[184] Mit Schnee und Eis bedeckte gebirgige baumlose Gegend. Die Sonne erscheint als rote strahlenlose Kugel von zerrissenen Nebelschwaden umgeben. Zwielicht. Im Vordergrunde zwischen einigen verkümmerten Birken-, Wachholder- und Krummholzsträuchern eine Eskimohütte. Adam als gänzlich gebrochener Greis, kommt am Stabe vom Gebirge herab mit Lucifer.
ADAM.
Was wandern wir in dieser endelosen
Schneewelt umher, wo uns der kalte Tod
Aus leeren Augenhöhlen frostig anstarrt?
Lautlose Stille rings, wenn hie und da
Nicht uns're schweren Tritte eine Robbe
Ins Wasser scheuchen; wo selbst schon die Pflanze
Des Ringens müde scheint, nur ganz verkrüppelt
Gesträuch noch zwischen Moos und Flechten schwankt,
Und aus dem Nebelgrau der Mond mit rotem
Gesicht hervorlugt, wie des Totengräbers
Laterne in die Nacht des Grabes leuchtet.
Dort führ' mich hin, wo schlanke Palmen grünen,
Ins schöne Land des Sonnenscheins, der Düfte,
Wo sich des Menschen Seele sicher schon
Zum Vollbewußtsein seiner Kraft emporschwang.
LUCIFER.
Dort sind wir eben. Diese blut'ge Scheibe
Ist deine Sonne. Unter unsren Sohlen
Läuft der Äquator hin. Die Wissenschaft
Hat übers Los der Erde nicht gesiegt.
ADAM.
Welch' Schreckenswelt! rein nur zum Sterben gut.
Wird mir nicht leid thun ihr Valet zu sagen.[184]
Ach, Lucifer! der ich einst an der Wiege
Des Menschen stand, der ich gesehen habe,
Welch' großer Zukunft Hoffnung drin geschlummert,
Der alle seine Kämpfe mitgekämpft,
Wenn ich nun da auf diesem Riesengrabe,
Worüber die barmherzige Natur
Ein Leichentuch gebreitet, sinnend stehe,
Der erste, letzte Mensch auf dieser Welt:
Wüßt' ich doch gern, wie meine Art geendet?
In edlem Kampfe, mutig, – oder schmachvoll,
Von einer Generation zur andern
Kraftloser, tiefer stets gesunken, elend,
Bar aller Größe, keiner Thräne wert?
LUCIFER.
Ach, ach! wenn du so große Stücke hältst
Auf deinen hohen Geist, wie du einmal
Die Kraft zu nennen liebst, die's warme Blut
Durch deine Adern jagt, und für Ideen
Die junge Brust empfänglich macht, so wünsche
Dir nicht als Zeuge deiner Todesnöten,
An deinem eignen Sterbebett zu stehn.
Denn diese Stunde ist wahrhaftig eine
Gar wunderliche Probe jener Rechnung,
Die du zeitlebens ohne Wirt gemacht.
Der Todesschauer wischt des Lebensfiebers
Schillernde Bilder von der Rechentafel,
Wer mag dann wissen, was da richtig war.
Des letzten Ringens kleinlich' Wehgeschrei
Ist nur ein schallend' Hohngelächter über
Des tollen Menschenlebens eitle Kämpfe.
ADAM.
Warum, ach, ging ich denn nicht lieber dort
In jenen hehren Höhen schon zu Grunde,
Im Vollbewußtsein meiner Kraft und Seele,
Als da so schmählich meine eigne Grabred'
Mit anzuhören, wie sie mir so trocken
Die Gleichgültigkeit eines Geistes hält,[185]
Der meinen schweren Kämpfen ferne steht
Und nicht mit mir des Todes Grauen teilt?!
LUCIFER.
Daß du ein Mensch, erkenn' ich an der Thräne,
Womit du dein Erwachen nun begleitest,
Aus Schwärmerei für Klarheit der Begriffe.
Doch sei beruhigt, deine Art, noch lebt sie.
Schau, dort steht gleich das Obdach eines Menschen,
Und eben tritt der Hauswirt aus der Thüre.
Ein Eskimo tritt aus der Hütte zur Seehundsjagd gerüstet.
ADAM.
Dies Jammerbild, dies fratzenhafte Wesen,
Das wär' der Erbe meiner einst'gen Größe?
Was ließst du, Lucifer, mich solches schaun?
Der Trost ist wahrlich schlimmer als mein Kummer.
