Siebentes Kapitel.

[119] Pater Cristoforo kam mit der Ruhe und Ueberlegung eines guten Feldherrn wieder an, der ohne seine Schuld eine wichtige Schlacht verloren hat, und der sich nun betrübt und nachdenkend, aber nicht bestürzt oder entmuthigt, in schnellem Laufe, ohne auf der Flucht zu sein, nach der Gegend hinbegiebt, wo die Noth ihn verlangt, um die bedrohten Orte zu sichern, die Truppen wieder zu sammeln und ihnen neue Befehle zu ertheilen.

»Friede sei mit euch«, sagte er, indem er eintrat. »Von jenem Menschen haben wir nichts zu hoffen; um so mehr müssen wir auf Gott vertrauen, der mir schon ein Zeichen seines Schutzes gegeben hat.«

Wenn auch keiner von den Dreien von dem Versuche des Bruder Cristoforo bei Don Rodrigo viel gehofft hatte, weil es etwas zu Seltenes und Unerhörtes war, daß ein Mächtiger ohne Zwangsmittel, durch bloße einfache Vorstellungen und Bitten von einer Schandthat abließ, so war doch jetzt die traurige Gewißheit ein Schlag für Alle. Die Frauen ließen die Köpfe hängen; in Renzo's Seele aber siegte der Zorn über die Niedergeschlagenheit.[119] Die Botschaft traf ihn schon erbittert über alle die fehlgeschlagenen Versuche und schmerzlich getäuschten Hoffnungen, die ihn in diesem Augenblicke durch die Weigerung Lucia's um so wüthender machten.

»Ich möchte wissen«, schrie er mit den Zähnen knirschend, »ich möchte wissen, was für Gründe der Hund angegeben hat, daß meine Braut nicht meine Frau werden soll.«

»Armer Renzo!« sagte der Mönch in sanftem Tone mit einem Blick, der ihm liebevoll Ruhe gebot: »Wenn der Mächtige, der eine Ungerechtigkeit begehen will, immer gezwungen wäre, seine Gründe anzugeben, so würde die Welt nicht die sein, die sie ist.«

»Hat denn der Hund gesagt, daß er nur darum nicht will, weil er nicht will?«

»Auch das hat er nicht einmal gesagt, armer Renzo! Wenn sie die Verbrechen frei und offen eingestehen müßten, dann würden wir noch einen Nutzen davon haben und könnten uns glücklich preisen.«

»Aber etwas muß er doch gesagt haben; was hat er denn nun gesagt, der Höllenbrand?«

»Ich habe seine Worte wohl gehört und doch würde ich sie dir nicht wiederholen können. Frage nicht weiter. Er hat weder deinen Namen, noch den Namen dieser Unschuldigen ausgesprochen; er hat nicht einmal merken lassen, daß er euch kennt, oder, daß er es auf irgend etwas abgesehen habe; und doch ... doch habe ich nur zu klar erkennen müssen, daß er unbeweglich ist. Aber vertrauen wir auf Gott! Verzagt nicht! und du Renzo ... oh! glaube nur, daß ich mich in deine Lage versetzen kann, daß ich fühle, was in deinem Herzen vorgeht. Doch Geduld! Es ist ein dürres, herbes Wort für den, der nicht glaubt; aber du, Renzo! möchtest du Gott nicht die Zeit gönnen, die er sich nehmen will, um die Gerechtigkeit triumphiren zu lassen? Lassen wir ihn machen, Renzo; und wisse ... wisset alle, daß ich schon einen Faden in der Hand habe, der uns weiter helfen soll. Für jetzt kann ich euch nichts weiter sagen. Morgen werde ich nicht kommen; ich muß euretwegen den ganzen Tag im Kloster bleiben. Du, Renzo, suche es möglich zu machen hinzukommen,[120] und wenn du durch ein unvermuthetes Hinderniß nicht kannst, so schicke mir einen zuverlässigen Menschen, einen verständigen Jungen, durch den ich euch wissen lassen kann, was vorgeht. Es wird Nacht; ich muß ins Kloster zurück. Lebt wohl, habt Vertrauen und Muth.«

Mit diesen Worten entfernte er sich schnell und lief, fast springend, den gewundenen steinigten Fußpfad hinunter, um nicht zu spät im Kloster anzukommen, wodurch er sich einen harten Verweis zugezogen haben würde, oder was ihm noch drückender gewesen wäre, eine Buße, die ihn am andern Tage verhindert hätte, für seine Schützlinge zu sorgen.

»Habt ihr gehört, was Bruder Cristoforo von einem, ich weiß nicht .... von einem Faden sagte, der uns helfen soll?« sagte Lucia. »Wir müssen ihm vertrauen. Er ist ein Mann, der, was er verspricht ....«

»Wenn er weiter nichts kann ...!« unterbrach sie Agnese, »er hätte sich deutlicher erklären müssen, oder mich wenigstens bei Seite ziehen sollen und mir sagen, was er meint ....«

»Faules Geschwätz! ich werde der Sache ein Ende machen«, fiel Renzo ein, »ich werde ihr jetzt ein Ende machen!« – Dabei ging er außer sich vor Wuth im Zimmer auf und nieder, so daß man über den Sinn seiner Worte nicht im Zweifel sein konnte.

»O Renzo!« schrie Lucia.

»Was wollt Ihr damit sagen?« schrie Agnese ängstlich.

»Was braucht's noch lange gesagt zu werden? Ich will ein Ende damit machen. Mag er hundert, mag er tausend Teufel im Leibe haben – zuletzt ist er doch auch nur von Fleisch und Blut ....«

»Nein, nein, um des Himmels willen ...!« fing Lucia wieder an, doch Thränen erstickten ihre Stimme.

