[173] Nach kurzer Zeit kam er wieder herunter und schritt durch die Hausflur nach dem Ausgang. Er hatte den Anzug gewechselt und das von Sturm und Regen zerzauste, volle Haar geglättet – er sah stattlich, fast feierlich aus.
»Meiner Treu, wirklich beinahe wie ein Hochzeiter!« rief Frau Griebel von der Küche her. »Aber der Garten trieft noch, und in der nächsten Minute wird das schöne, flotte Röckchen da gerade so windelnaß sein, wie vorhin Ihr Reiserock, Herr Markus ... Und da soll ich wohl nun auch mit meinem Eßzeug durch alle die Pfützen und Tümpel nach dem Gartenhäuschen schwimmen?«
Er sagte ihr, daß er um acht Uhr droben in seinem Zimmer zu essen wünsche, bis dahin aber im Pavillon durchaus nicht gestört sein wolle – durch niemand, auch durch die »fürsorglichste aller Pflegemütter« nicht. Damit verließ er eiligst das Haus, als gelte es, eine Versäumnis auszugleichen.
Im Pavillonstübchen schlug ihm noch die ganze eingeschlossene Nachmittagsschwüle entgegen. Er schüttelte mit ernstem Lächeln den Kopf, als er die Altanthür zurücklehnte, um die erfrischte Luft einströmen zu lassen ... Vor kaum zwei Stunden war er da hinabgestiegen – nur bis an die Gehölzecke und dann wieder zurück hatte er gehen wollen, keinen Schritt weiter! ... Was für ein erbärmliches Ding war doch der Menschenwille dem Verhängnis gegenüber, wenn es einer Entwickelung zuschreitet! Nun ja, es hatte immerhin Not und Mühe genug mit ihm gehabt, bis er begriffen! Es hatte ihn gleichsam packen und vor sich her stoßen müssen, es hatte ihn in den Wald gejagt, wo sich das Rätsel in lieblichster Weise lösen sollte. Vor einer dunkeln Thür hatte er gestanden und sich störrisch darauf kapriziert, sie mit dem Kopfe einzustoßen; sein bißchen Phantasie hatte sich sogar bis unter die Zigeuner verirrt, aber über das greifbar Naheliegende war sein[173] blöder Blick ahnungslos hinweggestreift. War das übrigens nicht selbstverständlich bei seinem schlimmen Vorurteil gegen das Gouvernantentum? Eine Gouvernante, die in der That das raffinierteste Luxusleben mit dem Arbeitsjoch der Magd freiwillig vertauschen sollte! – Selbst in diesem Augenblick noch schüttelte er halb ungläubig den Kopf. – Aber er nicht allein, auch alle anderen hatten sich täuschen lassen – für sämtliche Bewohner des Hirschwinkels war die auf dem Feld Hantierende zweifellos Amtmanns neue Magd gewesen; sie alle hatten seinen Wahn veranlaßt, und der einzige, der den wahren Sachverhalt gewußt, der Amtmann, er war erst recht beflissen gewesen, den Irrtum zu bestärken – er hatte die aufopferungsvolle Nichte im Arbeitskittel einfach verleugnet, der alte Komödiant, der!
Nun hatte sich alles gewandelt! Die dräuende Gewitterwand am Himmel hatte sich in eitel Segen und Wohlthaten aufgelöst, und die dunkle Thür war weit, weit aufgethan; er aber ging wieder, wie vor zwei Stunden, in unbeschreiblicher Spannung auf und ab ... So beklemmend still, wie vor dem Gewitter, war es draußen nicht mehr. Alles, was Leben und Odem hatte, regte sich mit neugestärkter Kraft, und die reine, gekühlte Luft trug jeden Laut scharf herüber. Im Vogelnest unter dem Pavillondache schrie die gelbschnäbelige Jugend ungebärdig nach den emsig hin und her fliegenden Alten, vor dem Fenster tanzte eine Mückenwolke, und die weißen Schmetterlinge waren auch wieder da und gaukelten wie Schneeflocken über dem Feld.
Dort um die Gehölzecke konnte es ja auch jeden Augenblick weiß dahergeflattert kommen – es sollte und mußte sogar, wenn es ihm nicht gehen sollte, wie einem, der freventlich einen günstigen Moment hat vorübergehen lassen, um alles auf eine Glückskarte zu setzen ... Wenn er sich nun in seinen Voraussetzungen betrogen hatte? Wenn sie sein Lebewohl im Grafenholz ernst und stolz als das letzte ansah und seinen Lebensweg nie wieder kreuzte? – Das Blut schoß ihm stürmisch nach dem Kopfe und mit einem Satze stand er draußen auf dem Altan – ach nein, nicht eine einzige Stufe brauchte er hinabzusteigen.
Er schützte seine Augen mit der bebenden Hand gegen die eben hervorbrechende rotgoldene Abendsonne und sah angestrengt nach dem fernen Unterholz – hinter dem Gegitter der Nadelzweige regte es sich und kam stetig vorwärts, und es waren nicht wieder die blauen, vom Basthütchen wehenden Bänder, die er[174] heute nachmittag im heftigen Unmut verwünscht hatte, nein, weiß und plump und unschön, wie nur ein grobes, einen Menschenkopf verhüllendes Tuch aussehen kann, hob es sich über die letzten zwerghaften Fichten! – Ein wilder, kaum zu unterdrückender Jubelschrei drängte sich ihm auf die Lippen, und das Herz hämmerte zum Zerspringen in der Brust.
