Achtzehntes Kapitel.

[308] An dem nämlichen Tage, dem 13. November, langte bei dem Bürgermeister von Lecco ein Eilbote an und überbrachte ihm eine Depesche von dem Stadthauptmann, die den Befehl enthielt, alles aufzubieten, um durch gehörige Nachforschungen zu ermitteln, ob ein gewisser junger Mensch, Namens Renzo Tramaglino, ein Seidenspinner, der aus der Gewalt praedicti egregii domini capitanei entflohen, palam vel clam in sein Dorf, ignotum zur Zeit, verum in territorio Leuci, zurückgekehrt sei; quod si compertum fuerit sic esse, so sollte der besagte Bürgermeister suchen, quanta maxime diligentia fieri poterit, ihn in seine Gewalt zu bekommen; ihn gehörig gefesselt, videlicet mit guten Handschellen, derweil die Unzulänglichkeit der Manschetten bei genanntem Subject erwiesen, ins Gefängniß abführen lassen, und daselbst unter strenger Aufsicht halten, um ihn demjenigen auszuliefern, der beordert ist, ihn abzuholen; sowohl im Betretungsfalle als im Nichtbetretungsfalle accedatis ad domum praedicti Laurentii Tramalini;[308] et facta debita diligentia, quidquid ad rem repertum fuerit aufe ratis; et informationes de illius prava qualitate, vita et complicibus sumatis, und über alles Gesagte und Gethane, über Alles, was gefunden und nicht gefunden, was er mitgenommen und zurückgelassen, diligenter referatis.

Nachdem der Bürgermeister sich, soviel es in menschlichen Kräften lag, vergewissert hatte, daß das Subject nicht in die Heimat zurückgekehrt war, ließ er den Schulzen des Dorfes zu sich kommen und begab sich unter seiner Führung nach dem bezeichneten Hause; der Notar und eine Anzahl Häscher begleiteten ihn dahin. Das Haus ist verschlossen; der, welcher die Schlüssel dazu hat, ist weder zu sehen, noch zu finden. Die Schlösser werden losgerissen; man geht dabei schnell zu Werke, wie es die Pflicht erheischt; das heißt, man verfährt wie in einer mit Sturm eingenommenen Stadt.

Das Gerücht von diesem gerichtlichen Besuche verbreitet sich sogleich wie ein Lauffeuer durch die ganze Gegend und dringt bis zu den Ohren des Pater Cristoforo; dieser fragt, ebenso erstaunt, wie betrübt, Diesen und Jenen, um über die Veranlassung einer so unerwarteten Thatsache einiges Licht zu erhalten; aber da er nichts als leere Vermuthungen erfährt, so schreibt er sogleich an den Pater Buonaventura, von dem er bestimmtere Nachrichten zu erlangen hofft. Indessen werden Renzo's Verwandte und Freunde verhört, um Alles, was sie von seiner boshaften Gemüthsart wissen, auszusagen. Tramaglino zu heißen ist ein Unglück, eine Schande, ein Verbrechen; das ganze Dorf ist gegen ihn. Nach und nach bringt man heraus, Renzo sei in Mailand der Gerechtigkeit unter den Händen entwischt und dann verschwunden; es geht das Gerücht, er habe etwas Ungeheueres begangen; da man aber nicht anzugeben weiß, was er verübt, erzählt man sich hundert verschiedene Geschichten. Je mehr diese übertrieben werden, je weniger Glauben finden sie in dem Dorfe, wo Renzo als ein rechtschaffener junger Mensch bekannt ist. Man vermuthet und flüstert einander in die Ohren, daß die ganze Geschichte nichts als eine Kabale sei, die von dem gewaltthätigen Don Rodrigo ausgehe, um seinen armen Nebenbuhler ins Unglück zu stürzen. So viel ist[309] sicher, daß man zuweilen auch den Schurken Unrecht thun kann, wenn man nur nach den Einflüsterungen der Leute urtheilt, ohne die Thatsachen genau zu kennen.