»Solche Reden«, sagte Agnese, »sollten auch nicht einmal im Spaße geführt werden.«

»Im Spaße?« schrie Renzo, indem er dicht vor der sitzenden Agnese stehen blieb und sie mit wilden Blicken durchbohrte. »Im Spaße! Ihr sollt den Spaß erleben.«[121]

»Ach Renzo!« sagte Lucia mühsam unter Schluchzen: »So habe ich dich noch nie gesehen.«

»Um des Himmels willen nehmt solche Reden nicht in den Mund«, fuhr Agnese rasch mit gedämpfter Stimme fort. »Denkt Ihr denn nicht daran, wie viel Arme dem Schurken zu Gebote stehen? und daß wir .... Gott schütze uns .... gegen so elende Wichte immer noch die Gerechtigkeit haben?«

»Ich selbst werde sie ausüben, die Gerechtigkeit! Es ist endlich Zeit. Die Sache ist nicht leicht, ich weiß es wohl. Der meuchelmörderische Hund sieht sich wohl vor; er merkt, daß es ihm an den Kragen geht; doch das soll mich nicht hindern. Geduld und Entschlossenheit .... ich treffe ihn. Ja, ich werde die Gerechtigkeit ausüben; ich werde das Land endlich befreien; die Menschen werden mich segnen ....! und dann mit einem Sprunge .....«

Das Entsetzen, welches Lucia bei diesen Worten Renzo's empfand, hemmte schnell ihre Thränen und gab ihr wieder Kraft und Muth zu sprechen. Sie nahm die Hände von ihrem thränenvollen Gesichte und sagte zu ihm mit bekümmerter, aber fester Stimme: »Es liegt dir also nichts mehr daran, mich zum Weibe zu haben. Ich hatte mich einem Jüngling versprochen, der Gottesfurcht im Herzen hatte; aber ein Mensch, der .... und wäre er auch vor aller Gerechtigkeit und Strafe sicher, wäre er auch der Sohn des Königs ....«

»Wohlan!« schrie Renzo mit noch verzerrterem Gesichte »ich werde dich nicht haben; aber er soll dich auch nicht haben. Ich hier ohne dich, und er ....«

»Aus Barmherzigkeit, nein, sprich nicht so, mache nicht solche Augen; nein, ich kann dich so nicht sehen«, rief Lucia weinend und streckte die Hände flehend nach ihm aus. Agnese rief den Jüngling wiederholt beim Namen, klopfte ihm auf die Schulter und strich ihm schmeichelnd die Wangen, um ihn zu besänftigen. Dieser stand eine Weile unbeweglich, in sich versunken da und betrachtete Lucia's flehendes Gesicht; mit einem Male aber warf er ihr einen fürchterlichen Blick zu, trat zurück, streckte Arm und Zeigefinger nach ihr aus und rief: »Diese! Ja, diese will er; er muß sterben!«[122]

»Und ich, was habe ich dir zu Leide gethan, daß du auch mich sterben lassen willst?« schluchzte Lucia und warf sich vor ihm auf die Knie.

»Du?« antwortete er noch immer zornig. »Du! hast du mich etwa lieb? Welchen Beweis hast du mir gegeben? Habe ich dich nicht gebeten und gebeten und gebeten? Habe ich dich wohl bewegen können ....?«

»Ach, Renzo«, sagte Lucia hastig, »ja, ich will mitgehen zum Pfarrer, morgen, jetzt, wann du willst. Werde nur wieder gut; ich will mitgehen.«

»Versprichst du mir das?« sagte Renzo, und seine Stimme und Gesicht wurden plötzlich wieder menschlicher.

»Ich verspreche es dir.«

»Du hast es mir versprochen.«

»Gott sei Dank!« rief Agnese aus und war doppelt zufrieden.

Hatte Renzo in seinem Zorne wohl daran gedacht, ob er durch das Entsetzen Lucia's wirklich gewinnen konnte? Und hatte er nicht ein wenig List angewendet, es zu erhöhen, um es zu benutzen? Der Autor betheuert davon nichts zu wissen; und ich glaube, daß Renzo ebenso wenig etwas davon wußte. So viel steht fest, daß er über Don Rodrigo wirklich toll geworden war und daß er Lucia's Zustimmung glühend wünschte; und wenn zwei heftige Leidenschaften in dem Herzen eines Menschen zugleich toben, da kann Niemand, der Leidende am allerwenigsten, die eine Stimme von der andern klar unterscheiden und mit Sicherheit sagen, welche die vorherrschende sei.

»Ich habe dir mein Versprechen gegeben«, sagte Lucia sanft und liebevoll, nicht ohne einen leisen Vorwurf: »aber auch du, Renzo, hast versprochen, kein Aergerniß zu geben, alles dem Pater Cristoforo zu überlassen ....«

»O geh! Wem zu Liebe gerathe ich denn so in Wuth? möchtest du dich jetzt wieder zurückziehen? Und willst du mich jetzt einen tollen Streich begehen lassen?«

»Nein, nein!« rief Lucia und fing von neuem an sich zu entsetzen. »Ich habe es versprochen und ich werde es halten.[123] Aber bedenke, wie du mich zu dem Versprechen gebracht hast. Wolle Gott nicht ....«

»Warum willst du uns Unglück prophezeien, Lucia? Gott weiß, daß wir Niemand Unrecht thun.«

»Versprich mir wenigstens, daß dies das Letzte sein soll.«

»Ich verspreche es dir, so wahr ich ein armer Junge bin.«

»Aber dies Mal haltet's auch«, sagte Agnese.

Unser Autor will hier von den weiteren Vorgängen nichts verrathen; ob Lucia wirklich Grund hatte, über ihre Einwilligung, zu der sie gezwungen worden war, so sehr unzufrieden zu sein? Wir lassen die Sache in Zweifel.

Renzo hätte das Gespräch noch gern verlängert und Jedem für den nächsten Tag seine Rolle zuertheilt; aber es war schon spät und die Frauen wünschten ihm gute Nacht; es schien ihnen nicht schicklich, daß er zu dieser Stunde noch länger bei ihnen verweile.

Die Nacht verging allen Dreien so gut als eine Nacht vergehen kann, die auf einen solchen Tag voller Aufregung und Leiden folgt. Renzo war schon am frühen Morgen wieder da, um mit den Frauen, oder vielmehr nur mit Agnesen das große und wichtige Geschäft des Abends zu verabreden; Lucia hörte zu und obwohl sie mit keinem Worte billigte, was sie in ihrem Herzen nicht zu billigen vermochte, so versprach sie doch ihr Bestes dabei zu thun.

