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Bald darauf kam der Bravo zurück und berichtete, daß am vorhergehenden Tage der Kardinal Federigo Borromeo, Erzbischof von Mailand, in *** angekommen sei und daselbst diesen ganzen Tag zubringen werde; die Kunde von dieser Ankunft habe sich noch am Abend in den umliegenden Ortschaften verbreitet, alles Volk sei auf den Beinen, begierig, diesen Mann zu sehen, und die Glocken, die seine Ankunft verkündeten, läuteten zugleich einen festlichen Tag ein. Als der Ungenannte wieder allein war, blickte er noch gedankenvoller in das Thal hinab. – Um eines Mannes willen! alles in Eile, alles in Freude, um einen Mann zu sehen! Und doch wird ein Jeder von ihnen seinen Teufel haben, der ihn quält. Aber Keiner, Keiner wird einen haben, wie ich; Keiner wird eine solche Nacht verbracht haben, wie ich! Was hat dieser Mann, um so viele Leute fröhlich zu machen? Wenn er auch eine Hand voll Geld aufs Gerathewohl vertheilt .... aber die gehen doch nicht Alle auf Almosen aus. Nun wohl, so einige Zeichen in die Luft, einige Worte .... O wenn er auch für mich einige Worte hätte, die mich trösten können! wenn .... Warum gehe ich nicht auch? Warum nicht? Ich will gehen; ich will mit ihm sprechen; unter vier Augen will ich mit ihm sprechen. Was soll ich ihm sagen? Nun, er, der .... ich will doch hören, was er mir sagen kann, dieser Mann! –
Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, bekleidete er sich eilig vollends und zog einen seiner Röcke an, dessen Schnitt etwas Militärisches hatte; dann nahm er das Pistol, das auf dem Bette liegen geblieben war und befestigte es auf der einen Seite in dem[5] Gürtel; auf der andern ein zweites, das er von einem Nagel an der Wand nahm; auch seinen Dolch steckte er in den Gürtel; einen Karabiner, fast ebenso berüchtigt wie er, den er gleichfalls von der Wand herabnahm, warf er sich quer über die Schultern, ergriff dann den Hut, verließ das Zimmer und ging vor Allem zuerst nach der Stube, wo er Lucia verlassen hatte. Er stellte den Karabiner außerhalb in einen Winkel neben der Thüre, klopfte an und ließ zugleich seine Stimme hören. Die Alte war mit einem Sprunge aus dem Bette und lief, um zu öffnen. Der Herr trat ein, warf einen Blick durch die Stube und sah Lucia zusammengekauert still in ihrem Winkel sitzen.
»Schläft sie?« fragte er leise die Alte, »schläft sie dort? Hab' ich's so befohlen, Elende?«
»Ich habe Alles gethan«, antwortete diese, »aber sie hat weder essen wollen, noch zu Bett ....«
»Laß sie ruhig schlafen; hüte dich, sie zu stören, und wenn sie erwacht .... Martha soll hier in die Nebenstube kommen; du kannst sie nach allem schicken, was das Mädchen etwa verlangen wird. Sobald sie aufwacht .... sagst du ihr, daß ich .... daß der Herr auf kurze Zeit ausgegangen ist, daß er zurückkommen wird, und daß .... er wird alles thun, was sie will.«
Die Alte konnte sich nicht genug verwundern und dachte: – sollte diese vielleicht gar eine Fürstin sein? –
Der Herr ging hinaus, nahm seinen Karabiner wieder, hieß Martha in der Nebenstube warten, befahl dem ersten Bravo, den er antraf, Wache zu halten, damit Niemand als dieses Frauenzimmer den Fuß in die Stube setze; darauf verließ er das Schloß und stieg mit schnellen Schritten den Abhang hinunter.
