VII

Falkenauge

[317] Nachdem der Rio Gila die Kette der Nebelberge durchschnitten hat, wendet er sich dem Red River (rothen Flusse) zu, welcher Texas und die Jagdgründe der Comanchen- und Caiguasindianer durchfließend, sich nach einem fast zweihundert Stunden langen Laufe in den Meerbusen von Mexiko ergießt.

Von dem Winkel aus, welchen diese beiden Flüsse bilden, erstreckt sich bis in die Nähe des Präsidio Tubac herüber ein weiter fruchtbarer Savannenstrich, auf welchem wilde Pferde- und Büffelheerden eine reiche Nahrung finden und den daher die Comanchen als ihr bestes Jagdgebiet betrachten.

Beinahe zwei Wochen nach Abgang der Expedition Don Estevans von Tubac herrschte auf demjenigen Theile der Savanne, welcher nahe an der Grenze des Präsidio liegt, ein überaus reges Leben. Eine lange Reihe indianischer Zelte bildete einen Kreisausschnitt, an dessen innerer Seite sich zahlreiche, an Stangen befestigte Riemen hinzogen, die mit flach- und dünngeschnittenen Fleischstücken dicht behangen waren.[317]

Draußen am Horizonte sah man hie und da einzelne Reiter, oder auch ganze Trupps wilder Jäger sich bewegen, während vor den Zelten nur Weiber und Mädchen zu bemerken waren, welche sich mit dem Dörren des Fleisches, dem Abschaben der Häute, dem Stampfen der Maiskörner und andern häuslichen Arbeiten beschäftigten.

Diese Indianerinnen bildeten in ihren malerischen Kostümen und Bewegungen eine passende Staffage zur Scenerie der Savanne, und manche vornehme Dame der Civilisation hätte Ursache gehabt, eines dieser Weiber oder Mädchen um ihre eigenthümliche Schönheit, Anmuth und Frische zu beneiden, die doch der Indianer so wenig achtet, daß die Frau bei ihm die Stelle einer Sklavin einnimmt, welche alle Lasten der Arbeit zu tragen hat, während der Mann außer dem Kriege und der Jagd keine Beschäftigung kennt, die er vornehmen darf, ohne seiner Würde zu schaden.

Das mittelste der Zelte mußte einem Häuptling gehören. Es war höher und weiter als die anderen, und trug auf seiner Spitze einen Strauß von Adlerfedern, welche von dem leichten Winde hin und her bewegt wurden.

Vor demselben saß ein Mädchen und arbeitete an einem Moccassin, welchen sie oben mit einem außerordentlich kunstvollen Posamente von Pferdehaar ausputzte. Der Fuß, für welchen dieser Halbstiefel bestimmt war, mußte klein sein, wenn auch nicht gar so klein und zierlich wie der ihrige, und die offenbare Liebe, mit welcher sie sich ihrer Beschäftigung hingab, ließ vermuthen, daß der spätere Besitzer des Kunstwerkes keine ihr fremde oder gar unangenehme Persönlichkeit sein könne.

Das Mädchen war schön, vielleicht das schönste im ganzen Lagerdorfe, und über ihrer ganzen Erscheinung lag[318] eine Art instinktiven Selbstbewußtseins ausgebreitet, welches bei Indianerinnen nur höchst selten zu bemerken ist. Sie war jedenfalls das Kind des Häuptlings, dem das Zelt gehörte, und die Würde ihres Vaters hatte ihr die reizende Sicherheit ertheilt, die jeder ihrer Bewegungen eigen war.

Jetzt war der Moccassin fertig. Sie stellte ihn neben den andern, welcher bereits vollendet auf ihn geharrt hatte, und erhob sich. Ihr dunkles, großes Auge blickte hinaus in das Weite, und schien etwas bemerkt zu haben, was ihr Interesse erregte. Sie strich sich mit den kleinen, hellbraunen Händchen das reiche, schwarze, weit über die Hüften herabwallende Haar aus der Stirn und beschattete dann das Auge mit der Rechten, um besser sehen zu können.

Ein freudiges Lächeln ging über ihre, nach ihrer Rasse zwar scharf geschnittenen, aber dennoch weichen, vollen Züge. Aber schon nach einer Minute schien es, als ob ein plötzlicher Schreck sie durchzucke. Es war deutlich zu bemerken, daß sie unter ihrem dunklen Teint erblaßte, und beinahe ängstlich hob sich ihr Fuß, um vorwärts zu eilen, dem einzelnen Reiter entgegen, welcher im kurzen Galoppe auf das Lager zugeritten kam.

Er ritt ein Pferd, welches die Bewunderung eines jeden Kenners erregt haben würde, und saß mit einer graziösen Sicherheit auf dem Rücken desselben, als sei er mit ihm aus einem Stücke gegossen. Das büffellederne Jagdgewand, welches er trug, war über und über mit Blut beschmutzt, und von dem linken Arme floß ein Strahl des rothen Lebenssaftes zur Erde nieder.

Auch er hatte das Mädchen erblickt. Sein Auge leuchtete auf, und statt nach einem der äußeren Zelte einzulenken,[319] wie erst seine Absicht gewesen zu sein schien, ließ er sich von seinem Renner in stolzen Lanzaden bis zum Orte tragen, wo sie seiner wartete.

Hier parirte er ihn und stand nach einem gewandten Sprunge in aufrechter Haltung vor ihr.

»Welchen Feind hat Mo-la, die Blume der Comanchen, gesehen, daß ihr Antlitz erbleicht, wie die Savanne im Winter, und ihre Hand zittert, wie der Halm im Morgenwinde?«

»Den Tod,« erwiderte sie.

»Der Tod ist nicht ein Feind des tapfern Kriegers; er reicht ihm nur die Hand, um ihn zum großen Manitou zu führen.«

»Der Tapfere stirbt im Kampfe, aber nicht vom Stoße des Büffels!«

Es glitt ein schneller, finsterer Zug über sein Gesicht.

»Falkenauge stirbt nicht vom Horne des Büffels. Seine Hand ist fest, seine Kugel sicher und sein Messer scharf; der Buffalo erreicht ihn nicht, sondern verendet vor seinen Füßen. Doch die Jäger der Comanchen bekommen das Fieber beim Anblicke der Heerden und sehen nicht, wohin sie ihre Kugeln senden. Sie haben nicht den Büffel getroffen, sondern den Arm ihres Gefährten.«

»Das Leben enteilt mit dem Blute. Falkenauge mag in das Zelt kommen, damit Mo-la ihn verbinde!«

Sie hob die Moccassins vom Boden auf und schritt ihm voran. Er folgte. In dem Verhalten des Mädchens lag eine Gunstbezeugung, deren sich kein Anderer hätte rühmen dürfen. Doch zeigte keine seiner Mienen das Glück, welches er darüber empfand.

Im Innern des Zeltes entblößte er den Arm, in[320] dessen oberen, fleischigen Theil die matte Kugel eingedrungen war, wo sie noch saß. Er zog das Messer aus dem Gürtel und reichte es ihr.

»Mo-la mag das Blei entfernen!«

Eine Indianerin bebt vor dergleichen Arbeiten nicht zurück. Das Mädchen sondirte die Wunde erst durch das Gefühl, indem sie die Finger leise drückend um den Arm legte, und als sie die Lage der Kugel erkannte, versuchte sie, dieselbe mit dem Messer aus dem Fleische zu holen. Dieses Verfahren mußte ihm keinen gewöhnlichen Schmerz bereiten, aber nicht ein Haar seiner Wimper bewegte sich, und er blickte still auf die kleinen Hände, die sich so freundlich und vorsichtig mit ihm beschäftigten.

Nach wenigen Augenblicken hatte sie die Kugel entfernt. Jetzt nahm sie von der Zeltwand ein Bündel getrockneter und zerquetschter Kräuter, und bald war der Verband so gut angelegt, daß die Blutung vollständig aufhörte.

»Falkenauge wird kein Fieber haben, und ehe der Mond wechselt, ist die Wunde geschlossen. Mo-la kennt ihre Pflanzen; sie hat sie selbst geholt zur Stunde, wenn der Thau von den Sternen fällt und Wacondah die Blumen segnet.«

»Weiß Mo-la, welche Blume er am liebsten segnet?«

»Falkenauge wird mir es sagen!«

»Die Blume der Comanchen.«

Jetzt glänzte sein Auge in einem tiefen, milden Lichte, und er bog sich wieder zu ihr, um mit seiner Hand die ihrige zu berühren. Sie schlug die Wimpern nicht nieder, sondern richtete ihren Blick groß und voll in den seinigen.

»Der große Krieger liebt nur den Kampf und die[321] Gefahr, er blickt nicht auf die Blume, die das Gras verdeckt.«

»Er hat sie gesehen und möchte mit ihr sein Wigwam schmücken, um auszuruhen an ihrem Herzen vom Getöse der Schlacht und den Mühen der Jagd. Wird sie unter seinem Zelte mit ihm wohnen wollen?«

»Sie will!«

Er strich ihr mit der Hand, die noch immer von seinem eigenen Blute befleckt war, über das weiche Haar.

»Der ›kluge Fuchs‹ ist der Vater der Blume. Falkenauge wird mit ihm reden!«

»Der ›kluge Fuchs‹ hat Falkenauge lieb; er wird ihm die Blume schenken, wenn er die Skalpe seiner Feinde bringt.«

»Falkenauge wird gehen und so viele Kopfhäute holen, als der Häuptling sehen will. Er weiß den Weg zu den Kriegern der Apachen und wird ihnen mit dem Messer um die Köpfe zeichnen, wie viel Skalps er für Mo-la bezahlt.«

»Der Weg ist weit und viele Sonnen lang. Falkenauge nehme diese Moccassins, damit sein Fuß immer jung und kräftig bleibe in der Verfolgung der Apachen!«

Er nahm die Schuhe, die sie im Stillen für ihn gefertigt hatte.

»Die Blume der Comanchen ist wie die Sonne, welche Licht spendet und wie der Quell, der Labung giebt. Sie wird nicht Sklavin sein in dem Wigwam Falkenauge's, sondern eine Herrin der Hütte und des Zeltes, wie die Frauen der Bleichgesichter! Howgh!«

Er ging. Mit dem letzten Worte hatte er sein Versprechen zum Schwure gemacht, ein Versprechen, welches[322] von einem stolzen Krieger wohl noch keinem indianischen Mädchen gemacht worden war. Er kannte die Sitten der Weißen; er wußte, wie werth diese ihre Frauen halten, und die Liebe zu der schönen Häuptlingstochter ließ den Vorsatz in ihm fest werden, ihr eine Stellung nicht unter, sondern neben sich anzuweisen.

Eine Stunde später kehrten die Comanchen von der Jagd zurück und brachten eine reiche Beute mit. Schon jetzt lagen vor den Hütten ganze Haufen Felle aufgestapelt, und es stand zu erwarten, daß das getrocknete Büffelfleisch dem Stamme einen auf viele Monate hinaus langenden Vorrath bieten werde.

Einer von ihnen ritt auf einem verkehrt gesattelten Pferde, an dessen Schwanze Büchse, Messer, Tomahawk und Lasso hingen. Es war derjenige, welcher durch seinen Fehlschuß Falkenauge verwundet hatte. Er senkte den Kopf tief und verschwand, sobald der Trupp angekommen war, vor Scham über die ihm gewordene Strafe sofort in seinem Zelte.

Jetzt bekamen die Frauen doppelte Arbeit. Das getrocknete Fleisch mußte abgenommen und das frische an die Riemen befestigt werden; die Männer wollten bedient sein; die Feuer wurden angebrannt, und bald konnte man vor den Zelten die Gruppen der Männer sehen, welche rauchend, plaudernd oder still ausruhend auf das Mahl warteten, welches die Frauen zu bereiten hatten.

Der »kluge Fuchs« saß in seinem Zelte und blickte der Tochter zu, welche mit besorgter Emsigkeit um ihn schaltete. Der Bewohner der Prairie ist nicht so jeder häuslichen Freude bar, wie man oft zu meinen pflegt.[323] Auch er hat ein Herz, welches für die Seinen schlägt, wenn auch seine Sitten rauher sind als die unseren.

Mo-la war sein einziges Glück. Auch er hatte Söhne gehabt; sie waren gefallen, der eine im Kampfe gegen die Apachen, der andere, ermordet von den Piraten der Steppe, und nun war ihm sein drittes Kind, die Tochter übrig geblieben. Der Fuchs galt als der klügste und vornehmste Häuptling unter den Comanchen; seine Tochter durfte nur einen Krieger heirathen, der auch ein Häuptling war, klug, weise und verständig im Rathe, tapfer aber und verschlagen im Streite. Da hatte er bemerkt, daß einer seiner letzten Krieger Mo-la liebte und bei ihr dieselbe Zuneigung fand. Er war zornig darüber gewesen und hatte den Jüngling aus seinem Zelte und von seinem Feuer gewiesen.

»Die Rose der Comanchen tritt nur in das Zelt eines Häuptlings, der einen großen Namen hat!«

So hatte damals sein Wort geklungen, und der junge Mann hatte es sich gemerkt.

Eines Tages war er aus dem Lager verschwunden gewesen, niemand wußte wohin. Bald aber drang die Kunde von ihm aus allen Richtungen herbei. Er hatte ganz allein eine jener Abenteuerfahrten unternommen, wie sie von den kühnen Recken des Alterthums und den irrenden Rittern des Mittelalters erzählt werden und noch heute bei den kriegerischen Nomadenstämmen des amerikanischen Festlandes vorkommen. An jedem Lagerfeuer, in jeder Hütte und in jedem Zelte wurde bald von ihm gesprochen; er war ausgezogen, um sich einen Namen zu holen oder unterzugehen, und als er wiederkehrte, bedeckt von Wunden und Skalpen, da brauchte er ihn nicht mitzubringen, denn er war ihm bereits vorangegangen. »Falkenauge« hatten[324] ihn die Apachen genannt; er wurde mit Jubel aufgenommen und bald als der brauchbarste Krieger seines Stammes anerkannt, den man zu den schwierigsten Expeditionen verwandte, die man keinem Andern anvertrauen konnte.

Mo-la war stolz auf ihn, und auch der »kluge Fuchs« widmete ihm im Stillen eine väterliche Zuneigung, die von Woche zu Woche, von einer That des Jünglings zur andern, größer wurde, obgleich er es sich nicht merken ließ.

Die erste Hälfte seiner Aufgabe hatte er erfüllt: er trug einen geachteten Namen. Die zweite Hälfte war schwieriger zu lösen: Häuptling zu werden konnte er nur dann Hoffnung haben, wenn ein Krieg zwischen den Comanchen und Apachen ausbrach, oder es ihm sonst gelang, sich durch eine außerordentliche That auszuzeichnen.

Jetzt stand er vor seinem Zelte und blickte hinaus in die Savanne, an deren westlichem Horizonte der sich immer mehr vergrößernde Sonnenball sich zur Tiefe senkte und die Savanne mit wallenden Gluthen überfluthete.

Da kam die Zeltreihe herab ein Stammesgenosse auf ihn zugeschritten.

»Mein Bruder soll zu dem Häuptling kommen!«

Falkenauge nickte und schritt auf das Zelt des Fuchses zu.

Dieser wies bewillkommnend mit der Hand auf die Pantherhaut, welche zu seiner Seite ausgebreitet lag, und bot ihm die Pfeife, deren Kopf aus dem heiligen, rothen Tone des Mississippithales geformt war.

Falkenauge setzte sich und that einige Züge, worauf er das Kalumet dem Häuptlinge zurückreichte.

»Die Kugel eines Knaben hat Adlerauge getroffen,« begann dieser die Unterredung. »Ist die Wunde von Gefahr für ihn?«[325]

»Die Blume der Comanchen hat das Kraut der Heilung aufgelegt; ihre Hände sind lind und ihre Finger wie die Spitzen der Morgenröthe; die Nacht der Krankheit und des Todes muß ihnen weichen.«

Mo-la hörte diese Worte und erröthete. Er wagte, von ihrer Liebesthat zu sprechen; das war ein Zeichen, daß er sich der Erreichung seines Zieles bewußt war.

»Das Licht des Morgens geht über den Himmel und verschwindet am Abende wieder,« antwortete der Fuchs in der bilderreichen Ausdrucksweise der Indianer, die von sich und zu andern meist nur in der dritten Person sprechen. »Mein Sohn vermag nicht, es festzuhalten.«

»Es kehrt zurück,« antwortete der Jüngling kurz und stolz.

»Es kehrt zurück,« wiederholte der Häuptling, auf seinen Zweck einlenkend, »und beleuchtet die Beute der Comanchen, welche den Büffel gejagt und getödtet haben. Die Häute der Thiere liegen vor den Zelten, und kein Krieger wird sie mit in die Heimath nehmen.«

»Die Bleichgesichter bedürfen der Häute zu Sohlen für ihre Moccassins.«

Der Häuptling nickte, zufrieden mit dem Scharfsinne Falkenauge's, der ihn errathen hatte.

»Gegen Mittag liegt das Land der Bleichgesichter, mit denen der Apache kämpft und der Comanche in Frieden lebt.«

»Es heißt Tubac.«

»Mein Sohn kennt es?«

»Falkenauge hat die steinernen Hütten gesehen, welche sie eine Stadt nennen.«

»Wie viele Bleichgesichter wohnen dort?«[326]

»Falkenauge konnte sie nicht zählen; es waren ihrer mehr denn drei Comanchenstämme.«

»Und wie nennt man diese Stadt?«

»Man nennt sie wie das Land, Tubac.«

»Giebt es dort Pulver und Blei?«

»Pulver, Blei und Flinten, Messer, Tabak, Decken, Perlen und alles, was der rothe Mann für sich und seine Squaw gebraucht.«

»Und die weißen Männer werden die Häute kaufen?«

»Sie werden ihren rothen Brüdern dafür geben, was sie brauchen.«

»Dann wird der ›kluge Fuchs‹ mit Sonnenaufgang zwanzig seiner Krieger senden, welche die Häute gen Mittag schaffen. Dort werden sie Halt machen, eine halbe Sonne entfernt von der Grenze des Landes, welches Falkenauge Tubac nennt. Mein Sohn aber wird jetzt sein Roß besteigen, um ihnen voranzugehen und die Bleichgesichter herbeizuholen.«

Die Freude des Jünglings über diesen Auftrag war keine geringe, doch ließ er sich dies nicht merken, sondern frug einfach:

»Was sollen die weißen Männer mitbringen?«

»Gewehre, Pulver und Blei, Beile, Messer, Nadeln, Scheeren, Tabak, Decken und Kattun. Mein Sohn wird ja sehen, was sie haben.«

»An welchem Orte werden meine rothen Brüder warten?«

»An demjenigen, den Falkenauge ihnen bezeichnet. Sie werden der Spur meines Sohnes folgen.«

»Falkenauge darf keine Spur zurücklassen. Sein Weg geht durch das Jagdgebiet der Kinder der Apachen.«[327]

»So mag Falkenauge eine Stelle nennen!«

»Gerade nach Süden und gerade zwei Sonnen von hier wachsen Baumwollenbäume aus der Erde, rund wie ein Kreis, in welchem drei Gummisträucher stehen. Dort mögen sie warten, bis Falkenauge die Bleichgesichter bringt.«

»Howgh! Und wenn mein Sohn einen Hund der Apachen sieht, so nehme er ihm den Skalp!«

»Das Zelt Falkenauges hängt voll Kopfhäuten der Apachen; es wird voll werden von ihnen vom Boden bis zur Spitze.«

»Und wenn er kann, so forsche er nach Schwarzvogel, dem Häuptlinge der feigen Schakale, der mir den Sohn gemordet hat.«

»Soll Falkenauge seinen Skalp bringen?«

»Schwarzvogel ist eine Natter, eine elende Kröte, die sich versteckt, damit der Comanche ihre Haut nicht findet! Zwei Söhne hat der Fuchs geben müssen, zwei große tapfere Krieger, den einen an die Hunde der Apachen und den andern, der sein Liebling war, an die Piraten der Savanne, die sich El Mestizo und Mani Sangriente nennen.«

»Soll Falkenauge ihre Skalpe bringen?«

Der Häuptling blickte den Jüngling beinahe erschrocken an.

»Sind die Sinne meines Sohnes verwirrt, oder ist das Ohr des Fuchses schwach geworden, daß es falsch hört?«

»Es hat recht gehört.«

»Dann kennt mein Sohn die Piraten nicht. Sie sind stark wie zehn Bären und listig wie hundert böse Geister. Kein rother Mann kann sie tödten, der Fuchs sagt es, er weiß es genau, und nur zwei Männer vermöchten es, ihnen die Skalpe zu nehmen. Doch diese Zwei sind noch[328] niemals in das Jagdgebiet der Comanchen gekommen. Wären sie da, so würde der ›Fuchs‹ zu ihnen gehen, um das Kalumet mit ihnen zu rauchen.«

»Wer sind diese Männer?«

»Es sind zwei Bleichgesichter. Man nennt sie die Fürsten der Wälder und die Herren der Savanne: der ›große Adler‹ und der ›zündende Blitz.‹ Hat mein Sohn noch nicht von ihnen gehört?«

»Er hat schon viel von ihnen vernommen und würde all seine Skalpe der Apachen geben, wenn er sie sehen könnte.«

»Die Bleichgesichter sind über das große Wasser herübergekommen, wo ein weites Land liegt, welches wie das Land der rothen Männer einen Mittag und eine Mitternacht hat. Die Bleichgesichter des Mittags sind gekommen und haben die rothen Männer mit List und Heimtücke getödtet und um ihre Jagdgebiete betrogen. Jetzt sind sie selbst schwach, krank und elend geworden. Der Mittag über dem großen Wasser heißt Hispania. Dann sind Bleichgesichter aus der Mitternacht herübergekommen. Sie sind stark, tapfer, klug und weise und ein Freund der rothen Männer. Ihre Gestalt ist hoch und breit, ihr Haar licht, und ihr Auge hat die Farbe des Himmels, an dem die guten Sterne leuchten. Sie sind stark und weise geblieben, aber sie wohnen nicht im Lande der Apachen und Comanchen, sondern weit von hier am großen Vater der Ströme und an den Bergen, die stets Eis haben. Die Mitternacht jenseits des großen Wassers heißt Germania; der Fuchs weiß das gewiß; ein weißer Mann, der Alles gesehen hat, was die Sonne bescheint, hat es ihm berichtet.«[329]

»Mani Sangriente ist ein Bleichgesicht, und El Mestizo, sein Sohn, hat eine rothe Mutter.«

»Sie sind wie die Teufel, an welche die weißen Männer glauben. Wacondah hat jedes rothe Weib verflucht, welches einen weißen Mann liebt; darum sind die Kinder eines solchen Weibes wie das Gewürm, vor dem der Mensch schauert. Der ›Fuchs‹ gäbe sein Leben hin für die Skalpe der Piraten.«

»Falkenauge wird sie ihm bringen.«

Der Häuptling schwieg. Er sah dem Jünglinge lange in das feste, dunkle Auge; dann sog er den Rauch der Pfeife langsam ein und blies ihn nach den vier Himmelsrichtungen von sich.

»Falkenauge ist noch jung; er zählt noch lange nicht die Hälfte der Winter des Fuchses, aber er wird einst ein gewaltiger und weiser Krieger sein. Wenn er mir die Skalpe der Piraten bringt, so soll er die Adlerfedern bekommen und ein großer Häuptling sein unter den Kindern der Comanchen!«

Jetzt endlich war das Wort gefallen, welches der junge Mann schon längst ersehnt hatte. Jetzt endlich hatte er eine Aufgabe bekommen, deren Lohn die Erfüllung seiner größesten Wünsche war. Ein Weißer hätte seine Freude darüber laut geäußert, dem Indianer aber ist es eine Ehrensache, die Gefühle seines Herzens zu verbergen. Darum antwortete Falkenauge außer einem schnellen, leuchtenden Blicke auf Mo-la mit beinahe gleichgültigem Tone:

»Die Tage von Mani Sangriente und El Mestizo sind gezählt; ihre Sonne neigt sich zur Rüste, und das Messer des Comanchen schwebt über ihrem Haupte, um sie[330] in das Land der Schatten zu schicken, von wo keine Wiederkehr ist. Falkenauge hat gesprochen!«

Er erhob sich. Der Fuchs winkte mit der Hand, und der Jüngling verließ das Zelt.

Die Dämmerung brach herein; der Abend folgte ihr schnell, und als Falkenauge sein Pferd bestieg, leuchteten die Sterne bereits vom Himmel hernieder.

Er ritt an der Reihe der Zelte hin, obgleich es kürzer gewesen wäre, das Lager sofort zu verlassen. Glaubte er vielleicht, Mo-la noch einmal erblicken zu können?

Die Thür des Häuptlingszeltes blieb gesenkt. Er lenkte sein Thier der offenen Savanne zu. Kaum aber war er einige Minuten geritten, so erhob sich eine dunkle, schlanke Gestalt vor ihm.

»Falkenauge!«

»Mo-la!«

»Sind die Piraten so schlimm, wie Vater sagte?«

»Es hat sie noch niemand zu überwinden vermocht.«

»So wird der Stern verlöschen, nach welchem Mo-la blickt!«

»Er wird leuchten und nie untergehen!«

»Ist es so nöthig, Häuptling zu sein?«

»Falkenauge würde die Piraten tödten auch ohne diesen Preis. Sie haben den Bruder seiner Blume gemordet und müssen sterben.«

»Weit drin in der wilden Steppe hat ein weiser Zauberer gewohnt, der Macht selbst über den Tod hatte. Er hat der Squaw des klugen Fuchses eine große Medizin gegeben, die vor dem Tode schützt.«

»Wer hat diese Medizin?«

»Mo-la. Sie erhielt sie von der Mutter, als[331] diese in das Land Wacondahs ging. Wird Falkenauge sie nehmen?«

»Er nimmt sie,« antwortete er einfach.

Sie reichte ihm das Amulet entgegen; er nahm es und befestigte es an seinem Halse.

»Wird Mo-la nun ruhig sein?«

»Sie wird keine Angst mehr haben.«

Er reichte ihr die Hand vom Pferde herab und ritt davon. Sie stand und lauschte, bis die Hufschläge verklungen waren, und kehrte dann heimlich in das Lager zurück. –

Zwei Tage später saß in der Venta des ehrsamen Sennor Franzesko Metalja eine etwas bunt gewürfelte Gesellschaft beisammen.

An einem der Tische lehnten zwei Cibolero's (Büffeljäger), ganz in Büffelhaut gekleidet. Ihre derben Gestalten, kräftigen Fäuste und markirten Gesichtszüge gaben deutliches Zeugniß über die Schwierigkeit ihres anstrengenden Handwerkes. Die Lasso's, welche sie um den Leib geschlungen hatten, waren doppelt so stark, wie ein gewöhnliches Lariat, und die neben ihnen lehnenden Büchsen sahen so außerordentlich mitgenommen aus, daß sie wohl schon manche Zeit in Gebrauch gewesen waren, ohne ein einziges Mal regelrecht geputzt und gesäubert worden zu sein.

An zwei zusammengeschobenen Tischen saßen neun Vaquero's (Rinderhirten) mit einem gut gekleideten Sennor, welcher ihr Haziendero zu sein schien.

Ihnen gegenüber hatten zwei Personen eine dunkle Ecke eingenommen, die man auf den ersten Blick für Papagosindianer halten mußte. Der eine war ein Greis; der andere zählte vielleicht die Hälfte seiner Jahre.[332]

Das weiße Haar des Aelteren und das schwarze des Jüngeren war am hinteren Theile des Kopfes durch weißlederne Bänder zusammengebunden, so daß es einen Chignon bildete.

Eine Art engen, gestrickten Käppchens von grobem Faden, welches mit einem Federbusche geschmückt war, bedeckte die Spitze ihres Kopfes und wurde durch einen ledernen Sturmriemen festgehalten.

Beide hatten nackte Beine, und der Obertheil ihrer Körper wurde von einer außergewöhnlich groben Wollendecke verhüllt.

Den Ausdruck und die Zeichnung ihrer Gesichter konnte man nicht deutlich erkennen, da die tiefe, niedrige Stube nur zwei kleine Fenster hatte, deren Scheiben außerdem so blind waren, daß der Strahl der Sonne nur mit halbem Lichte hindurchzudringen vermochte.

An dem noch übrigen Tische hatte ein Viandante (herumziehender Krämer) Platz genommen und beschäftigte sich damit, die Gegenstände, welche er in zwei großen, umfangreichen Paketen bei sich trug, zu ordnen. Dabei bemerkte er allerdings die gierigen Blicke nicht, mit welchen die beiden Papagos den Inhalt derselben musterten.

Der Haziendero hatte eben das Wort.

»Ja, neunzehn Pferde sind es, die sie mir gestohlen haben, diese spitzbübischen Apachen, aber, per dios, ich werde sie mir wieder holen. Wir haben ihre Spur, die um die Stadt herumführt, und sind nur einmal eingekehrt um eine kleine Stärkung zu uns zu nehmen. Wollt Ihr mit, Don Franzesko?«

»Danke, Sennor. Mir ist ein gutes Glas Alfa lieber, als ein Stich zwischen die Rippen oder ein Schnitt um[333] die Haare herum,« erwiderte der Wirth. »Habt Ihr die Spuren gezählt?«

»Es sind über vierzig.«

»Dann darf es Einem ja angst und bange werden um die schöne Expedition, welche Don Estevan de Arechiza nach der Apacheria geführt hat!«

»Wegen diesen Vierzig oder Fünfzig doch noch nicht. Die Rothen leben ja nicht wie wir in großen Kommunen beisammen; sie brauchen viel Platz und lieben es daher, sich zu zerstreuen. Ein Volk hat viele Stämme, und jeder Stamm sondert sich wieder in einzelne Trupps, von denen jeder auf eigene Rechnung handelt. Es ist anzunehmen, daß meine Pferdediebe von der Expedition gar nichts wissen, sonst wären sie ihr gefolgt.«

»Wohin weisen die Spuren?«

»Gerade nach dem Norden.«

»Also nach der Savanne. Dann sind wir im Präsidio also die Schufte los!«

»Aber sie uns nicht. Sie sind uns zwar überzählig, denn wir sind nur zehn Mann, aber ich meine, ein guter Vaquero nimmt fünf solcher Kerle auf sich, und wenn ich Einen finde, der sich anschließen will, dem zahle ich zwei Quadrupel für eine Indianerhaut.«

Bei diesen Worten richtete sich einer der beiden Cibolero's empor.

»Ist das Euer Ernst, Sennor?«

»Mein vollständiger. Warum?«

»Weil wir uns dann einige von Euern Quadrupeln verdienen möchten.«

»Warum nicht?« meinte der Haziendero, indem er[334] die zwei Männer musterte. »Ihr scheint nicht jung im Fache zu sein. Darf ich nach Euren Namen fragen?«

»Ich heiße Encinas und mein Gefährte Pascual. Wir befinden uns eigentlich auf dem Wege nach der Hazienda del Venado, wo wir Don Augustin Pena gewöhnlich beim Zeichnen seiner Heerden geholfen haben, wenn Ihr diesen Sennor kennt.«

»Den kenne ich wohl. Er ist der reichste Heerdenbesitzer von ganz Sonora und hat eine Tochter, die so schön ist, daß sie der Stern von Sonora genannt wird.«

»Was Ihr da sagt von seinem Reichthume und ihrer Schönheit, ist Beides wahr. Rechnet nun noch dazu, daß Beide gleich gut und wohlthätig sind, so werdet Ihr Euch nicht darüber wundern, daß zwei Cibolero's jährlich eine wirkliche Reise unternehmen, um Don Augustin und die schöne Rosarita aufzusuchen.«

»Wo wird er heuer seine Treiben abhalten?«

»Am Büffelsee. Und wenn ich mich nicht irre, so kommt die junge Dame auch mit. Er hat es ihr vor einem Jahre sicher und gewiß versprechen müssen.«

Der Jüngere der beiden Papagos horchte auf. Er wandte sich zu dem Aelteren und flüsterte ihm in englischer Sprache zu:

»Hörst Du, Alter? Die Sennorita kommt!«

»Hole sie der Teufel!«

»Nein, nicht er, sondern ich hole sie!«

»Daß es Dir geht wie damals, als uns dieser Tiburcio Arellanos – zounds, Deine Flinte allein war mehr werth, als das Mädchen mit ihrem Milchgesichte. Wer sein Auge auf ein Weib richtet, der wird blind. Das habe ich gesehen bei Deiner Mutter, der rothen Hexe –«[335]

»Alter, laß mir die Mutter in Ruhe, sie ist tausendmal mehr werth gewesen als Du! Siehst Du die Sachen, welche dieser Viandante eingepackt hat?«

»Ich sehe sie wohl, denn ich denke an kein Mädchen und bin also auch nicht blind,« antwortete der andere giftig. »Schau hinaus zu den Maulthieren, wenn Du noch mehr sehen willst!«

Vor dem Hause waren die Pferde des Haziendero und seiner Vaquero's angekoppelt, und an den Ladenhaspen hingen zwei wohlbepackte Maulthiere, welche dem Krämer gehörten, der nur einen kleinen Theil seiner Waare mit in die Wirthsstube gebracht hatte.

Der jüngere Papago hatte sie längst bemerkt.

»Die Waaren müssen unser werden, Alter!«

»Das versteht sich! Aber wie?«

»Wir müssen ihn beerben!«

»Natürlich! Aber wo?«

»Das wird sich finden. Warte nur, bis er den Mund aufthut. Er wird dann wohl sagen, welche Richtung er nehmen will.«

»Vielleicht geht er zu den Apachen.«

»Das wird er bleiben lassen. Denn Jedermann weiß, daß die Apachen auf die Weißen jetzt schlecht zu sprechen sind. Sie würden seine Waaren einfach nehmen und ihn umbringen.«

»Oder zu den Comanchen.«

»Das ist eher möglich. Diese Hallunken halten es gerade jetzt mit den Weißen, und besonders wir dürften uns auf ihrem Gebiete gar nicht blicken lassen, obgleich wir keine Apachen sind.«[336]

»Warum schossest Du den jungen Häuptling rittlings nieder!«

»Weil er mir im Wege war. Den alten Fuchs allerdings hätte ich noch weit lieber getroffen, der uns einfür allemal verbot, unsern Weg durch das Gebiet seines Stammes einzuschlagen.«

Jetzt hatte der Viandante seine Waaren zurechtgelegt und erhob sich. An den Tisch des Haziendero tretend, bot er seine Sachen an.

»Woher kommt Ihr?« frug dieser.

»Von Arispe.«

»Und wohin werdet Ihr gehen?«

»Weiß nicht. Ich richte mich nach der Gelegenheit.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür geräuschlos und ein Mann trat ein, der sofort die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zog.

Es war Falkenauge, der Comanche.

Die eleganten, nervigen Körperformen und der elastische, stolze Schritt, mit welchem der junge Krieger eintrat, mußten sofort imponiren. Seine breiten Schultern und seine starke Brust waren nackt; um seine engen, gerundeten Hüften schlang sich eine feine Decke von Santillo, in glänzenden, verschiedenartigen Farben schillernd. Gamaschen von scharlachrotem Tuche bedeckten seine Unterschenkel; von Pferdehaar gestickte Kniebänder und merkwürdig aus Stachelschweinsborsten gearbeitete Eicheln umschlossen über den Knöcheln diese Gamaschen, und die Füße staken in den kunstreichen Moccassins, welche er von Mo-la geschenkt erhalten hatte.

Sein Kopf war, mit Ausnahme eines Büschels kurzer Haare, der wie ein Helmbusch aussah, ganz geschoren und[337] mit einem höchst sonderbaren Schmucke bedeckt. Es war dies nämlich eine Art schmalen Turbans, aus zwei malerisch um seine Stirn gewundenen Tüchern bestehend. Die glänzende, trockene Haut einer ungeheuren Klapperschlange schlang sich durch die Falten des Turbans, und sowohl der noch mit den Klappern versehene Schwanz als auch der mit spitzigen Zähnen bewehrte Kopf des Thieres hingen an jeder Seite seiner Schulter herab.

Wäre sein Gesicht von den entstellenden Malereien frei gewesen, so hätte man eine echt römische Nase, eine hohe Stirn, auf welcher Muth und Biederkeit thronten, einen kühn geschnittenen Mund und zwei Augen bewundern können, welche bestimmt zu sein schienen, durch ihren Blick zu herrschen. Die fast unmerklich hervortretenden Wangen störten die schöne Harmonie der Züge nicht, vielmehr gaben sie ihnen etwas eigenthümlich Fremdartiges, was den Beschauer fesseln mußte.

Seine Waffen bestanden in einem leicht gekrümmten Skalpirmesser, einem glänzend geschliffenen Tomahawk, einem kunstvoll geflochtenen Lasso, welches in kurzen Bogen um seine Hüften hing, und einer Büchse, deren Holztheile eng mit silbernen Nägeln beschlagen waren.

So wie er da stand in der rußigen, verräucherten Venta, hätte er ruhig auf dem elegantesten Maskenballe einer der europäischen Residenzen erscheinen können, und niemand würde geglaubt haben, daß all die beschriebenen Dinge der Savanne wirklich angehörten, so nett und sauber war jeder Zollbreit an ihm, und so elegant und gebieterisch zugleich seine ganze Erscheinung.

Er grüßte nur mit einer leichten Handbewegung und erfaßte mit einem einzigen Blicke seiner Augen die Anwesenden[338] mit einer Schärfe und Vollständigkeit als hätte er sie schon längere Zeit beobachtet.

Was keiner der Anderen bemerkt hatte, das fiel ihm sofort auf, die echt Forster'schen Büchsen, welche die zwei ärmlich ausstaffirten Papagos zwischen ihre Kniee gestemmt hielten.

Alles war still; jeder Laut war bei seiner Erscheinung erstorben. Er trat bis auf drei Schritte breit vor die Papagos hin und frug:

»Meine rothen Brüder sind arm. Sie arbeiten um Lohn für die weißen Männer?«

Der heruntergekommene Stamm der Papagos läßt sich meist zu den ordinärsten Handleistungen verwenden, um ein elendes, armseliges Leben zu fristen, welches nur aus Arbeit und Schlaf besteht.

»Mein Bruder hat recht gesagt.«

»Was arbeiten meine Brüder?«

»Sie sind Vaquero's auf dem offenen Lande.«

»Wo haben sie ihre Pferde und Lariats?«

»Sie haben ihre Thiere vor der Stadt angebunden.«

»Ein Vaquero geht nicht von seinem Pferde. Meine rothen Brüder sind schlimm gekleidet; ihr Sennor muß eine fest geschlossene Hand besitzen.«

»Die Papagos sind arm.«

»Aber sie haben theure Büchsen. Darf ihr rother Bruder sich die Gewehre einmal betrachten?«

»Ihr rother Bruder hat selbst eine Büchse, die er betrachten kann!«

Die Anwesenden lauschten mit hoher Spannung dieser eigenthümlichen Unterhaltung; sie wußten sofort, daß der Scharfsinn des Comanchen etwas Verdächtiges an den[339] Papagos bemerkt haben mußte, und waren begierig zu erfahren, was es sei.

Falkenauge ließ sich durch die Weigerung nicht irre machen, vielmehr bestärkte sie ihn nur in seiner schnell gefaßten Ansicht.

»Die Papagos haben schöne Farbe; aber unter ihr blickt eine lichte Haut hervor.«

»Was geht unseren Bruder unsere Haut an?« brauste der Jüngere auf.

»Ihr Haar hat das Aussehen eines indianischen Schopfes, aber die Haut des Kopfes ist hell wie die Haut der Bleichgesichter.«

»Unser rother Bruder scheere sich zum Teufel!« rief der Aeltere, den Lauf seiner Büchse fest umfassend.

»Mein Bruder hat die Sprache der Rothhäute, aber die Höflichkeit der weißen Männer. Warum sind seine Nägel von der Farbe der Baumwollenblüthe?«

Jetzt erhob sich der Jüngere vollständig.

»Mein rother Bruder bekümmere sich um seine Nägel, sonst lassen wir ihn die unsrigen fühlen!«

»Mein rother Bruder hat einen weißen Vater. Warum verkleiden sich Mani-Sangriente und El Mestizo als Indianer?«

Die beiden Namen wurden mit Nachdruck gesprochen. Bei ihrem Klange sprangen sämmtliche Anwesenden empor. Die beiden Genannten waren als Wüstenräuber so allgemein bekannt, daß sie Jedermann zum Feinde hatten, und ihre Thaten hatten sich selbst so weit hinein in die civilisirten Distrikte erstreckt, daß für sie eine große Kühnheit dazu gehörte, hier in Tubac zu erscheinen.

»Mani Sangriente und El Mestizo!«[340]

»Main-Rouge und Sang-Mêlé!«

»Red-Hand und Half-Breed!«

So rief es wirr durcheinander, je nach der Sprache, welche den Anwesenden geläufig war. Alles griff zu den Waffen, Alles war überrascht, erschrocken, bestürzt, und nur Einer stand stolz und ruhig inmitten des Wirrwarrs und blickte auf die beiden entlarvten Wüstenräuber mit einer Miene, als habe er zwei schwache, unschädliche Schulknaben vor sich.

»Drauf, nehmt sie fest!« rief Einer.

»Laßt sie, laßt sie gehen!« meinte ein Anderer.

»Halt!« donnerte der Wirth dazwischen. »Die Venta ist mein Eigenthum, und hier hat niemand zu befehlen, als nur ich allein. Ich leide keinen Kampf in meinem Hause. Geht hinaus, wenn Ihr Euch die Hälse brechen wollt!«

Jedermann sah ein, daß der ehrsame und vorsichtige Franzesko Metalja im Grunde genommen Recht habe. Weder El Mestizo noch sein Vater hatten Einem von ihnen persönlich ein Leid gethan; die erste Aufregung verflog so schnell, wie sie über die Versammlung gekommen war, und bald standen sich nur noch Falkenauge und die beiden Piraten gegenüber.

»Hund von einem Comanchen, wer erlaubt Dir, Dich um uns zu bekümmern!« knirschte El Mestizo, das Messer, welches er gezogen hatte, wieder in den Gürtel steckend.

»El Mestizo ist weder roth noch weiß,« antwortete der Beschimpfte ruhig; »er darf nicht von Hunden sprechen. Er ist der Koyote, der nur Aas frißt und Leichen raubt; die Thiere der Erde und die Vögel der Luft verachten ihn.«

»Hier hast Du den Koyoten!«[341]

Er sprang auf den Comanchen ein; dieser aber wich zur Seite aus, und von der Gewalt seines Sprunges niedergeworfen, stürzte der Mestize zur Erde.

Sofort kniete der Comanche über ihm, riß den Chignon des Gefallenen auf, schlang sich das Haar mit einer blitzschnellen Bewegung um die Linke und machte mit dem Messer in der Rechten dreimal die Bewegung des Skalpirens in der Luft, noch ehe ihn Main-Rouge oder ein anderer daran hatte hindern können. Dann aber richtete er sich wieder empor.

»Der Koyote mag aufstehen; er befindet sich nicht in der Savanne, sondern in dem Wigwam eines Bleichgesichtes; darum soll er noch einige Sonnen leben!«

El Mestizo erhob sich in dem Augenblicke, als sein Vater den Comanchen erreicht hatte und diesem das Messer in die Seite stoßen wollte.

Der Bedrohte wich dem Stoße aus, und jetzt warfen sich die Vaquero's und Cibolero's zwischen die beiden Parteien.

»Hinaus mit den Räubern!« rief der Wirth.

Der Stolz des Comanchen hatte den Leuten imponirt und sein Edelmuth schnell ihr Herz gewonnen. Sie deckten ihn gegen die zwei grimmig nach ihm trachtenden Männer.

»Komm her, Du Hund von Comanchen,« schäumte El Mestizo, indem er durch die Gäste zu dringen versuchte. »Sag Deinen Namen, wenn Du einen hast!«

»El Mestizo wird Falkenauge kennen lernen!« klang es als Antwort.

»Falkenauge!« riefen die Mexikaner.

»Falkenauge!« rief auch Sang-Mêlé und machte Miene, ihn mit Gewalt zu erreichen.[342]

Schnell aber schien er sich eines Andern zu besinnen.

»Kommt, Alter!«

Er verschwand durch die schon längst aufgerissene Thür. Sein Vater folgte ihm mit derselben Schnelligkeit.

Sofort stand der Comanche am Fenster und hielt die Wüchse zum Schusse bereit.

»Was wollt Ihr thun?« frug besorgt der Wirth.

»Falkenauge schützt sein Pferd!« antwortete der Comanche.

Er hatte Veranlassung zu dieser Wachsamkeit gehabt, denn die beiden Räuber machten wirklich Miene, sich schnell auf zwei der draußen wartenden Pferde zu werfen. Als sie aber die auf sie gerichtete Büchse erblickten, ließen sie von ihrem Vorhaben ab und entfernten sich eiligen Schrittes.

Es dauerte einige Zeit, ehe die Männer wieder ruhig bei einander saßen. Dann nahm der Haziendero wieder das Wort.

»Kommt Falkenauge aus der Savanne?«

»Er kommt von Mitternacht.«

»Hat er die Spuren von Apachen gesehen?«

»Er hat gesehen die Spur von fünf mal zehn Reitern und zwei mal zehn Pferden, auf welchen kein Apache saß.«

»Wo ist sie zu finden?«

»Von Tubac eine halbe Sonne weit geht sie nach Mitternacht. Adlerauge hatte keine Zeit, ihr zu folgen.«

»Die Schufte werden dann westlich nach der Apacheria eingebogen sein. Ist mein rother Freund allein?«

»Es warten zwei mal zehn rothe Brüder auf ihn.«

»Will er mir helfen, die Apachen fangen? Sie haben meine Pferde gestohlen.«

»Das Bleichgesicht hat ein gutes Gesicht und ein[343] offenes Auge. Falkenauge wird ihn führen zu den Schakalen der Savanne, wenn er die Botschaft ausgerichtet hat, die ihn in das Land der Weißen führt.«

»Welche Botschaft ist das?«

»Die Krieger der Comanchen sind auf der Jagd gewesen und haben erbeutet viele Cibolohäute (Büffelhäute), für welche sie haben wollen Pulver und Blei, Büchsen und Messer, Decken und Tabak – – –«

Der Viandante erhob sich schleunigst, um ihm in die Rede zu fallen.

»Was mein rother Bruder braucht, soll er von mir bekommen; ich habe Alles, was sein Herz begehrt.«

»Und mein weißer Bruder wird uns, was wir begehren, für die Häute geben?«

»Ja. Wo sind sie?«

»Eine halbe Sonne und wenige Strahlen von hier.«

»Ich reite mit! Wann wird Adlerauge aufbrechen?«

»Wenn die Bleichgesichter bereit sind, ihm zu folgen.«

»So reiten wir gleich!« meinte der Haziendero.

Es war ihm ungemein lieb, den Comanchen gefunden zu haben, durch den er vielleicht die Beihülfe von zwanzig tapferen Kriegern bekam, mit denen er den Apachen beinahe gleichzählig wurde.

»Ja, wir reiten gleich!« entschied auch der Händler, indem er seine Pakete nahm, um sie den Maulthieren wieder aufzubürden.

Die Cibolero's schlossen sich versprochener Maßen den Verfolgern an und bald waren die Männer, die sich vor kaum einer Viertelstunde weder gesehen noch gekannt hatten, bereit, ihre Pferde zu besteigen.

Der Zug setzte sich in Bewegung, und zwar beinahe[344] in ganz derselben Richtung, in welcher Don Estevan die Stadt verlassen hatte.

Draußen vor der Stadt zog sich an einem Bache ein von wilden Reben durchwachsenes Erlengebüsch hin. In der Nähe desselben angekommen, hielt Falkenauge die Blicke zu Boden geheftet. Er ritt voran und schien etwas bemerkt zu haben, was seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Jetzt bog er sich etwas tiefer auf den Hals seines Pferdes nieder. Der Schaft eines wilden Portulaks war umgetreten, und die dem weichen Boden eingedrückte Fußspur zeigte deutlich, daß hier zwei Männer barfuß dem Gebüsche zugeschritten seien.

Jetzt wußte der scharfsinnige Comanche genug.

Er hatte sich denken können, daß die beiden Wüstenräuber Alles aufbieten würden, um zu erfahren, welche Folgen das Zusammentreffen in der Venta haben werde; darum hatte er erwartet, daß sie sich vor der Stadt auf die Lauer legen würden; jetzt sah er diese Voraussicht bestätigt und wußte auch, daß sie in dem Gebüsche staken und ihn mit seinem Gefolge vorüberreiten sahen. Er hielt es keineswegs für gut, sich dies merken zu lassen, sondern ritt jetzt mit einer Miene voran und an dem Gebüsche vorüber, als habe er nicht die geringste Ahnung von der gefährlichen Nachbarschaft.

Und doch hing sein Leben nur an einem Haare.

Main-Rouge legte den Lauf seiner Büchse auf die Gabel eines Busches und zielte.

»Halt, alter Schelm!« gebot sein Sohn. »Willst Du eine Dummheit begehen?«[345]

»Ist es eine Dummheit, einen Schurken wegzuputzen, der es sich zum Vergnügen macht, uns zu verrathen?«

»Nein; er wird sein Leben und seinen Skalp geben müssen; das ist sicher. Aber nicht jetzt.«

»Und doch jetzt. Ich schenke ihm keine Sekunde länger!«

Er zielte und hätte wirklich abgedrückt, wenn ihm nicht der Mestize die Hand von dem Gewehre hinweggeschlagen hätte.

»Bist Du verrückt, alter Leichtsinn? Du willst uns wohl den ganzen Trupp auf den Hals bringen, daß sie uns an Stelle der Apachen schinden!«

»Ich fürchte sie nicht. Oder hast Du vielleicht Angst?«

»Wenn Du mir noch einmal ein solches Wort sagst, so jage ich Dir das Messer in die Gurgel. Ein Kerl wie Du darf mich am Allerwenigsten beschimpfen. Du hast schon längst einen guten Stich oder einen scharfen Schnitt verdient, denn dadurch würde die Welt vom größten Ungeziefer befreit, das es nur geben kann!«

»Nimm Dich in Acht, Strolch, denn ich habe ebensowenig Lust wie Du, mich beleidigen zu lassen!« entgegnete der Räuber. »Wer seinem Vater solche Namen giebt, verdient nicht einmal eine Kugel oder Klinge, sondern den Strick.«

»Schweig, sonst mache ich meine Worte wahr!« herrschte ihm der Sohn zu.

Der Alte murrte etwas vor sich hin und legte die Flinte weg.

El Mestizo folgte dem sich immer mehr entfernenden Trupp mit den Augen, bis er verschwunden war.

»Sie haben den Krämer bei sich.«

»Wer, sie? Doch nicht die Vaquero's, die nicht so[346] viel besitzen, daß sie sich eine Elle schlechten Caliko's kaufen können!«

»Nein, sondern der Comanche. Ich vermuthe, daß er abgeschickt worden ist, um einen Viandanten zu einem Tauschgeschäft zu holen.«

»Dann wird sein Zeug nicht unser!«

»Allerdings, wenn Du Dich auf Deine eigene Weisheit und Tapferkeit verlassen müßtest. Dein Strohkopf reicht schon längst nicht mehr aus zur Erfindung eines guten Planes.«

»So erfinde Du!«

»Das ist nicht nöthig; ich bin schon fertig.«

»Wie?«

»Der Comanche muß sterben und der Kram unser werden; wir können dies allein nicht fertig bringen und müssen also zu den Apachen.«

»Wahrhaftig, Deine Weisheit ist größer, als die meinige! Rede ja nicht mehr von Strohköpfen, wenn Du Dir nichts Besseres auszudenken vermagst! Wie willst Du erst die Apachen und dann mit ihnen den Krämer einholen, da wir zu Fuße sind?«

»Alter, Du dauerst mich! Es wird Zeit, daß Dich die Erde bekommt, denn du bist nichts mehr nütze! Siehst Du nicht den Corral (Pferdehürde) da drüben im Felde?«

»Ah, das geht!«

»Also! Auf alle Fälle sind die Apachen erst nach Norden geritten und dann nach Westen abgebogen. Halten wir gleich Nordwest ein, so müssen wir auf sie oder auf ihre Fährte stoßen, und das Uebrige findet sich dann ganz von selbst. Sie sind Todfeinde der Comanchen und liegen gerade jetzt im Kampfe mit den Weißen; sie werden es uns[347] Dank wissen, wenn wir ihnen einen Fang zuweisen, wie dieser Falkenauge ist, den sie hassen und fürchten wie keinen andern ihrer Feinde.«

Er verließ sein Versteck und Main-Rouge folgte ihm.

Der Corral gehörte zu einer nicht sehr entfernten Hazienda, und ganz in der Nähe desselben waren Leute beschäftigt. Dies kümmerte aber die beiden Räuber wenig oder gar nichts.

Sie schritten langsam und sicher hinzu, als hätten sie das beste Recht zu Dem, was sie auszuführen beabsichtigten, und schwangen sich über die Umzäunung. Die halb wilden Pferde stutzten und suchten sich den nach ihnen langenden Armen durch die Flucht zu entziehen. Es gelang ihnen nicht, obgleich die beiden Männer nicht mit Lasso's versehen waren. Diese warfen ihre Decken den Pferden über den Kopf, und in dem Augenblicke, an welchem die Thiere darüber stutzten, saßen sie auf, setzten über die Barrière hinweg und jagten hinaus in das Weite.

Ohne Sattel, Bügel und Zügel ging es im scharfen Galopp der Richtung zwischen Abend und Mitternacht zu. Sie legten mit den frischen, ungebändigten Pferden, die unter dem kräftigen Schenkeldrucke wie auf den Flügeln der Windsbraut in ungeminderter Eile dahinstürmten, in einer Stunde eine Strecke zurück, zu welcher die Apachen wohl mehr als die doppelte Zeit gebraucht hatten, und stießen, als der Abend bereits zu dunkeln begann, auch wirklich auf eine breite Fährte, welche der Zahl der Hufspuren nach die gesuchte sein mußte.

»Es sind wohl zwanzig Minuten vergangen, seit sie vorübergekommen sind,« meinte El Mestizo.

»So erreichen wir sie nicht vor der Dunkelheit.«[348]

»Ihr Feuer wird uns leuchten.«

»Wenn sie so unvorsichtig sind, ein solches anzuzünden.«

»Sie sind so stark, daß sie sich vor etwaiger Verfolgung nicht zu fürchten brauchen. Sie werden ein Lagerfeuer anbreunen und keine andere Vorsichtsmaßregel treffen, als daß sie einige Wachen ausstellen.«

Seine Ansicht bewährte sich. Der kurzen Dämmerung folgte schnell der Abend, und noch hatten sie, die Spuren jetzt nicht mehr erkennend, nur wenige Minuten lang die gleiche Richtung eingehalten, so sahen sie einen kleinen, leuchtenden Punkt vor sich, der von einem stillsitzenden Leuchtkäfer zu stammen schien.

»Das ist das Lagerfeuer!«

Sie verschmähten es als Freunde der Apachen, sich in der gewöhnlichen Weise anzuschleichen, sondern ritten in gestrecktem Laufe und unter lautem Hufschlage direkt auf das Lager zu.

Der Schrei eines einzelnen Wachtpostens ließ sich vor ihnen hören; ihm folgte ein vielstimmiges Geheul, ausgestoßen von sämmtlichen Indianern, welche sich erhoben hatten, um die Nahenden zu empfangen.

Sang-Mêlé warf sich von dem dampfenden Pferde und trat furchtlos mitten unter sie hinein.

»Wo ist der Anführer meiner rothen Brüder?«

»El Mestizo!« klang es rundum.

Sie kannten Alle den furchtbaren Mann. Sie wußten, daß er stets eine That, ein Abenteuer brachte, wenn er sie aufsuchte, und waren begierig, zu hören, was ihn heut zu ihnen geführt hatte.

Einer von ihnen trat hervor. Er trug nicht die Adlerfedern[349] als Abzeichen eines Häuptlings, aber es war ihm unschwer anzusehen, daß er die erforderlichen Eigenschaften zur Befehligung einer Abtheilung haben könne.

»Die ›starke Eiche‹ gebietet über die Krieger der Apachen.«

»Wirklich stand der Wilde in der glühenden Beleuchtung des Lagerfeuers so hoch, breit und sicher da, wie der knorrige Stamm eines Baumes, den bloße Menschenkräfte nicht von seinem Standpunkte zu entfernen vermögen.«

»Zu welchem Häuptlinge gehören meine Brüder?«

»Schwarzvogel hat seine Krieger ausgesandt, die Pferde der Bleichgesichter zu holen.«

»Sie haben gethan, was er ihnen gebot,« antwortete der Mestize. »Neunzehn muthige Thiere sind ihnen in die Hände gekommen; aber die Bleichgesichter sind hinter ihnen her mit Lasso's, Büchsen und Messern, um die Pferde wieder zu holen.«

»Der Apache lacht seiner Feinde!«

»Auch der Comanchen?«

»Er verachtet sie. Aber der Fuß des Comanchen ist fern von der Spur der Apachen!«

»Der Comanche ist auf ihrer Fährte mit den Bleichgesichtern!« behauptete der Mestize.

Verwundert blickte ihn die »starke Eiche« an.

»Was will der Comanche bei den Bleichgesichtern, und wie kommt er auf die Fußstapfen der Apachen?«

»Er kam nach Tubac, um einen Krämer zu holen, der seinen Brüdern und Schwestern Pulver und Blei, Decken und Perlen bringen soll. Er traf auf die Fährte der Apachen und wird ihr mit den Bleichgesichtern folgen.«[350]

»Der Comanche wird sein ein Hund, den man nicht beim Namen rufen kann.«

»Er hat einen großen Namen.«

»Wie lautet er?«

»Falkenauge.«

Der Apache antwortete nicht, aber man sah ihm trotz der gewöhnlichen Rückhaltung der Indianer die freudige Ueberraschung an, in welche er durch diesen Namen versetzt wurde. Auch die Anderen blickten erwartungsvoll auf, was er beschließen werde.

»Weiß mein Bruder genau, daß der Comanche Falkenauge ist?«

»Er hat mit ihm gesprochen.«

Der Mestize verschwieg wohlweislich die Art und Weise dieses Gespräches.

»Und wird er uns zu ihm führen?«

»Ja.«

»Was sollen ihm die Apachen dafür geben?«

Die »starke Eiche« wußte aus Erfahrung, daß die beiden Räuber bei Allem, was sie thaten, ihren eigenen Vortheil im Auge hatten. Darum wurden El Mestizo und Main-Rouge von ihnen zwar gefürchtet, aber nicht geachtet und geliebt.

»Er verlangt für sich den Krämer mit seinem Eigenthume.«

»Er soll ihn haben. Der Skalp des Comanchen ist den Apachen mehr werth, als die ganze Savanne voll bleicher Krämer. Wo werden wir die Bleichgesichter treffen?«

»Im Osten. Doch müssen meine Brüder ein wenig nach Mittag halten, damit wir ihnen nicht begegnen, sondern hinter sie kommen.«[351]

»Mein Bruder ist klug und weise. Wann werden wir aufbrechen?«

»Gleich.«

»Wie stark sind sie?«

»Dreizehn Köpfe mit dem Comanchen.«

»Dreizehn, das ist die Zahl des Unglückes bei den Bleichgesichtern. Sie werden die Sonne nur noch einmal sehen!«

Die Apachen waren in Summa wirklich fünfzig Mann, wie Falkenauge ganz richtig in der Venta gesagt hatte. Die »starke Eiche« beorderte sechs von ihnen, während der Nacht beim Feuer zu bleiben und die geraubten Pferde zu bewachen, um auch dann morgen zu warten, bis er mit den Andern zurückgekehrt sei.

Diese stiegen auf; die beiden Wüstenräuber setzten sich an die Spitze, und bald war der Zug im Dunkel der Nacht verschwunden.

Während dem hatte Falkenauge seinen Weg unausgesetzt verfolgt. Sie kamen nicht sehr schnell vorwärts, da die schwer bepackten Maulthiere des Krämers nur langsam gehen konnten.

Der Haziendero versuchte öfters ein Gespräch mit dem Comanchen zu beginnen, doch scheiterte dies Vorhaben stets an der Schweigsamkeit des wortkargen, in sich versunkenen Mannes.

Falkenauge dachte an Mo-la, an die Schnelligkeit, mit welcher er den Mestizen und Mani Sangriente gefunden hatte, und an die unerwartete Hoffnung, den Apachen schon morgen ein Treffen liefern zu können.

Da spornte Encinas, der Cibelero, sein Pferd an die[352] Spitze des Zuges. Er war ein alter, erfahrener Savannenmann, der sich gewöhnt hatte, die Augen offen zu halten.

»Will Falkenauge ein Wort von seinem Bruder vernehmen?« frug er in der Indianern gegenüber so gewöhnlichen Ausdrucksweise.

»Mein Bruder hat gelernt, den Büffel zu jagen und mit dem Bär zu sprechen. Falkenauge hält sein Ohr offen.«

»Hat mein Bruder das Erlengebüsch bemerkt, welches vor der Stadt am Wasser lag?«

»Er hat es gesehen.«

»Hinter den Erlen blickten vier böse Augen hervor.«

Der alte Büffeljäger hatte dieselbe Bemerkung gemacht wie der Comanche, obgleich er der Letzte im Zuge gewesen war.

»Bei den vier bösen Augen waren vier nackte Füße,« meinte Falkenauge.

Encinas nickte; er wußte jetzt, daß sich der Zug unter einer vortrefflichen und aufmerksamen Leitung befand.

»El Mestizo und Mani Sangriente werden uns folgen.«

»Sie werden dem Comanchen und den Bleichgesichtern nicht folgen,« widersprach Falkenauge.

Encinas blickte überrascht in das bronzene Gesicht des Indianers.

»Was werden sie sonst thun?«

»Hat mein Bruder die Pferde gesehen, welche zur Rechten hinter der Umzäunung weideten?«

»Ja.«

»Die Räuber werden zwei von ihnen nehmen und zwischen Abend und Mitternacht die Apachen suchen, um[353] auf die Fährte der Bleichgesichter zurückzukehren, wenn die Sterne am Himmel aufgegangen sind.«

Encinas war betroffen von dem Scharfsinne, welchen diese Worte bezeugten, und von der Wahrheit, die ihnen nicht abzusprechen war.

»Per dios, das ist richtig! Wir brauchen sie gar nicht aufzusuchen, denn sie werden uns ganz von selbst in die Hände laufen!«

»Sie werden kommen mit der Morgenröthe und dem Comanchen und seinen weißen Brüdern ihre Skalpe geben.«

Falkenauge sah hier einen Mann neben sich, der in der Savanne eine gute Schule durchgemacht hatte, daher war er ihm gegenüber mittheilsamer, als vorhin gegen den Haziendero.

»Wer machte die große Fährte, die von Tubac gegen Mitternacht führt?« frug er. »Sie ist viele Sonnen alt.«

»Sie stammt von einer Expedition, welche nach der Apacheria gezogen ist, um dort viel Gold zu finden.«

»Gold?« Er schüttelte verächtlich den Kopf. »Die Bleichgesichter suchen den Geist, der in dem Glanze des Metalles lauert, um sie zu verderben. Sie werden fallen und sterben vor Hunger und Hitze und unter den Händen der Apachen.«

»Sie haben auch noch andere Feinde, welche fürchterlicher sind als die Apachen. Ich begegnete, als ich vor mehreren Tagen von der Büffeljagd kam, drei Jägern, welche die Expedition verfolgten.«

»Wie viele Köpfe zählten die Bleichgesichter?«

»Achtzig.«

»Das sind acht mal zehn. Die drei Männer müssen[354] große und tapfere Jäger sein, daß sie eine so große Anzahl von Feinden verfolgten.«

»Sie sind die gewaltigsten, so weit die Savannen und die Wälder reichen.«

Das Interesse des Comanchen war erwacht.

»Wie heißen sie?«

»Jeder rothe Mann kennt ihre Namen. Ich saß mit ihnen eine ganze Nacht am Lagerfeuer und erfuhr, wie sie heißen. Ihr Name lautet Bois-rosé, Dormillon und Tiburcio Arellanos.«

»Falkenauge kennt die zwei ersten Namen nicht, aber den Dritten hat er schon oft vernommen; er gehört einem jungen, guten Bleichgesichte, welches ein großer Pfadfinder ist. Der Vater dieses Bleichgesichtes war vor mehreren Wintern bei den Hütten der Comanchen und hat im Wigwam des Häuptlings mit dem ›klugen Fuchse‹ das Kalumet geraucht.«

»Die beiden Andern sind ebenso und noch mehr berühmt als er. Bois-rosé und Dormillon werden sie von den Weißen genannt; der rothe Mann aber nennt sie die ›Fürsten der Savannen und Wälder,‹ und gibt ihnen den Namen – – –«

Wohl zum ersten Male in seinem Leben vermochte Falkenauge eine Ueberraschung nicht zu verbergen. Fast hätte er sein Pferd angehalten, als er Encinas in die Rede fiel:

»Den Namen der ›große Adler‹ und der ›zündende Blitz‹.«

»Ja.«

»Wohin führte ihr Pfad?«

»Nach den Nebelbergen.«[355]

»Dort liegt das Gebiet des Schwarzvogels. Die Büchse des Comanchen wird ihren Klang mit dem Donner ihrer Gewehre vereinigen. Wo sind sie zusammengetroffen mit dem großen Pfadfinder?«

»Mit Tiburcio Arellanos? Sie haben ihn bei der Hazienda del Venado getroffen, deren Besitzer Don Augustin Pena heißt. Nicht weit davon tödteten sie mitten in der Nacht zwei Tiger und er einen Löwen.«

»Die Kugel des Pfadfinders geht nie an ihrem Ziele vorüber.«

»Schon früher nicht, und jetzt ist sie ganz untrüglich. Er hat El Mestizo die Büchse abgenommen.«

Jetzt hielt der Comanche vor Ueberraschung wirklich sein Pferd an.

»Die Büchse von El Mestizo? Sie ist das beste Gewehr, welches jemals gesprochen hat, und befindet sich in einer Hand, welche den Tatzen von zehn Bären gleicht. Hat er mit El Mestizo gekämpft?«

»Ja. Die Räuber hatten Don Augustin von der Hazienda del Venado mit seiner Tochter überfallen. Sie wird der ›Stern von Sonora‹ genannt, und El Mestizo wollte sie mit Gewalt zu seinem Weibe machen oder ein Lösegeld für sie erpressen. Tiburcio kam dazu und errettete den Vater sammt der Tochter.«

Falkenauge mußte bei dem »Stern von Sonora« an die »Blume der Comanchen« denken. Sein Interesse für den kühnen Pfadfinder wuchs und er frug:

»Er liebt sie?«

Encinas senkte nachdenklich und zustimmend den Kopf.

»Er hat mich gebeten, ihr einen Gruß zu bringen, einen Gruß, den niemand hören darf.«[356]

»Mein Bruder wird den ›Stern von Sonora‹ sehen?«

»Ja. Ich gehe mit Pascual nach der Hazienda, um die Heerden zu sammeln.«

»Besitzt das reiche Bleichgesicht viele Heerden?«

»Mehr als jeder Andere. Wir werden sie, wenn die Sonne sechsmal untergegangen ist, am Büffelsee zusammentreiben, wo ich auch den ›Stern‹ sehen werde.«

Falkenauge horchte auf. Dem scharfsinnigen Comanchen kam ein Gedanke.

»Weiß El Mestizo davon?«

Encinas besann sich.

»Er weiß davon.«

»Wer hat es ihm gesagt?«

»Ich selbst. Ich sprach davon in der Venta, und die beiden Papago's haben jedes Wort vernommen.«

Der Comanche schwieg nachdenklich. Nach einer Minute erhob er das Haupt.

»Meine weißer Bruder mag die ›Rose von Sonoro‹ auch von Falkenauge, dem Comanchen, grüßen und ihr sagen: Hüte Dich am Büffelsee vor El Mestizo!«

Damit hatte er das Gespräch abgebrochen. Er ließ seinem Pferde die Schenkel fühlen und courbettirte, während der Cibolero zurückblieb, in kräftig anmuthigen Sätzen vor dem Zuge her.

Kurz vor der Dämmerung tauchte das Baumwollengebüsch, welches Falkenauge dem klugen Fuchse als Rendezvous bezeichnet hatte, am nördlichen Horizonte auf, und als es der Trupp erreichte, fanden sie die zwanzig Comanchen vor, welche ungeheuere Pakete von Büffelhäuten mittelst der als Spannriemen verwendeten Lasso's herbeigeschleift hatten.[357]

Die Spuren der Apachen waren schon längst nach links abgegangen, was aber außer dem Cibolero von niemand beobachtet worden war, da sich alle auf die Führung des Comanchen verließen.

Jetzt wurde abgestiegen und ein Lagerfeuer angezündet, um welches der Haziendero mit seinen Vaquoro's und den beiden Cibolero's sammt dem Händler Platz nahmen, während Falkenauge sich zu den Indianern gesellte, welche um ein bereits brennendes Feuer lagerten.

Es war jetzt keine Zeit mehr, den Handel abzuschließen, da es bereits schnell zu dunkeln begann, vielmehr wurde dieses Geschäft für den morgenden Tag aufgeschoben. Man suchte die mitgebrachten Lebensmitteln hervor, um ein Mahl zu halten, und Falkenauge stellte die gebräuchlichen, heut vielleicht auch nothwendigen Wachen aus.

Nach dem Mahle ging es beim Feuer der Weißen noch lange lebendig her. Es wurden allerlei Geschichten erzählt, wie man sie in der Prairie zu hören bekommt, und es war wohl schon Mitternacht, als die Laute erstarben und das Feuer erlosch. Dasjenige der Wilden war bereits ausgegangen, und ihre dunklen Gestalten lagen um die glimmenden Reste herum wie leblose Körper, ohne Laut und Bewegung, als hätte sie die Kugel eines Feindes niedergestreckt.

Noch begann die Sonne den Horizont nicht zu röthen, und nur ein bleicher Schein machte sich am östlichen Himmel bemerklich, als eine der indianischen Wachen zu dem schlafenden Anführer trat und leise seine Schulter berührte.

Ein Weißer hätte diese Berührung kaum im Wachen bemerkt, Falkenauge aber stand sofort aufrecht und mit der Büchse in der Faust vor dem Indianer.[358]

»Falkenauge hat befohlen, ihn zu rufen, wenn der Tag die rothen Männer grüßt!«

Der Erwachte machte eine Geberde der Zufriedenheit und trat zu Encinas, den er weckte.

»Was gibt es?« frug dieser gähnend und sich die Augen reibend.

»Der Kampf naht. Meine weißen Brüder mögen den Schlaf von sich werfen!«

Auf den Ruf des Cibolero erhoben sich sämmtliche Schläfer und erfuhren erst jetzt, was ihnen nach der Ansicht des Comanchen bevorstand.

Dieser nahte sich dem Haziendero.

»Die rothen Männer werden mit den Bleichgesichtern kämpfen und den Apachen die Skalpe nehmen. Wer soll der Anführer sein, mein weißer Bruder oder Falkenauge?«

»Mein rother Bruder ist erfahrener als ich; er mag das Kommando führen!«

Falkenauge verneigte stolz und zustimmend das Haupt und trat zu dem Krämer.

»Will mein Bruder haben, daß ihn die Apachen tödten und ihm seine Sachen rauben?«

»Santa madonna, das fällt mir nicht im Geringsten ein! Wenn sie kommen, so werde ich fliehen, werde – –«

Der Comanche schnitt dem furchtsamen Manne mit einer gebieterischen Handbewegung die Rede ab.

»Mein Bruder wird mit seinen Maulthieren nach Mitternacht reiten, bis er die Büsche nicht mehr sehen kann, und dort bei den Häuten bleiben, bis der Kampf zu Ende ist.«

Er gab einen Wink.

Die Comanchen hatten ihre Felle bereits an die von[359] den Sattelknöpfen herabhängenden Lasso's befestigt und sprengten mit ihnen davon. Der Händler folgte langsamer nach. Falkenauge mußte vollständig sicher sein, daß die Apachen auf seine Fährte einbiegen und von Süden kommen würden, sonst hätte er die Häute sammt dem Krämer mit seinen Waaren nicht preisgegeben. Der wilde Sohn der Prairie ist gewohnt, mit Vermuthungen ebenso sicher zu rechnen, wie das Kind der Civilisation mit den untrüglichsten Ziffern und Zahlen.

Noch waren nicht zehn Minuten vergangen, so kehrten die Transporteure der Häute wieder zurück. Falkenauge ließ von den Spuren so viel verwischen, als er für nöthig hielt, und plazirte dann die zwölf Weißen und seine zwanzig Indianer so zwischen die Stämme und Zweige des kreisförmigen Baumringes, daß selbst das schärfste Auge keinen von ihnen im ersten Augenblicke entdeckt hätte.

Den Pferden wurden sämmtlich die Nüstern verbunden, damit sie nicht vor der Zeit zum Verräther werden konnten.

Er selbst postirte sich einstweilen so, daß er den südlichen Horizont genau zu überblicken vermochte.

In lautloser Stille lag das Gebüsch in der vom Morgenthau befeuchteten Savanne, und die regungslose Gestalt des Comanchen glich einer Statue, welche für die Nachwelt hergestellt war, zur Erinnerung an die tapfern, kühnen Völkerstämme, denen einst das weite Land gehörte und die, mit der Büchse in der Faust und den Messern zwischen den Zähnen, sterben und untergehen mußten, weil sie nicht lernen wollten, ihre Kniee und Nacken zu beugen unter dem Joche einer Civilisation, von der sie nur die Schattenseite zu sehen bekamen.[360]

Da tauchte eine breite, weit ausgedehnte Reihe von dunklen Punkten im Süden auf, die sich schnell näherten und vergrößerten.

»Ugh!« klang es in tiefem Gutturaltone zwischen den Lippen Falkenauge's hervor, und nun wußten die Verborgenen, daß der Feind nahe.

In immer mehr sich verengendem Halbkreise kamen die Apachen herbeigesprengt. Der Comanche konnte jetzt deutlich El Mestizo und Mani Sangriente unterscheiden, welche voranritten, um die Spur im Auge zu behalten. Einige Büchsenschüsse weit von der Baumgruppe blieben sie halten, um eine kurze Berathung zu pflegen.

Jetzt erst fiel dem Comanchen eine Sorglosigkeit ein, die er begangen hatte. Die Spuren der von dem Krämer zurückkehrenden Indianer waren nur auf eine kurze Strecke hinaus verwischt worden. Umritten die Apachen den Baumkreis, um zu rekognosziren, so mußten sie auf die Vermuthung kommen, daß der Feind sich in demselben versteckt halte. Doch beruhigte er sich mit dem Gedanken, daß die Apachen nicht wissen konnten, daß sich zwanzig Comanchen mit den Weißen vereinigt hatten.

Die »starke Fähr« hatte das Pferd zu den beiden Wüstenräubern gelenkt.

»Die Spur der Bleichgesichter führt unter die Bäume.«

»Sie sind nicht dort,« meinte El Mestizo. »Der Comanche ist entweder blind gewesen, daß er nicht gemerkt hat, wie die Fährte meiner Brüder nach dem Abende abgegangen ist, oder er hat keinen Kampf beabsichtigt, sondern nur den Krämer weiter führen wollen.«

»Der Comanche ist ein feiger Schakal, der den Apachen flieht und vor Angst heult, wenn er einen Speer erblickt!«[361]

»Wenn sie auch unter den Bäumen Ruhe gehalten haben, so sind sie längst fort. Sie zählen dreizehn Mann und würden sofort fliehen, wenn sie fünfzig Apachen nahen sehen.«

»Die Krieger der Apachen werden die Bäume stürmen und keinen Feind erblicken!«

Er gab ein Zeichen, hielt die Büchse hoch in der Luft erhoben und sprengte mit fliegendem Haare und wehendem Kriegsmantel voran.

Wie die wilde Jagd folgten die Andern.

Der Baumkreis hatte gegen Mittag eine ziemlich breite Oeffnung; durch diese stürmten die Apachen in die Rundung hinein. Kein Feind ließ sich sehen; kein Blatt regte sich. Die Spuren zweier Feuer waren am Boden zu bemerken. El Mestizo's scharfes Auge sah sofort an den Ueberresten, daß es ein indianisches und ein solches sei, wie es die Weißen zu unterhalten pflegen. Er machte eine Bewegung, um das erstere genauer zu untersuchen, und diese Bewegung rettete ihm das Leben.

Ein Schuß blitzte zwischen den Zweigen auf, und die Kugel, welche aus der silberbeschlagenen Büchse Falkenauge's kam und ihn sicher getroffen hätte, verwundete ihn nur am Ohre.

Die Apachen erhoben ein unbeschreibliches Geheul, welches aber von dem Knalle von mehr als zwanzig Büchsen und dem Schwirren der comanchischen Pfeile übertönt wurde. Im nächsten Augenblicke knackte es rundum in den Aesten und Zweigen, und die verborgenen Wilden und Weißen sprengten auf die Pferderäuber ein.

Ein fürchterlicher Kampf entspann sich. Falkenauge hatte die Büchse fallen gelassen und den Tomahawk ergriffen.[362] Mit einem tigerartigen Sprunge schnellte sein Pferd mitten in den dicksten Haufen hinein. Er riß es empor und zog es auf den Hinterbeinen herum. Im Nu hatte sein Schlachtbeil zwei, drei Apachen von ihren Pferden geschmettert. Jetzt hielt er vor der »starken Eiche.«

Er hatte vorhin während der Beratung gesehen, daß dieser der Anführer der Apachen war.

»Der Apache ist ein Dieb. Er stiehlt Pferde und liebt die Räuber der Wüste. Seine Haut wird an dem Sattel des Comanchen hangen!«

»Hund, Comanche, Kröte!« antwortete der Gegner und schwang den Tomahawk, der mit fürchterlicher Wucht zum Haupte des Jünglings niederfuhr.

Dieser hatte den Griff seines Schlachtbeiles fester erfaßt; er führte mit demselben einen Gegenhieb von unten nach oben und traf die Faust der »starken Eiche« mit solcher Sicherheit und Kraft, daß sie sich öffnete und die Waffe, kurz wirbelnd, hart am Leibe des Comanchen und seines Pferdes tief in die Erde fuhr.

»Uff!« rief Falkenauge. Sein Tomahawk blitzte und fuhr bis auf die Schultern herab in den Kopf des Apachen.

Er hatte nicht Zeit, die Waffe wieder herauszuziehen, denn er wurde in diesem Momente von hinten gepackt und vom Pferde gerissen.

Als seine Kugel, das Ohr verwundend, am Kopfe des Mestizen vorüberflog, hatte dieser aufgeblickt und zunächst die Vaquero's bemerkt, welche auf ihn und seinen Vater einstürmten.

»Paß auf, Alter, es giebt Arbeit!« rief er und sprang vom Pferde.

Er war wie Bois-rosé und Pepe einer jener Savannenmänner,[363] die den ganzen Kontinent mit ihren Füßen durchwandern und sich auf ihre Beine mehr verlassen, als auf diejenigen des besten Renners oder Schlachtpferdes.

Auch Mani Sangriente sprang ab und stand an seiner Seite.

Die Büchsen umkehrend und die Kolben gebrauchend, konnten sie einstweilen nur vertheidigungsweise verfahren, da die Ueberzahl gegen sie war. Bald jedoch sahen sie ein, daß sie Feinde vor sich hatten, bei denen die Körperkraft nicht allein ausreichte. Die Vaquero's waren fast sämmtlich Männer, die unter irgend einem der oft wechselnden Regimente von Mexiko gedient hatten und auf ein scharfsinniges, geordnetes Einzelgefecht eingerichtet waren. Es gelang den beiden Räubern nicht, einen Vortheil über sie zu er ringen.

»Komm, Alter!« rief El Mestizo und warf sich zur Erde.

Im nächsten Augenblicke tauchte er mitten unter den Comanchen auf, bei denen seine Kampfesweise größeren Erfolg bot. Main-Rouge stand wieder an seiner Seite, und die Feinde fielen unter den gewaltigen Streichen, welche die Piraten der Steppe führten.

Da sah El Mestizo Falkenauge auf die »starke Eiche« eindringen. Er schüttelte rechts und links die Feinde von sich ab und sprang hinzu. Sich halb auf das Pferd des Comanchen schwingend, zog er diesen von hinten herab und zuckte das Messer, erhielt aber selbst einen Stich, der allerdings nur seinen Arm traf.

Encinas hatte in der Nähe gekämpft und die Gefahr bemerkt, in welcher der Comanche schwebte. Sein Messer[364] rettete diesen, denn El Mestizo ließ den verwundeten Arm sinken und sah sich augenblicklich von Falkenauge gepackt.

Beide umschlangen sich. Bei solchen Gegnern mußte der Ringkampf ein entsetzlicher werden, allein es kam nicht dazu, denn die Apachen drangen auf Falkenauge und die Comanchen auf den Mestizen ein, beide Parteien um ihre Anführer zu schützen; die Umschlungenen mußten die Arme lösen, um sich nach rückwärts zu wenden, und Falkenauge hatte dabei Gelegenheit, einem Apachen den Tomahawk zu entreißen.

Mit diesem drang er von Neuem in den sich immer verkleinernden Haufen der Feinde ein und warf mit jedem Schlag einen Gegner nieder.

Auch El Mestizo hatte sich von seinen Drängern frei gemacht.

»Alles aus!« rief ihm sein Vater zu.

Die erste Salve der Weißen und Comanchen schon hatte die Hälfte der Apachen niedergestreckt, und jetzt rangen nur noch wenige von den letzteren mit dem überzähligen Feinde.

»Fort!« antwortete er und ergriff das nächststehende Pferd beim Zügel, um sich aufzuschwingen.

Mani Sangriente that dasselbe, und wenige Sekunden genügten, sie aus dem Bereiche der Gefahr zu bringen.

In gestrecktem Galoppe flohen sie von dannen, dem Westen zu. Erst nach einer ziemlichen Weile und als sie sahen, daß sie nicht verfolgt wurden, hielten sie an.

»'sdeath,« meinte Red-Hand, fast ganz außer Athem, »so ist es mir noch niemals ergangen!«

»Denkst Du etwa, mir?« frug der Mestize mit wuthblitzendem Auge.[365]

»Dieser Comanche ist ein feiger Schuft, der sich versteckt, um ehrliche Kämpfer hinterrücks zu ermorden.«

»Ein feiger Schuft? Hast Du es nicht hundertmal ebenso gemacht, Alter? Ich sage Dir, er ist ein tüchtiger Kerl, mit dem sich so ein grauer, zahnloser Wolf, wie Du bist, gar nicht vergleichen darf. Ich selbst an seiner Stelle hätte nicht besser handeln können, und das ist Alles, was ich sagen kann! Aber es soll ihm schlecht bekommen!«

»Schlecht bekommen? Lächerliche Drohung von Einem, der vor ihm flieht!«

»Schweig, sonst stopfe ich Dir den Mund! Die Flucht wurde durch die Klugheit geboten, sonst wären wir trotz der besten Gegenwehr von der Uebermacht zertreten worden. Aber ich schwöre Dir, daß ich dennoch seinen Skalp bekommen werde!«

»So sage nur, wie und wo!«

»Ich weiß genau, daß er auf unserer Fährte bleiben wird, um den Sohn des Fuchses zu rächen. Ich muß zu Schwarzvogel, um mir Leute geben zu lassen, mit denen ich an den Büffelsee gehe, um die Tochter des Haziendero del Venado zu holen, und so locken wir ihn in die Apacheria, wo er fallen muß.«

»Dieses Mädchen hat uns nichts als Unheil gebracht und wird – – –«

»Vorwärts!« unterbrach ihn El Mestizo.

Er hatte zurückgeblickt und bemerkt, daß sie verfolgt wurden.

Mit der Flucht der beiden Räuber waren die schlimmsten Gegner der Comanchen und Weißen verschwunden. Sie drangen auf die wenigen Ueberreste der Apachen ein,[366] und nach einigen kurzen Minuten war keiner von diesen mehr am Leben.

Jetzt sprang Falkenauge wieder auf sein Pferd. Ein kurzer Ruf und eine Handbewegung hinaus nach der Steppe, wo der Mestize und Red-Hand davonsprengten, deuteten an, was er meinte. Wer noch dazu fähig war, stieg schleunigst auf und folgte ihm.

Die Pferde hatten sich während der Nacht ausgeruht und warfen, von lauter tüchtigen Reitern geführt, die Entfernung förmlich hinter sich. Allen weit voran flog der Comanche auf seinem unübertrefflichen Renner.

Die Räuber hatten die Richtung nach dem Orte eingeschlagen, wo sie gestern Abend auf die Apachen getroffen waren, und an welchem sich noch heute die geraubten Pferde befanden. Dies ahnte Falkenauge, und darum wollte er ihnen zuvorkommen, die zurückgebliebenen Wächter zu warnen. Der Haziendero mußte seine Pferde wieder haben, und an die Verfolgung der beiden Flüchtlinge dachte der Comanche erst in zweiter Linie.

El Mestizo blickte sich von Zeit zu Zeit um. Er sah den Raum zwischen sich und den Verfolgern immer mehr verschwinden und wußte jetzt nur noch ein Mittel ihnen zu entkommen; er mußte von der Richtung, welche zu den Pferden führte, ablenken.

Dieses Mittel bewährte sich. Falkenauge hielt die ursprüngliche Richtung ein; die anderen folgten ihm willig, wenn sie auch seine Absicht nicht erriethen, und bald verschwand El Mestizo mit seinem Vater am nördlichen Horizonte.

Die sechs Apachen, welche bei den Pferden zurückgeblieben waren, saßen schweigend am Boden. Jeder von[367] ihnen ärgerte sich im Stillen, daß er hier warten mußte, während die übrigen sich die Skalpe ihrer Todfeinde holen konnten. An eine Niederlage der Ihrigen dachten sie so wenig, daß es ihnen gar nicht einfiel, auf den Gesichtskreis Acht zu haben.

Die geraubten und sorgfältig angehobbelten Pferde grasten in ihrer Nähe und zwar so, daß sie verhinderten, nach Osten frei auszuschauen. Daher bemerkten die sorglosen Wächter auch die im Galoppe sich nähernden Comanchen und Vaquero's nicht eher, als bis sie den Hufschlag ihrer Pferde vernahmen.

Jetzt sprangen sie auf. Der erste Blick sagte ihnen Alles. Sie eilten zu ihren Thieren, um aufzusitzen und zu entfliehen, doch es war schon zu spät. Den Seinen weit voranstürmend, schoß Falkenauge unter sie hinein und ritt augenblicklich zwei zu Boden. Einen Dritten traf sein Schlachtbeil, und nur als er mit der Linken den Vierten packte, um ihn an sich heranzuziehen, gelang es Einem auf sein Pferd zu kommen und davon zu jagen. Der Letzte wurde von Encinas niedergestochen, als er eben den Fuß in den Bügel setzen wollte.

Im Nu war Falkenauge vom Pferde und schwang sein Skalpirmesser. Drei Minuten später hingen an seinem Sattel die Skalpe der vier Apachen.

»U – u – u – ffff!« erklang sein Siegesruf.

Die Seinen stimmten ein und auch die Vaquero's ließen sich zu Tönen hinreißen, die einem indianischen Jubel außerordentlich ähnlich klangen.

Der Haziendero trat zu dem Comanchen.

»Mein rother Bruder hat sein Wort erfüllt. Ich danke ihm!«[368]

Falkenauge antwortete nur mit einem stolzen Kopfnicken. Der Haziendero gab jetzt Encinas und Pascual die Hand.

»Ihr habt Euch brav gehalten und sollt Eure Quadrupel bekommen. Helft nur jetzt, die Pferde zurück nach dem Kampfplatze schaffen!«

Mit Hilfe der Indianer wurde dies bewerkstelligt. Bei den Baumwollenbäumen angekommen, stellte es sich heraus, daß von den einundzwanzig Comanchen vierzehn, und von zwölf Mexikanern sechs gefallen waren. Diese großen Verluste mußten meist auf die Rechnung des Mestizen und Mani Sangriente's gebracht werden. Dafür aber war von fünfzig Apachen nur der eine Wächter entkommen.

Jetzt wurden die Verwundeten verbunden, die todten Freunde begraben, die Feinde aber alle zur Speise der Raubthiere hinaus in die Steppe geschleift.

Während dem kam der Händler herbei; die Häute wurden wieder zurückgeschleift, und bald waren sie gegen eine Menge von jenen Gegenständen vertauscht, welche der kluge Fuchs zu haben gewünscht hatte.

Dann trennten sich die Weißen von den Indianern, um nach Tubac zurückzukehren.

Falkenauge hatte zu den vier Skalpen noch acht gefügt. Er gab sie einem der Indianer.

»Mein Bruder wird in das Lager gehen und diese Skalps in der Hütte Falkenauge's aufhängen.«

»Will Falkenauge dies nicht selber thun?«

»Nein. Meine Brüder werden dem klugen Fuchs die Dinge überbringen, welche sie für ihre Häute erhalten haben. Falkenauge aber muß verfolgen die Fährte von El Mestizo und Mani Sangriente und wird nicht eher[369] zurückkehren in sein Wigwam, bis er ihnen ihre Skalpe genommen hat. Der kluge Fuchs mag ihm zehn Krieger senden, welche am rothen Flusse auf der Büffelinsel auf ihn warten. Er wird sie treffen, wenn der Mond fünfmal der Sonne gefolgt ist. Howgh!«

Er stieg auf sein Pferd, winkte mit der Hand, ritt davon, den Spuren der Piraten der Wüste nach. – –[370]

Quelle:
Der Waldläufer von Gabriel Ferry. Für die Jugend bearbeitet von Carl May. Stuttgart (1879), S. 317-371.
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