Wir aber, die wir die Thatsachen so zu sagen in der Hand haben, können bezeugen, daß Don Rodrigo diesmal keinen Antheil an Renzo's Unglück hatte, wenn er sich auch darüber freute, als ob es sein Werk wäre; vorzüglich triumphirte er gegen seinen Vetter, den Grafen Attilio. – Dieser hätte sich, seinen früheren Absichten gemäß, jetzt schon in Mailand befinden müssen; auf die ersten Nachrichten jedoch, die er von dem Tumult erhielt, hatte er es für rathsamer gehalten, bis auf bessere Nachrichten auf dem Lande zu verweilen; um so mehr, da er Viele beleidigt hatte und mit Recht fürchten mußte, es könnte Einer von den Vielen, die sich nur aus Ohnmacht ruhig verhielten, die günstige Gelegenheit benutzen, um für Alle Rache zu nehmen. Dieser Aufschub währte jedoch nicht lange; schon der Befehl aus Mailand zu Renzo's Verhaftung war ein Zeichen, daß die Dinge dort wieder den gewöhnlichen Gang genommen hatten; die Nachrichten, die gleich darauf eintrafen, bestätigten dies. Graf Attilio reiste gleich darauf ab; vorher aber stachelte er seinen Vetter noch tüchtig an, das Unternehmen nicht aufzugeben, sondern bei dem einmal gefaßten Vorsatze zu beharren; er seinerseits versprach alles daran zu setzen, ihn sobald als möglich von dem Mönche zu befreien. Der glückliche Zufall mit dem lumpigen Nebenbuhler kam hierbei außerordentlich gut zu statten. Kaum war Graf Attilio abgereist, so kehrte der Graue wohlbehalten von Monza zurück und berichtete seinem Herrn, was er ausgekundschaftet hatte: Lucia habe in dem und dem Kloster unter dem Schutze der und der Dame ein Unterkommen gefunden; sie lebe daselbst so eingezogen, als ob sie auch eine Nonne sei, setze niemals den Fuß auf die Straße und wohne dem Gottesdienst hinter einem vergitterten Fensterchen bei; das mißfalle jedoch Vielen, die wer weiß was von ihren Abenteuern reden gehört und von ihrer Schönheit Wunderdinge vernommen hatten und nun gern sehen wollten, was daran wäre.

Nach diesem Berichte wurde Don Rodrigo ganz und gar des Teufels. So viele seinem Plane günstige Umstände entflammten[310] seine Leidenschaft, die ein Gemisch von Ehrgeiz, Wuth und Bosheit war, nur noch mehr. Ein Kloster in Monza, wäre selbst keine Fürstin darin gewesen, war dennoch für Don Rodrigo's Zähne eine zu harte Nuß; seine Phantasie mochte noch so sehr um diese Zufluchtsstätte herumschwärmen, er fand weder Mittel noch Wege hineinzudringen, weder durch Gewalt noch mit List. Er war nahe daran, das Unternehmen ganz und gar aufzugeben; schon wollte er nach Mailand gehen und war entschlossen, einen Umweg zu nehmen, um Monza nicht zu berühren, wollte sich dort, umgeben von seinen Freunden, in rauschende Vergnügungen stürzen, um durch heitere Gedanken den einen qualvollen Gedanken zu verscheuchen. Aber die Freunde – nur ein wenig vorsichtig mit diesen Freunden. Anstatt Zerstreuung in ihrer Gesellschaft zu finden, blühte ihm vielleicht nur Aerger und Verdruß. Denn Attilio hatte gewiß schon alles ausposaunt und sie Alle erwartungsvoll gestimmt. Von allen Seiten würde man ihn mit Fragen über die Bergbewohnerin bestürmen, und was sollte er antworten? Er hatte sich angestrengt, hatte Alles versucht, und was hatte er erreicht? Er hatte eine Verpflichtung auf sich genommen, die im Grunde wenig ehrenvoll für ihn war; ei was! wer kann immer seine Neigungen beherrschen? es kommt darauf an, sie zu befriedigen; und wie dieses Versprechen lösen? Von einem Bauer und von einem Mönche so schmachvoll behandelt und überlistet! Hu! Ein günstiges Geschick hatte nun ganz unverhofft den Einen, ein gescheidter Freund den Andern bei Seite geschafft, und der Gimpel, der gar keine Mühe davon gehabt, wußte diese Vortheile nicht zu benutzen und zog sich feige aus der Verlegenheit. Der Schimpf war so groß, daß er den Blick zu einem Edelmanne nie wieder erheben durfte, ohne jeden Augenblick zum Degen greifen zu müssen. Und wie konnte er nach seinem Lustschlosse zurückkehren, in einer Gegend verweilen, wo er, abgesehen von der unaufhörlich prickelnden Erinnerung seiner Leidenschaft, auch noch die Schmach eines verfehlten Streiches zu ertragen hätte? Würde nicht der öffentliche Haß gegen ihn ebenso sehr zunehmen, wie der Ruf seiner Macht abnehmen? Würde er nicht auf dem Gesichte jedes Stallknechtes, sogar unter seinen Verneigungen, die bitteren[311] Worte lesen: »Du hast's hinunterschlucken müssen, ich freue mich darüber!«

Der Weg der Ruchlosigkeit ist breit, sagt hier das Manuscript; aber damit ist nicht gesagt, daß er auch bequem sei; er hat seine Steine des Anstoßes, über die man stolpern kann, und hat auch seine Hindernisse und Beschwerlichkeiten, obwohl er abwärts geht.