Das Manuskript giebt die Entfernung des Schlosses von dem Dorfe, wo sich der Kardinal aufhielt, nicht an; doch aus den Thatsachen, die wir im Begriff sind zu erzählen, geht hervor, daß es nicht weiter als ein guter Spaziergang sein mußte. Aus dem Hinzuströmen der Thalbewohner nach jenem Orte hätte man dies freilich nicht schließen können, denn aus den Geschichtsbüchern jener Zeit ersehen wir, daß von zwanzig und mehr Miglien weit die Leute in Menge herbeikamen, um Federigo zu sehen.[6]
Die Bravi, denen er von ungefähr beim Hinuntergehen begegnete, blieben sehr ehrerbietig stehen, in der Erwartung, daß er ihnen vielleicht Befehle zu geben hätte, oder sie zu irgend einem Unternehmen mit sich nehmen wollte, und wußten nicht, was sie von dem Aussehen des Herrn und den Blicken, mit denen er ihre Verneigungen erwiederte, denken sollten. Als er sich unten auf öffentlicher Straße befand, erstaunten die Vorübergehenden nicht wenig, ihn ohne Gefolge zu sehen; jeder machte ihm Platz und wich ihm so weit aus, als auch für sein Gefolge hingereicht hätte, und zog ehrfurchtsvoll den Hut. In dem Dorfe angekommen, wimmelte es schon von Menschen; sein Name flog schnell von Mund zu Mund, und die Menge ließ ihn durch. Er trat auf Einen zu und fragte ihn, wo der Kardinal wäre. »Im Hause des Pfarrers«, erwiederte dieser sich verneigend und bezeichnete es. Der Herr schritt darauf zu, trat in einen kleinen Hof, wo sich viele Priester versammelt hatten, die ihn alle mit verwunderter und mißtrauischer Aufmerksamkeit betrachten. Er sah sich gegenüber eine weit geöffnete Thür, die in einen kleinen Vorsaal führte, wo ebenfalls viele Priester versammelt waren. Er nahm den Karabiner von der Schulter und stellte ihn in einen Winkel des Hofes; darauf trat er in den kleinen Saal, und auch hier warf man neugierige Blicke auf ihn, flüsterte sich seinen Namen zu und alles schwieg. Er aber wandte sich an einen der Männer und fragte ihn, wo der Kardinal wäre; er wollte ihn sprechen.
»Ich bin ein Fremder«, antwortete der Gefragte, und indem er einen Blick rings umher warf, rief er den Kaplan Kreuzträger, der in einer Ecke des Saales stand und soeben heimlich zu einem seiner Genossen sagte: »Der? der Berüchtigte? was hat der hier zu schaffen? Sehen wir uns vor!« Indessen auf den Ruf, der durch die allgemeine Stille drang, mußte er doch kommen; er verneigte sich vor dem Ungenannten, hörte sein Gesuch an, und indem er mit ängstlicher Neugierde die Augen zu diesem Gesichte erhob und sie gleich wieder zu Boden senkte, stand er eine Weile unschlüssig da und sagte dann oder stotterte vielmehr: »Ich weiß nicht, ob unser erlauchter Herr .... in diesem Augenblick .... im Stande ist .... ob er kann .... Genug, ich will zusehen.«[7] Er ging zögernd nach dem anstoßenden Zimmer, wo sich der Kardinal befand, um den Auftrag auszurichten.
An dieser Stelle unserer Geschichte können wir nicht umhin, ein wenig zu verweilen, gleichwie der Wanderer von einem langen Wege durch eine wüste und wilde Gegend erschöpft und niedergeschlagen, sich in dem Schatten eines schönen Baumes, auf dem Rasen neben einer Quelle niederläßt und ein wenig ausruht. Wir sind auf eine Persönlichkeit zu sprechen gekommen, deren Name und Andenken, so oft sie vor dem Geiste auftauchen, ihn mit einer sanften Regung der Ehrfurcht und mit einer lebhaften Theilnahme erfüllen; um wie viel mehr nicht jetzt nach so vielen schmerzlichen Vorstellungen, nach der Betrachtung einer so vielfältigen und so abscheulichen Bosheit! Ueber diese Persönlichkeit fühlen wir uns getrieben, ein Paar Worte zu sagen; wem nichts daran liegen sollte, sie zu kennen, und wer indessen verlangte, in der Geschichte weiter zu kommen, der springe sogleich zu dem nächstfolgenden Kapitel über.