ESKIMO.
So giebt's doch Götter über uns? Sieh' da,
Leibhaftig sind sie mir erschienen! Aber
Wer weiß denn, ob sie gut sind oder böse?
Ich rette mich, denn sicher ist doch sicher.
Will sich zurückziehen.
LUCIFER.
Halt, auf ein Wort!
DER ESKIMO sich niederwerfend.
O Gnade, Gnade, Herr!
Ich opfre dir die allererste Robbe,
Die ich erjage, höre mich nur an
Und bringe mich nicht um mein armes Leben .....
LUCIFER.
Welch' Recht steht dir an jene Robbe zu,
Daß du mit ihrem Leben deines lösest?
DER ESKIMO.
Das Recht des Stärkeren. Ich sehe ja,
Wie der gewandte Fisch die Würmer frißt,
Den Fisch der Seehund und den Seehund ich.[186]
LUCIFER.
Und dich verschlingt zuletzt der große Geist.
DER ESKIMO.
Ich weiß, ich weiß; jedoch die kurze Frist,
Die er zu atmen gnädigst mir gewährt,
Erkaufe ich mit einem blut'gen Opfer.
ADAM.
Welch' feige Ansicht!
LUCIFER.
Hast's ja auch gethan.
Der Unterschied ist zwischen euch nur der,
Daß er Seehunde opfert, während du
Einst Menschenopfer hattest dargebracht,
Der Gottheit, die ihr selbst euch schufet: er
Nach seinem Ebenbild', wie du nach deinem.
DER ESKIMO.
Ich seh' du zürnst, und fühle wohl warum.
Weil ich in meiner argen Not es wagte
Ein und das andremal tief aufzuseufzen
Zum gütigen, wohlthät'gen Sonnengott,
Der nichts begehrt, nur spendet, und nach einer
Uralten Sage einst auch hier geherrscht.
O Herr, verzeih' nur diesmal und ich will
Ihm ewig fluchen!
ADAM.
Großer Gott, o sieh'
Hernieder und erröte, wie erbärmlich
Der Mensch, den du als Meisterstück erschufst!
DER ESKIMO.
Dein Freund zürnt sehr, ist er vielleicht auch hungrig?
LUCIFER.
Gerade weil er's nicht ist, zürnt er so.
ADAM.
Wie unpassend du schlechte Witze machst![187]
LUCIFER.
Das ist kein Witz, ich sage nur die Wahrheit.
Du folgerst da, wie einer, der schon satt ist,
Hier dieses Biedermanns Philosophie
Hingegen rührt vom leeren Magen her.
Mit Gründen werdet ihr einander nie
Und nimmer überzeugen, doch sofort
Vollkommen einverstanden sein, sobald
Du ausgehungert bist, und er gesättigt.
Ja, ja, du magst für noch so viel dich halten,
Stets ist das Tier in euch im Vordergrund,
Und nur wenn dies zum Schweigen erst gebracht ist,
Wird seiner Menschlichkeit der Mensch bewußt,
Um mit hochmüt'gem Dünkel zu verachten,
Was doch sein eigentlichstes Wesen ausmacht.
ADAM.
Solch' Urteil, Lucifer, ist deiner würdig,
Der du mit Schadenfreude alles Hehre
Und Heil'ge in den Staub zerrst. Also sind
All' die erhabnen, herrlichen Ideen
Und edlen Thaten nur der Küchendunst
Von unsrem Lebensherde, nur das blinde
Ergebnis von Umständen, welche sämtlich
Von einigen Gesetzen des gemeinen
Geistlosen Stoffs bewegt, gebunden werden?
LUCIFER.
Und ist's nicht so? Glaubst du, daß Leonidas
Im Engpaß stirbt, wenn er anstatt zu Sparta,
Wo's gar kein Geld gab, sich von schwarzer Suppe
Frugal zu nähren, auf lucull'schem Landsitz
In allerlei berauschenden Genüssen
Des Morgenlandes schwelgte? Oder hätt' sich
Brutus durch seinen Sklaven töten lassen,
Wenn er zur schönen Porcia nach Hause
Geeilt wär', und die Aufregung des Kampfes
Nach einem guten Mahl verschlafen hätte?[188]
Und wie gedeiht die Sünde, wie die Tugend?
Hat jene nicht verdorbne Luft und Elend
Gezeugt, und diese nicht der Sonnenschein,
Das Hochgefühl der Freiheit, sich der späten
Nachkommenschaft in Form und Geist vererbend?
