?
DER GREIS.
Hunderteins!
PLATO hervortretend.
Ich höre.
DER GREIS.
Warst in deine Träumereien
Schon wieder so versunken, daß, wie öfters,
Das deiner Obhut anvertraute Vieh
Ins Kornfeld ging. Um dich ein andermal
Wach zu erhalten, sollst auf Erbsen knien.
PLATO zurücktretend.
Ach, selbst auf Erbsen knieend träum' ich schön!
ADAM.
Welch' Rolle, Plato, ist dir zugefallen
In der Gesellschaft, die du dir ersehnt!
DER GREIS.
Numero Zweiundsiebenzig!
MICHEL-ANGELO hervortretend.
Da bin ich.
DER GREIS.
Hast deine Werkstatt gegen alle Ordnung
Verlassen.
MICHEL-ANGELO.
Ja, weil man mich immer nur
Stuhlbeine machen hieß, selbst diese stets[171]
In ungeschlachtster, elendester Form.
Wie bat ich oft, man möge mir gestatten
Dran eine kleine Änd'rung vorzunehmen,
Drauf einige Verzierung anzubringen!
Die Bitte ward mir rundweg abgeschlagen.
Ich wünschte zur Veränderung die Lehne
Des Stuhles einmal. Alles, ach, umsonst!
War nah' dran, den Verstand schon zu verlieren,
Da ließ ich Qual und Werkstatt hinter mir.
Tritt zurück.
DER GREIS.
Für diese Störung gehst du auf dein Zimmer,
Und wirst den schönen Tag heut' nicht genießen.
ADAM.
Michel-Angelo, welche Hölle muß es
Dem Gott' in deiner Brust sein, daß er nichts
Erschaffen kann! Wie viel Bekannte rings,
Und wie viel Geist, wie viel urwüchs'ge Kraft!
Der hat an meiner Seite einst gekämpft,
Und jener den Märtyrertod erlitten;
Dem da war wohl das Erdenrund zu enge.
Und wie einförmig, ach, zu welchen Zwergen
Hat sie der Staat nun alle kondensiert!
Komm, Lucifer, o gehn wir! Meine Seele
Kann diesen Anblick länger nicht ertragen.
DER GREIS.
Zwei Kinder haben heut' die Zeit erfüllt,
Wo sie der Mutterpflege noch bedurften,
Das allgemeine Pädagogtum
Erwartet sie nun. Führt sie vor, geschwind!
Eva und noch ein Weib treten mit ihren Kindern hervor.
ADAM.
Welch' strahlende Erscheinung! also hat
Auch diese trockene Schablonenwelt
Noch ihre Poesie?
LUCIFER.
Nun, gehn wir nicht?[172]
ADAM.
Ach nein, hier werden wir erst Ruhe finden!
DER GREIS.
Gelehrter! Untersuche mir vor allem
Die Schädelbildung dieser Kinder.
Der Gelehrte untersucht die Kinder.
EVA.
O!
Was steht mir da bevor?
ADAM.
Horch, diese Stimme!
LUCIFER.
Was strebst nach diesem Alltagsweibe du,
Der einer Semiramis Kuß gekostet?
ADAM.
Noch kannt' ich damals diese nicht.
LUCIFER.
Ach so!
Das ist die alte Leier der Verliebten.
Ein jeder glaubt, er hätte ganz allein
Die Leidenschaft erfunden, vor ihm konnte
Gar niemand lieben. Und das geht so fort
In diesem Ton schon viele Tausend Jahre.
GELEHRTER.
Das Kind da soll zum Arzt erzogen werden.
Der wird ein Hirte.
DER GREIS.
Also fort mit ihnen!
Man will die Kinder fortführen, Eva widersetzt sich.
EVA.
Daß du 's nicht anrührst! dieses Kind ist mein;
Wer will es von der Mutterbrust mir reißen?[173]
DER GREIS.
Nehmt's weg, was zaudert ihr damit noch lange?
EVA.
Mein Kind, mein Kind! mit meinem Herzblut hab' ich
Dich ja genährt. Wo giebt es eine Macht,
Die dieses heil'ge Band zerreißen könnte?
Auf ewig soll ich also dir entsagen,
Damit du in der Menge dich verlierest,
Und dich mein forschend Auge unter hundert
Einander ähnlichen Phalanstertypen
In ruheloser Angst vergeblich suche?
ADAM.
Ach Leute, wenn euch irgend etwas heilig,
Laßt dieser armen Mutter doch ihr Kind!
EVA.
Nicht wahr, nicht wahr, du Einziger, du Bester?
DER GREIS.
Du spielst da, Fremdling, ein verwegnes Spiel!
Wenn wir der einstigen Familie
Besiegtes Vorurteil aufleben lassen,
So stürzen alle die Errungenschaften
Der heut'gen Wissenschaft sofort zusammen.
EVA.
Was gilt mir auch die frost'ge Wissenschaft!
Sie falle, wo die Stimme der Natur spricht.
DER GREIS.
Nun, wird es bald?
ADAM.
Ha, daß sie keiner anrührt!
Dort ist ein Schwert, ich will euch lehren, wie man's
Gebraucht.
LUCIFER.
Bewegtes Traumbild stehe still!
Er legt die Hand auf Adams Schulter, dieser erstarrt.
Fühl' meiner Hand verhängnisvolle Macht.[174]
EVA.
Mein Kind, mein Kind!
Sinkt zusammen, ihr Kind wird fortgetragen.
DER GREIS.
Die beiden Frauen da
Sind paarlos, wer zum Paare sie begehrt,
Der melde sich.
ADAM.
Auf diese mach' ich Anspruch.
DER GREIS.
Gelehrter, deine Meinung?
GELEHRTER.
Schwärmerisch
Der Mann, die Frau nervös, giebt ungesunde
Nachkommenschaft. Das Paar taugt nicht zusammen.
ADAM.
Doch stehe ich nicht ab, wenn sie mich will.
EVA.
Bin dein, großmüt'ger Mann!
ADAM.
Ich liebe dich,
O Weib, mit meines Herzens ganzer Glut!
EVA.
Auch ich, das fühl ich, will dich ewig lieben!
GELEHRTER.
Das ist ja Wahnsinn! Seltsam, in der That,
Vergangner Zeiten Geist erscheinen sehen
In unsrer aufgeklärten Welt. Wie kommt das?
ADAM.
Ein später Lichtstrahl aus dem Paradiese.
DER GREIS.
Bedauerlich![175]
ADAM.
Bedauert uns nicht. Dieser
Wahnsinn ist unser; wir beneiden euch
Wahrhaftig nicht um eure Nüchternheit.
Was auf der Welt je groß und edel war,
Das ist ja alles solcher Wahnsinn, dem
Bedächt'ge Sorge keine Schranken setzt.
Ist eine Geistersprache, die zu uns
Aus edlern Kreisen süß herüberhallt,
Ein sicherer Beweis, daß unsre Seele
Denselben wahlverwandt; und wir verachten
Den niedrigen gemeinen Staub der Erde,
Uns kühn den Weg in höh're Sphären suchend.
Hält Eva umschlungen.
DER GREIS.
Was hören wir den Unsinn weiter an?
Ins Krankenhaus mit ihnen.
LUCIFER.
Da, Kam'rad,
Thut rasch Hilfe Not. Adam, wir reisen!
Versinken.
[176]
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