Er trat schleunigst in das Pavillonstübchen zurück, und sie bog drüben um die Ecke. Die weiten, weißen Hemdärmel flogen ein wenig auf im Zugwind, der dort vorüberstrich, und es war, als fasse er auch die schlanke Gestalt an und mache ihren Gang unsicher. Sie war in ihrem schäbigen Arbeitsrock, die breite, blaue Leinenschürze stand in steifgestärkten Falten um die Taille, und die Linien der Büste verschwanden unter dem unförmlichen, dickfaltigen, auf dem Rücken geknüpften Busentuch. Das »Scheuleder« war aber noch nie so tief ins Gesicht gezogen gewesen wie heute.
So kam sie daher, ängstlich, wie verscheucht, und einen Augenblick schien es, als vergehe ihr aller Mut bei Erblicken des Pavillons mit seiner offenen Thür, und die Neigung, eiligst den Rückzug anzutreten, gewinne die Oberhand.
Das war ein kritischer Moment, der dem Mann im Häuschen auf der Mauer den Herzschlag stocken machte – aber er ging vorüber; »die Samariterbarmherzigkeit« siegte und trieb das Mädchen Schritt um Schritt weiter.
Er mußte an den Morgen denken, wo sie so unbefangen desselben Weges gekommen war. Da hatte sich die einsam daherwandelnde Erscheinung aus der Morgensonnenbeleuchtung wie aus goldigem Grunde abgehoben – jetzt troff das Abendlicht[175] wie dunkelglühender Purpur auf die regengetränkten Fluren nieder – recht so! In Gluten mußte es untergehen, das Sehnen und Bangen, das Ringen und Kämpfen, das mit jenem Morgen angefangen! Damals hatten sein Uebermut, sein ungezähmtes Freiheitsgefühl mit dem Mädchenstolz und Trotz auf dem Kriegsfuß gestanden, und heute war er der Besiegte, aber auch heute – lief ihm das scheue Wild ins Garn!
Tief in die Diwanecke gedrückt, regte er sich nicht und hielt unbewußt den Atem an. Ihm war, als hänge in diesem Moment sein ganzes Lebensglück an einem dünnen Faden – ein Vogel, der plötzlich aus dem Dickicht seitwärts schwirrte, eine über den Weg huschende Feldmaus, ein Geräusch vom Gutshause her konnten die geängstigte Mädchenseele emporschrecken machen und das Wild auf Nimmerwiederkehr verscheuchen ... Je näher sie kam, desto heftiger schlugen seine Pulse. Mit fast flehendem Ausdruck sah sie nach der offenen Thür herauf und hoffte jedenfalls auf irgend eine entgegenkommende Hilfe – ah, um keinen Preis streckte er ihr auch nur die Fingerspitzen entgegen! Er wollte die ganze Süßigkeit der Situation auskosten – sie mußte von selbst, aus eigenem innerstem Antrieb bis dicht unter seine Augen kommen!
Nun sah er sie nicht mehr – sie ging unter dem Häuschen hin. Er hörte, wie sich die rauhen Kornhalme drunten im Vorüberstreifen an den Falten ihres wollenen Kleides rieben, ein etwas schwerfälliger, zögernder Tritt erschütterte leise das schwanke Treppchen – dann stand sie plötzlich oben und lehnte sich wie atemlos und erschöpft an das Altangeländer.
Er sprang auf und trat zu ihr.
»Ich halte Wort,« murmelte sie, fast in sich hinein. Sie blickte unter einem nervösen Zucken der Lider seitwärts auf das Kornfeld hinab, und ihre Hand ließ das Altangeländer nicht los.
»Ich wußte es,« sagte er.
Jetzt sah sie mit einem schmerzlich zürnenden Blick zu ihm auf. »Ja, Sie waren Ihrer Sache gewiß, nach den Erfahrungen, die Sie mit dem Gouvernantentum gemacht haben,« entgegnete sie bitter, und zog das weiße Tuch wie zum Schutz gegen ihn und die ganze Außenwelt noch tiefer um das Gesicht.
Ihr Ton und diese Bewegung belehrten ihn, daß er noch weit vom Ziele sei.
»Ich wußte, daß mein lieber Heilgehilfe es nicht über das[176] Herz bringt, einen Mitmenschen hilflos leiden zu lassen,« sagte er zurückhaltend und stellte sich seitwärts hinter die Schwelle des Stübchens, um die Angekommene eintreten zu lassen. Sie ging auch sofort an ihm vorüber nach dem Tische, wo sie das Verbandzeug aus ihrem Körbchen nahm.
Er vermied es, sie anzusehen, während er neben sie trat – nur die größte Ruhe und Beherrschung seinerseits konnte ihr die Fassung zurückgeben, nach der sie sichtlich rang. Er sah, wie jede Fiber an ihr bebte, wie ihre Hände sich erfolglos abmühten, die auseinanderfallenden Verbandutensilien zu ordnen. »Wie ungeschickt!« murmelte sie und fuhr mit der Rechten nach der Stirn. »Ich weiß nicht – die Luft hier beklemmt mich! – was für ein jammervolles Geschöpf bin ich doch!«
Sie löste mit fiebernder Hast die Tuchzipfel unter dem Kinn und schob die Hülle nach dem Nacken zu rück, um freier aufatmen zu können, und nun griff sie, ohne aufzusehen, nach seiner verbundenen Hand.