»Werdet Ihr nach dem Kloster hinunter gehen«, fragte Agnese Renzo, »um Pater Cristoforo zu sprechen, wie er Euch gestern Abend gesagt hat?«

»Dummes Zeug!« antwortete dieser; »Ihr wißt ja, was der Pater für Teufelsaugen im Kopfe hat; er thäte mir's sogleich vom Gesichte ablesen, wie aus einem Buche, daß etwas im Werke ist, und wenn er mir dann auf den Zahn fühlte, da würde ich schön in die Klemme gerathen. Auch muß ich ja hier bleiben, um sogleich bei der Hand zu sein. Schickt irgend einen Andern hin.«

»Ich werde Menico schicken.«

»Gut, gut«, versetzte Renzo und ging ab, um sich auf die Lauer zu stellen und im Nothfalle bei der Hand zu sein.[124]

Agnese ging in das Nachbarhaus, um nach Menico, einem muntern Burschen von ungefähr zwölf Jahren, zu fragen. Durch Vetter- und Schwägerschaften galt er gewissermaßen für Agnesens Neffe. Sie erbat ihn sich von den Eltern »zu einer wichtigen Dienstleistung« gleich für den ganzen Tag. Er ging mit ihr, sie führte ihn in ihre Küche, gab ihm zu frühstücken und trug ihm auf, nach Pescarenico zu gehen und sich beim Pater Cristoforo zu melden, der ihn dann mit einer Antwort wieder zurückschicken würde. »Der Pater Cristoforo, jener schöne alte Mann, du weißt ja, mit dem weißen Barte, den sie den Heiligen nennen ...«

»Ich kenne ihn wohl«, sagte Menico, »der uns Kinder so gern hat und der uns manchmal ein Heiligenbild schenkt.«

»Ganz recht, Menico. Und wenn er dir sagt, du sollst dort beim Kloster eine Weile warten, so laufe nicht von da fort, damit du dich nicht verirrst; gehe nicht etwa mit den andern Jungen an den See, um Steine ins Wasser zu werfen, oder um Fische schwimmen zu sehen, oder um mit den Netzen zu spielen, die an der Mauer zum Trocknen aufgehängt sind, hörst du?«

»Ei, Muhme, ich bin doch kein Kind mehr.«

»Gut, sei hübsch artig; und wenn du mit der Antwort zurückkommst .... sieh her, so sollst du auch diese beiden neuen Parpagliolen haben.«

»Gebt sie mir nur jetzt schon.«

»Nein, nein, du würdest damit spielen. Geh und führe dich gut auf; du sollst hernach auch noch mehr haben.«

Dieser Morgen, der den beiden Frauen ungewöhnlich lang erschien, brachte ihnen noch mancherlei Neues, wodurch ihr schon beunruhigtes Gemüth in nicht geringe Angst gerieth. Ein Bettler, der weder verhungert noch zerlumpt aussah, wie es sonst bei Leuten seines Gewerbes der Fall ist, dessen Aeußeres aber etwas Scheues, Widerwärtiges hatte, trat ins Haus und bat um eine Gabe, indem er nach allen Seiten spähende Blicke umherwarf. Man gab ihm ein Stück Brod, welches er annahm und mit schlecht verhehlter Gleichgültigkeit einsteckte. Er blieb darauf noch mit einer gewissen Unverschämtheit stehen und that eine Menge Fragen, auf die Agnese sich beeilte, immer das Entgegengesetzte zu[125] antworten. Als er sich endlich zum Fortgehen in Bewegung setzte, that er, als verfehle er die rechte Thür und ging durch eine andere, die nach der Treppe führte, und sah sich auch dort, so schnell er konnte, überall um. Man rief ihm nach: »He! he! wohin geht Ihr, guter Mann? hier, hier durch!« Er kehrte um und ging durch die ihm angewiesene Thür hinaus, und indem er sich entschuldigte, zwang er sich zu einer Bescheidenheit und Unterwürfigkeit, die mit den wilden und rauhen Zügen seines Gesichtes nicht leicht zu vereinigen war. Nach ihm ließen sich von Zeit zu Zeit andere auffallende Gestalten blicken. Zu was für einer Bande von Kerlen sie gehörten, war schwer zu entdecken; es war aber auch schwer zu glauben, daß sie die ehrlichen Wanderer waren, die sie scheinen wollten. Einer trat unter dem Vorwande ein, sich nach dem Weg zu erkundigen. Andere blieben vor der Thüre stehen und blickten durch den Hof verstohlen in die Stube und gingen dann weiter, wie Jemand, der keinen Verdacht erregen will. Gegen Mittag waren endlich die lästigen Aufzüge vorbei. Agnese stand von Zeit zu Zeit auf, ging über den Hof, stellte sich an den Ausgang, der auf die Straße führte, sah sich rechts und links um, ging wieder ins Haus und sagte: »Niemand zu sehen«, ein Ausspruch, den sie mit großer Zufriedenheit that, und der von Lucia mit eben so großer Zufriedenheit vernommen wurde, ohne daß die Eine oder die Andere sich über den Grund hätte Rechenschaft geben können. In Beiden aber blieb eine gewisse Unruhe zurück, die ihnen, besonders der Tochter, einen großen Theil des Muthes benahm, den sie sich noch für den Abend aufheben sollten. Es gebührt sich jedoch, daß der Leser über jene geheimnißvollen Herumstreicher etwas Bestimmteres erfahre. Wir müssen also, um ihn von Allem zu unterrichten, einen Schritt zurückthun und Don Rodrigo wieder aufsuchen, der gestern, nach dem Abgange des Mönches, allein in einem Saale seines Schlosses zurückgeblieben war.