Wie viele haben überlaut verkündet,
Sie hätten mit dem Leben abgeschlossen,
Und knüpften sich am nächsten Baume auf.
Doch schnitten sie dann unberufne Hände
Vom Strick herab, so ließ sie schon die bloße
Berührung mit dem Leben ihre Rechnung
Vergessen. Wenn der große Hunyady
Nicht in dem Schoße eines würd'gen Volkes
Geboren worden wäre, seine Wiege
Ein heidnisch Mohrenzelt beschattet hätte,
Was wäre aus dem besten aller Helden
Des Kreuzes wohl geworden? Oder Luther,
Wenn ihn der Zufall auf Sankt-Peters Stuhl
Erkürt hätt', und Papst Leo zum Professor
An einer deutschen Universität?
Wer weiß, ob dann nicht dieser reformiert,
Und jener seinen Bann geschleudert hätte
Auf den verwegnen ungestümen Wühler?
Was wäre aus Napoleon geworden,
Wenn ihm den stolzen Weg nicht eines Volkes
Verspritztes Blut geebnet hätt'? Er wäre
Vielleicht in einer modrigen Kaserne
Als Fähnrich oder Leutenant verkommen.
ADAM Lucifer den Mund zuhaltend.
Nicht weiter! Alles, was du da erörterst,
Erscheint so einfach, und so wahr, ist aber
Gerade deshalb um so schädlicher.
Der Aberglaube kann nur Blöde blenden,
Die ohnehin den hehren Geist nicht fühlen,
Der auf uns wirkt und uns bewegt; jedoch
Der Bessre würde alsofort den Bruder
In ihm erkennen, wenn mit kalten Zahlen
Ihn deine schroffe Lehre nicht erwürgte.[189]
LUCIFER.
Sprich nur mit deinem Kameraden da,
Es wird dir eine kleine Lektion
In kluger Selbsterkenntnis gar nicht schaden.
ADAM.
Darbt ihr noch viele hier in dieser Gegend?
DER ESKIMO.
Ja, viele, mehr als ich auf meinen Fingern
Herzählen kann. Wohl hab' ich alle Nachbarn
Ringsum bereits erschlagen, doch vergebens,
Es kommen immer wieder neue her;
Und ach, die Robben sind so rar! Ja, bist du
Ein Gott, so flehe ich dich an, o mache
Daß wen'ger Menschen und mehr Robben seien!
ADAM.
Komm, Lucifer, es war genug!
LUCIFER.
So sehen
Wir uns doch seine Gattin an.
ADAM.
Ich will sie
Nicht sehn; denn ist der Mann gesunken, ist's
Für unser Aug' ein ekelhaftes Schauspiel,
Doch weckt's Verachtung nur in unsrer Brust;
Ist aber's Weib, dies Ideal, dies hehre
Verkörperte Gedicht, zu tief gefallen,
So wird's zur Fratze, die uns schaudern macht.
Geh, geh! Verschone mich mit ihrem Anblick!
Unterdessen hat Lucifer Adam zur Hütte gezogen, jetzt stößt er die Thüre auf, drinnen sieht man Eva als Gattin des Eskimo. Adam starrt sie staunend an, indem er auf der Schwelle stehen bleibt.
ADAM.
Erkennst in ihr nicht eine alte Liebe?
Umarme sie doch, dieser gute Mann[190]
Hier wird ja auf den Tod beleidigt sein,
Wenn seiner Frau du nicht die Ehre anthust.
ADAM.
Und ich soll dieses Weib umarmen, der ich
Aspasia einst in den Armen hielt?
Die da, in der ich ihre Züge wieder
Aufdämmern sehe, aber so, als würde
Sie sich beim Kuss' zum geilen Tier verwandeln!
DER ESKIMO in seine Hütte tretend.
Weib! Werte Gäste haben wir bekommen,
Empfang sie herzlich.
Eva fällt Adam um den Hals, und zerrt ihn in die Hütte hinein.
EVA.
Fremdling, sei willkommen,
Da ruh' dich aus!
ADAM sich loswindend.
O Hilfe, Lucifer!
Fort, fort von hier! Geleit aus meiner Zukunft
Zurück mich in die Gegenwart, daß ich
Mein fürchterliches Schicksal nimmer schaue:
Den ganz fruchtlosen Kampf! Laß mich bedenken,
Ob Gottes Ratschluß ich noch trotzen soll?
LUCIFER.
Erwache denn, dein Traum ist nun zu Ende![191]
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