»Die Qual wird bald ein Ende haben,« sagte er in Tönen, die trösten und beruhigen sollten; sie erstickten aber halb in seiner eigenen inneren Bewegung.
Sie schwieg und begann die Leinenbinde abzuwickeln. »Nun, das wenigstens ist mir erspart geblieben – Sie haben sich nicht aufs neue verletzt!« sagte sie gleich darauf und hob die Stirn. »Die Wunde heilt sehr gut – Sie werden kaum eine sichtbare Narbe behalten.«
»Wie schade! Ich würde mich zeitlebens über das Erinnerungszeichen gefreut haben, wie der Student über eine kräftige Quart in seinem Gesicht ... Und damit soll wohl nun auch gesagt sein, daß die chirurgische Behandlung nicht mehr nötig ist?«
»Die meine wenigstens nicht,« versetzte sie, während sie einen frischen Leinenstreifen mit flinken Händen aufrollte. »Was noch geschehen muß, das kann Frau Griebel ganz gut besorgen.«
»Ah, Sie sind sehr gütig! Nun denn, ich muß mich bescheiden, wenn ich auch nicht gerade gewillt bin, die brave Griebel zu meinem Heilgehilfen zu ernennen ... Vielleicht darf ich mir auf dem Vorwerk weitere Verhaltungsmaßregeln holen –«
»Das würde ein vergeblicher Weg sein,« fiel sie ein, ohne von ihrer Beschäftigung aufzusehen. Dann trat sie von ihm weg – ihre Aufgabe war erfüllt.[177]
In fliegender Eile raffte sie ihr Verbandzeug zusammen und schob es in ihr Körbchen, und ehe er sich dessen versah, war sie an ihm vorüber zur Thür hinausgehuscht, wie ein befreiter Vogel, der das Weite sucht. Erst draußen auf dem Altan, den Fuß bereits auf die zweite Stufe setzend, wandte sie sich noch einmal zurück. »Ist es nun genug der Selbstverleugnung?« fragte sie, und verhaltener Jammer, mit bitterem Trotz gemischt, brach aus diesen Tönen. »Trüge jedes Samariterwerk einen solch schmerzenden Stachel der Demütigung in sich, dann –«
»Warum quälen Sie sich und mich mit dieser kleinen Bosheit, die Ihnen nicht einmal aus dem Herzen kommt?« unterbrach er sie – er hatte nach seinem Hut gegriffen und stand bereits neben ihr. »Nun ja, ich habe auf meinem Recht bestanden – wer will mir das verargen? Und Sie erfüllten einfach Ihr gegebenes Wort – ist das so schlimm? – Dafür begleite ich Sie jetzt ritterlich – nein, nein, protestieren Sie nur nicht! Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, daß der Hirschwinkel von Zigeunern wimmelt –«
»Ach so – die könnten mich ja mitnehmen und auf dem Seile tanzen lassen!« wandte sie sich mit einem halben Lächeln nach ihm um, der hinter ihr das Treppchen herabstieg.
»Wahrhaftig, wenn auch nicht auf dem Seile, so doch unter dem Leinendach eines Wagens, zwischen alten Hexengesichtern und wilder, junger Zigeunerbrut habe ich Sie heute schon gesehen! Doch das erzähle ich Ihnen später einmal, das heißt« – verbesserte er sich schleunigst – »das heißt, wenn einmal die Gnadensonne in der Mansarde über mich armen Burschen aufgehen sollte! – Dazu ist bis jetzt freilich noch wenig Aussicht vorhanden, und da ich weiß, daß in vielleicht kaum einer halben Stunde, mit dem weißen Kopftuch und dem Arbeitskostüm da, auch Amtmanns Magd für immer verschwinden wird, so werde ich diesen kurzen Moment ausnutzen, soviel ich kann.«
Sie streifte ihn mit einem schnellen Seitenblick – er machte ein sehr ernstes Gesicht, während sich seine Schritte verlangsamten. Die beiden gingen bereits neben dem Gehölz hin, etwas mehr inmitten des Weges; denn noch glitzerten die langen Nadelbärte der Fichten im Wassergerinnsel und das vordrängende Dickicht war beperlt mit Millionen rollender Tropfen. All dies Gefunkel aber und die regenbestäubten Aehrenspitzen des Kornfeldes, jede kleine spiegelnde Lache am Wege fingen die rote Glut des Abendlichtes[178] auf – versöhnend, nach dem Gewitteraufruhr schienen Himmel und Erde, Sonnenfeuer und Wasser ineinander zu schmelzen.