Don Rodrigo durchmaß, wie schon gesagt, mit großen Schritten den Saal, an dessen Wänden die Familienbilder verschiedener Zeitalter hingen. Als er dicht bis an die eine Wand gegangen war und sich umwandte, stand er einem seiner kriegerischen Ahnen gegenüber, welcher der Schrecken der Feinde und[126] seiner Soldaten gewesen war. Sein Blick war finster und drohend, kurzes, struppiges Haar bedeckte die Stirn, ein langer Schnurrbart hing bis zum Kinn herab; der Held stand aufrecht, mit Beinschienen, Schenkelharnisch, Panzer, Armrüstung und Handschuhen, die geballte Rechte in die Seite gestemmt und mit der linken Hand den Griff seines Schwertes fassend. Don Rodrigo sah ihn an; als er unter dem Bilde stand und sich wieder umwandte, blickte ihn ein anderer seiner Vorfahren an, ein Mitglied der Obrigkeit, der Schrecken der Processirenden; dieser saß auf einem hohen Richterstuhle von rothem Sammet, in einen weiten, schwarzen Mantel gehüllt; er war ganz schwarz gekleidet, außer dem weißen, breiten Halskragen und dem umgelegten Zobelfutter (es war dies das Kennzeichen der Senatoren, das sie aber nur im Winter trugen; man findet darum niemals das Bild eine Senatoren in Sommerkleidung), sein Gesicht war bleich, die Augenbrauen finster zusammengezogen; in der Hand hielt er eine Bittschrift und schien zu sagen: Wir werden sehen. Diesseits hing eine Matrone, der Schrecken ihrer Kammerfrauen, dort ein Abt, der Schrecken der Mönche; alle diese Menschen hatten nur Schrecken eingeflößt, den sie sogar noch in ihren Gemälden blicken ließen. In Gegenwart solcher Erinnerungen gerieth Don Rodrigo noch heftiger in Entrüstung; er schämte sich und konnte sich nicht zufrieden geben, daß ein Mönch es gewagt hatte, ihn mit der Strafpredigt des Nathan auf den Leib zu rücken. Er faßte einen Racheplan und sann darüber nach, wie er zugleich seiner Leidenschaft und dem, was er Ehre nannte, genügen könnte; so oft ihm aber (merkt auf!) die Anfangsworte jener Prophezeiung in den Ohren wieder klangen, empfand er einen heimlichen Schauder und stand im Begriff, den Gedanken an die doppelte Befriedigung aufzugeben. Um endlich etwas zu thun, rief er einen Diener und befahl ihm, ihn bei der Gesellschaft zu entschuldigen und zu sagen, daß ihn ein dringendes Geschäft zurückhalte. Als der Diener wiederkehrte und meldete, daß die Herren sich verabschiedet hätten, fragte Don Rodrigo, immer noch auf-und niedergehend: »Und Graf Attilio?«

»Er ist mit den Herren gegangen, gnädiger Herr.«[127]

»Gut; sechs Mann Gefolge zum Spaziergang; schnell den Degen, Mantel und Hut; geschwind.«

Der Diener machte eine Verbeugung und ging; gleich darauf kehrte er mit dem reichen Degen zurück, den der Herr sich umschnallte; dann warf er ihm den Mantel um die Schultern, brachte ihm den Hut mit hohen Federn, den dieser sich aufsetzte und mit einem Schlage tief ins Gesicht drückte, ein Zeichen, daß die Luft nicht rein war. Er setzte sich in Bewegung und traf vor der Thür die sechs bewaffneten Kerle, die, Platz machend, ihn ehrfurchtsvoll grüßten und ihm folgten.

Mürrischer, hochmüthiger, finsterer blickend als gewöhnlich ging er hinaus und nahm seinen Weg nach Lecco. Als ihn die Bauern und die Handwerker ankommen sahen, gingen sie ihm aus dem Wege, rissen die Hüte ab und verneigten sich vor ihm bis auf die Erde; Don Rodrigo dankte nicht. Um sich seine üble Laune zu vertreiben und die lästige Unterredung mit dem Mönche zu vergessen, trat er in ein Haus, wo gewöhnlich an diesem Tage viel Leute verkehrten und wo er mit jener diensteifrigen, ehrerbietigen Freundlichkeit empfangen wurde, wie man sie solchen Männern bezeigt, die sehr beliebt oder gefürchtet sind. Als es dunkel wurde, kehrte er ins Schloß zurück. Graf Attilio war auch soeben heimgekommen; die Abendmahlzeit wurde aufgetragen, während welcher Don Rodrigo sehr gedankenvoll war und wenig sprach.

Als die Tafel wieder abgetragen war und die Diener sich entfernt hatten, sagte Graf Attilio halb scherzend, halb boshaft: »Nun, Vetter, wann zahlt Ihr die Wette?«

»Sankt Martin ist noch nicht vorüber.«

»Ach, Vetter, bezahlt sie nur lieber gleich, denn alle Heiligen des Kalenders werden vorübergehen, ehe daß ....«

»Das wird sich erst zeigen.«

»Vetter, Ihr wollt den Schlauen spielen; doch ich habe Euch in die Karten gesehen und ich bin so sicher, die Wette gewonnen zu haben, daß ich sogleich eine andere mit Euch eingehe.«

»Laßt hören.«

»Daß der Pater ... der Pater, was sag' ich? kurz, daß der heilige Mann Euch bekehrt hat.«[128]

»Der Gedanke sieht Euch ähnlich.«

»Bekehrt, Vetter, sage ich Euch, bekehrt. Ich für mein Theil habe mein Vergnügen daran. Denkt, was es für ein Schauspiel für mich sein wird, Euch so ganz zerknirscht und mit niedergeschlagenen Augen einherschleichen zu sehen! Und welcher Ruhm ist das für den heiligen Pater! Wie stolz wird er wieder nach Hause gekommen sein! wie wird er sich in die Brust geworfen haben! Solche Fische fängt man nicht alle Tage! Er wird Euch überall als ein Beispiel anführen und von euren Thaten Lärm schlagen. Mir ist, als hörte ich ihn schon.« Und indem er durch die Nase redete und die Worte mit übertriebenen Geberden begleitete, fuhr er im Predigertone fort: »In einer Gegend dieser Welt, geliebte Zuhörer, die ich aus zarten Rücksichten nicht nennen will, lebte und lebt noch ein ausschweifender Edelmann, der den Frauen sehr zugethan war, der gewöhnt war überall anzubinden, um seinen Lüsten zu fröhnen, dieser hatte seine Augen ....«

»Genug, genug!« unterbrach ihn Don Rodrigo halb schmunzelnd und halb verdrießlich. »Wenn Ihr Lust habt, die Wette zu verdoppeln, so bin ich dabei.«

»Alle Teufel! so habt Ihr am Ende gar den Pater bekehrt!«

»Lassen wir den Pater; was die Wette betrifft, so wird Sanct Martin entscheiden.«

Die Neugierde des Grafen war angestachelt; er ließ es an Erkundigungen und Fragen nicht fehlen, denen Don Rodrigo aber geschickt auszuweichen wußte, indem er ihn immer wieder auf den Tag der Entscheidung hinwies, weil er sich nicht aufgelegt fühlte, seine teuflischen Pläne mitzutheilen, die noch nicht ganz reif waren.