Federigo Borromeo, geboren 1564, war einer von den zu jener Zeit seltenen Menschen, die einen vorzüglichen Verstand, alle Mittel eines großen Reichthums, alle Vortheile eines bevorrechteten Standes, eine beharrliche Ausdauer darauf verwendet haben, das Beste aufzusuchen und auszuüben. Sein Leben ist wie ein Bach, der aus dem Felsen klar hervorsprudelnd, ohne in einem langen Laufe durch verschiedene Gegenden je gehemmt oder getrübt zu werden, rein dahinfließt und sich in den Fluß ergießt. Mitten unter Gemüthlichkeiten und Pracht achtete er von Kindheit an auf jene Worte der Selbstverleugnung und Demuth, auf jene Grundsätze über die Nichtigkeit der Freuden, der Ungerechtigkeit des Stolzes, der ächten Würde und der wahren Güter, welche, ob in dem Herzen empfunden oder nicht empfunden, von einem Menschengeschlechte dem andern, in den ersten Anfangsgründen der Religion überliefert werden. Federigo achtete, sage ich, auf diese Worte, auf diese Grundsätze, nahm sie sich zu Herzen, erprobte sie, und sie bewährten sich; er sah demnach, daß also andere entgegengesetzte Worte und Grundsätze nicht die wahren sein konnten, obgleich auch diese von Geschlecht auf Geschlecht mit derselben Zuversicht übergingen[8] und oftmals von den nämlichen Lippen; er nahm sich vor, zur Richtschnur seiner Handlungen und Gedanken diejenigen zu nehmen, welche die Wahrheit enthielten. Er überzeugte sich, daß das Leben nicht dazu bestimmt ist, für Viele eine Last und für Einige ein Fest zu sein, sondern für Alle ein Amt, von welchem ein Jeder Rechenschaft ablegen muß. Schon als Kind begann er darüber nachzudenken, wie er das seinige nützlich und fromm gestalten könnte.
Im Jahre 1580 that er seinen Entschluß kund, sich dem geistlichen Stande zu widmen und empfing dessen Gewand aus den Händen seines Vetters Carlo, den ein schon damals alter und allgemeiner Ruf als einen Heiligen bezeichnete. Bald darauf trat er in das von diesem gestiftete Collegium zu Pavia, das noch den Namen seines Hauses führt, und indem er sich hier voll Eifer den Beschäftigungen zuwandte, die er vorgeschrieben fand, erwählte er aus freiem Willen noch zwei andere: den Unwissendsten und Hülflosesten im Volke das Christenthum zu lehren und die Kranken zu besuchen, zu bedienen, zu trösten und zu unterstützen. Sein Ansehn, das ihm an diesem Orte alles verschaffte, benutzte er, um seine Mitschüler heranzuziehen, ihm bei diesen Werken zu helfen; und in jeder ehrenwerthen und nützlichen Sache übte er gleichsam eine Macht des guten Beispiels aus, eine Macht, die ihm vielleicht seine persönlichen Gaben ebenfalls verschafft hätten, wenn er auch dem Stande nach der Niedrigste gewesen wäre. Die Vortheile anderer Art, die er durch seinen Stand erlangen konnte, suchte er nicht allein nicht auf, sondern er setzte sogar alles daran, sie von sich abzuweisen. Er führte einen eher ärmlichen als einfachen Tisch, trug eher eine dürftige als schlichte Kleidung und richtete hiernach seine ganze Lebensweise und sein ganzes Betragen ein. Er dachte niemals daran, es ändern zu müssen, weil einige Verwandte ein großes Geschrei erhoben und sich beklagten, daß er so die Würde des Hauses verletze. Einen andern Kampf hatte er mit den Lehrern zu bestehen, die unter der Hand und wie durch Ueberraschung ihn von allen Seiten mit irgend einem anständigeren Hausgeräthe zu umgeben suchten, mit irgend etwas, das ihn von den Uebrigen unterschiede und als den Vornehmsten des Ortes[9] auszeichnete; entweder glaubten sie sich auf die Dauer dadurch angenehm zu machen oder sie wurden von jener unterwürfigen, herzlichen Liebe dazu getrieben, die ihren Stolz und ihre Freude in den Ruhm Anderer setzt, oder sie gehörten zu jenen Verständigen, die sich vor den Tugenden wie vor den Lastern scheuen und immer predigen, daß die Vollkommenheit in der Mitte liege, und welche die Mitte gerade auf den Punkt setzen, wo sie angelangt sind und sich behaglich fühlen. Federigo, der sich nicht allein von diesen Versuchungen nicht einnehmen ließ, tadelte vielmehr diejenigen, welche sie machten.