»Was glauben Sie, was der junge Franz nach seiner Wiederherstellung beginnen wird?« fragte der Gutsherr ohne jede weitere Einleitung. »Nach Kalifornien kehrt er doch keinesfalls zurück?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »›Lieber Steine klopfen an einer thüringer Chaussee!‹ hat er mir in der ersten Stunde des Wiedersehens gesagt.« – Ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. »Sie wissen selbst am besten, in welchem Zustande der ›Goldjunge‹ des alten Mannes auf dem Vorwerk seine Heimat wieder betreten hat. Wie er mir sagte, haben Sie ihn barmherzig vom Wege aufgenommen und die erste Nacht im Gutshause verpflegt ... Scham und Jammer haben ihn freilich dort nicht gelitten – er hat lieber einsam im Walde sterben und vermodern wollen, als fremder Barmherzigkeit anheimzufallen – das begreife ich, das begreife ich nur zu gut!« unterbrach sie sich leidenschaftlich und preßte die Hände auf die Brust. – »Er hat recht gehabt! Ein einsames Sterben ist nicht halb so bitter, als unter dem fortgesetzten Druck demütigender Wohlthaten leben zu müssen!«
Sie verstummte für einige Sekunden. Mit schmerzhaft zusammengezogenen Brauen, die Unterlippe hart zwischen die Zähne geklemmt, starrte sie in den glühenden Himmel hinein, und der Mann an ihrer Seite unterbrach dieses zürnende Schweigen mit keiner Silbe.
»Er hat sich so durch den Wald und weiter geschleppt,« fuhr sie nach einem tiefen, beklommenen Atemholen fort, »bis er mir am Thor des Vorwerkes in die Arme getaumelt ist –«[179]
»Und Sie haben es möglich gemacht, den Erschöpften fortzubringen?«
»Die Angst hat mir die Kraft gegeben – er mußte aus den Augen seiner Eltern! Die alte Frau wäre bei seinem herzbrechenden Anblick gestorben!«
»Es ist ein weiter Weg bis ins Forstwärterhaus –«
»An jenem Morgen schien er mir endlos. Aber dann fand ich auch den kräftigsten Beistand. Der Forstwärter, der treue Mensch, ist Ottos Spiel- und Jugendgefährte gewesen; er weinte und lachte in einem Atem bei dem traurigen Wiedersehen. Wenige Stunden später lag der Heimgekommene bereits im Delirium –«
»Und lärmte in seinen Fieberphantasieen, daß der Wald widerhallte,« ergänzte der Gutsherr mit bedeckter Stimme. »Und die Leute, die das tolle Gelächter draußen hörten, haben gemeint, es seien Zechbrüder in der Eckstube mit den verhüllten Fenstern ... Ja, ich weiß es, und um ein hartes, böses, rachsüchtiges Wort, mit welchem man tief in ein edles Herz hineingeschnitten hat, vergessen zu machen, dazu reicht ein Mannesleben voll anbetender Liebe wohl kaum aus.«
Sie wandte wie erschrocken das Gesicht von ihm weg und es schien fast, als überlege sie, ob sie nicht doch lieber einen Weg für sich durch das triefende Dickicht da seitwärts bahnen solle.
Ihrem Begleiter mochte diese unwillkürliche Fluchtgebärde wohl entgehen, denn er fragte in diesem Augenblick so ruhig, als sei er nicht mit einem einzigen Gedanken von dem Gesprächsthema abgeirrt gewesen: »Welchem Beruf hat der nachherige Goldsucher ursprünglich angehört?«
»Er ist Oekonom,« versetzte sie und wich, nunmehr weitergehend, den Fichtenzweigen aus, die sich tropfenschwer über den Weg hineinreckten. »Früher hat er Aussicht gehabt, einst der Nachfolger seines Vaters auf der Domäne Gelsungen zu werden – damit ist es selbstverständlich längst aus und vorbei. Und jetzt, nachdem er draußen so furchtbar Schiffbruch gelitten hat, sind seine Lebensansprüche auch sehr bescheiden geworden. Einen einfachen Wirkungskreis, der ihm ein sicheres Brot gibt – sei es auch bei härtester Arbeit im abgelegensten Erdenwinkel – und das Zusammenleben mit seiner alten Mutter, weiter gehen seine sehnsüchtigen Wünsche nicht.«
»Dann könnte er ja im Hirschwinkel bleiben!«
Sie blieb abermals stehen und sah ihn mit freudigem Ausdruck an. »Würden Sie ihm das Vorwerk in Pacht geben?«[180]
Er blickte zur Seite und zuckte die Achseln. »Darüber steht mir die Verfügung nicht mehr zu.«
»›Nicht mehr zu‹?« wiederholte sie die letzten Worte tonlos und mechanisch, in atemloser Bestürzung – sie war ganz blaß geworden. »Haben Sie den Hirschwinkel verkauft?«
»Was denken Sie? Ich sollte meine Perle verkaufen, die mir Glückspilz unverdientermaßen in den Schoß gefallen ist? ... Nein, eher gäbe ich das Etablissement Markus unter den Hammer! ... Die Sache ist die, daß das Vorwerk schon seit länger als einem Jahre nicht mehr zum Gut gehört.«
»Und Sie hätten wirklich kein Verfügungsrecht mehr darüber? Und die unglücklichen alten Leute sollen abermals um das Dach über ihrem Haupte kämpfen und sorgen müssen?« rief sie in halber Verzweiflung und ließ wie niedergeschmettert den Kopf auf die Brust sinken. »Wie grausam! Gerade jetzt diese Enthüllung, wo Sie der armen Kranken den Riß zum Neubau auf das Bett gelegt haben! ... Durften Sie das ohne Vorwissen des jetzigen Eigentümers?«
»Ich habe die Genehmigung der Besitzerin vorausgesetzt.«
»›Der Besitzerin‹? – Einer Dame gehört das Vorwerk?« Sie sah erstaunt, aber auch ermutigter auf. »Und Sie sagten vorhin selbst, daß Otto Franz im Hirschwinkel bleiben könne – da wird die neue Besitzerin jedenfalls auch verpachten?« –
Er zog die Schultern empor und sah ihr lächelnd in das angstvoll gespannte Gesicht. »Das weiß ich nicht – da müssen Sie Fräulein Agnes Franz fragen.«
Sie stand wie versteinert und ließ es willenlos, wie geistesabwesend geschehen, daß er ihre beiden Hände ergriff und einen Moment festhielt. Er erzählte ihr, wie er durch Zufall den letzten Willen seiner Tante gefunden habe, und zog schließlich das Notizbuch der verstorbenen Frau Oberforstmeisterin aus der Brusttasche, um den Beweis zu erbringen.