Den nächsten Morgen erwachte Don Rodrigo als Don Rodrigo. Das bischen Furcht, das ihm die angefangene Prophezeiung des Mönches »Es wird ein Tag kommen« eingejagt hatte, war mit den Träumen der Nacht wieder verschwunden; die Wuth aber blieb und wurde durch die Scham und Reue über seine Schwäche noch erhöht. Die noch frischeren Eindrücke des triumphreichen Spazierganges, der Empfang von jener versammelten Gesellschaft und das Geschwätz seines Vetters, hatten nicht wenig[129] dazu beigetragen, den alten Muth in seiner Brust wieder zu beleben. Kaum hatte er sich erhoben, so ließ er den Grauen rufen. – Wichtige Dinge, dachte der Diener bei sich, der den Befehl erhalten hatte; denn der Mensch, der diesen Beinamen führte, war nichts Geringeres, als das Haupt der Bravi, derjenige, der die frechsten und gefährlichsten Streiche ausführte, der treueste Diener seines Herrn, der ihm aus Dankbarkeit und Eigennutz auf Tod und Leben ergeben war. Des Mordes angeklagt, hatte er Don Rodrigo's Schutz angefleht; dieser nahm ihn in seinen Dienst und sicherte ihn gegen jede Verfolgung und Strafe. Für Don Rodrigo war dieser Erwerb von nicht geringer Wichtigkeit gewesen, denn der Graue war im Vergleich zu der übrigen Dienerschaft der Tapferste, und zugleich lieferte er den Beweis, wie sein Herr mit so glücklichem Erfolge die Gesetze zu überrumpeln wußte; so daß seine Macht und die Meinung, die man von ihr hatte, dadurch nur wuchs.

»Grauer!« sagte Don Rodrigo; »bei dieser Gelegenheit wollen wir einmal sehen, was du für ein Kerl bist. Noch vor Morgen muß jene Lucia sich in diesem Schlosse befinden.«

»Kein Mensch auf der Welt wird sagen können, daß der Graue einen Befehl seines gnädigen Herrn nicht ausgeführt hätte.«

»Nimm so viel Leute, als du brauchst; faß die Sache an, wie es dir am besten scheint, nur laß sie nicht mißglücken; und vor allem wache darüber, daß ihr kein Leid geschieht.«

»Herr, ein kleiner Schreck, damit sie uns nicht zu viel Geschrei macht .... ohne den wird's nicht abgehen.«

»Ein kleiner Schreck ... ich begreife ... der ist nicht zu vermeiden. Aber es darf ihr kein Haar gekrümmt werden; und vor allem, daß man in jeder Weise anständig gegen sie verfährt. Verstehst du?«

»Herr, es kann Keiner eine Blume aus der Erde ziehen und sie Euer Gnaden bringen, ohne sie zu berühren. Wir thun nicht mehr, als nöthig ist.«

»Du bürgst mir dafür! Und .... wie wirst du es anstellen?«[130]

»Daran denke ich eben, Herr. Es ist ein Glück, daß das Haus ganz am Ende des Dorfes liegt. Wir brauchen einen Ort, wo wir uns aufhalten können, und da ist gerade nicht weit davon, mitten im Felde jenes alte öde, halb eingefallne Haus, das Haus .... Euer Gnaden werden nichts davon wissen, das Haus, das vor einigen Jahren abgebrannt ist, und da sie kein Geld hatten, es wieder aufzubauen, so haben sie's liegen lassen, und nun treiben Hexen und böse Geister ihr Wesen drin; es ist aber heute nicht Sonnabend und so lache ich über den Spuk. Die abergläubischen Bauern hier herum würden sich für alle Schätze der Welt nicht eine Nacht darin aufhalten deshalb können wir uns dort sicher festsetzen; es kommt uns Niemand ins Gehege.«

»Gut, gut! und dann?«

Der Graue fing nun an seine Vorschläge zu machen, die Don Rodrigo nach allen Seiten hin untersuchte, bis sie sich endlich über die Art und Weise verständigten, wie das Unternehmen am besten zu bewerkstelligen sei; wie man den Verdacht am sichersten von sich ablenken könnte, ohne daß eine Spur auf die Urheber führe; wie man die arme Agnese am besten zum Stillschweigen bewegen könnte, und wie man den wüthenden Renzo anpacken müßte, um ihm einen solchen Schrecken einzujagen, daß ihm Hören und Sehen verginge.

Wir unterlassen es, über die weiteren Verabredungen und Schurkereien, die zum Gelingen des Hauptbubenstückes erforderlich waren, zu berichten, denn, wie der Leser sehen wird, sind sie zum Verständniß der Geschichte nicht nothwendig; auch wir sind froh, daß wir uns nicht länger damit aufhalten müssen, diese beiden Bösewichter miteinander verhandeln zu hören. Genug, als der Graue sich aufmachte, um Hand ans Werk zu legen, rief ihn Don Rodrigo noch einmal zurück. »Höre«, sagte er, »wenn dir dieser verwegene Bursche heute Abend vielleicht schon in die Klauen fällt, so wär's gar nicht so übel, wenn ihm schon im Voraus eine gute Lehre gegeben würde. Die Weisung, die ihm Morgen gegeben werden soll, wird dann um so sicherer fruchten. Lauft ihm aber nicht gerade in den Weg, damit das Wichtigere darüber nicht versäumt wird; du verstehst mich.«[131]

»Lassen Sie mich nur schalten und walten, gnädiger Herr«, antwortete der Graue in prahlerischem Tone, verneigte sich tief und ging mit dienstfertiger Eile ab. Der Morgen wurde mit Erkundigungen hingebracht. Jener falsche Bettler, der sich auf die erwähnte Art bei Agnese ins Haus geschlichen hatte, war kein Anderer gewesen, als der Graue, der mit eigenen Augen den Grund und Boden hatte kennen lernen wollen; die falschen Wanderer waren seine Spießgesellen, für welche, um unter seiner Aufsicht zu handeln, eine oberflächliche Kenntniß des Orts hinreichte.