Daß der Knabe und Jüngling Federigo bei Lebzeiten des Kardinal Carlo, der sechsundzwanzig Jahre älter war als er, sich nach dem Vorbilde dieses Vorgesetzten zu bilden suchte, ist sicherlich nicht zu verwundern, denn dieser hatte durch seine ernste, erhabene Persönlichkeit und durch seine Werke einen so hohen Ruhm erlangt, daß er gleichsam im Leben schon für einen Heiligen galt; wohl aber ist es etwas sehr Merkwürdiges, daß nach dessen Tode Niemand hätte wahrnehmen können, dem damals zwanzigjährigen Federigo fehle ein Führer und Sittenrichter. Der wachsende Ruf seines Geistes, seiner Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, die Verwandtschaft und die Verbindungen mit mehr als einem mächtigen Kardinal, das Ansehen seiner Familie, selbst der Name, mit welchem Carlo in den Gemüthern gleichsam eine Vorstellung von Heiligkeit und Hoheit verknüpft hatte, alles, was die Menschen zu geistlichen Würden bringen kann und muß, vereinigte sich, dieselben Federigo vorher zu verkündigen. Er jedoch, im Herzen von Dem überzeugt, was Niemand, der sich zu dem christlichen Glauben bekennt, mit dem Munde verleugnen kann, daß die höhere Stellung eines Menschen über die andern nicht gerechtfertigt sei, außer im Dienste für dieselben, scheute sich vor allen Würden und suchte ihnen auszuweichen; sicherlich nicht, weil er sich dem Dienste seiner Nebenmenschen entziehen wollte, denn wohl selten wurde ein Leben so in Aufopferung verbracht wie das seinige, sondern weil er sich eines so hohen und gefährlichen Dienstes weder würdig noch tüchtig genug erachtete. Als ihm daher im Jahre 1595 von Clemens VIII. das Erzbisthum von Mailand angetragen wurde,[10] schien er darüber außerordentlich betroffen und lehnte es, ohne sich zu bedenken, ab. Später gab er dem ausdrücklichen Befehle des Papstes nach.
Dergleichen Erscheinungen, und wer weiß es nicht? sind weder schwierig noch selten, und die Heuchelei bedarf keiner größern Anstrengung ihres Witzes, um sie von sich zu geben als die Possenreißerei, um sie bei jeder Gelegenheit auf alle Weise zu verspotten. Aber hören sie darum vielleicht auf, der natürliche Ausdruck einer tugendhaften und einsichtsvollen Gesinnung zu sein? Das Leben ist der Prüfstein der Worte, und die Worte, welche diese Gesinnung ausdrücken, wären sie auch allen Betrügern und allen Spöttern der Welt über die Lippen gegangen, werden immer schön sein, wenn ein Leben der Uneigennützigkeit und Aufopferung ihnen vorherging und nachfolgt.
In dem Erzbischofe Federigo that sich ein besonderer und anhaltender Eifer kund, weder Reichthümer, noch Zeit, noch Sorgfalt, kurz von allem, was ihm gehörte, mehr für sich zu verwenden, als die dringendste Noth erforderte. Er sagte, wie Alle sagen, daß die geistlichen Einkünfte das Erbtheil der Armen sind; wie er einen solchen Grundsatz auffaßte, sieht man aus Folgendem. Er ließ abschätzen, wie hoch sich die Kosten für seinen Haushalt beliefen, und da man ihm sagte, sechshundert Scudi – Scudi nannte man damals jene Goldmünze, welche mit demselben Gewicht und mit derselben Inschrift später Zechine genannt wurde – so gab er Befehl, diesen Betrag aus seiner Privatkasse für seinen Unterhalt alljährlich zu zahlen, indem er nicht glaubte, daß es ihm erlaubt sei, von seinem Erbgute im Ueberflusse zu leben. Mit dem Seinigen war er dann ein so sparsamer und karger Haushalter, daß er sich in Acht nahm, ein Kleid eher abzulegen, als bis es völlig abgenutzt war, obgleich er, wie von mitlebenden Schriftstellern bemerkt wird, mit dem Sinne für die Einfachheit den einer ausgesuchten Sauberkeit verband, zwei wirklich bemerkenswerthe Gewohnheiten in jener schmutzigen und prunkvollen Zeit. So