Thränen der Rührung flossen über ihr Gesicht beim Ueberfliegen der Schriftzüge, aber sie nahm das dargebotene Buch nicht in die Hand, sie schob es vielmehr sanft von sich. »Das ist ja kein rechtskräftiges Testament, mein Herr!« sagte sie, ihre tiefe Bewegung niederkämpfend, fest und entschieden. »Niemand in der ganzen Welt würde darauf hin der in Aussicht genommenen Erbin auch nur den Schein eines Anspruchs zugestehen.«
»›Niemand‹?« wiederholte er. »Ei, was hat Ihnen denn die arme Welt gethan, daß Sie meinen, sie sei voll Spitzbuben?[181] ... Möglich, daß es Leute genug gibt, denen der letzte Wille eines Ihrigen nichts gilt, wenn nicht so und so viele Tintenkleckse von fremder Hand drunter stehen – meinetwegen mögen sie sich dabei sogar vollkommen auf dem sogenannten Rechtsboden befinden – aber so wie ich denke, ist das Anrufen des Gesetzes in einem solchen Falle eine absolute Veruntreuung. Nein, nein, schütteln Sie nur nicht den Kopf über mich, als käme ich aus irgend einem verklungenen, sagenhaften Lande mit meinen Rechtsbegriffen! Mögen sie immerhin ein wenig schwerfällig sein, wie das ganze Rüstzeug meiner geistigen Beschaffenheit – Sie haben ja selbst erfahren, wie ungelenk ich im Auffassen der Menschen und Dinge bin, wie ich in lächerlicher Vertrauensseligkeit, brav und bieder das Seltsamste wochenlang als bare Münze genommen habe – ich sage, den obersten, unfehlbaren Richter, das Gewissen, haben sie doch für sich.«
Sie war bei seiner Anspielung auf die Rolle des Düpierten, in der sie ihn wider Willen hatte belassen müssen, tief errötend und raschen Schrittes weiter gegangen, und er war an ihrer Seite geblieben. Die Gehölzhecke lag hinter ihnen, und der Vorwerksgarten kam in Sicht.
»Angenehm war mir der Fund im Arbeitsbeutel meiner seligen Tante allerdings insofern nicht, als er mich mit der fatalen Amtmannsnichte in persönliche Berührung bringen mußte,« fuhr er nach einem sekundenlangen Schweigen fort, und der liebenswürdige Humor, der sein Gesicht so verschönen konnte, brach förmlich leuchtend durch. »Ich betäubte aber sündhafterweise mein Pflichtgefühl und machte mir es selber plausibel, daß ja auch mein Sachwalter die Sache ganz gut abwickeln könne, wenn ich den Hirschwinkel wieder im Rücken haben würde ... Nun trat aber plötzlich auch ein Amtmanns sohn in meinen Gesichtskreis, und dadurch wurde die Angelegenheit schwieriger. Ich sah mich gezwungen, die Verhältnisse auf dem Vorwerk näher zu erforschen, wenn ich das Richtige thun wollte. Ich mußte mich fragen, weshalb die Testatorin ein Mädchen als Vormünderin und Versorgerin für die beiden Alten einsetzte, während sie die natürlichste Stütze, einen Sohn, hatten.«
»Ich verstehe die liebe, treue alte Freundin vollkommen,« entgegnete das an seiner Seite schreitende Mädchen bewegt. »Otto war stets gutmütig und nachgiebig bis zur Schwachheit. Seinem herrischen Vater gegenüber hatte er weder Mut noch Willen,[182] genau wie seine arme Mutter ... Aber nun, wo ihm das Leben so bittere Lehren gegeben hat, wo er weiß, wie weh der Hunger thut, und daß er nur durch Sparsamkeit, durch Energie der bewußten Verschwendungsmanie gegenüber den Lebensabend seiner Eltern sorglos machen kann, nun –«
»So meinen Sie, ich solle die letztwillige Verfügung in diesem Buche zu seinen Gunsten korrigieren?«
Sie schwieg einen Moment und hob die schönen, schimmernden Augen voll unaussprechlicher Dankbarkeit zu ihm empor. »Nun denn, ja!« – antwortete sie fest – »wenn es nicht ein Unrecht meinerseits ist, Sie in dieser unerhörten Großmut zu bestärken!«
Er lachte und stieß das Gartenthürchen auf, vor welchem sie eben ankamen. »So darf ich Sie also nicht auffordern, nunmehr Ihren eigenen Grund und Boden zu betreten, wie ich vorhatte – Sie haben sich Ihres Rechtes begeben –«
»Mit tausend Freuden!« rief sie eintretend und wandte sich nach ihm zurück. »Ich brauche nichts – und das weiß ich,« – sie faltete die Hände inbrünstig über der Brust – »wohin ich auch gehen mag, hier wird mir die Heimat bleiben, hierher darf ich kommen, wenn ich auch einmal das süße Gefühl des ›Zuhauseseins‹ kosten will!«
»Ich sollte meinen, diese Berechtigung hätten Sie sich schwer genug errungen! – Aber wissen Sie denn nicht, daß der echte, rechte Mann und Hausherr es nicht duldet, wenn sein Weib ein zweites Heim neben dem seinen geltend macht?«
Sie trat von ihm weg mit einem bösen, bittern Ausdruck in ihrem erblaßten Gesicht. »Das sind Verhältnisse, die weit ab von meinem Lebensweg liegen,« entgegnete sie finster. »Mir wird nie ein Mann vorzuschreiben haben, was ich thun oder lassen soll! ... Glauben Sie, ich könnte auch nur einen Bissen Brot von dem Tische eines Mannes essen, der in seinem Innern fortwährend mit dem Verdacht kämpfte, nicht die Liebe, sondern das Verlangen nach einer begehrenswerten äußeren Lebensstellung habe mich in seine Arme getrieben? – Nein, dagegen ist das selbstverdiente Brot der Gouvernante ein süßes, ein hoch ehrenhaftes! Und ich werde es essen, solange mir Leben und Schaffenskraft verbleiben!«
»Agnes!« ... Er hatte ihre beiden Hände ergriffen; er hielt sie, trotz alles Sträubens, fest und zog sie an sich. »Wollen Sie wirklich den übermütigen Burschen so grausam züchtigen, der,[183] von einem Wahn, einem oberflächlichen Vorurteil ausgehend, selbst nicht gewußt hat, was er verübt?« ... Ein schelmisches Lächeln zuckte um seinen Mund. – »Soll ich hier, in diesem verregneten Garten, Ihnen zu Füßen sinken und um Verzeihung bitten? Soll ich das bißchen Geld, um deswillen Sie den bösen, eingebildeten Menschen nicht wollen, in die Spree werfen? – Ich will alles thun! Ich will das verlästerte Gouvernantentum zeitlebens auf den Schild heben und Lanzen für seine Ehre und Respektabilität brechen, wo ich kann! Ich will zu dem Heim für alternde Erzieherinnen bis an mein Ende beisteuern, soviel in meiner Macht steht – alles zur Verbüßung meiner Schuld! – Agnes!« – seine Stimme nahm wieder einen ernsten, innigen Klang an – »Sie wissen wohl gar nicht, daß Sie geben, und nicht ich? Sie sprachen vorhin von der begehrenswerten äußeren Lebensstellung – wer sagt denn, daß ich Ihnen eine solche zu bieten habe? – Mir rollt weder aristokratisches Blut in den Adern, noch habe ich irgend einen öffentlichen oder gar geheimen Kommerzienrattitel mit meiner Person herumzuschleppen. Mein guter, braver Vater ist mit dem Ränzel auf dem Rücken als Handwerksbursch die Welt wohl auf, wohl ab gewandert – ich bin ein Arbeitersohn und habe als junges Blut von der Pike auf dienen, das heißt an Amboß und Schraubstock stehen müssen, so gut, wie alle mir jetzt untergebenen Arbeiter auch. Und heute noch, wenn es gilt, neues zu erproben, könnte es geschehen, daß ich mit berußtem Gesicht in das Zimmer meiner Frau träte – sehen Sie, ich bin besser, weit besser als Sie – mir nimmt niemand die Ueberzeugung, daß sie, die feingebildete Gouvernante, in einem solchen Falle nicht zurückschrecken, sondern weit eher die Spuren des Handwerks ehren würde – habe ich recht, Agnes?«
Sie hatte den Kopf tief auf die Brust gesenkt – kein antwortender Laut kam ihr über die Lippen, aber helle Tropfen fielen von ihren Wimpern.
»Ich sollte eigentlich gar kein Wort mehr verlieren, sondern einfach nehmen, was mein ist,« fuhr er fort. »Fragt etwa der Vogelsteller seinen kleinen Gefangenen um die Erlaubnis, ihn behalten zu dürfen? Und mein waren Sie in dem Augenblick, wo Sie vorhin freiwillig mein Gebiet betraten!« ... Ich sage Ihnen in Ihr liebes, geliebtes Gesicht hinein, nicht die Samariterpflicht, nicht die Gewissenhaftigkeit, die ein gegebenes Wort streng erfüllt, hat Sie Ihren Mädchenstolz, Ihr gekränktes Ehrgefühl[184] überwinden lassen – es war derselbe unwiderstehliche Zug, der mich rettungslos gepackt und förmlich an Ihre Fersen gekettet hat – wir gehören eben zusammen bis in alle Ewigkeit! – Nun, Agnes, böse Unversöhnliche, wollen Sie noch weiter kämpfen?«
»Wie kann ich denn, wenn Sie mir eine Waffe um die andere aus der Hand winden?« murmelte sie und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.