Sobald alle nach dem Schlosse zurückgekehrt waren, legte der Graue Rechenschaft ab, entwarf den Plan des ganzen Unternehmens noch einmal, setzte ihn fest, vertheilte die Rollen und richtete alle gehörig ab.

Dies alles konnte aber nicht gesponnen werden, ohne daß jener alte Diener, der mit guten Augen und Ohren sah und hörte, nicht gemerkt hätte, daß hier etwas Wichtiges vor sich gehe. Er horchte, er fragte, schnappte hier und da ein Wort auf, das er sich auf seine Weise auslegte, und so kam er endlich ins Klare darüber, was in der Nacht ausgeübt werden sollte. Die Dunkelheit brach aber schon an, und ein kleiner Vortrab des Gesindels hatte sich schon herausgemacht, um sich in jenem alten Gemäuer auf die Lauer zu legen. Der arme Alte fühlte sehr wohl, welch ein gefährliches Spiel er spielte, und wenn er auch fürchtete, daß er mit seiner Hülfe vielleicht schon zu spät komme, so wollte er doch nichts unversucht lassen und das Seinige thun. Unter dem Vorwande, ein wenig frische Luft zu schöpfen, ging er aus und eilte über Hals über Kopf nach dem Kloster, um Bruder Cristoforo die versprochenen Nachrichten zu überbringen. Bald nachher brachen auch die andern Bravi auf und gingen einzeln oder zu zweien, um nicht als ganze Bande aufzufallen, hinunter; der Graue folgte ihnen, und es blieb nur noch eine Sänfte zurück, die erst bei völliger Dunkelheit nach dem Versteck gebracht werden sollte, wie es auch geschah. Als der Haufen wieder beisammen war, schickte der Graue drei von ihnen nach dem Wirthshause des Dorfes ab; Einer sollte sich in die Hausthür stellen und beobachten, was auf[132] der Straße vorgehe, und abwarten, bis alle Einwohner sich zur Ruhe begeben hätten; die andern Beiden sollten hineingehen und spielen und trinken, wie lustige Kerls zu thun pflegen; dabei sollten sie sich aber auf's Spioniren legen. Der Graue blieb mit der übrigen Bande zurück und lauerte im Hinterhalte.

Der Alte trabte noch immer zu; die drei Späher waren schon auf ihrem Posten; die Sonne ging schon unter, als Renzo bei den Frauen eintrat und sagte: »Tonio und Gervaso warten draußen auf mich; ich gehe mit ihnen ins Wirthshaus zum Abendessen; und sowie das Ave Maria geläutet wird, kommen wir und holen euch. Frisch, Muth, Lucia! Alles hängt von diesem Augenblick ab!« Lucia wiederholte seufzend »Muth« mit einer Stimme, die das Wort Lügen strafte.

Als Renzo mit seinen Gefährten im Wirthshause ankam, fanden sie den einen der Mordgesellen schon als Schildwache aufgepflanzt; er stand mit untergeschlagenen Armen gegen einen Thürpfosten gelehnt und versperrte fast den Eingang; seine Geieraugen schossen bald rechts, bald links Blitze. Eine flache Mütze von dunkelrothem Sammet, schief auf dem Kopfe sitzend, bedeckte halb den Haarbüschel, der sich auf der finstern Stirn scheitelte und zu beiden Seiten in Flechten herabhing, die mit einem Kamm über dem Nacken festgesteckt waren. In der einen Hand hatte er einen dicken Knittel; eigentliche Waffen trug er scheinbar nicht; man brauchte ihm aber nur ins Gesicht zu sehen, und sogar ein Kind würde darauf gekommen sein, daß er so viele bei sich führe, als er nur lassen konnte. Als Renzo, der den Andern vorausgeeilt war, eintreten wollte, blickte ihn Jener, ohne sich zu rühren, starr an; der Jüngling aber, der jetzt jedem Streite gern ausweichen wollte, wie derjenige zu thun pflegt, der ein wichtiges Geschäft vor hat, that, als bemerke er ihn nicht, und sagte auch nicht einmal: Macht Platz! sondern er quetschte sich von der Seite bei dem lustigen Patron durch. Seine beiden Gefährten mußten dasselbe Kunststück machen, wenn sie hinein wollten. Bei ihrem Eintritt fanden sie die beiden andern Raufer, deren Stimme sie schon draußen gehört, in einer Ecke an einem kleinen Tische sitzen, »Ausruf« spielend, wobei sie alle Beide auf einmal schrieen und[133] bald der Eine, bald der Andere aus einer großen Flasche, die vor ihnen auf dem Tische stand, zu trinken einschenkte. Auch sie faßten die neuen Ankömmlinge ins Auge; besonders der Eine, der so eben den Mund weit aufriß und mit einem lauten »Sechs« herausplatzte, musterte unsern Renzo von oben bis unten, warf dann seinem Spielkameraden und dem an der Thür einen Blick zu, den diese durch ein Kopfnicken beantworteten. Renzo sah unschlüssig seine beiden Gäste an, als wollte er auf ihren Gesichtern eine Meinung über diese auffallenden Gestalten lesen; sie verriethen aber nur eine tüchtige Eßlust. Der Wirth stand vor ihm, als ob er seine Befehle erwarte; Renzo trat mit ihm in ein Nebenzimmer und bestellte ein Abendessen.

Als der Wirth mit einem großen Tischtuche unterm Arm und einer Flasche in der Hand zurückkehrte, fragte er ihn leise: »Wer sind die Fremden?«

»Ich kenne sie nicht«, antwortete dieser und breitete das Tischtuch aus.