Unserem Don Rodrigo, der ihn weder verlassen, noch zurückgehen, noch stehen bleiben wollte, und doch von selbst nicht vorwärts kommen konnte, fiel dennoch ein Mittel ein, von dem er glaubte, daß es ihm weiter helfen würde; es sollte ihm ein Mensch Hülfe leisten, dessen Hände oft weiter reichten, wie kaum die Blicke der Andern; ein Mensch oder ein Teufel, für welchen die Schwierigkeit bei einem Unternehmen gerade ein Sporn war, sich damit zu befassen.

Aber auch dieses Mittel hatte seine Schwierigkeiten und Gefahren, die um so bedenklicher waren, je weniger sie sich berechnen ließen; denn hatte er sich einmal mit diesem Menschen eingelassen, der ein eben so mächtiger als gefährlicher Genosse war, so konnte Niemand voraussehen, wie weit die Sache gehen würde.

Don Rodrigo trug sich mit diesen Gedanken mehrere Tage herum und war unschlüssig, was er thun sollte. Inzwischen kam ein Brief von seinem Vetter Attilio an, der ihm anzeigte, daß der Anschlag wohl eingeleitet sei. Auf den Blitz folgte auch gleich der Donnerschlag; denn eines schönen Morgens hörte man, Pater Cristoforo habe das Kloster von Pescarenico verlassen. Dieser gute, so schnelle Erfolg, der Brief Attilio's, der sehr ermuthigte und mit Schimpf und Spott drohte, stimmten Don Rodrigo für den gefährlichen Entschluß immer geneigter. Den letzten Stoß gab ihm die unerwartete Nachricht, daß Agnese nach ihrem Hause zurückgekehrt sei; ein Hinderniß weniger bei Lucia. Wir geben von diesen beiden Ereignissen Rechenschaft und beginnen mit dem letzteren.

Die beiden armen Frauen hatten sich kaum in ihrem Zufluchtsorte niedergelassen, so verbreitete sich in Monza, und folglich auch im Kloster, die Nachricht von dem Aufruhr in Mailand.[312]

An diese erste große Nachricht schlossen sich eine unendliche Menge kleinerer, die immerfort zunahmen und sich jeden Augenblick veränderten. Die Schaffnerin, welche von ihrer Zelle aus das eine Ohr nach der Straße, das andere nach dem Kloster hin offen hatte, sammelte die Nachrichten von hier und von dort und theilte sie ihren Gästen mit.

»Zwei, Sechs, Acht, Vier, Sieben hat man ins Gefängniß gesteckt; sie werden gehängt werden, ein Theil bei dem Krückenofen, ein Theil am Eingang der Straße, wo der Proviantverwalter wohnt .... Ei, ei, jetzt merkt aber auf! Einer aus Lecco oder da herum hat sich durchgemacht. Den Namen weiß ich nicht; es wird aber schon noch Einer kommen, durch den ich ihn erfahre, damit wir sehen, ob ihr ihn kennt.«

Da Renzo gerade an dem verhängnißvollen Tage in Mailand angekommen sein mußte, so wurden die Frauen durch diese Nachricht nicht wenig beunruhigt, vorzüglich Lucia. Nun aber stellen wir uns vor, wie ihnen zu Muthe ward, als die Schaffnerin ihnen hinterbrachte: »Der Hallunke, der sich durchgemacht hat, um nicht gehängt zu werden, ist aus eurem Dorfe, ein Seidenspinner, der sich Tramaglino nennt; kennt ihr ihn?«

Lucia, die dasaß und irgend ein Tüchelchen säumte, ließ die Arbeit aus den Händen fallen; sie wurde so blaß, daß die Schaffnerin es gewiß bemerkt hätte, wenn sie ihr näher gewesen wäre. Aber sie stand mit Agnesen auf der Schwelle; diese, obwohl auch sehr bestürzt darüber, konnte sich doch mehr beherrschen, und um etwas zu erwiedern, sagte sie, daß sich in einem kleinen Dorfe allerdings alle kennen; sie kenne ihn auch, könne aber nicht fassen, wie ihm so etwas begegnet wäre, da er ein stiller, friedlicher Mensch sei. Darauf fragte sie, ob er auch wirklich entkommen und wohin.

»Entwischt ist er, das sagen sie Alle; wohin, weiß Niemand; vielleicht erwischen sie ihn noch; vielleicht ist er auch schon geborgen; kriegen sie ihn aber in die Klauen, euern stillen, friedlichen Menschen ....«

Hier wurde zum Glück die Schaffnerinn gerufen und ging; man stelle sich vor, in welcher Gemüthsstimmung Mutter und[313] Tochter zurückblieben. Tagelang mußten die arme Frau und das trostlose Mädchen in einer solchen Ungewißheit bleiben.

An einem Donnerstage endlich kam ein Mann nach dem Kloster, der nach Agnese fragte. Es war ein Fischhändler aus Pescarenico, der seinen gewöhnlichen Gang nach Mailand machte, um seine Waare abzusetzen; der gute Pater Cristoforo hatte ihn gebeten, wenn er durch Monza käme, einen kleinen Abstecher nach dem Kloster zu machen, die Frauen in seinem Namen zu grüßen, ihnen zu erzählen, was er von dem traurigen Geschick Renzo's wußte. Daß diese Gewißheit ein wahrer Balsam für Lucia's Betrübniß war, brauchen wir nicht erst zu sagen; ihre Thränen flossen sanfter; sie empfand einen größern Trost in den heimlichen Herzensergießungen gegen die Mutter; und in allen ihren Gebeten dankte sie Gott für die Rettung Renzo's.

Gertrud ließ sie oft in ihr besonderes Sprechzimmer kommen und unterhielt sich zuweilen sehr lange mit ihr, weil sie an der Unbefangenheit und Sanftmuth der Aermsten Gefallen fand und es gern hörte, daß diese sie in jedem Augenblick pries und segnete. Sie erzählte ihr auch im Vertrauen einen Theil – den reinsten Theil – ihrer Lebensgeschichte, was sie gelitten hatte, um hier weiter zu leiden; so ging jener erste Argwohn Lucia's in Mitleid über. Sie fand in dieser Geschichte hinlängliche Ursachen, um sich das zu erklären, was ihr in dem Benehmen ihrer Wohlthäterin ein wenig seltsam erschien; die guten Lehren, die ihr Agnese über den Verstand der vornehmen Herrschaften gegeben hatte, halfen dazu mit. Trotzdem sie sich aber getrieben fühlte, das Vertrauen zu erwiedern, welches Gertrud ihr bezeigte, hütete sie sich doch, derselben von ihrem Mißgeschick und ihrer neuen Angst und Sorge etwas zu verrathen: sie sagte ihr nicht, wie nahe jener entwischte Seidenspinner ihr stehe, um eine so schmähliche Kunde, die so schmerzvoll für sie war, nicht noch mehr zu verbreiten. So viel sie konnte, suchte sie auch den neugierigen Fragen auszuweichen, die Gertrud über die frühere Geschichte ihrer Verlobung that; hierbei waltete jedoch nicht die Rücksicht auf die Klugheit. Der armen Unglücklichen schien nämlich die Erzählung dieser Geschichte peinlicher und schwieriger, als alle, welche sie von der[314] Nonne gehört hatte, oder hören zu können glaubte. In denselben kamen Unterdrückung, Hinterlist, rohe und schlimme Dinge vor, die sich aber doch nennen ließen; in die ihrige mischte sich überall ein Gefühl, ein Wort, das ihr unaussprechlich schien, indem sie es auf sich bezog, und für welches sie niemals eine Umschreibung gefunden hätte, die ihr nicht unverschämt erschienen wäre, das Wort: Liebe!

Am folgenden Donnerstage kam jener Fischhändler wieder, brachte Grüße vom Pater Cristoforo und bestätigte abermals, daß Renzo glücklich entkommen sei.

Am dritten Donnerstage ließ sich der Fischhändler nicht sehen. Die armen Frauen entbehrten dadurch nicht nur den gewünschten und gehofften Trost, sie geriethen auch, wie es in so peinlicher und bedrängter Lage schon bei dem geringsten Vorfall geschieht, in Unruhe und plagten sich mit hunderterlei Gedanken. Schon früher hatte Agnese daran gedacht, einen Ausflug nach Hause zu machen; das Ausbleiben des verheißenen Boten brachte sie zu einem festen Entschluß. Lucia fiel die Trennung von der Mutter sehr schwer; aber die quälende Ungeduld, irgend etwas Näheres zu erfahren, und der Gedanke, daß sie in diesem so bewachten und heiligen Zufluchtsort sicher aufgehoben sei, siegten bald über ihre Bedenklichkeiten. Beide beschlossen, Agnese sollte den nächsten Tag sich aufmachen und den Fischhändler, der auf der Rückkehr von Mailand durch Monza mußte, auf der Landstraße erwarten und ihn bitten, sie auf seinem Karren mit in die Heimat zu nehmen. Sie traf ihn wirklich und fragte ihn, ob Pater Cristoforo ihm keinen Auftrag an sie gegeben; der Fischhändler aber war den ganzen Tag vor seiner Abfahrt auf dem Fischfang gewesen und hatte keine Nachricht von dem Mönche. Die arme Frau bat ihn um den Platz, den er ihr ohne Umstände einräumte; der Abschied von der Signora und von der Tochter war nicht ohne Thränen; mit dem Versprechen, gleich Nachricht zu geben und so schnell als möglich zurückzukehren, reiste Agnese ab.

Auf der Reise trug sich nichts Besonderes zu. Sie ruhten einen Theil der Nacht in einem Wirthshause aus, brachen, ehe es[315] Tag wurde, wieder auf und kamen schon früh in Pescarenico an. Agnese stieg auf dem kleinen Platze vor dem Kloster aus und ließ ihren Fuhrmann unter vielen »Gott lohn' es Euch« allein weiter ziehen; da sie einmal hier war, so wollte sie doch, ehe sie heim ginge, den guten Mönch, ihren Wohlthäter, sehen. Sie zog die Glocke; wer ihr öffnete, war Bruder Galdino, jener Olivensammler.

»Ei, liebe Frau, was führt Euch her?«

»Ich möchte den Pater Cristoforo sprechen.«

»Pater Cristoforo? Der ist nicht hier.«

»Oh! wird er wohl lange ausbleiben?«

»Weiß ich's ....?« sagte der Mönch achselzuckend und verbarg das kahle Haupt in die Kaputze.

»Wohin ist er gegangen?«

»Nach Rimini.«

»Nach?«

»Nach Rimini.«

»Wo liegt der Ort?«

»Weit, weit!« sagte Jener und fuhr mit dem Arm von oben nach unten durch die Luft, um eine große Entfernung anzudeuten.

»O ich Aermste! aber warum hat er sich so plötzlich dahin aufgemacht?«

»Der Pater Provinzial hat es gewollt.«

»Warum schickt er gerade ihn fort, der hier so viel Gutes that? O du lieber Herrgott!«

»Wenn die Vorgesetzten von ihren Befehlen, die sie geben, Rechenschaft ablegen sollten, wo bliebe dann der Gehorsam, liebe Frau?«

»Wohl wahr; aber mich bringt es ins Unglück.«

»Wißt Ihr, was es sein wird? Sie werden in Rimini einen guten Prediger gebraucht haben. – Wir haben freilich deren überall; aber zuweilen verlangt das Amt Einen, der wie dazu geboren ist –; der Pater Provinzial dort wird an den Pater Provinzial hier geschrieben haben, ob er Einen hat, der so und so beschaffen ist; und da hat unser Pater Provinzial gedacht, daß Pater[316] Cristoforo der rechte Mann dazu sei. Wie es sich denn jetzt auch herausstellt.«

»Ach wir Aermsten! Seit wann ist er denn fort?«

»Seit Vorgestern.«

»Da haben wir's! Hätte ich nur meiner Eingebung gefolgt und wäre einige Tage früher hergekommen! Und weiß man nicht, wann er ungefähr zurückkehrt?«

»Ei, liebe Frau! das kann vielleicht der Pater Provinzial nicht einmal wissen.«

»O du lieber Herrgott!« rief Agnese von neuem, fast weinend aus, »was soll ich ohne diesen Mann an fangen? Er hat für uns gesorgt wie ein Vater! Das ist unser Unglück!«

»Hört, liebe Frau; Pater Cristoforo war in der That ein ganzer Mann, aber Ihr müßt wissen, daß wir hier auch noch andere menschlichgesinnte Männer haben, die ebenso klug sind und die auch mit Hohen und Niedrigen umzugehen wissen. Wollt Ihr den Pater Atanasio? Girolamo? oder Zaccaria? Der Pater Zaccaria ist ein gescheidter Mann. Ein Mann, wißt Ihr, der einen guten Rath zu geben weiß.«

»Um Gotteswillen«, rief Agnese aus, »was geht es mich an, ob ein Mann so oder so ist, wenn der gute Mann nicht mehr hier ist, der allein um unsere Sachen wußte und der schon alles ins Werk gesetzt hatte, um uns zu helfen.«

»Dann müßt Ihr Euch in Geduld fassen.«

»Das weiß ich«, antwortete Agnese, »entschuldigt, daß ich Euch belästigt habe.«

»Das thut nichts, liebe Frau; es thut mir leid um Euch. Wenn Ihr Einen unserer Väter noch später um Rath fragen wollt, so könnt Ihr immer wieder kommen. Auch werde ich bald um Oliven bei Euch wieder mit einsprechen.«

»Lebt wohl«, sagte Agnese und machte sich auf den Weg nach ihrem Dörfchen, betrübt und hoffnungslos, wie ein armer Blinder, der seinen Stab verloren hat.

Ein wenig besser als Bruder Galdino unterrichtet, können wir sagen, wie die Sache sich eigentlich verhielt. Graf Attilio war kaum in Mailand angekommen, so begab er sich, wie er es[317] Don Rodrigo versprochen, zu ihrem beiderseitigen Oheim, dem Mitgliede in der Rathsversammlung. – Diese Rathsversammlung bestand aus dreizehn Männern vom geistlichen wie vom weltlichen Stande, die dem Statthalter mit ihrem Rathe zur Seite standen, und starb dieser, oder wurde ein Anderer gewählt, so übernahmen sie während dessen die Regierung. – Der Graf Oheim, ein Herr vom geistlichen Stande und einer der Aeltesten im Rathe, genoß ein gewisses Ansehn in demselben; aber in der Art, wie er es geltend zu machen wußte, hatte er nicht seines Gleichen. Doppelsinnige Reden, ein bedeutungsvolles Schweigen, ein rechtzeitiges Ansichhalten, eine vielsagende Augensprache, Schmeicheleien ohne Versprechungen, höfliche Drohungen, alles dies war auf die Erhaltung seines Ansehns berechnet und durch alles dies erreichte er mehr oder weniger seinen Zweck. Sagte er: »in der Sache vermag ich nichts zu thun«, so sagte er darin oftmals die reine Wahrheit; er sagte sie aber in solchem Tone, daß man ihm nicht glaubte; die Vorstellung von seinem Einflusse wurde auf diese Weise nur noch erhöht, bis er endlich diesen Einfluß auch in Wirklichkeit erreicht hatte. Das Ansehn des Grafen Oheim, welches so seit langer Zeit langsam, Schritt vor Schritt stieg, hatte kürzlich mit einem Male, wie man sagt, einen Riesenschritt gethan, durch einen Anlaß bei Hofe; über die Aufnahme, die ihm dort zu Theil geworden, mußte man ihn selbst erzählen hören. Kurz, der Graf Herzog hatte ihn mit besonderer Herablassung behandelt und würdigte ihn so sehr seines Vertrauens, daß er ihn einmal in Gegenwart, man kann sagen, des halben Hofes, fragte, wie ihm Madrid gefiele; und ein andermal hatte er, an einem Fenster mit ihm stehend, unter vier Augen zu ihm gesagt, daß der Dom zu Mailand doch der größte Tempelbau im ganzen Königreiche sei.

Als Graf Attilio den Graf Oheim ehrfurchtsvoll begrüßt hatte, überbrachte er ihm viele Empfehlungen von Don Rodrigo und sagte mit einer gewissen ernsten Haltung, die er zu Zeiten anzunehmen wußte: »Ich glaube meine Pflicht zu thun, ohne Rodrigo's Vertrauen zu mißbrauchen, wenn ich den Herrn Oheim von einer Angelegenheit unterrichte, die, wenn Sie dieselbe nicht[318] in die Hand nehmen, ernsthaft werden und Folgen nach sich ziehen kann ....«

»Wohl wieder einer von seinen Streichen, ich kann mir's denken.«

»Zur Ehre der Wahrheit muß ich bekennen, daß das Unrecht nicht auf Seiten Don Rodrigo's ist. Er ist entrüstet; und wie ich sage, Niemand als der Herr Oheim kann ....«

»Wir wollen sehen, laßt hören.«

»Es ist in dortiger Gegend ein Bruder Kapuziner, der mit Don Rodrigo im Streite liegt, und die Sache ist so weit gekommen, daß ....«

»Wie oft habe ich Euch nicht gesagt, ihm wie dir, daß man die Mönche auch ausessen lassen muß, was sie eingebrockt haben. Sie machen dem schon genug zu schaffen, der gezwungen ist .... sich mit ihnen einzulassen ....« Hier keuchte er. »Ihr aber könnt ihnen ausweichen ....«

»Hier, Herr Oheim, ist es meine Pflicht, zu sagen, daß Rodrigo ihm gern ausgewichen wäre, wenn er gekonnt hätte. Es ist der Mönch, der mit ihm angebunden hat, der es darauf anlegt, ihn auf alle Weise zu reizen, der ....«

»Was Teufel hat denn dieser Mönch mit meinem Neffen zu schaffen?«

»Er ist vor allen Dingen als ein unruhiger Kopf bekannt, der sich ein Geschäft daraus macht, mit Edelleuten Händel zu suchen. Dieser beschützt nun, oder leitet, was weiß ich? eine junge Bauerndirne dort, und hat für dieses Geschöpf eine Menschenliebe .... ich will nicht gerade sagen eine verdächtige, aber doch eine sehr eifersüchtige, argwöhnische, sehr lebhafte Menschenliebe.«

»Verstehe, verstehe«, sagte der Oheim, und durch den dummen Ausdruck, den die Natur in sein Gesicht gelegt hatte, welchen er aber durch eine Menge von Kunstgriffen zu verdecken wußte, fuhr ein Zug von Bosheit, der sich auf diesem Gesichte sehr schön ausnahm.

»Seit einiger Zeit nun«, fuhr Attilio fort, »hat dieser Mönch sich in den Kopf gesetzt, Rodrigo habe Absichten auf die ....«[319]

»Hat er sich in den Kopf gesetzt, in den Kopf gesetzt – ich kenne ihn auch den Herrn Don Rodrigo; um ihn in dergleichen Dingen zu rechtfertigen, bedürfte es eines andern Anwaltes als Sie, mein Herr.«

»Herr Oheim, daß Rodrigo sich vielleicht einmal einen Spaß mit der Dirne gemacht haben kann, bei irgend einer Begegnung auf der Straße, das will ich zugeben; er ist ein junger Mann und am Ende doch kein Kapuziner; doch mit so unbedeutenden Kleinigkeiten will ich den Herrn Oheim nicht unterhalten. Die Hauptsache ist, daß der Mönch angefangen hat, von Don Rodrigo zu sprechen, als wäre er ein lüderlicher Kerl, und daß er die ganze Gegend gegen ihn aufzuhetzen sucht ....«

»Und die andern Mönche?«

»Die kümmern sich nicht darum, weil sie ihn für einen Hitzkopf kennen; sie haben vor Don Rodrigo alle Achtung; auf der andern Seite aber steht der Mönch in großem Ansehn bei den Bauern, weil er bei ihnen den Heiligen zu spielen weiß, und ...«

»Er wird wohl nicht wissen, daß Rodrigo mein Neffe ist.«

»Ob er das weiß! Das ist es gerade, was ihn noch mehr des Teufels macht.«

»Wie? Was?«

»Er giebt selbst zu, es mache ihm eine große Freude, sich mit Rodrigo einzulassen, gerade weil er einen so mächtigen Verwandten zum Beschützer hat, wie Sie, Herr Oheim; er macht sich über die Großen und über die Staatsmänner lustig, weil der Strick des heiligen Francesco auch die Degen zusammen halte, und weil ....«

»Verwegener Mönch! Wie heißt er?«

»Bruder Cristoforo aus ***«, sagte Attilio; der Graf Oheim nahm aus einem Kästchen eines kleinen Tisches ein Notizbüchelchen und schrieb sich, keuchend vor Zorn, den unschuldigen Namen auf. »Er hat es von jeher so gemacht«, fuhr Graf Attilio inzwischen fort, »man kennt seinen Lebenslauf. Er war ein Mensch von niedriger Abkunft, der glaubte, weil er ein Paar Soldi in der Tasche hatte, er könnte sich mit den Edelleuten seines Ortes messen; und aus Wuth, daß er es nicht mit ihnen aufnehmen[320] konnte, brachte er Einen um's Leben; um den Händen der Gerechtigkeit zu entgehen, ward er Mönch.«

»Nur weiter, weiter! Wir wollen es ihm anstreichen«, sagte der Oheim wüthend.

»Jetzt möchte er vor Wuth bersten«, fuhr Attilio fort, »weil ihm ein Plan zu Wasser geworden ist, der ihm sehr am Herzen lag; hieraus wird der Herr Oheim erkennen, was es für ein Mensch ist. Er wollte nämlich jene Dirne verheirathen; vielleicht um sie den Gefahren der Welt zu entziehen, Sie verstehen mich, oder aus irgend einem andern Grunde, kurz, er wollte sie um jeden Preis verheirathen; und er hatte ihn schon gefunden .... den Mann, auch so eine Kreatur von ihm, ein Subject .... das vielleicht auch der Herr Oheim dem Namen nach kennen wird; denn ich weiß für gewiß, daß der geheime Rath sich auch mit diesem erbärmlichen Subject hat befassen müssen.«

»Wer ist er?«

»Ein Seidenspinner, Lorenzo Tramaglino, derselbe, welcher ....«

»Lorenzo Tramaglino!« rief der Graf Oheim. »Ei, ei, mein lieber Mönch! Ganz recht .... wahrhaftig .... er hatte einen Brief an einen .... Schade, daß .... doch es thut nichts; schon gut. Aber warum sagt mir denn der Herr Don Rodrigo von dem Allen nichts, warum läßt er die Sache so weit kommen und wendet sich nicht an den, der ihm beistehen und helfen kann?«

»Ich will auch hierin die Wahrheit sagen«, fuhr Attilio fort. »Einerseits weiß er, wie viele Sorgen, wie viele Dinge der Herr Oheim im Kopfe hat ....« – dieser legte keuchend die Hand an den Kopf, als wollte er die große Anstrengung andeuten, die es ihm koste, alle diese Dinge zu behalten – »er machte sich ein Gewissen daraus«, fuhr Attilio fort, »Ihnen noch eine Sorge mehr aufzubürden. Und dann, um alles frei heraus zu sagen, so viel ich habe merken können, ist er so aufgebracht und so außer sich über die Niederträchtigkeiten dieses Mönches, daß er in seiner Wuth lieber gleich selbst das Amt der Gerechtigkeit vollzöge, als dasselbe auf dem geraden Wege von der Klugheit und dem Arm des Herrn Oheim abzuwarten. Ich habe versucht, das Feuer zu[321] löschen; da ich aber sah, daß die Sache eine schlimme Wendung nahm, hielt ich es für meine Pflicht, den Herrn Oheim von Allem zu unterrichten, der am Ende doch das Haupt und die Stütze des Hauses ist, der ....«

»Ihr hättet besser gethan, ein wenig früher zu reden.«

»Es ist wahr; aber ich hoffte immer, die Sache würde sich wieder beilegen lassen, oder der Mönch endlich wieder zur Besinnung kommen, oder vielleicht das Kloster wechseln, wie es ja bei diesen Mönchen, die bald hier, bald dort sind, öfters geschieht; dann hätte aller Streit ein Ende gehabt. Aber ....«

»Nun kommt es mir zu, den Streit zu schlichten.«

»Das dachte ich auch. Ich sagte mir, der Herr Oheim mit seinem Scharfblick, mit seinem Ansehn, wird einem Scandal vorzubeugen wissen und Rodri go's Ehre retten, die seine eigene ist. Dieser Mönch, sagte ich, hat es immer mit dem Strick des heiligen Francesco zu thun, aber um ihn bei Gelegenheit anzuwenden, braucht man den Strick des heiligen Francesco nicht um den Bauch gewickelt zu tragen. Dem Herrn Oheim stehen hunderterlei Mittel zu Gebote, die ich nicht kenne; ich weiß, daß der Pater Provinzial, wie es sich auch gehört, eine große Ehrerbietung und Nachgiebigkeit für ihn hat, und wenn der Herr Oheim meint, daß in diesem Falle das Beste sei, den jetzigen Aufenthaltsort des Mönches zu wechseln, so kann er durch zwei Worte ....«

»Ueberlassen Sie das Demjenigen zu bedenken, mein Herr, den es angeht«, sagte der Graf Oheim nicht ohne Schärfe.

»Ah, es ist wahr!« rief Attilio mit einem leichten Kopfschütteln und lächelte dabei, als ob er sich selbst bemitleide. »Ich bin nicht der Mann darnach, dem Herrn Oheim Rathschläge zu ertheilen! Es war nur der Eifer für die Ehre des Hauses, der mich sprechen ließ. Ich fürchte sogar, noch ein größeres Uebel angerichtet zu haben«, fügte er mit bedenklicher Miene hinzu, »ich fürchte, Don Rodrigo in der Meinung des Herrn Oheim geschadet zu haben. Ich würde mich nicht zufrieden geben, wenn ich die Schuld trüge, daß Sie dächten, Rodrigo hätte nicht volles Vertrauen zu Ihnen, oder die Unterwürfigkeit, die sich gegen einen[322] solchen Oheim geziemt. Glauben Sie nur, Herr Oheim, daß er gerade in diesem Falle ....«

»Nicht doch, nicht doch; wie solltet ihr euch Einer dem Andern schaden? Ihr werdet immer gute Freunde bleiben, so lange Einer nicht den Andern anklagt. Lüderliches Volk, das nichts als tolle Streiche macht, die ich wieder gut machen soll. Ihr verleitet mich noch zu Unbesonnenheiten .... ihr macht mir mehr Kopfbrechen, ihr Beide, als ....« (und hier denke man sich, wie er keuchte), »als alle die verwünschten Staatsangelegenheiten.«

Attilio brachte noch eine Entschuldigung, ein Versprechen vor und empfahl sich. Beim Abschiede sagte der Graf Oheim noch: »Seid vernünftig«, ein Wort, das er seinen Neffen stets mit auf den Weg gab.

Quelle:
Manzoni, [Alessandro]: Die Verlobten. 2 Bände, Leipzig, Wien [o. J.], Band 1, S. 308-323.
Lizenz:
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