Sie standen nicht weit von der Lindenlaube, und es war so feierlich still im ganzen Garten und unter der grünen Wölbung dort, daß man die immer noch vereinzelt niedersinkenden Wassertropfen auf der Steinplatte des Tisches klingen hörte – und in diese Stille hinein fiel auch nicht ein einziges Wort mehr zwischen den beiden Menschen, die sich innig umschlungen hielten.
Später gingen sie Hand in Hand den Weg entlang, der durch das Himbeergebüsch in den Hof führte. Sie kamen auch an dem Kräuterbeet vorüber, wo das junge Mädchen beim ersten Besuch des Gutsherrn auf dem Vorwerk erschrocken, oder vielmehr »neidisch«, wie er behauptete, die langen Aermel über die entblößten Arme gezogen hatte.
»War es nicht doch ein wenig Franzscher Stolz, der dir in deinem Arbeitskostüm die Begegnung mit Fremden peinvoll machte und dich bewog, die Maske als Magd festzuhalten?« fragte er.
»Nein, gewiß nicht! Im Anfang amüsierte mich der Irrtum, und ich that deshalb nichts, ihn aufzuklären; später aber hielt ich ihn geflissentlich fest im Gefühl tiefen Gekränktseins, in bitterem Trotz und Groll – du solltest die verachtete Gouvernante nie kennen lernen ... Ich hatte übrigens auch Befehl, das Visier nicht zu öffnen. Der Onkel war außer sich bei dem Gedanken, der neue Gutsherr könne in der Arbeiterin auf dem Felde die Nichte des Amtmanns wittern; er nahm mir das Wort ab, auf meiner Hut sein zu wollen, bis – der ›Gutsherr‹ abgereist[185] sein würde. – Er ist darin nun einmal schwach, der alte Mann –«
»Häßlich undankbar, willst du sagen!« zürnte er. »Und die Lehre dafür kann ich ihm nicht ersparen,« setzte er, in sich hinein murmelnd, hinzu. Dabei schritt er über den Hof, während Agnes, von seiner Seite weg, unter den Fenstern des Wohnhauses hinhuschte, um droben im Mansardenstübchen die Kleider zu wechseln.
Der Amtmann stand in der Wohnstube und öffnete in demselben Augenblick ein Fenster, um seine Pfeife auszuklopfen. Er bemerkte das junge Mädchen nicht, wohl aber den schräg herüberkommenden Gutsherrn. »Herr, da sind Sie ja, und heil und ganz, wie ich sehe!« rief er hinaus. »Allons, dann schnell herein! Meine Frau hat sich schwer um Ihr Leben gesorgt!«
»Na, Sannchen, bist du nun zufrieden? – Da siehst du ihn nun selbst, unsern jungen Nachbarn, frisch und gesund, und noch dazu so blitzblank, wie aus dem Ei geschält!« lachte er, als Herr Markus in die Stube trat. »Dachte mir's doch, haben richtig noch ›Numero Sicher‹ erreicht und können sich gratulieren! ... Herr, das war ein Donnerwetter! ... Und unser Mädel kam nicht heim! Konnten wir denn wissen, daß sie derweil im Forstwärterhause gesteckt hatte? Trotzdem kam sie nachher ohne Hut mit triefenden Haaren und zitterte und bebte an allen Gliedern wie Espenlaub. Das ist sonst gar nicht ihre Art, müssen Sie wissen! Sie hat von ihrem Vater her Soldatenblut in den Adern, und an Kourage fehlt's nicht; aber freilich so ein Gewitter im Walde ist kein Spaß –«
»Ich weiß es aus eigener Anschauung – ich war auch im Walde,« sagte Herr Markus, der an das Bett getreten war, um die alte Frau zu begrüßen.
»Was der Tausend – wirklich? Ja, Herr, hat Sie denn der Satan geritten, daß Sie dem Ungewitter so schnurstracks in den Rachen gelaufen sind?«
»Ich habe Ihnen bei meinem Hiersein gesagt, daß ich eine Spur verfolge,« antwortete der Gutsherr gelassen, »und da galt es, darauf los zu gehen und nicht unter sicherem Dache zu warten, bis mir der Regen die Fußstapfen verwaschen hatte. – Sie wissen, daß ich gegangen bin, Ihre entlassene Magd zu suchen.«
Die Hand der alten Frau, die er noch in der seinen hielt, zuckte heftig zusammen. »O, seien Sie ruhig,« sagte er und sah der Kranken liebevoll, mit leuchtenden Augen in das erschrockene Gesicht.[186] »Sie haben keinen Grund, sich zu ängstigen. Es war freilich ein mühevoller Weg für mich, und einen harten Strauß mußte ich auch erst noch ausfechten – aber ich habe das Mädchen gefunden!«
»›Gefunden‹?« wiederholte der Amtmann stotternd mit gläsernem Blick und ließ die Rechte mit dem Pfeifenkopf wie gelähmt sinken. »Herr, wollen Sie uns zum besten haben?«
»Liebster, was für ein Wort!« klagte die Kranke mit bebender Stimme.