»Wie? auch nicht Einen kennt Ihr?«

»Ihr wißt wohl«, fing er wieder an und strich mit beiden Händen das Tischtuch glatt, »Ihr wißt wohl, die erste Vorschrift unseres Gewerbes ist, sich nicht um die Angelegenheiten Anderer zu kümmern; das erstreckt sich sogar bis auf unsere Weiber, auch die sind nicht neugierig. Man würde auch bald reif sein, bei so vielen Leuten, die bei uns aus- und eingehen, wie in einem Seehafen, wenn die Zeiten darnach sind, will ich sagen; wir sind aber immer vergnügt, denn es kommt auch wieder eine gute Zeit. Uns genügt es, wenn die Gäste nur ordentliche Leute sind und tüchtig essen und trinken, was sie sonst thun und treiben, das geht uns nichts an. Jetzt werde ich Euch gleich eine Schüssel Fleischklöße bringen, wie Ihr sie in euerm Leben noch nicht gegessen habt.«

»Wie könnt Ihr wissen ...?« nahm Renzo das Wort; aber der Wirth war schon auf dem Wege nach der Küche und ließ sich nicht stören. Während er dort die Fleischklöße aus dem Tiegel nahm, schlich jener Bravo, der unsern Jüngling so scharf auf's Korn genommen hatte, leise an ihn heran und flüsterte: »Wer sind die Fremden?«[134]

»Ehrliche Leute hier aus dem Dorfe«, antwortete der Wirth.

»Recht gut; aber wie heißen sie denn? wer sind sie?« fragte der Andere wieder in zudringlichem, unhöflichem Tone.

»Der eine heißt Renzo«, erwiederte der Wirth leise, »ein guter, ordentlicher Junge, ein Seidenspinner, der sein Handwerk versteht. Der andere ist ein Bauer und heißt Tonio: ein flotter Bursche; schade, daß er nicht viel hat; der dritte ist ein Tölpel, der sich gern füttern läßt. Mit Erlaubniß.« Und mit einem Satze sprang er zwischen dem Bratofen und dem Fragenden aus der Küche und trug die Schüssel herein.

»Wie könnt Ihr wissen«, begann Renzo wieder, »daß das ordentliche Leute sind, wenn Ihr sie nicht kennt?«

»Das Benehmen, mein Lieber; aus dem Benehmen erkennt man den Menschen! Die Leute, die ein Glas Wein trinken, ohne darüber zu schimpfen, die ihre Rechnung ohne weiteres bezahlen, die nicht gleich Zank und Streit mit den andern Gästen anfangen, und die, wenn sie Einem einen Messerstich versetzen wollen, ihm draußen, weit ab vom Wirthshause auflauern, damit der arme Wirth nicht übel dabei fährt, das sind die ordentlichen, die rechtschaffenen Leute. Besser ist es freilich, wenn man die Leute so gut kennt, wie wir uns kennen. Aber, was Teufel, wie kommt Ihr mit einem Male auf solche Einfälle, da Ihr Bräutigam seid und doch ganz andere Dinge im Kopfe haben müßtet? und bei diesen Fleischklößen, mit denen man einen Todten wieder auferwecken könnte?« Mit diesen Worten ging er wieder in die Küche.

Beim Abendessen ging's nicht sehr lustig zu. Die beiden Eingeladenen hätten es sich gern gut schmecken lassen; Renzo aber hatte keinen Appetit; er war verdrießlich und hatte seinen Kopf von all den Dingen voll, die der Leser schon kennt, und da ihn auch das seltsame Benehmen der Unbekannten beunruhigte, so konnte er die Stunde des Aufbruchs nicht erwarten. Man flüsterte sich heimlich zu, und dies waren auch nur halbe frostige Worte. »Es ist doch herrlich«, platzte auf einmal Gervaso los, »daß Renzo sich verheirathen will und dazu ...« Renzo sah ihn ärgerlich an. »Willst du wohl das Maul halten, du Dummkopf!« sagte Tonio und begleitete diesen Titel mit einem kräftigen[135] Ellenbogenstoß. Die Unterhaltung gerieth immer mehr ins Stocken. Renzo, der sehr mäßig war, schenkte seinen beiden Zeugen sehr vorsichtig ein, so daß er ihnen ein wenig Muth machte, ohne sie von Sinnen kommen zu lassen. Nachdem alles verzehrt war und derjenige, der sich am wenigsten gütlich gethan, die Zeche bezahlt hatte, mußten alle Drei noch einmal bei jenen Fratzen vorüber, die wieder nur ihr Augenmerk auf Renzo richteten. Als er einige Schritte von dem Wirthshause entfernt war, sah er sich um und bemerkte, daß die Beiden, die er in der Küche sitzend verlassen hatte, ihm folgten. Er blieb mit seinen beiden Gefährten stehen, als ob er sagen wollte: Laßt doch einmal sehen, was die da von mir wollen. Als die Beiden sich aber beobachtet sahen, standen sie ebenfalls still, sprachen heimlich mit einander und kehrten wieder um. Wenn Renzo ihre Worte hätte verstehen können, so würden sie ihm sehr seltsam vorgekommen sein. »Es wäre aber doch eine große Ehre, das Trinkgeld gar nicht zu rechnen«, sagte einer der Banditen, »wenn wir zu Hause erzählen könnten, daß wir ihm hier so in aller Stille den Garaus gemacht haben und ohne daß der Herr Graue uns dabei geholfen hätte.«

»Und wenn wir die Hauptsache damit verderben?« antwortete der Andere. »Gieb Acht! er hat schon Wind von der Geschichte; er steht still und sieht sich nach uns um. Ja, wenn's später wäre! Wir wollen wieder hineingehen, um keinen Verdacht zu erwecken. Sieh, es kommen von allen Seite Leute; wir wollen sie erst alle ins Nest kriechen lassen.«

Man hörte wirklich jenes Gewimmel und Gesumse, das Abends in einem Dorfe zu herrschen pflegt und das wenige Augenblicke später der feierlichen Stille der Nacht weicht. Die Weiber kamen vom Felde, trugen die kleinen Kinder auf dem Buckel und führten die größeren an der Hand, die sie das Abendgebet hersagen ließen. Die Männer kehrten mit Spaten und Hacken auf den Schultern heim. Wenn die Hausthüren aufgingen, sah man hier und da Feuer brennen, das zur Bereitung der kärglichen Abendmahlzeiten angezündet war. Auf der Straße hörte man Grüße austauschen; kurze traurige Gespräche über die schlechte Ernte und über die herrschende Armuth; durch alle diese Worte[136] hindurch vernahm man die gleichmäßigen, helltönenden Schläge der Glocke.