überwies er auch die Ueberbleibsel seiner mäßigen Tafel, damit von denselben nichts umkäme, einer Herberge für Arme; und Einer von diesen erschien auf seinen Befehl täglich in seinem[11] Speisesaal, um die Ueberbleibsel zu sammeln. Fürsorgen, die vielleicht zu dem Glauben an eine knickerige, armselige, erbärmliche Tugend verleiten könnten, an ein in Kleinigkeiten befangenes und höheren Absichten unfähiges Gemüth, wenn nicht die ambrosianische Bibliothek vorhanden wäre, zu der Federigo den Gedanken faßte und die er mit so großer Pracht, mit so bedeutenden Kosten gründete. Außer dem Geschenke der schon von ihm selbst mit vieler Mühe und Kostenaufwand gesammelten Bücher sandte er, um sie mit neuen Büchern und Handschriften zu versehen, acht der gelehrtesten und erfahrensten Männer, die er finden konnte, um Einkäufe zu machen, durch Italien, Frankreich, Deutschland, Flandern, nach Griechenland, dem Libanon und nach Jerusalem. So gelang es ihm, ungefähr dreißigtausend gedruckte Bände und vierzehntausend Handschriften zu sammeln. Mit der Bibliothek verband er ein Doktorcollegium. Es waren ihrer neun, die er unterhielt, so lange er lebte, nachher wurden sie auf zwei beschränkt, da die gewöhnlichen Einkünfte zu dieser Ausgabe nicht hinreichten; ihre Obliegenheit war, verschiedene Zweige der Wissenschaft, Theologie, Geschichte, Literatur, Alterthumsforschung, orientalische Sprachen zu treiben, mit der einem Jeden auferlegten Verpflichtung, irgend ein Werk über den ihm angewiesenen Gegenstand zu veröffentlichen; hiermit verband er ein Collegium, welches er das dreizüngige nannte, für das Studium der griechischen, lateinischen und italienischen Sprache; ein Collegium für Solche, welche in diesen Wissenschaften unterrichtet werden sollten, um wieder darin zu unterrichten; dabei verband er eine Druckerei für orientalische Sprachen, nämlich für die hebräische, chaldäische, arabische, persische und armenische; eine Gemäldesammlung, eine Sammlung von Statuen und eine Schule der drei hauptsächlichsten Zeichenkünste. Für Letztere konnte er schon vorzügliche Lehrer finden; was die Uebrigen anlangt, so haben wir gesehen, wie viel Arbeit ihm das Sammeln der Bücher und Handschriften gemacht haben muß; noch weit schwieriger mußten sich die Typen jener Sprachen finden lassen, die damals in Europa noch so viel weniger getrieben wurden als heute; und noch weit schwieriger als die Typen waren die Männer dafür zu finden. Es genügt zu sagen, daß[12] er von neun Doktoren acht aus den Zöglingen seiner Stiftung wählte, um zu wissen, wie er über die in Verfall gerathene Gelehrsamkeit und über die geltenden Berühmtheiten jener Zeit urtheilte; ein Urtheil, das dem entsprach, welches die Nachwelt darüber gefällt zu haben scheint, indem sie die einen wie die andern in Vergessenheit hat gerathen lassen. Aus den Anordnungen, die er über den Gebrauch und die Verwaltung der Bibliothek stiftete, ersieht man den Zweck einer dauernden Nützlichkeit, welcher nicht nur an und für sich schön ist, sondern auch in vielen Theilen weiser und gebildeter als die allgemeinen Vorstellungen und Gewohnheiten jener Zeit waren. Er schrieb dem Bibliothekar vor, mit den gelehrtesten Männern Europas einen Briefwechsel zu unterhalten, um von ihnen Nachrichten über den Stand der Wissenschaften und Anzeige über die besten Bücher zu erhalten, die in jedem Fache herauskämen, um sie anzuschaffen; er schrieb ihm vor, den Studirenden diejenigen Werke zu bezeichnen, die für ihre Zwecke brauchbar sein könnten; er befahl, daß Allen, Einheimischen sowohl wie Ausländern, die Gelegenheit und die Zeit gegeben werden solle, dieselben nach ihrem Bedürfniß zu benutzen.
Ein solcher Zweck bei der Stiftung einer Bibliothek muß heutzutage einem Jeden ganz natürlich scheinen; damals war es nicht so. Und in einer Geschichte der ambrosianischen Bibliothek, die – mit der gebräuchlichen zierlichen Schreibweise der damaligen Zeit – ein Pierpaolo Bosca, der nach dem Tode Federigo's daselbst Bibliothekar war, geschrieben hat, wird ausdrücklich als eine Merkwürdigkeit angeführt, daß in dieser Büchersammlung, die ein Privatmann fast ganz aus seinen Mitteln gestiftet habe, die Bücher zur Ansicht des Publikums da wären, daß sie einem Jeden, der darnach verlange, gegeben würden, sowie er auch einen Platz zum Sitzen, Papier, Federn und Dintenfaß erhielte, um die nothwendigen Bemerkungen zu machen; in jeder andern vortrefflichen Bibliothek Italiens wären die Bücher nicht nur nicht sichtbar, sondern in großen Schränken verschlossen, wo sie nur herausgeholt würden, wenn es der Höflichkeit der Bibliothekare beliebte, sie auf einen Augenblick zu zeigen; von der Bequemlichkeit zum Studiren für die Besucher habe man nicht einmal die Vorstellung. Derartige[13] Bibliotheken zu bereichern, hieß so viel als die Bücher der öffentlichen Benutzung entziehen und war gleichsam ein Anbau, wie er schon öfters da war und noch immer vorkommt, der ein Feld unfruchtbar mache.
Man frage nicht, welche Wirkungen diese Stiftung Borromeo's auf die allgemeine Bildung ausgeübt habe; es würde leicht durch ein Paar Redensarten bewiesen sein, je nachdem man den Beweis führt, daß sie bewundernswürdig oder nichtig waren; bis zu einem gewissen Grade nachzuforschen, welche Wirkungen sie wirklich hervorgebracht, würde eine sehr schwere Sache sein, die völlig nutzlos und nicht an der Zeit wäre. Man bedenke jedoch, was für ein großmüthiger, einsichtsvoller, wohlwollender, beharrlicher Freund menschlicher Vervollkommnung derjenige sein mußte, der eine solche Sache wollte, sie in jener Weise wollte und sie erreichte, mitten in jener Unwissenheit, in jener Unthätigkeit, bei jener allgemeinen Abneigung für alle ernsten Bestrebungen, bei alle den Redensarten »was nutzt es? war denn an nichts anderes zu denken? eine schöne Erfindung! das fehlte uns noch!« und ähnlichen, von denen sicherlich mehr gefallen sind, als von ihm zu diesem Unternehmen Scudi ausgegeben wurden, die hundertundfünftausend betrugen, den größten Theil seines Vermögens. Um einen solchen Mann außerordentlich wohlthätig und freigebig zu nennen, braucht man nicht erst zu erfahren, ob er noch sonst viel zur unmittelbaren Unterstützung Hülfsbedürftiger ausgegeben habe; und es giebt vielleicht Viele, die meinen, daß der Aufwand jener Art, und ich bin nahe daran zu sagen, aller Aufwand, das beste und nützlichste Almosen ist. Nach Federigo's Meinung aber war das eigentlich sogenannte Almosen eine Hauptpflicht und hier, wie im Uebrigen, stimmten seine Handlungen mit seiner Meinung überein. Sein Leben war ein fortwährendes Verschenken an Hülfsbedürftige, und bei Gelegenheit jener Theuerung, von der wir schon in unserer Geschichte gesprochen haben, werden wir in der Folge über einige Züge berichten, aus denen man ersehen wird, mit welcher Weisheit und edlen Weise er auch diese Freigebigkeit auszuüben verstand. Bon den vielen einzelnen Beispielen, die seine Biographen[14] von dieser seiner Tugend aufgezeichnet haben, wollen wir hier nur eines anführen. Als er erfuhr, daß ein Edelmann List und Zwang anwandte, um eine seiner Töchter zur Nonne zu machen, welche vielmehr wünschte sich zu verheirathen, ließ er den Vater kommen und brachte von ihm heraus, daß der wahre Beweggrund zu dieser Bedrängniß der sei, daß er nicht viertausend Scudi besitze, die, wie er meinte, nothwendig wären, um seine Tochter auf anständige Art zu verheirathen. Federigo steuerte sie mit viertausend Scudi aus. Vielleicht wird Manchem dies eine übertriebene, eine nicht genug erwogene Freigebigkeit scheinen, die sich den thörigten Launen eines Hochmüthigen nur allzu gefällig zeigte, und daß die viertausend Scudi auf diese oder jene Art hätten besser verwendet werden können. Dagegen haben wir nichts einzuwenden, als daß es zu wünschen wäre, man möchte recht oft Uebertreibungen einer von vorherrschenden Meinungen so freien – jede Zeit hat die ihrigen – von der allgemeinen Richtung so unabhängigen Tugend wie diese sehen, welche in diesem Falle einen Mann bewog, viertausend Scudi zu geben, damit ein junges Mädchen nicht gezwungen würde, Nonne zu werden.
Die unerschöpfliche Menschenliebe dieses Mannes that sich nicht minder im Geben, wie in seiner ganzen Stellung kund. Leicht zugänglich für Jeden, glaubte er besonders Denen, die man Leute gemeinen Standes nennt, ein freundliches Gesicht, ein herablassendes Benehmen schuldig zu sein; um so mehr, je weniger sie dies in der Welt antrafen. Und auch hierüber hatte er mit den vornehmen Herren des »ne quid nimis« zu kämpfen, die gern gewünscht hätten, er möchte in diesen Dingen nicht zu viel thun, d.h. nicht mehr wie sie. Ein Mal, als Federigo beim Besuche einer wilden Gebirgsgegend einige arme Kinder belehrte und sie während des Fragens und Lehrens freundlich liebkoste, warnte ihn Einer von diesen, sich nicht so unvorsichtig mit diesen Kindern abzugeben, weil sie so schmutzig und ekelhaft wären, als ob der gute Mann voraussetzte, Federigo hätte nicht Sinn genug gehabt, um so etwas zu bemerken, oder nicht Scharfsinn genug, um diesen so klugen Rath sich selber geben zu können. Es ist unter gewissen Zeitumständen und Verhältnissen das Unglück der mit gewissen[15] Würden bekleideten Männer, daß, während sich selten Jemand findet, der ihnen ihre Schwächen vorhält, es doch niemals an Leuten fehlt, die dreist genug sind, sie ihrer guten Werke wegen zu tadeln. Aber der gute Bischof antwortete nicht ohne einen gewissen Unwillen: »Es sind meine Seelen und vielleicht werden sie mein Antlitz niemals wiedersehen, und Ihr wollt nicht, daß ich sie umarme?«
Sehr selten jedoch stieg der Unwille in ihm auf, und er wurde wegen seines sanften Wesens und seiner unerschütterlichen Ruhe bewundert, die man einem außerordentlich glücklichen Temperament hätte zuschreiben mögen, die aber die Wirkung einer anhaltenden Zucht über ein lebhaftes, leicht erregbares Gemüth waren. Wenn er sich zuweilen streng, sogar rauh zeigte, so war es mit den Pfarrern, seinen Untergebenen, welche er des Geizes, der Nachlässigkeit oder anderer Vergehungen, die dem Geiste ihres heiligen Amtes widersprachen, für schuldig erkannte. Für Alles, was seinen Vortheil oder seinen zeitlichen Ruhm berühren konnte, äußerte er niemals weder ein Zeichen von Freude, noch von Verdruß, noch von Eifer, noch von Unruhe; bewundernswürdig, wenn diese Triebe nicht in seiner Seele erwachten und noch bewundernswürdiger, wenn sie darin erwachten. Er trug aus den vielen Conclave's, denen er beiwohnte, den Ruf davon, niemals nach der Stelle getrachtet zu haben, die dem Ehrgeize so wünschenswerth und der Frömmigkeit so schrecklich ist, und als einmal ein Mitbruder, der sehr viel galt, ihm seine Stimme antrug und die seiner Partei – garstiges Wort, aber man pflegte sich so auszudrücken – wies Federigo einen solchen Vorschlag auf eine Art zurück, daß jener den Gedanken aufgab und sich anderswohin wandte. Dieselbe Bescheidenheit, diese Abneigung gegen alle Herrschsucht, traten ebenso bei den gewöhnlichsten Gelegenheiten des Lebens hervor. Bedachtsam und unermüdlich im Vorbereiten und Anordnen, wo er meinte, daß dies seine Pflicht wäre, hütete er sich stets, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen; er sträubte sich sogar aus allen Kräften, wenn er darum ersucht wurde, eine Klugheit und Zurückhaltung, die, wie Jeder weiß, bei den Männern, die für das Gute eifern, wie Federigo, nicht gewöhnlich sind.[16]
Wenn wir uns dem Vergnügen hingeben wollten, die hervorstechenden Züge seines Charakters zu sammeln, so würde sich daraus sicherlich ein sonderbares Gemisch von einander scheinbar entgegengesetzten Verdiensten ergeben, die sich schwer vereinigen lassen. Indessen können wir nicht unterlassen, eine andere Eigenthümlichkeit dieses schönen Lebens anzuführen: so reich es auch durch Thätigkeit, durch Staats-und Amtsgeschäfte, mit Unterweisungen, mit Audienzen, mit Kirchensprengelbesuchen, mit Reisen und Widerwärtigkeiten ausgefüllt war, so blieb doch noch für das Studium so viel Zeit übrig, als für einen Gelehrten von Fach hingereicht hätte. Und in der That hatte Federigo bei so vielen und verschiedenen Vorzügen bei seinen Zeitgenossen auch den Ruf eines gelehrten Mannes.
Wir dürfen indessen auch nicht verhehlen, daß er mit fester Ueberzeugung einigen Meinungen anhing und sie mit großer Beharrlichkeit im Leben aufrecht erhielt, die heutzutage einem Jeden eher seltsam, als ungegründet vorkommen dürften, ich meine, auch denen, die den besten Willen hätten, sie gut zu heißen. Wer ihn darin vertheidigen wollte, der fände dazu die ebenso gangbare als gültige Entschuldigung, daß es vielmehr die Irrthümer seiner Zeit, als seine eigenen waren, eine Entschuldigung, die für gewisse Dinge, wenn man sie aus der genauen Prüfung der Thatsachen herleitet, einige Gültigkeit haben kann, die aber so nackt und blindlings angewandt, wie man es gewöhnlich thut, eigentlich gar nichts bedeutet. Da wir aber verwickelte Fragen nicht mit einfältigen Formeln lösen wollen, unterlassen wir es sie zu erklären, indem wir uns damit begnügen, dieselben so im Fluge angedeutet zu haben; wir behaupten nicht, daß ein im Ganzen so bewundernswürdiger Mann es auch durchweg im Einzelnen gewesen sei, damit es nicht scheine, als hätten wir eine Leichenrede niederschreiben wollen.
Wir thun unsern Lesern gewiß kein Unrecht, wenn wir voraussetzen, daß Jemand von ihnen frage, ob dieser Mann von so vielem Geiste und so vielem Wissen nicht irgend ein Denkmal hinterlassen habe? Ob er welche hinterlassen hat! Gegen hundert hat er hinterlassen, theils große und kleine, theils lateinische und[17] italienische, theils gedruckte, theils handschriftliche Werke, die in der von ihm gegründeten Bibliothek aufbewahrt werden; moralische Abhandlungen, Gebete, geschichtliche Abhandlungen über kirchliche und weltliche Alterthümer, über Literatur, Kunst und Anderes.
Und wie geht es zu, fragt derselbe Leser, daß so viele Werke vergessen oder wenigstens so wenig gekannt sind, so wenig aufgesucht werden? Wie ist es möglich, daß bei so vielem Geiste, bei so vielem Fleiße, bei solcher Menschen- und Sachkenntniß, bei solchem Nachdenken, bei so vieler Leidenschaft für das Gute und Schöne, bei solcher Reinheit der Seele, bei so vielen anderen derartigen Eigenschaften, die einen großen Schriftsteller machen, daß dieser in hundert Werken auch nicht ein einziges hinterlassen hat, welches auch bei dem, der es nicht genau prüft, für vortrefflich gilt, und das, dem Titel nach gekannt ist auch von dem, der es nicht liest? Wie kommt es, daß alle zusammen nicht hinreichend waren, wenigstens durch die Zahl seinem Namen bei uns Nachkommen einen literarischen Ruf zu verschaffen?
Die Frage ist ohne Zweifel vernünftig und der zu erörternde Punkt sehr anziehend, denn die Ursachen dieser auffälligen Erscheinung liegen in vielen allgemeinen Umständen, und aufgefunden, würden sie zu der Erklärung anderer ähnlicher Erscheinungen führen. Aber es würden ihrer viele und weitschweifige sein und dann, wenn sie euch nun nicht anstünden?
Daher wird es wohl besser sein, daß wir den Faden unserer Geschichte wieder aufnehmen, und anstatt noch länger über diesen Mann zu plaudern, ihn unter der Leitung unseres Autors handelnd auftreten sehen.[18]
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Die Verlobten
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