»Lassen Sie doch!« beruhigte Herr Markus ernst und lächelnd. »Die ›Komödie der Irrungen‹, in der ich eine Hauptrolle spielen mußte, ist zu Ende, und ich wäre wohl der Letzte, der sie weiter auszuspinnen wünschte ... Es ist, wie ich sagte, ich habe das Mädchen gefunden ... Sie kennen sie und haben sie lieb, und wissen doch vielleicht nicht, wie hervorstechend die Schönheit und der Adel ihrer Erscheinung ist, sonst würden Sie nicht der Meinung gewesen sein, die Magd im Arbeitskittel bleibe unbeachtet ... Ich habe dem seltsamen Wesen nachgespürt, und da ich Thatkraft und Energie im Frauencharakter den vornehmen Gewohnheiten und Ansichten einer Weltdame bei weitem vorziehe, da ich ferner selbst ein Freund ehrlicher Arbeit bin, so hinderte mich nichts, mein Herz zu verlieren.«
Er wandte sich vom Bett der Kranken weg an den Amtmann, der sich an das eine Fenster zurückgezogen hatte und angelegentlich in den Hof hinaussah. »Ich war in der That längst einig mit mir selbst, Ihre Magd zu meiner Frau zu machen, Herr Amtmann! ... Da wurde mir gesagt, sie sei plötzlich entlassen worden, und Sie selbst bestätigten ausdrücklich diese Thatsache ... Nun werden Sie sich nicht mehr wundern, daß ich ›dem Ungewitter schnurstracks in den Rachen gelaufen bin‹, denn es galt, mein Lebensglück einzuholen. Und, wie gesagt, ich erhaschte es noch, freilich nicht als das, was ich geglaubt hatte – die Szene spielte sich ab, wie im Märchen, wo sich im entscheidenden Augenblick der Held oder die Heldin verwandeln – es stellte sich nämlich heraus, daß auf dem Vorwerk die letzte Instanz ist, an die ich mich zu wenden habe, und deshalb bitte ich Sie hiermit pflichtschuldigst um die Hand meiner Agnes!«
»Das Teufelsmädel! So ein kleiner Sackermenter spielt einen völligen Roman hinter dem Rücken ihrer Alten, ohne daß man eine Ahnung hat!« rief der Amtmann, seine grenzenlose Verlegenheit mühsam bekämpfend. »Aber Sie sollen sie haben, Herr[187] Markus – sollen sie haben! Du bist doch auch damit einverstanden, Sannchen?«
»Nur einverstanden, Liebster, Bester?« stammelte die alte Frau tiefbewegt. »Auf den Knieen möchte ich dem lieben Gott danken für das Glück, das er unserem aufopfernden Kind beschert!«
Der Amtmann räusperte sich, öffnete die Stubenthür und rief mit schallender Stimme nach seiner Nichte, und gleich darauf flog sie die Treppe herab und kam herein, bräutlich lieblich im hellen Sommerkleide. Sie glitt am Bett der Kranken auf den Boden nieder und beugte das schöne Haupt unter den zitternden, welken Händen, die sich auf ihren Scheitel legten. »Welche Wandlung, mein Kind!« flüsterte die alte Frau freudeweinend. »Ist's nicht wie die Werbung des edlen Boas um Ruth?«
»Frauchen, was redest du da für närrische Sachen!« fuhr der Amtmann geärgert auf. »Nimm mir's nicht übel, aber der Vergleich zwischen der Braut da und der armen Aehrenleserin in der Bibel paßt doch meiner Seele wie die Faust aufs Auge! – Bah, nur nicht bange machen lassen, Herr Markus – so schlimm steht's nicht um die Moneten! Lassen Sie nur erst meinen Kalifornier wieder da sein!«
Agnes sah verstört, mit hilfeheischendem Blick zu dem Gutsherrn empor, und die Frau sank wie gebrochen in die Kissen zurück, während der Amtmann hinausging, um, wie er sagte, dem glücklichen Ereignis zu Ehren eine Flasche Wein aus seinem Keller zu spendieren.
»Ach, wie das schmerzt!« seufzte die Kranke. »Mit Gold beladen müßte er heimkommen, mein armer Junge, wenn ihn der Vater willkommen heißen soll, – und ich, ich gäbe den letzten Rest meines armseligen Lebens hin, wenn ich ihn nur wiedersehen dürfte, möchte er zurückkehren, wie er wollte! Aber er lebt nicht mehr –«
»Er lebt! Sie werden ihn wiedersehen und vielleicht recht bald! – Ich gebe Ihnen mein Wort darauf!« versicherte Herr Markus, indem er sich liebevoll über sie herabbeugte. »Es wird noch alles gut werden – werfen Sie nur getrost das, was Ihr Herz bedrückt, auf meine Schultern!«
»Gott segne Sie! Gott segne Sie viel tausendmal!« stammelte die überraschte Frau und faltete mit verklärtem Gesicht die gen Himmel gehobenen Hände.[188]
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Amtmanns Magd
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