Als Renzo bemerkte, daß die beiden frechen Kerle den Rückzug genommen hatten, setzte er seinen Weg in der zunehmenden Dunkelheit fort und gab mit leiser Stimme bald diesem, bald jenem der beiden Brüder noch die eine oder die andere gute Lehre. Als sie in Lucia's Häuschen anlangten, war es völlig Nacht geworden.

Die Zeit, die zwischen dem ersten Gedanken eines gräßlichen Unternehmens und seiner Ausführung liegt, ist ein Traum voll Angst und Schrecken, hat ein Unglücklicher gesagt, der nicht ohne Geist war. Lucia schwebte seit mehreren Stunden in der Angst eines solchen Traumes; und Agnese, selbst Agnese, die Rathgeberin war nachdenkend und suchte mühsam nach Worten, um der Tochter Muth einzuflößen. Denn in dem Augenblicke des Anfeuerns und in dem Augenblick, wo Hand an's Werk gelegt werden soll, ist die Seele ganz und gar verwandelt. Dem Schrecken und dem Muthe, die in ihr mit einander rangen, folgt ein anderer Schrecken, ein anderer Muth; das Unternehmen stellt sich der Seele in einem ganz andern Lichte dar; was anfangs am meisten erschreckte, scheint plötzlich leicht geworden; oftmals wächst aber auch das Hinderniß, das man vorher kaum beachtet hatte, riesengroß an; die Einbildungskraft weicht entsetzt davor zurück; die Glieder versagen den Dienst, und das Herz vergißt alle Versprechungen, die es so fest und zuversichtlich gegeben hat. Bei Renzo's leisem Pochen überfiel Lucia eine solche Seelenangst, daß sie in diesem Augenblicke lieber alles zu erdulden beschloß, lieber für immer von ihm getrennt sein wollte, als den gefaßten Entschluß ausführen; nachdem er sich aber gezeigt und gesagt hatte: »Hier bin ich, laßt uns gehen!« – nachdem alle zum Aufbruch, wie zu einem unabänderlichen Verhängniß, bereit waren, da hatte sie weder Zeit noch Muth Einwendungen zu machen; sie faßte zitternd einen Arm der Mutter, einen Arm des Verlobten und setzte sich mit der abenteuerlichen Gesellschaft in Bewegung.

Ohne einen Laut von sich zu geben, traten sie in der Dunkelheit behutsamen Schrittes aus dem Hause und gingen sogleich zum Dorfe hinaus. Der kürzeste Weg wäre der mitten durch's[137] Dorf gewesen, der gerade bis in das Haus Don Abbondio's führte; sie wählten aber jenen andern, um nicht gesehen zu werden. Durch enge Pfade, zwischen Gärten und Feldern kamen sie bei dem Hause an; hier trennten sie sich. Die beiden Verlobten verbargen sich hinter einer Ecke desselben, Agnese mit ihnen, jedoch etwas weiter nach vorn, um zu rechter Zeit Perpetua abzufassen und sie in Beschlag zu nehmen; Tonio mit dem Tölpel Gervaso, der nichts aus sich selbst zu thun wußte, und ohne den man doch nichts anfangen konnte, traten dreist an die Thür und klopften.

»Wer ist so spät noch da?« rief eine Stimme vom Fenster, das in diesem Augenblick geöffnet wurde; es war Perpetua's Stimme. »Krank ist doch Niemand, so viel ich weiß. Ist denn ein Unglück geschehen?«

»Ich bin's«, antwortete Tonio, »und mein Bruder, wir müssen den Herrn Pfarrer sprechen.«

»Ist das eine Beichtstunde?« sagte Perpetua barsch. »Seid ihr gescheidt? Kommt morgen wieder.«

»Hört, Perpetua, ich weiß nicht, ob ich wiederkommen kann; ich habe gewisse Gelder eingenommen und bin hier, um die kleine Schuld abzumachen, von der Ihr wißt. Ich habe hier fünfundzwanzig schöne neue Berlinghen; wenn's aber nicht angeht, keine Sorge drum; sie werden schon ihren Mann finden, und wenn ich noch einmal so viele zusammen kriege, will ich wieder kommen.«

»Wartet, wartet! ich bin gleich wieder da. Warum kommt Ihr aber so spät?«

»Ich bin einmal hier, und wenn es Euch nicht ge fällt zu öffnen, so gehe ich wieder ab.«

»Nein, nein, wartet einen Augenblick, ich hole nur Antwort.«

Mit diesen Worten schloß sie das Fenster. Zugleich verließ Agnese die Verlobten und sagte leise zu Lucia: »Muth! es ist ein Augenblick, als wenn man sich einen Zahn ausreißen läßt.« Darauf ging sie zu den beiden Brüdern an die Thür und begann mit Tonio zu schwätzen, so daß Perpetua, wenn sie käme um zu öffnen, und sie sähe, glauben sollte, daß sie sich zufällig hier am Hause getroffen hätten und daß Tonio sie aufgehalten habe.[138]

Quelle:
Manzoni, [Alessandro]: Die Verlobten. 2 Bände, Leipzig, Wien [o. J.], Band 1, S. 119-139.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Verlobten
Die Verlobten
Die Verlobten
Die Verlobten. Eine mailändische Geschichte aus dem siebzehnten Jahrhundert
Die Verlobten: Eine mailändische Geschichte aus dem siebzehnten Jahrhundert (insel taschenbuch)
Die Verlobten: Eine Mailändische Geschichte aus dem Siebzehnten Jahrhundert

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon