VIII

Ein Savannengericht

[371] Als Baraja und Oroche hinter der Ecke des Indianergrabes verschwunden waren, blieben sie stehen und blickten einander unschlüssig an.

»Sennor Oroche, ich glaube, wir sind ganz fürchterlichen Teufeln entgangen!«

Oroche warf die etwas verwirrten Locken nach hinten und drapirte seinen Mantel in malerische Falten.

»Ich glaube, es wird am besten sein, wenn wir uns so schnell wie möglich davon machen. Es könnte diesen Tigerjägern einfallen, uns doch noch zu tödten, und dann wäre es nicht mehr so leicht wie jetzt, sich noch ein wenig um die Bonanza zu bekümmern.«

»Da habt Ihr allerdings Recht. Daher ist es wohl auch am Besten, wenn wir uns nicht direkt nach dem Lager begeben. Es könnte ihnen wirklich noch einfallen, uns zurückzuholen, und sie würden uns sicherlich erreichen.«

»Was gedenkt Ihr zu thun, Don Baraja.«

»Wir wenden uns in die Berge und warten, bis diese fürchterlichen Jäger den Ort verlassen haben.«[371]

»Das ist allerdings ein sehr guter Gedanke! Ich habe die Ansicht, daß sie die Bonanza nicht vollständig zu räumen vermögen, und wenn wir die passende Gelegenheit erwarten, so können wir immer noch so viel Gold finden, daß wir uns von der Expedition zu trennen vermögen.«

»Dann wäre es wünschenswerth, ein gutes Pferd zu haben. Diese rücksichtslosen Männer haben unsre Thiere ohne Gnade und Barmherzigkeit niedergeschossen. Es ist wirklich ein Glück, daß wir unsere Karabiner und Lasso's nicht abgelegt haben. Nun befinden wir uns doch noch im Besitze unserer Waffen, und vielleicht ist es möglich, sie auf eine Weise zu gebrauchen, welche uns die Bonanza in die Hände bringt. Kommt, Sennor Oroche. Ihr seid ein kluger Gambusino, und es ist sehr leicht zu vermuthen, daß wir in dieser Gegend eine zweite Bonanza finden können. Denkt an die Felsenspalte, in welcher Ihr fünfzehn Prozent Gold gesehen habt!«

»Diese Spalte weiß niemand außer uns. Sollten sie wirklich die Bonanza vollständig ausräumen, so bleibt uns dieser Goldfond, der uns ein Vermögen geben kann, wenn die Spalte so tief ist, wie ich vermuthe.«

Oroche blickte unwillkürlich über den felsigen Boden hin, auf welchem sie standen.

»Seht einmal her, Sennor Baraja! Hier scheint es, als habe der Huf eines Pferdes aufgetreten.«

»Ich bin kein Pfadfinder wie Diaz, aber es scheint mir sehr, daß Ihr Recht habt.«

»Es ist sehr wahrscheinlich, daß Cuchillo sich auch nicht von der Bonanza trennen wollte und in die Berge geritten ist. Wir werden dieselbe Richtung einschlagen und ihn vielleicht finden!«[372]

Sie schritten zwischen der Pyramide und der Anhöhe, von welcher aus die drei Jäger das Grabmal beobachtet hatten, den Bergen zu. Je näher sie diesen kamen, desto deutlicher sahen sie die Hufspuren von Cuchillo's Pferd. Der Boden war stellenweise mit Sand bedeckt und hatte die Eindrücke deutlich behalten. Sie führten zwischen dem zweiten und dritten Berg zur Höhe.

Die beiden Banditen folgten und stiegen langsam empor.

Die Schlucht war nicht so steil, als es von unten den Anschein gehabt hatte, und als sie oben ankamen, sahen sie, daß eine Art ausgetretenen Weges an der senkrecht abstürzenden Felsenwand hinführte und sich jenseits wieder zur Tiefe zu senken schien.

Sie schritten vorwärts und bemerkten, daß von diesem Pfade aus die Pyramide, welche nicht ganz so hoch wie die Kuppe des mittleren Berges war, nebst ihrer Umgebung außer der südlichen Seite vollständig überblickt werden konnte. Dieser Weg war jedenfalls von den Indianern ausgetreten worden, welche zu der Grabstätte des großen Häuptlings wallfahrteten. Er war an seinem Rande mit allerlei Gesträuch bewachsen, welches so viel Deckung bot, daß man bei Anwendung der nöthigen Vorsicht von unten nicht gesehen werden konnte.

Jetzt fiel ein Schuß und kurz darauf ein zweiter.

Baraja und Oroche hielten sich hinter den Büschen versteckt und blickten hinüber nach der Pyramide. Sie war von den drei Jägern verlassen, aber weit hinter ihr sahen sie Pepe über Don Estevan am Boden liegen und Fabian mit Diaz kämpfen.

»Seht Ihrs, Sennor Baraja; sie haben fliehen wollen![373] Dort kommt auch der Riese gelaufen mit Schritten, als sei es der Goliath.«

»Dieser Tiburcio ist wirklich ein gefährlicher Mensch! Er trifft Diaz, daß er niederstürzt, und nun sind beide verloren. Ich wette meinen Kopf, daß sie in einer Viertelstunde nicht mehr leben. Diese drei Männer kennen weder Gnade noch Barmherzigkeit und werden keinen Pardon geben.«

»Ein Glück, daß wir ihnen entgangen sind! Aber horcht! Klang es nicht, als ob Jemand da von der andern Seite käme?«

Sie lauschten.

Wirklich nahten sich Fußschritte, welche so laut waren, daß sie trotz des Brausens des Wasserfalles, welcher sich eine Strecke seitwärts unter ihnen zur Tiefe stürzte, vernommen werden konnten.

»Ist es Cuchillo?«

»Es kann auch ein anderer, ein fremder Jäger oder wohl gar ein Indianer sein. Wir müssen uns verstecken!«

Die beiden feigen Männer sahen sich ängstlich nach einem Orte um, welcher ihnen Gelegenheit bot, sich zu verbergen.

Etwas weitem zurück neigten sich zwei isolirte Felsenspitzen gegen einander; sie boten den einzigen Zufluchtsort, den es hier gab, und wurden schleunigst dazu benützt.

Kaum war dies geschehen, so kam Der, von welchem das Geräusch stammte, um die Biegung des Felsenweges herum. Es war Cuchillo.

»Er ist es. Wollen wir uns ihm zeigen?« frug Baraja.

»Nein. Laßt uns warten, was er thut. Er bleibt[374] stehen und hat also nicht die Absicht, vom Berge hinabzusteigen.«

Wirklich hielt Cuchillo die Schritte an und blickte hinab nach dem Placer. Er sah, wie die drei Jäger mit Estevan und Diaz zur Bonanza zurückkehrten und stieß einen halblauten Ruf des Schreckens aus.

Er hatte bei seiner ersten Anwesenheit am Goldthale die Umgebung desselben durchforscht und auch den Felsenpfad gefunden, welcher jenseits zur Tiefe und hinab in die Ebene führte. Bei seiner Flucht vor Don Estevan hatte er ihn benutzt, um den Berg zwischen sich und diesen zu bringen und einen Schlupfwinkel für sein Pferd zu suchen, wo er dasselbe verbergen konnte, bis es ihm möglich war, sich der Bonanza wieder zu nähern. Er hatte von der Anwesenheit der drei Jäger noch nicht die mindeste Ahnung gehabt und auch ihre Schüsse nicht gehört, da, als sie fielen, der Schall von dem zwischen ihm und ihnen liegenden Berg aufgefangen worden war, und sah nun plötzlich dieses neue große Hinderniß vor sich, an die Bonanza zu gelangen.

Er frug sich zunächst, was die Drei herbeigeführt haben könne. War Tiburcio denn doch vielleicht Mitwisser der Bonanza gewesen und der Expedition gefolgt, um sie ihr streitig zu machen? Oder befand er sich hier, um sich an Don Estevan zu rächen? Er mußte wissen, woran er war, und beschloß, wieder hinabzusteigen und die fünf Männer zu belauschen, von denen er bemerkte, daß sie sich zu einer längeren Verhandlung anschickten.

Zuvor aber mußte er etwas Anderes thun.

Nicht weit von ihm ragte die Eiche aus dem Felsen empor, gerade unter welcher sich der Goldblock befand.[375] Er mußte sehen, ob es möglich sei, mittelst des Lasso hinabzugelangen. Er trat hart an den Rand der Felswand, legte sich nieder und schob den Kopf so weit wie möglich vor, um hinabzublicken.

Die Sonne war höher gestiegen, und ihr Strahl vermochte nicht mehr wie vorhin, sich in dem sprühenden Schaum der Kaskade zu brechen. Das Farbenspiel hatte aufgehört, aber mit unvermindertem Glanze blickte der Block zur Höhe. Er lockte und winkte und zog, wie nach der Sage die Nixe den lauschenden Fischer zur Tiefe zieht, und Cuchillo mußte die Augen schließen und seinen Arm um den Stamm der Eiche legen, um den Schwindel zu bekämpfen, welcher ihn erfaßt hatte.

So lag er einige Minuten lang, bis er sich endlich zurückschob und aufstand. Der Lasso reichte bis hinab; allein wie den Block herausbrechen und heraufschaffen, da er doch die Hände gebrauchte, um sich festzuhalten? Und war nicht vielleicht dieser Goldklumpen so schwer, daß unter dem verdoppelten Gewichte der Lasso reißen mußte?

Nachdenklich schritt er weiter. Er mußte ein Mittel finden, diesen Schatz zur Höhe zu bringen, und wenn er sich dabei den Kopf zermartern sollte. Doch dazu war später Zeit. Jetzt war es vor allen Dingen nothwendig, die Verhandlung zu belauschen, welche unter ihm zwischen dem Goldthale und dem Grabmale begonnen worden war.

Er sah, daß dies am Besten von der Pyramide aus geschehen konnte, obgleich die Gefahr, in welche er sich dabei begab, nicht gering anzuschlagen, und eilte nach der Schlucht, um in derselben hinabzugelangen.

Unten angekommen, schritt er schnellen Laufes auf das Indianergrab zu, und es gelang ihm, dieses unbemerkt zu[376] erreichen und zu erklimmen, da die fünf Männer sich auf der entgegengesetzten Seite desselben befanden.

»Habt Ihrs gesehen, Sennor Baraja?« frug Oroche, als Cuchillo sich entfernt hatte.

»Er muß von der Eiche aus etwas Wichtiges beobachtet haben.«

»Wir müssen hin, um zu sehen, was es ist!«

Sie stiegen hinter dem Felsen hervor und näherten sich dem Rande des Abgrundes. Dort legten sie sich, einige Schritte von einander, wie Cuchillo zur Erde, neigten den Kopf vor und blickten hinab.

Lange Zeit dauerte es, ehe sich einer von ihnen wieder bewegte. Sie hatten beide den Block bemerkt, und beide fühlten beim Anblicke dieses ungeheuren Schatzes das Blut nach ihrem Kopfe steigen und die Adern ihres Gehirns durchrauschen. Beide mußten, wie Cuchillo, die Augen schließen, um nicht vom Schwindel gepackt zu werden, und dennoch flimmerte es hinter ihren gesenkten Lidern in allen Funken und Farben, als befänden sie sich in der Nähe einer Sonne und hätten hineingeblickt in die wirbelnden Gluthen derselben.

Keiner von ihnen gönnte diesen Block dem andern, und beide beschlossen zu gleicher Zeit, ihn nur allein zu besitzen, selbst wenn dies nur durch einen Mord bewerkstelligt werden konnte.

Jetzt erhoben sie sich. Eine Minute lang herrschte Schweigen, da Keiner die erste Frage thun wollte. Endlich brach Baraja die Stille.

»Habt Ihr Etwas gesehen, Sennor Oroche?«

»Ja.«

»Was?«[377]

»Nichts, als was ich schon von unten gesehen habe: den Wasserfall.«

»Ah!«

»Und Ihr?«

»Nichts Bemerkenswerthes! Die Kaskade, den schäumenden Abgrund, in welchen sie sich stürzt, das Indianergrab und daneben die drei Jäger nebst Arechiza und Diaz.«

»Ah! Wirklich?«

»Wirklich!« betheuerte der Lügner.

»Ich wollte Euch beweisen, daß Ihr nicht die Wahrheit sagt, Don Baraja.«

Dieser nahm eine beleidigte Miene an.

»Nicht die Wahrheit, Sennor Oroche? Habt Ihr aus meinem Munde schon jemals eine Lüge vernommen?«

»Zuweilen, mein lieber Sennor Baraja, doch soll dies kein Vorwurf sein, denn es gibt selbst zwischen Freunden eine Kleinigkeit, welche man aus Rücksicht und zum Nutzen der andern verschweigen muß.«

»Und Ihr glaubt, ich habe auch jetzt Etwas zu verschweigen?«

»Das weiß ich nicht; nur weiß ich, daß Ihr nicht die Wahrheit gesprochen habt.«

»Und könnt mir dies beweisen?«

»Vollständig, wenn Ihr es mir erlaubt, Don Baraja.«

»So sprecht!«

»Ihr sagtet, Ihr hättet die drei Jäger nebst Don Estevan und Diaz gesehen, und habt Euch damit versprochen. Der Ort, an welchem wir hinabsahen und jetzt noch stehen, liegt so seitwärts, daß sich zwischen ihnen und uns das Denkmal erhebt und wir sie also gar nicht zu erblicken vermögen.«[378]

Baraja sah, daß er zu viel gesprochen habe.

»Wirklich, Sennor Oroche, Ihr habt Recht! Aber ich bitte Euch, zu glauben, daß ich Euch nicht die Unwahrheit sagen wollte. Die Tiefe unter uns und das Rauschen und Brausen des Falles hat mich schwindelig gemacht und mir die Sinne so verwirrt, daß ich Gestalten gesehen habe, die gar nicht vor mir waren.«

»Ich bin überzeugt, daß es so ist,« meinte Oroche höflich, obgleich er innerlich eine ganz andere Ueberzeugung hegte. »Aber blickt einmal jetzt hinüber nach der Pyramide! Seht Ihr den Mann, der sie erklimmt?«

»Cuchillo!«

»Allerdings! Er huscht über die Plattform und duckt sich nieder.«

»Jedenfalls will er belauschen, was am Goldthale verhandelt wird!«

Die beiden Banditen blickten ihm eine Weile schweigend zu. Beide grübelten dabei im Stillen über einen Plan, den andern zu entfernen.

»Sennor Baraja,« nahm Oroche endlich das Wort; »ich habe einen guten Gedanken.«

»So laßt ihn hören!«

»Ich bin überzeugt, daß die Jäger die Bonanza kennen.«

»Wie kommt Ihr zu dieser Ansicht, die doch schwer zu beweisen ist?«

»Die mit Gold gefüllten Decken liegen noch bei den todten Pferden. Sie müssen das bemerken und nach dem Ursprunge des Metalles fragen. Und Ihr habt ja ebenso gehört, daß der Riese die Bonanza für Tiburcio Arellanos verlangte.«[379]

»Ich habe es gehört, aber damit ist ja noch nicht gesagt, daß sie die Lage der Bonanza wirklich kennen.«

»Sie haben uns ja belauscht, als wir das Gold herausschafften!«

»Richtig! Es ist kein Zweifel, daß sie die Bonanza kennen; aber was hat das mit Eurem guten Gedanken zu thun?«

»Sehr viel! Sie werden Don Estevan und Diaz ermorden und das Gold rauben, so daß uns nicht ein Körnchen davon übrig bleibt.«

»Vielleicht ist es am Besten, dies ruhig abzuwarten!«

»Auch ich hatte erst diese Meinung; jetzt aber sehe ich ein, daß es besser ist, wenn wir sie hindern, sich an dem Placer zu vergreifen.«

»Wie wollt Ihr dies anfangen?«

»Wir müssen schleunigst zum Lager, um die Unsrigen von der bedrängten Lage, in welcher sich Don Estevan und Diaz befinden, zu unterrichten. Sie werden dann herbeieilen, um sie zu befreien, und dann gehört die Bonanza uns. Ihr müßt dabei bedenken, Sennor Baraja, daß die drei Jäger außerordentlich kühne und streitbare Männer sind. Ich habe ein sehr mitfühlendes Herz, aber wo es sich um einen solchen Reichthum handelt, muß dieses schweigen und nur der Verstand darf sprechen. Die Jäger werden sich tapfer vertheidigen und eine große Menge der Unsrigen tödten. Dann zerfällt die Bonanza in nur wenige Theile, und wir werden Jeder einen unermeßlichen Reichthum besitzen.«

Baraja schwieg sinnend. Er gab Oroche vollständig Recht, doch lag ihm außerordentlich daran, bei dem Blocke bleiben zu können. Dieser mußte gelöst werden, noch ehe[380] die Männer der Expedition herbeikamen. Hatte Oroche vielleicht dieselbe Absicht, und seinen Plan nur ersonnen, um ihn selbst zu entfernen? Er beschloß, den Gambusino auszuhorchen.

»Ich stimme Euch vollständig bei, Sennor Oroche. Kommt, und laßt uns eilen, ehe es zu spät wird!«

»Natürlich müssen wir schnell sein, vorher aber ist es nothwendig, an etwas anderes zu denken!«

»Woran?«

»Es kann nur Einer von uns gehen, und der Andere muß zurückbleiben, um die Bonanza und Alles, was dort vorgeht, zu bewachen.«

»Ah! Ich vermuthe sehr, daß Ihr dies übernehmen wollt, Sennor Oroche!«

»Allerdings, Sennor Baraja.«

»Und aus welchem Grunde?«

»Erstens weiß ich, daß Ihr ein viel besserer und gewandterer Läufer seid als ich; Ihr werdet das Lager erreichen in einer Zeit, während welcher ich sicher kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt hätte. Und zweitens ist meine Büchse besser als die Eure sie trägt weiter, und ich kann also viel leichter als Ihr die Bonanza beherrschen und, wenn es Noth thut, den Jägern, um Don Estevan zu beschützen, eine Kugel geben.«

»Ihr irrt Euch sehr, mein bester Don Oroche, und Eure Gründe passen mehr auf mich als auf Euch. Ich bin bedeutend kürzer als Ihr und leide schon seit langer Zeit an einer Athembeschwerde, die mich sehr am schnellen Gehen hindert. Ihr hingegen mit Euren langen Beinen könnt es mit dem besten Renner aufnehmen und werdet nicht die Hälfte der Zeit gebrauchen, die bei mir nöthig[381] sein würde, um das Lager zu erreichen. Und was die Büchse betrifft, so habe ich ja längst bewiesen, daß ich weiter und sicherer treffe als Ihr. Das Richtige ist also, daß ich hier bleibe, während Ihr zum Lager eilt.«

Oroche fühlte sich geschlagen, doch gab er sich noch nicht besiegt.

»Beinahe möchte ich zugeben, daß Ihr wohl nicht so schnell lausen könnt, wie ich, denn ich muß Euch allerdings gestehen, daß mich meine Beine schon öfters aus Lagen befreit haben, in denen ich für mein Leben keine Kupfermünze gegeben hätte. Aber ebenso müßt Ihr gestehen, daß Ihr ein besserer Reiter seid als ich, Sennor Baraja!«

»Das ist richtig,« klang die Antwort mit einem sehr hörbaren Stolze.

»Nun wohl! Es ist sehr leicht einzusehen, daß ein Reiter das Lager eher erreicht, als selbst der schnellste Läufer. Daher ist es nothwendig, das Pferd Cuchillo's zu suchen, welches er hier in der Nähe versteckt hat, und Ihr werdet es besteigen.«

»Meint Ihr das wirklich, Sennor Oroche?«

»Allerdings!«

»Dann muß ich Euch sagen daß ich dies nicht thun werde. Ich kenne dieses Pferd nicht; es soll sehr schlimme Launen haben, und außerdem wißt Ihr ja ebenso gut wie ich, daß es ganz bedeutend stolpert. Ich möchte um Anderer willen denn doch nicht meinen Hals riskiren!«

»So fürchtet Ihr Euch vor dem Pferde?«

»Nein, aber es stolpert so, daß ein Reiter, den es nicht gewohnt ist, viel langsamer vorwärts kommen würde,[382] als Ihr mit Euren langen Beinen. Es bleibt also dabei: Ihr geht!«

»O nein! Es bleibt dabei: Ihr reitet!«

»So geht und sucht das Pferd, Don Oroche!«

»Wirklich? Wenn Ihr mitkommt!«

»Ich gehe nicht von der Stelle!«

»Ich noch viel weniger!«

»Ah! Darf ich Euch fragen, weshalb?«

»Aus demselben Grunde, welcher Euch bestimmt, zu bleiben.«

»Ihr seid sehr scharfsinnig, und ebenso hinterlistig. Habt Ihr wirklich vorhin nichts gesehen, Sennor Oroche?«

»O, doch vielleicht!«

»Was?«

»Dasselbe, was Ihr gesehen habt, der sich um seine eigene Hinterlist bekümmern sollte!«

Der vorher so höfliche Ton des Gespräches war in einen ganz anderen umgeschlagen.

»Ihr meint den Goldblock?«

»Allerdings! Ihr wollt nur hierbleiben, um ihn zu haben!«

»Und Ihr wollt nicht fort, um ihn aus dem Felsen zu brechen!«

Sie standen sich mit blitzenden Augen und vor Grimm verzerrten Zügen gegenüber, und es entstand eine lange Pause, während welcher sie sich einander maßen wie zwei Wölfe, die sich vor Hunger auf einander stürzen wollen.

Da kam ihnen doch die Ueberzeugung, daß ein solches Verhalten zu nichts führen könne, und Oroche ergriff zuerst das Wort.

»Sennor Baraja!«[383]

»Don Oroche.«

»Es ist besser, wenn wir Freunde bleiben!«

»Das ist allerdings auch meine Ansicht; doch ist es nicht leicht, mit Euch in Güte zu verkommen!«

»Auch Ihr macht mir die Freundschaft schwierig! Der Block ist außerordentlich schwer, und es ist unmöglich, daß ihn ein Mann allein zu heben vermag. Wir müssen uns beistehen und werden dann theilen.«

»Ihr sprecht mir aus dem Herzen, Sennor Oroche. Hier habt Ihr meine Hand; laßt uns aufrichtig mit einander sein!«

»Aufrichtig!« betheuerte der lange Mandolinenspieler.

»Wir theilen den Block!«

»Wir theilen ihn!«

»Aber Don Estevan und Diaz können wir unmöglich im Stiche lassen!«

»Unmöglich!«

»Einer von uns muß fort!«

»Ja, Einer!«

»Aber welcher?«

»Wollen wir loosen?«

»Wir müssen es!«

»Seht hier diese zwei Blätter: es ist ein großes und ein kleines. Ich rolle beide zusammen und lege sie in meinen Hut. Wir ziehen Jeder eines von ihnen, und wer das größere ergreift, muß nach dem Lager.«

»Ich stimme bei. Gebt her, ich ziehe zuerst!«

»Nein, ich! Ich habe das Recht dazu, denn der Vorschlag stammt von mir.«

»Ihr werdet das kleine herausfühlen!«

»Ihr ebenso!«[384]

»Ihr seid nicht aufrichtig, Sennor Oroche!«

»Und Ihr noch weniger als ich, Don Baraja!«

Sie standen einander wieder enttäuscht gegenüber und maßen sich mit zornigen Augen. Der Golddurst hatte sie so ergriffen, daß sie selbst vor dem größten Verbrechen nicht zurückgebebt wären.

»Sennor Oroche, ich mache Euch einen Vorschlag!«

»Ich höre ihn!«

»Ihr schüttelt die Blätter aus dem Hute heraus, und wie sie fallen, das entscheidet. Derjenige, nach welchem zu das große fällt, wird gehen!«

»Unweigerlich?«

»Unweigerlich!«

»Gut, ich stimme bei. Paßt auf!«

Er schüttelte seinen Hutfetzen mit einer Andacht hin und her, als gälte es, ein außerordentliches Werk zu verrichten, und ließ dann die Blätter zur Erde fallen. Das große flatterte ihm gerade zwischen die Beine, während das kleine mehr nach Baraja hinflog.

»Das Loos hat Euch getroffen, Sennor Oroche!«

»Allerdings.«

»Und Ihr werdet gehen!«

»Das versteht sich. Oder ist es nicht vielleicht besser, wenn ich reite?«

»Besser ist es. Wollt Ihr Euch das Pferd suchen?«

»Wollt Ihr mir helfen?«

»Ja.«

»So kommt!«

Sie schlichen sich längs des Felsenpfades hinter den Büschen hin und stiegen auf der dem Goldthale entgegengesetzten Seite des Berges hinab. Unten angekommen,[385] begannen sie, nach den Spuren des Pferdes zu suchen. Sie fanden sie und gelangten zu einer Art von Grotte, in welcher das Thier mittelst des Pflockes in den Boden befestigt war. Sie zogen es heraus.

»Steigt auf, Sennor Oroche!«

Der lange Gambusino brauchte trotz seiner unendlichen Beine eine beträchtliche Zeit, ehe er in den Sattel gelangte.

»Macht schnell; es ist keine Zeit zu verlieren!« drängte Baraja.

»Per dios, Ihr thut ja, als hinge das Leben der ganzen Christenheit an einer halben Sekunde! Werdet Ihr gut Wache halten?«

»Das versteht sich!«

»Ich werde die Expedition nicht von hier aus über den Berg zur Bonanza führen, sondern auf demselben Wege, den wir mit Don Estevan gekommen sind.«

»Warum?« frug sich unwissend stellend, obgleich er den Beweggrund Oroche's wohl vermuthete, Baraja.

»Weil es doch Jemandem einfallen könnte, in die Tiefe zu blicken und unsern kostbaren Block zu entdecken.«

»Ihr seid ein vorsichtiger Mann, Sennor Oroche, auf den man sich vollständig verlassen kann. Jetzt aber macht, daß Ihr vorwärts kommt!«

»Gleich! Ihr werdet Euch natürlich nicht an unserem gemeinsamen Schatze vergreifen!«

»Nicht ohne Euch.«

»Wollt Ihr mir Euer Ehrenwort darauf geben?«

»Ich gebe es Euch!«

»Oder, verzeiht Sennor Baraja! Ihr müßt wohl eingestehen, daß bei einem solchen Blocke das Ehrenwort[386] eine unbedeutende Sache ist, an die man gar nicht denken kann. Schwört es mir lieber bei der heiligen Madonna!«

»Ich schwöre es!«

»Gut, ich werde diesem Schwure glauben!«

»Das könnt Ihr, besonders wenn Ihr bedenkt, daß es einem einzelnen Manne ganz unmöglich ist, sich des Goldklumpens zu bemächtigen!«

Oroche wandte das Pferd und ritt trotz der Eile, welche dem Ritte ertheilt werden sollte, nur höchst langsam und zögernd davon.

Baraja wartete, bis er ihn aus den Augen verlor und kehrte dann zum Felsensteige zurück, auf welchem er wieder zur Höhe gelangte.

Das Erste, was er that, war, daß er sich am Rande niederlegte, um mit den Augen die Entfernung zu messen, welche ihn von dem Blocke trennte.

»Der Lasso reicht, und ich weiß, daß er mich trägt. Ich lasse mich hinab, um den Klumpen genauer zu untersuchen!«

Er zog das Messer und schnitt einige Aeste von den Büschen, um welche er das eine Ende des Lasso's befestigte, so daß sie einen Sitz bildeten, auf welchem er vor dem Blocke Platz nehmen konnte. Das andere Ende schlang er um die Eiche, so, daß die Zweige ungefähr eine halbe Elle unterhalb des Goldklumpens zu schweben kamen. Nun untersuchte er auch die Festigkeit des Baumes; sie war so unzweifelhaft sicher, daß er das Wagestück beginnen konnte.

Er legte sich auf den Boden, die Beine nach dem Abgrunde zugekehrt. Er bedachte nicht, daß er den Block unmöglich emporbringen konnte; er sann auch nicht auf[387] die Schwäche des Lasso's, der so dünn war, daß es ein beinahe unausführbares Unternehmen genannt werden mußte, an ihm wieder emporzuklimmen – er wollte hinunter, nur immer hinunter über die grauenhafte Tiefe; das Andere mußte sich dann schon ergeben, und schon schwebte er mit den Füßen über dem Abgrund, als ihn eine laute Stimme zurückhielt.

»Halt, Sennor Baraja!«

Er blickte empor. Oroche kam athemlos auf dem Felsenpfade herbeigestiegen.

»Herauf, herauf, sonst jage ich Euch meine Kugel in das verrätherische Gehirn!«

Der lange Gambusino hatte wirklich die Büchse angelegt und zielte. Baraja beeilte sich daher sehr, wieder auf die Beine zu kommen.

»Per diabolus, Sennor Oroche, ich denke, Ihr seid im Galopp unterwegs nach dem Lager der Unsrigen!«

»Ich war es auch,« meinte dieser mit vor Zorn und Anstrengung des Laufes hoch geröthetem Gesichte, »aber eine innere Stimme warnte mich und gebot mir, umzukehren. Wie es scheint, komme ich keinen Augenblick zu früh, um Euch vor Raub und Meineid zu bewahren!«

»Raub und Meineid? Wo denkt Ihr hin!«

»Nun, was wolltet Ihr denn sonst da unten?«

»Ah, Sennor Oroche, Ihr meint, ich habe den Block holen wollen? Seid Ihr wahnsinnig! Den schweren Block, und der Eid, den ich Euch geschworen habe, ist noch viel schwerer!«

»Ja, so schwer, daß Ihr ihn von Euch geworfen habt! Ich bleibe hier; ich gehe keinen Schritt von dieser Stelle fort!«[388]

»Das wird sich finden, Sennor Oroche!«

»Wie so, Don Baraja?«

»Ihr werdet gehen, denn das Loos hat Euch getroffen, und Don Estevan muß gerettet werden!«

»Der Teufel soll ihn holen sammt Diaz und allen Jägern der Welt! Ihretwegen lasse ich Euch keine Sekunde lang hier allein.«

»So werde ich Euch zu zwingen wissen!«

»Ah! Wie so, mein lieber Don Baraja?«

Baraja erhob seinen Karabiner.

»Wenn Ihr nicht sofort macht, daß Ihr fortkommt, so jage ich Euch die Kugel in den Kopf!«

»Und ich Euch die meinige,« antwortete Oroche, auch sein Gewehr erhebend.

Wieder standen sie einander gegenüber, sich den Tod wünschend, aber Keiner wagte, loszudrücken; sie wußten auch gar wohl, warum.

»Sennor Baraja!« meinte Oroche nach einer Weile des Schweigens.

»Don Oroche,« antwortete dieser.

»Wollt Ihr die Büchse senken?«

»Nicht eher, als bis Ihr die Eure wegthut!«

»Wir dürfen nicht schießen.«

»Weshalb?«

»Weil wir sonst die drei Jäger auf uns aufmerksam machen.«

»Das ist gewiß!«

»Wir wollen die Gewehre zugleich weglegen!«

»Ich stimme bei. Wohlan!«

Sie legten die Gewehre auf den Boden nieder und traten dann näher zu einander.[389]

»Wißt Ihr, Don Oroche, daß es wirklich besser ist, wenn wir Freunde bleiben?«

»Ich bin ja immer ganz derselben Meinung gewesen, doch Ihr kommt stets mit Euren verräterischen Plänen dazwischen, so daß es unmöglich ist, Vertrauen zu Euch zu haben.«

»Wir wollen Vertrauen fassen, und ich werde Euch einen Vorschlag machen.«

»Laßt ihn hören!«

»Wir wollen den Klumpen gleich jetzt gemeinschaftlich zur Höhe schaffen.«

»Das ist allerdings das Beste, was wir thun können. Man vermag nie vorauszusehen, was die nächste Stunde bringt, und daher ist es besser, wir haben ihn in Sicherheit.«

»Einer von uns muß hinab.«

»Einer! Aber wer?«

»Ich.«

»Nein, ich!«

Beide dachten in ihrem Wahnsinne nicht an die Gefahr, sondern nur daran, das Gold so bald wie möglich in die Hand zu bekommen.

»Warum gerade Ihr?«

»Und warum Ihr?«

»Weil ich leichter bin als Ihr und Ihr mich also besser halten könnt.«

»Leichter als ich? Gerade umgekehrt!«

Baraja blickte vor sich hin. Sein Gesicht bekam einen Ausdruck, den Oroche leider nicht bemerkte.

»Nun wohl, Sennor Oroche, damit Ihr seht, daß ich besser bin, als Ihr vorhin sagtet, werde ich Euch Euern Willen lassen. Gebt Euern Lasso her! Wir werden ihn[390] mit dem meinen verbinden, weil sie dann doppelt zu tragen vermögen.«

Die beiden Lasso's wurden an ihrem einen Ende um die Aeste geschlungen und mit dem andern an die Eiche befestigt. Oroche nahm den Sitz zwischen die Beine und das Messer zwischen die Zähne; Baraja faßte die sechsfach zusammengeflochtenen Riemen und – der lange Mandolinenspieler sank langsam an der Wand des Abgrundes hinab.

»Halt!« rief er jetzt von unten herauf.

Er hatte den Block erreicht. Baraja knotete die Lasso's an der Eiche fest und blickte nun hinunter, wo Oroche alle Kraft anstrengte, um den ungeheuren Klumpen aus seiner Umfassung herauszubrechen.

»Wird es gehen?«

»Ja, doch langsam!«

Es verging wohl eine Viertelstunde. Stück um Stück des harten Kieses sprang aus der Felsenwand, und Oroche arbeitete mit einer Gier und Anstrengung, daß ihm dicke Schweißtropfen von Stirn und Wangen rannen. Endlich stieß er einen lauten Jubelruf aus.

»Fertig?« frug Baraja von oben herab.

»Ja.«

»Könnt Ihr ihn halten?«

»Er ist ungeheuer schwer!«

»Laßt ihn um aller Heiligen willen nicht fallen!«

»Nein. Aber zieht, schnell, zieht, denn lange kann ich ihn nicht halten!«

Baraja arbeitete aus Leibeskräften. Sein Blick ruhte auf dem Messer, welches er sich zurechtgelegt hatte, und auf der Stelle des Randes, an welcher Oroche erscheinen mußte.[391]

Da tauchte der Kopf des Letzteren empor.

»Diabolos, ist das eine Last! Zieht, Sennor Baraja, zieht!«

»Legt ab, Don Oroche, legt ab; dann könnt Ihr die Hände gebrauchen, um Euch vollends heraufzuschwingen!«

Das leuchtete dem Gambusino ein. Er legte den Goldblock, der kaum mit dem dritten Theile seines Umfanges aus dem Felsen herausgesehen hatte, am Rande des Abgrundes nieder und wollte dann mit den Händen den Felsen erfassen. In diesem Augenblicke aber ergriff Baraja sein Messer.

»Fahre hinab, Schuft!«

Mit einem einzigen, kräftigen Schnitte hatte er beide Lasso's getrennt, aber doch einen Augenblick zu spät. Oroche hatte die Bewegung bemerkt und in wahnsinniger Angst sofort nach dem Block gegriffen. Das schwere Gold lag nicht fest und zu nahe am Abgrunde, als daß es ihn hätte halten können. Ein einziger, entsetzlicher Schrei erscholl, der rings in zehnfachen Echo's widerhallte, noch viel fürchterlicher als die beiden Laute, welche Cuchillo am frühen Morgen ausgestoßen hatte. Der Gambusino verschwand in dem kochenden Abgrunde; der Goldblock aber schlug auf einer hervorstehenden Felsenkante auf, daß diese zerbarst, fiel von da auf eine zweite hervorragende Spitze, und wurde durch diese beiden Hindernisse so aus der senkrechten Falllinie gebracht, daß er nicht in das schäumende Wasser stürzte, sondern am Rande desselben so tief in den weichen Boden schmetterte, daß dieser sich augenblicklich über ihm schloß.

»Santa madonna, was habe ich gethan!« rief Baraja. »Das Gold ist weg, unwiderbringlich verloren!«[392]

Er bog sich über den Abgrund und starrte mit glanzlosem Auge in die Tiefe; er konnte nicht anders glauben, als daß der Block mit Oroche in das Wasser gefallen sei.

»Ich Thor, ich armseliger, elender, unvorsichtiger Thor! Ich konnte warten, bis ich den Klumpen sicher hatte, und erst dann diesen Oroche zum Teufel schicken!«

Noch immer starrte er hinab. Er konnte das Auge nicht von der Tiefe wenden, in welcher ein Reichthum verschwunden war, um dessenwillen er vergebens einen Mord auf sein Gewissen geladen hatte.

Da kam eine lange Gestalt um die Ecke der Pyramide herumgeschritten. Es war der Kanadier. Er blickte nach oben und erkannte trotz der Entfernung das Gesicht des Mörders.

»Holla, Sennor Baraja, was thut Ihr noch hier in den Bergen? Macht, daß Ihr fortkommt, sonst wird Euch meine Büchse den Weg zeigen!«

Der Kopf des Angerufenen fuhr zurück, bog sich aber nach einigen Augenblicken wieder vor.

»Hm,« brummte Bois-rosé, das war ein Schlag, als ob ein Felsen in die Erde führe. »Es muß etwas außerordentlich Schweres von oben herabgestürzt worden sein. Ah, was ist denn das?«

Auf der halben Höhe der Felswand klaffte eine Spalte, aus welcher eine Art langen, trockenen Grases in dichten, einzelnen Büscheln hervorragte, und an einem dieser Büschel hing – die Hälfte des durchschnittenen Lasso's mit den daran befestigten Aesten.

»Das ist ein doppeltes Lasso mit Quersitz. Zwei Lasso's – es sind also Zwei gewesen, von denen der Eine den Andern herabgelassen hat. Aber es ist nur die Hälfte![393] Sind die Lasso's zerrissen oder zerschnitten worden? Jedenfalls das letztere, denn zwei vereinte Lariats reißen unter keiner Last. Baraja ist noch oben, es kann also kein Anderer gewesen sein, als der langhaarige Mensch, den sie Oroche nennen, der den Schrei ausgestoßen hat! Aber was hat er an der Wand zu thun gehabt?«

Er trat näher an den Rand des Beckens, in dessen Tiefe die Kaskade stürzte. Einige Stücke des ausgebrochenen Kiesels lagen zerstreut umher; sie waren durch die Gewalt, welche Oroche angewandt hatte, bis hierher geschleudert worden.

Er sammelte sie und betrachtete sie genau; dann suchte sein Auge in der Höhe nach einem Punkte, der seine Vermuthung bestätigen sollte.

»Richtig, dort ist ein rundes Loch! Der Gambusino hat da Etwas herausgebrochen, was darin gesteckt hat. Was mag es gewesen sein? Jedenfalls etwas Werthvolles, sonst läßt sich kein Mensch über einer solchen kochenden und tosenden Hölle an einem Lasso herab. Vielleicht gar Gold!«

Er trat näher an das Wasser und untersuchte den Boden genau. An einer sehr nahe am Rande des Beckens liegenden Stelle war derselbe etwas aufgelockert Bois-rosé bückte sich.

»Ein Loch, ein tiefes Loch, über welches sich die Erde geschlossen hat. Das ist nicht gegraben worden, wie man sofort sieht, denn es ist vollständig neu und zeigt in seiner Nähe nicht die geringste Spur eines Fußes!«

Er zog das Messer und erweiterte es.

»Gold, wahrhaftig Gold! Und ein Klumpen, wie ihn noch kein Mensch und kein Engel gesehen hat! Der[394] hat dort oben in der Felswand gesteckt, und nun ist mir der Schrei und Alles klar!«

Er entfernte die Erde und langte dann in die Vertiefung. Seiner riesigen Kraft war es ein Leichtes, den Block emporzuheben. Er wusch die Erde von ihm ab und schwang ihn dann auf seine Achsel.

»Fabian, mein Sohn, ich bringe Dir eine Gabe, wie sie selbst der große Mogul nicht unter seinen Schätzen hatte!«

Er schritt zwischen der Pyramide einerseits und dem Becken und dem pflanzenreichen See andererseits hin und verschwand hinter der Ecke wieder, um welche er vorhin herumgekommen war.

Baraja hatte sich von seinem Standorte keinen Augenblick entfernt und den ganzen Vorgang mit angesehen. Mit außerordentlicher Spannung war er jeder Bewegung des Kanadiers gefolgt, und als dieser den Block aus der Erde brachte, rang sich ein unartikulierter Schrei der Wuth aus seiner zusammengepreßten Brust.

Was sollte er thun? Seine Hand griff nach der Büchse; er legte sie an, um auf den Jäger zu schießen, aber das Delirium des Grimmes, welches seine Pulse doppelt schnell schlagen machte, hatte ihm doch noch einen Rest der Ueberlegung übrig gelassen, welcher ihm sagte, daß er damit das Gold nicht zurückbekomme, sondern sich nur in eine neue Gefahr begebe.

»Ich werde sie beobachten und sehen, was sie beginnen, ann mag es sich entscheiden, was ich thue!«

Er erhob sich und nahm seine Büchse nebst derjenigen Oroche's. Den Felsenpfad verfolgend, stieg er zu der Grotte nieder, um zu sehen, ob der lange Gambusino das Pferd Cuchillo's wieder eingestellt habe. Es stand da wie[395] vorhin, als sie es entdeckten. Er raffte einige Arme dürren Futters zusammen und warf es ihm vor; dann stieg er wieder zur Höhe empor, wo er sich dieses Mal so postirte, daß er den Raum zwischen der Pyramide und dem Goldthale vollständig zu überblicken vermochte.

»Hier bleibe ich, denn hier kann mir nichts entgehen, was da unten geschieht. Und das Pferd ist mir auch für alle Fälle sicher, denn Cuchillo kann gar nicht zu ihm gelangen, ohne hier vorüber zu müssen!«

So saß er lange, lange, von den Büschen versteckt, und blickte hinunter auf den Platz, wo Dinge vor sich gingen, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen und zuletzt sein Haar sträuben machten.

Der Nachmittag verging und die Dämmerung nahte. Da erhob er sich endlich, tief aufathmend.

»Alles wieder versteckt! Sie schlagen ihr Nachtlager auf der Pyramide auf. Wer diesen Männern in die Hände fällt, für den giebt es keine Rettung. Was thue ich jetzt?«

Er blickte in die Tiefe hinab, aus welcher sich schon die Nebel zu erheben begannen, von denen die Berge ihren Namen bekommen hatten.

»Es wird Nacht. Soll ich hier bleiben und sie während des Schlafes überfallen? Nein. Es wird stets Einer von ihnen wachen. Hätten wir doch diesen Tiburcio getödtet, damals in der Hazienda del Venado oder am andern Morgen im Walde! Dann hätten sie uns nicht diese prachtvolle Bonanza streitig machen können. Oder wäre er nur wenigstens dann im Salto de Agua ertrunken! Es bleibt mir nichts anderes übrig, als in das Lager zu reiten und während der Nacht die Goldsucher herbeizuführen,[396] damit wir sie verhindern, am Morgen die Bonanza auszuräumen und sich mit den Schätzen zu entfernen!«

Er stieg den Felsenweg hinab und schritt zu der Grotte. Auch hier ballten sich bereits die Nebel zu dichten Massen und ließen eine feuchte, kalte Nacht vermuthen. Er zog das Pferd heraus und schwang sich auf.

Ueber den Steg zurück und die Schlucht hinab an der Pyramide vorüber konnte e nicht; er war also gezwungen, einen Umweg zu machen. Zwei Anhöhen, die ihm seitwärts den Weg zu versperren schienen, ließen, als er näher kam, trotz der tiefen Dämmerung ein Thal erkennen, welches ihn hinaus auf die Ebene führen mußte. Er bog in dasselbe ein.

Das Pferd kam wegen des Gerölles, welches den Weg bedeckte, nur mühsam vorwärts, und erst als er die Höhen hinter sich hatte, konnte er es zu einem schnelleren Schritte antreiben.

Dennoch war bisher wohl eine Stunde vergangen; vollständige Dunkelheit bedeckte die Erde, und nur einzelne Sterne glänzten vom Himmel hernieder. Da hielt er plötzlich und unwillkürlich sein Thier an. Er hatte Schüsse vernommen, deren Schall aus der Gegend des Lagers kam.

»Was ist das? Sind wir wieder von den Wilden überfallen worden? Dann sind die Weißen verloren, jetzt, wo ihnen der Anführer fehlt!«

Er zitterte beinahe vor Schreck, dennoch aber spornte er das Pferd zur Eile. Es war ihm nicht darum zu thun, am Kampfe teilzunehmen, sondern er folgte nur einem augenblicklichen Impulse, von dem er sich keine Rechenschaft abzulegen vermochte.

So kam er eine tüchtige Strecke vorwärts, bis sein[397] Thier plötzlich scheute und auf die Seite sprang. Eine Gestalt hatte sich gerade vor ihm aufgerichtet.

»Wer da?« scholl es ihm entgegen.

Er kannte diese Stimme, deren Klang seinen Muth wieder erhob.

»Ich, Sennor Diaz!«

»Ah, Baraja! Wo ist Oroche?«

»Ich weiß es nicht. Wir haben uns getrennt.«

»Aber ich weiß es, wo Ihr ihn habt, und wir werden später ein Wort darüber sprechen. Woher habt Ihr Cuchillo's Schimmel?«

»Ich fand ihn in einer Grotte, in welche er ihn versteckt hatte.«

»Das ist ein glücklicher Zufall! Das Lager ist angegriffen; wir müssen den Unsrigen zu Hülfe eilen. Vorwärts, Sennor Baraja!«

Er schwang sich hinter Baraja auf das Pferd und nahm dem Mörder die Zügel aus der Hand; seine Sporen eindrückend, veranlaßte er es zum eiligsten Laufe, und so flogen sie trotz ihrer Last und der Dunkelheit die gelinde sich neigende Ebene im Galopp hinab.

»Ah, Ihr habt zwei Karabiner?« frug Diaz während des Rittes. »Der andere gehörte jedenfalls Oroche, den Ihr wegen des Goldblockes in die Tiefe gestürzt habt. Sennor Baraja, ich bin jetzt der Anführer der Expedition, und ich sage Euch, daß Euch nach dem Kampfe Eure Strafe erwartet!«

Der Mörder antwortete nicht. Seine Brust preßte sich zusammen vor Angst über das Zusammentreffen mit den Indianern und vor der Anstrengung und Schnelligkeit des unbequemen Rittes, den nur ein Mann wie Diaz auf[398] längere Zeit auszuhalten vermochte. Er hatte nur den einen Gedanken, sich diesem Kampfe und dann der Strafe zu entziehen, mit welcher ihm Diaz, der Indianertödter, drohte.

Die Schüsse wurden von Minute zu Minute deutlicher. Sie schienen erst von einem bestimmten Punkte auszugehen, zerstreuten sich aber nach und nach über die Ebene.

»Teufel, die Rothen haben gesiegt und verfolgen die flüchtigen Weißen! Vorwärts, vorwärts!«

Das Pferd wurde gezwungen, weiter auszugreifen. Das Lager war nur noch höchstens zehn Minuten ferne. Einzelne dunkele Gestalten und mit einander ringende Gruppen tauchten rechts und links vor ihnen auf; hier und da erscholl der Todesschrei eines Mexikaners, während die Wilden nicht aufhörten, ein weithin schallendes Jubelgeschrei zu unterhalten, und da, gerade vor ihnen, kämpfte die Gestalt eines Weißen gegen mindestens acht Indianer. Er wurde niedergeschmettert.

»Herunter vom Pferde!« rief Diaz.

Baraja glitt herab, sah sich aber sofort von zwei Rothen ergriffen, die ihn zur Erde warfen und mit einem Lasso umschlangen. In der Absicht, sofort zu fließen, hatte er kaum den Boden berührt, so sah er sich schon gefangen – Diaz brauchte keine Strafe über ihn zu verhängen.

Dieser hatte, als er sich allein auf dem Pferde fühlte, dasselbe fest in die Zügel genommen und stürmte zwischen die Rothen hinein. Einen derselben niederschießend, faßte er dann den Karabiner beim Laufe und theilte Hiebe aus, unter denen einer der Feinde nach dem andern niedersank.

Ein Wuthgeheul erscholl um ihn, welches augenblicklich[399] neue Feinde herbeilockte. Er sah sich umzingelt; rundum erschollen die Siegesrufe der Rothhäute, und das Lager lag in grauenhafter Finsterniß. Es war Alles verloren, Alles, und für ihn gab es nur noch die Flucht. Er faßte die Büchse fester und riß sein Pferd empor. Unter dem gewaltigen Drucke seiner Sporen wieherte es laut auf und setzte über den ihn umfassenden Kreis der Feinde hinweg. Ein Wuthgeheul erscholl hinter ihm; er jagte jetzt wieder hinaus in die Ebene, wo ihn die Dunkelheit umfing und vor jeder Verfolgung verbarg.

Er ritt so lange, bis er sich sicher wußte. Bei einigen Steineichen, die er bemerkte, stieg er ab, band sein keuchendes Pferd an und warf sich auf die Erde, um auszuruhen von den außerordentlichen Erlebnissen des heutigen Tages.

Hinter ihm, nach dem Lager zu, röthete sich der Himmel und färbte sich mit purpurnen, immer glühender werdenden Tinten. Eine helle, flackernde Lohe stieg empor und warf wie ein an die Erde gefesseltes feuriges Meteor ihren Schein weit in die Steppe hinaus. Diaz wurde von ihm nicht erreicht; er lag vollständig im tiefen Dunkel.

Der heutige Tag hatte so viel Außerordentliches gebracht, daß selbst ein Mann wie Diaz einiger Zeit bedurfte, um innerlich ruhig und klar zu werden. So lag er lange Zeit, um sich zu überlegen, was er zu thun habe. Da war es, als ertöne das Geräusch nahender Schritte in sein lauschendes Ohr. Er erhob sich und zog das Messer.

Nicht weit von ihm hielten die Schritte an und er vernahm die Bewegungen eines Menschen, der sich zur Erde niedersetzte. Er mußte wissen, wer es sei. Jedenfalls ein Weißer, denn ein einzelner Indianer hätte sich[400] sicher nicht von den Siegern getrennt, um draußen in der einsamen Wildniß auszuruhen.

Er legte sich auf den Boden nieder und kroch vorsichtig dem Orte zu, an welchem der Mann saß. Als er nahe genug gekommen war, um die Umrisse der dunkeln Gestalt erkennen zu können, war er sich zuerst im Unklaren, wen er vor sich habe. Der Fremde trug eine Decke um den Oberkörper gewickelt, hatte das Haar zu einem Chignon geschlungen und darüber einen Federstutz befestigt, wie er das Abzeichen der Papagosindianer bildet.

»'sdeath, dauert das lange!« murmelte er. »Ich werde warten müssen.«

»Ein Weißer und zwar ein Staatenmann,« sagte sich Diaz, der an dem englischen Fluch sofort erkannte, wen er vor sich habe. »Er trägt Bowiemesser und eine Büchse. Ich kann sie nicht genau erkennen, aber ich möchte wetten, daß es kein schlechtes Gewehr ist. Warum hat er sich als Rothhaut verkleidet?«

Der Indianertödter lag so nahe hinter dem Fremden, daß er diesen mit der Hand hätte erreichen können. Hätte er gewußt, daß es Red-Hand, der berüchtigte Räuber der Savanne sei, so wäre er wohl nicht jetzt einige Schritte schweigend wieder zurückgekrochen; so aber kannte er ihn nicht und beschloß, das Weitere im Stillen abzuwarten.

Noch immer brannte in der Ferne die Flamme bis hoch in den nächtlichen Himmel empor. Die Indianer hatten die Wagenburg der Goldsucher in Brand gesteckt. Da vernahm Diaz das Nahen menschlicher Schritte, und es wurde ein Pfiff ausgestoßen, welchen Red-Hand erwiderte. Zwei Männer kamen herbei, denen auf dem Fuße zwölf Indianer folgten. Die letzteren blieben in geringer[401] Entfernung halten, während die beiden ersteren näher traten.

»Go on, Alter,« meinte der Eine von ihnen in englischer Sprache. »Wir haben keine Zeit zu verlieren!«

»Wohin?«

»Nach den Nebelbergen.«

»Was wollen wir dort? Ich denke, Du bist zu Schwarzvogel, um mich bei ihm anzumelden!«

»Ist die Rothhaut ein so großes Thier, daß ein Weißer angemeldet werden muß? Ich sage Dir, alter Sünder, daß jeder Apache froh sein muß, wenn Half-Breed mit ihm spricht!«

»Was willst Du in den Nebelbergen? Du willst zum Boote, welches wir dort haben? Bist Du schon fertig mit dem Häuptling?«

»Ich habe es kurz gemacht. Ich habe ihm die Heerden des Sennor Augustin Pena und den Skalp Falkenauge's versprochen; er wird sofort nach dem Büffelsee aufbrechen.«

»Und wir?«

»Gehen nach den Nebelbergen, um einen Schatz zu heben, ehe wir dem Häuptlinge folgen.«

»Was für einen Schatz?«

»Hier dieser Mann, ein mexikanischer Strolch, den die Rothen eben martern wollten, als ich kam, versprach, mir eine außerordentlich reiche Bonanza zu verrathen, wenn ich ihn retten wollte. Schwarzvogel gab ihn für Falkenauge los, und ich nahm ein Dutzend Indianer mit, um für alle Fälle gerüstet zu sein.«

Baraja, denn dieser war der »mexikanische Strolch,« verstand kein Wort englisch, sonst hätte er sich über diesen[402] Ehrentitel gewiß nicht sehr erbaut gefühlt. Seine herabgekommene Gestalt wurde, so viel es die Dunkelheit gestattete, von Main-Rouge scharf gemustert.

»Der Kerl sieht nicht so aus, als ob er eine Bonanza zu verschenken hätte!«

»Pah! Du glaubst doch nicht etwa, klüger zu sein als ich? Der Mensch befindet sich ganz in meiner Hand. Hat er mich belogen, so hat er bei mir ein Schicksal zu erwarten, gegen welches das Braten und Martern der Indianer ein Kinderspiel sein würde. Jetzt aber vorwärts, damit wir sehen, ob das Placer wirklich so überaus reich ist, wie er es mir beschrieben hat!«

Er schritt mit Main-Rouge und Baraja voraus; die Indianer folgten einer hinter dem andern, wie es ihre Gewohnheit ist.

Diaz erhob sich jetzt vom Boden.

»Welch ein Glück, daß diese Schurken nicht bei den Eichen Halt machten; mein Pferd hätte mich verrathen. Wer sind diese beiden Männer, denen der Verräther die Bonanza zeigen will? Sie müssen eine nicht gewöhnliche Macht über die Rothen ausüben! Also Don Augustin Pena soll überfallen werden? Ich muß unverweilt nach dem Büffelsee, um ihn zu warnen! Und vorher reite ich nach dem Goldthale, um Tiburcio, den jungen Grafen de Mediana, und seine beiden Jäger zu unterrichten. Ich werde trotz des Umweges, den ich, um nicht bemerkt zu werden, machen muß, das Thal noch vor den Wilden erreichen, und also zur rechten Zeit kommen, die Freunde auf die bevorstehende Gefahr aufmerksam zu machen.«

Er band sein Pferd los, stieg auf und jagte in die tiefe, stille Nacht hinein.[403]

Unterdessen hatten sich am Goldthale einige sehr ernsthafte Scenen abgespielt.

Als sich Don Estevan und Diaz in die Hände der drei Jäger gegeben sahen, folgten sie diesen bis zu der Stelle, an welcher zwischen dem Goldthale und der Pyramide die erschossenen Pferde lagen. Der Augenblick war jedenfalls ein verhängnißvoller, und er beherrschte die Gemüther in so viel verschiedenen Stimmungen, als Personen anwesend waren.

Der Graf de Mediana mußte sich sagen, daß ein einziger Moment genügt habe, ihm alle Karten aus der Hand zu reißen und ihn, den reichen Granden von Spanien, den mächtigen Herzog von Medina, in die Hände dreier Männer zu geben, welche jetzt nichts Anderes besessen hatten als ihre guten Büchsen. Er wußte, was kommen werde, denn das fürchterlich Wort »Savannengericht« hatte ihm alles gesagt, und der Grimm, welchen er über die unerwartete Ueberrumpelung und Niederlage empfand, vermischte sich mit einem dumpfen, tauben Gefühle, als habe er mit einer Keule einen Schlag erhalten, unter dem ihm die Selbstbestimmung und Zurechnungsfähigkeit verloren gegangen sei.

Fabian sah sich vor einem Momente, welcher bestimmt war, die großen Geheimnisse seines Lebens zu enthüllen. Es war ihm, als stehe er an dem Portale eines Tempels, unter dessen Säulen er neu geboren werden solle. Aber alle diese Säulen waren von Kapitälern gekrönt, von denen herab ihm die Masken des Todes entgegengrinsten; wo er hinblickte, sah er die Mutter mit ihrem Mörder ringen; wohin er nur lauschte, hörte er ihren letzten Schrei und das erschütternde Röcheln ihres entfliehenden Athems, und es lebte eine Stimme in ihm, die nach Rache[404] und Vergeltung schrie und jede milde Regung verdammte, welche bereit war, Gnade und Nachsicht zu üben.

Diaz fühlte einen Zwiespalt in seinem Innern, den er nicht auszugleichen vermochte. Er hatte bewundernd die Gewandtheit, Umsicht und Festigkeit beobachtet, durch welche es Don Estevan de Arechiza gelungen war, einen Haufen wilder, gewaltthätiger Abenteurer zu zügeln und in eine wohlbewehrte und ziemlich gut disziplinirte Truppe zu verwandeln. Er achtete seinen Anführer und war bisher gewohnt gewesen, ihm Gehorsam zu leisten. Nun hatte er die Anklage Pepe Dormillons und Fabians gehört, und die Auslassungen Cuchillo's waren ganz geeignet gewesen, ihn zu überzeugen, daß diese Anklagen wohlbegründet seien. Dadurch kam seine Pietät in Widerspruch mit seiner Ehrlichkeit, und er sah in Folge dessen dem Kommenden mit einem Gefühle entgegen, dessen Unsicherheit ihm eine ganz bedeutende Unbequemlichkeit verursachte.

Pepe, der Exmiquelete, sah seinen heißesten Wunsch erfüllt, den Grafen de Mediana zwischen seine kräftigen Fäuste zu bekommen. Es hatte ihn ein unendliches Rachegefühl gegen diesen Mann belebt und er war fest entschlossen, dem Morde, dessen unwissentlicher Theilnehmer er geworden war, heut eine strenge Vergeltung folgen zu lassen.

Was endlich Bois-rosé betrifft, so fühlte er jetzt nur seine Liebe zu Fabian und den Ernst der richterlichen Verhandlung, an welcher er Theil nehmen sollte. Sein Sohn stand jetzt vor der so lang ersehnten Aufklärung einer in tiefes Dunkel gehüllten Vergangenheit, und Rosenholz war gewillt, dieselbe möglichst zu unterstützen. Er hatte lange Jahre in Wald und Prairie gelebt; jeder Zoll an ihm[405] war Jäger, und die Anschauungen der Wildniß, in der ein Jeder auf seine eigene Kraft angewiesen ist, hatten sich mit seiner natürlichen, biedern Frömmigkeit zu einer Gesinnung vereinigt, die das bevorstehende Savannengericht jedenfalls zu einer Handlung der lautersten Gerechtigkeit gestalten mußte.

Pepe war der Erste, welcher das Wort ergriff.

»Macht, daß wir beginnen, Don Fabian! Es ist alles vorhanden, was zur Sitzung nöthig ist, und wir können nicht behaupten, daß wir lange ungestört bleiben werden.«

Der Angeredete nickte und wandte sich zu Don Estevan.

»Ihr habt gehört, Sennor, was von uns über Euch beschlossen worden ist. Ich hoffe, Ihr werdet Euch in Eure Lage finden!«

Arechiza blickte finster auf.

»Ich kenne Niemanden, der ein Recht haben könnte, über mich Gericht zu halten. Wer eine Beschwerde vorzubringen hat, mag sich an die Behörde wenden!«

»An die Behörde?« frug Pepe. »Santa Lauretta, seid Ihr klug! Ich habe Euch bereits einmal den Gefallen gethan, mich an das Ding zu wenden, von dem Ihr sprecht; da ich aber auch heut noch keine Lust verspüre, nach dem Präsidio Ceuta auf den Thunfischfang zu gehen, so werdet Ihr Euch wohl in unsere Anordnungen finden müssen!«

»Ich erkenne keinen Mann als Richter an, der landesflüchtig wurde, um einer über ihn verhängten gerechten Strafe zu entgehen!«

Pepe's Augen blitzten auf.

»Gerecht, sagt Ihr? Mann, wenn Ihr noch eine einzige solche Aeußerung wagt, so schlage ich Euch mit[406] diesen meinen Händen nieder wie einen Schakal, der die Luft verpestet! Ein guter Dolchstoß mag zu seiner Zeit am Platze sein, wer ihn aber leugnet und einem Unschuldigen in das Gesicht schleudert, der handelt feig und ehrlos und darf sich nicht wundern, wenn er abgethan wird, wie ein wildes, muthloses Ungeziefer.«

Auch der Kanadier war auf das Höchste erzürnt über die seinem Gefährten angethane Beleidigung.

»Sennor,« meinte er, »wir stehen im Begriffe, ein ehrliches Gericht über Euch zu halten. Zwingt uns nicht, Euch als Lügner und gewissenlosen Schurken zu behandeln, denn dann hättet Ihr das Schicksal eines Gewürmes, welches man tödtet, wo man es nur findet. Laßt uns beginnen, meine Freunde!«

»Ja, beginnen wir,« stimmte Fabian bei. »Willst Du das Gericht zusammensetzen, mein Vater?«

»Sogleich! Wer ist Ankläger?«

»Ich!« antwortete Pepe.

»Und ich!« fügte Fabian hinzu.

»So tretet zur Seite, denn Ihr könnt nicht Richter sein.«

»Das wirst Du übernehmen, Vater!«

»Nein, mein Sohn, das kann ich nicht, denn meine Liebe zu Dir würde mich möglicher Weise zu einem ungerechten Urtheile bewegen. Wir haben nur Einen hier, der dieses Amt zu versehen vermag.«

Er wandte sich an Diaz.

»Sennor Diaz, Ihr werdet uns hoffentlich die Ehre erweisen, den Vorsitz zu übernehmen.«

»Ich danke Euch! Wollt Ihr mir zumuthen, über[407] Den zu Gericht zu sitzen, der mein Anführer ist und den ich vor wenigen Minuten noch befreien wollte?«

»Und dennoch werdet Ihr es thun. Ich werde das Amt des Wächters übernehmen müssen und Ihr kennt den Savannenbrauch zu gut, um nicht zu wissen, daß es die Pflicht eines jeden Jägers ist, sich einer gerechten Sache anzunehmen. Ihr würdet uns durch Eure Zurückweisung beleidigen.«

»Nun wohl, so muß ich Euch zu Willen sein! Doch ersuche ich Euch, sofort zu beginnen, da wir uns auf dem Gebiete von Männern befinden, die es sich sehr zum Vergnügen machen würden, unsere Sitzung durch einige Kugeln oder Pfeile zu unterbrechen!«

»So erlaubt, daß ich nach altem Brauche die Plätze vertheile!«

Rosenholz wies Diaz, als dem Einzigen, welcher das Recht hatte, sich zu setzen, den Sattel eines der erschossenen Pferde an; dann zog er diesem gegenüber mit dem Ladestocke einen Kreis.

»Das ist Euer Ort, Don Estevan. Ich hoffe, daß Ihr diese Linie nicht überschreitet, da die augenblickliche Folge davon eine Kugel sein würde!«

Zur Linken und Rechten von Diaz stellten sich Fabian und Pepe auf, so daß die vier Personen die Ecken eines Viereckes oder die Endpunkte eines Kreuzes bildeten, außerhalb dessen der Kanadier stand, um als Wächter der Ordnung und Sicherheit zu fungiren.

Diaz zog sein Messer und stieß es in die Erde.

»Sennores, das Gericht beginnt; es soll dauern, so lange diese Klinge sich verbirgt zum Zeichen, daß nicht Gewalt, sondern Recht und Gerechtigkeit walten soll unter[408] uns. Strafe dem Verbrechen, Strafe aber auch der Lüge und Verleumdung, die auf Rache und Verderben sinnt! Wer hat eine Klage unter Euch?«

»Ich, Pepe Dormillon, wie mein Name lautet.«

»Und ich, Tiburcio Arellanos, wie ich bisher genannt wurde.«

»So stoßt auch Eure Messer in die Erde. Möge Euch der Tod treffen, so scharf und spitz wie Eure Klingen sind, wenn Ihr auf Unrecht denkt!«

Sie folgten seinem Gebote nach dem alten, heiligen Brauche der Savanne.

»Pepe Dormillon, wen klagt Ihr an?«

»Ich klage an diesen Sennor Don Estevan de Arechiza, der eigentlich Graf Antonio de Arechiza heißt und sich Herzog von Medina nennt.«

»Wie lautet Eure Klage?«

»Ich klage ihn an dreimal; ich klage ihn an des Mordes, des Menschenraubes und des Mißbrauches der richterlichen Gewalt zur Verurtheilung eines Unschuldigen.«

»Don Estevan de Arechiza, gebt Ihr zu, der Graf Antonio de Mediana zu sein?«

»Ich bin es,« antwortete er stolz.

»Erkennt Ihr an, daß dieser Pepe Dormillon ein Recht zu seiner Anklage habe?«

»Ich erkenne nichts an, auch nicht Euer Recht, mich zu verhören, und werde nicht antworten, als wenn es mir beliebt.«

»Ihr habt Euren Willen, Graf Antonio; aber das Gesetz der Savanne lautet: ›Wer die Antwort verweigert, erklärt sich durch sein Schweigen für schuldig und überführt.‹ Das mögt Ihr wohl bedenken! In der Steppe[409] gilt nicht der Titel, sondern nur der Mann. Wer nicht fallen will, muß sich zu vertheidigen wissen. – Pepe Dormillon, redet!«

»Der Angeklagte hat ermordet seine Schwägerin, die Gräfin Donna Luisa de Mediana auf Schloß Elanchovi.«

»Ist diese Anklage gerecht, Don Estevan?«

Der Gefragte schwieg.

»Bedenkt, daß Euer Schweigen als Zugeständniß gilt!«

»Ihr treibt ein Puppenspiel, Sennor Diaz,« antwortete Arechiza jetzt. »Ihr stoßt Euer Messer in die Erde zum Zeichen, daß nur Recht und Gerechtigkeit walten solle, und laßt doch nichts gelten, als die Gewalt. Ich habe nichts zu gestehen und nichts zu widerlegen. Wer mich anschuldigt, mag den Beweis führen, daß er die Wahrheit sagt!«

»Pepe Dormillon, könnt Ihr diesen Beweis bringen?«

»Er liegt in der Erzählung, die ich Euch geben werde.«

Er berichtete den Vorgang jener Nacht auf Elanchovi so genau, wie er sich seinem Gedächtnisse eingeprägt hatte. Diaz konnte nicht anders, er mußte sich von der Schuld des Grafen vollständig überzeugt fühlen.

»Don Arechiza, es thut mir leid, Euch sagen zu müssen, daß ich Alles, was dieser Sennor sagt, für Wahrheit halte!«

»Denkt, wie Ihr wollt! Auf eine Meinung hin aber darf kein Mensch verurtheilt werden. Eine Erzählung ist kein Beweis. Bringt Zeugen!«

»Das Gesetz der Savanne hält einen Zeugen nicht für alle Fälle erforderlich. Die Ueberzeugung ist genügend,[410] Euer Urtheil zu fällen. Ich fordere Euch auf, einfach zu sagen, ob Ihr den Mord begangen habt oder nicht!«

»Ich antworte nicht!«

Er war zu stolz, ein Zugeständniß zu geben oder eine Lüge zu sagen, die ihn doch vielleicht nicht retten konnte.

»Euer Schweigen gilt als Ja. Ihr seid des Mordes und des Kindesraubes überführt. Wo ist der Knabe hingekommen?«

»Eure Fragen sind überflüssig. Ich kann Euch keine Auskunft ertheilen.«

»So erzählt weiter, Sennor Pepe!«

Dormillon berichtete von seiner Verurtheilung und späteren Flucht. Als er geendet hatte, wandte sich Diaz wieder an Arechiza.

»Bekennt Ihr Euch zu dem, was Ihr gehört habt?«

Der Gefragte zog wieder vor, zu schweigen.

»Sagt Ja oder Nein!«

Auch jetzt erfolgte keine Antwort.

»Euer Schweigen ist uns genug! Don Estevan, ich habe Euch eine nicht gewöhnliche Achtung gezollt, und ich würde viel darum geben, wenn ich Euch unschuldig sehen könnte, Euer Verhalten jedoch ist nicht dasjenige eines Mannes, dem man eine bleibende Theilnahme widmen darf!«

»Behaltet Eure Theilnahme, Diaz. Ihr seid ein Abtrünniger. Ihr habt mir Treue und Gehorsam zugesagt und Euch doch jetzt mit Personen verbunden, welche mein Verderben wollen. Ich bin in Eurer Gewalt, doch beugen werde ich mich nicht vor Euch. Der Herzog von Medina lacht Eurer Anklagen, auch wenn sie ihm das Leben kosten sollten!«[411]

»Sennor, es wurde Euch bereits gesagt, daß der Herzog in der Savanne nichts gilt. Ihr seid in diesem Augenblicke nichts als Angeklagter, und gelingt es Euch nicht, Euch zu rechtfertigen oder seid Ihr zu einer Vertheidigung zu stolz, so laßt jeden Gedanken an Rettung schwinden! Habt Ihr Eurer Anklage noch Etwas beizufügen, Sennor Dormillon?«

»Nein, ich bin fertig. Ich hoffe natürlich, daß ein dreifaches Verbrechen, auf welches das Recht der Savanne dreimal den Tod erfolgen läßt, seine strengste Strafe finden werde!«

»Jetzt Ihr, Sennor Tiburcio. Wessen zeiht Ihr den Angeklagten?«

»Des Mordes an seiner Schwägerin, des Menschenraubes an seinem Neffen und des Mordversuches gegen mich selbst. Die beiden ersten Verbrechen sind bereits besprochen worden; ich brauche also nur von dem dritten zu reden.«

»Sprecht!«

Er erzählte von dem Ueberfalle im Garten der Hazienda del Venado und dann später im Walde, und schilderte dann das Verhalten Don Estevans am Ufer des Salto de Agua.

»Sennor Arechiza, was sagt Ihr zu diesen Worten?« frug Diaz, welcher seine Theilnahme für den Anführer der Expedition immer mehr schwinden fühlte.

»Zeugen!« lautete die kurze Antwort. Der Stolz des Grafen war ein falscher; er schloß die Ehrlichkeit aus.

»Ihr könnt diese Forderung aussprechen, weil Ihr wißt, daß Cuchillo geflohen ist; dennoch aber ist ein Zeuge nicht unbedingt nöthig, denn ich frage Euch, ob Ihr Euch[412] des Mordversuches schuldig erklärt. Wollt Ihr Euch zu einer Lüge erniedrigen?«

Wieder schwieg der Gefragte.

»Also Ihr gesteht die That ein, und wir können also – – –«

Er hielt mitten in dem angefangenen Satze inne, denn hinter der Pyramide ertönte ein Schrei, der sogar das Brausen des Wasserfalles übertraf und dann ein Schlag, als sei ein schwerer Körper von bedeutender Höhe herabgefallen.

»Was war das?« frug Pepe.

»Ein Mensch, dem ein Unglück geschehen ist,« antwortete Diaz. »Wir müssen sofort nachsehen, was dort –«

»Halt,« unterbrach ihn der Kanadier; »Ihr habt hier Euern Platz, den Ihr ohne Noth nicht verlassen dürft! Ich werde nachsehen, was es ist.«

Er wandte sich nach der Ecke des Indianergrabes, hinter welcher er verschwand. Die Andern blieben zurück und warteten lautlos aus seine Rückkehr. Diese erfolgte erst nach längerer Zeit. Er brachte den von Oroche herausgesprengten Goldblock auf der Achsel getragen.

»Schaut hier, was ich fand!«

Er nahm den Klumpen herab und legte ihn zu Fabians Füßen.

»Gold!« rief dieser, erstaunt über die außerordentliche Größe des Metallstückes.

»Reines Jungferngold, viele Tausende werth!« stimmte Archezia bei, beinahe erstarrt bei dem Anblicke dieses noch niemals dagewesenen Fundes. Er hatte für den Augenblick seine Lage vollständig vergessen, trat aus dem ihm[413] gezogenen Kreise und stürzte förmlich über den Block her, um ihn nach seiner Schwere zu taxiren.

»Santa Lauretta,« ließ sich Pepe hören; »hätte ich diesen Westenknopf gehabt damals, als ich noch Miquelete war und auf Kosten des Staates verhungern durfte! Wo hast Du ihn gefunden, Rosenholz?«

»Das ist ganz gleich!« meinte Don Estevan. »Er gehört zur Bonanza und muß mit zur Vertheilung kommen.«

»Ganz wie Ihr denkt, Graf Antonio de Mediana,« lachte Dormillon. »Wir sind hier in Summa fünf Personen und werden den Knopf sofort zerschneiden, damit ein Jeder sein Theil erhalte, auch Ihr, weil Ihr so gut wart, mich in das Präsidio Ceuta auf den Thunfischfang zu schicken!«

Diese Worte brachten den Grafen zur Wirklichkeit zurück. Er erhob sich beinahe beschämt, doch glänzte in seinen Augen ein Licht, wie man es bei Irrsinnigen bemerken kann, welche im Verlangen nach einem nahe gehaltenen und dennoch unerreichbaren Gute Tantalusqualen auszustehen haben.

»Wo hast Du diesen Fund gethan, mein Vater?« frug Fabian.

»Da hinten hart an dem Becken, in welches sich das Wasser stürzt. Seht Ihr den Kopf da oben?«

Er zeigte zur Höhe des Berges; die Augen der Andern folgten seinem Arme.

»Baraja,« meinte Diaz.

»Ja, Baraja. Seht, er bemerkt, daß wir ihn erblickt haben, und weicht zurück. Er ist schuld, daß ich dieses Gold fand.«

»Wie so?«

»Der Block hat hinter dem Wasserfalle in der Felsenwand[414] gesteckt. Oroche ist von Baraja an dem Lasso herabgelassen worden, um ihn zu lösen, und hat dann seinen Tod in der Tiefe gefunden. Der Lasso ist zerschnitten; Baraja hat das Gold nur für sich haben wollen.«

»Hast Du Oroche gefunden?«

»Nein; die kochenden Fluthen des Abgrundes haben ihn verschlungen.«

»Wir müssen schnell dem Mörder nach!« rief Fabian in seinem Edelmuthe, indem er nach der Büchse griff.

»Halt!« rief Pepe. »Es darf kein Messer hier aus der Erde gezogen werden, bis das Gericht beendet ist. Dieser Baraja bleibt uns sicher.«

Er blickte nochmals zu dem Punkte empor, an welchem vorhin der Kopf des Genannten sichtbar gewesen war, und ließ dabei unwillkürlich sein Auge auch über den Rand der Pyramide streifen.

»Per dios, Rosenholz, blicke doch jetzt nicht empor, um uns nicht zu verrathen! Da oben auf der Plattform des Grabes liegt Cuchillo.«

»Cuchillo? Der Mörder, der Zeuge, den wir brauchen! Hast Du ihn recht gesehen?«

»Ohne Zweifel!«

»So müssen wir ihn haben! Gehe links um das Grab und steige von hinten empor; er wird fliehen wollen und ich empfange ihn dann da rechts an der Ecke.«

Pepe ergriff sein Gewehr und schritt in der angegebenen Richtung um die Pyramide. Beim Erklimmen derselben verfuhr er so vorsichtig wie möglich. Cuchillo mußte ja seine Absicht errathen und konnte ihm sehr leicht eine Kugel zuschicken. Dies geschah allerdings nicht. Er erreichte unangefochten das Plateau und – fand es verlassen[415] Im Nu war er wieder unten und trat zu dem Kanadier.

»Nun?« empfing ihn dieser.

»Hast Du ihn nicht?«

»Nein. Und Du?«

»Siehst Du ihn etwa bei mir?«

»Aber er ist herab.«

»Oder Du hast Dich überhaupt geirrt.«

»Das ist unmöglich. Ich sah seinen Kopf ganz genau. Er ist herab. Aber links heraus hat er nicht gekonnt, sonst hätte ich es bemerkt.«

»Und rechts auch nicht, denn dann wäre er mir in die Hände gelaufen. Er ist also an der Nordseite der Pyramide herab. Komm, laß uns sehen, ob seine Spur zu finden ist!«

Zwischen dem See und dem nördlichen Fuße des Grabmales befand sich nur ein nicht sehr breiter Streifen Landes, welcher so steinigt war, daß kein Fuß eine Spur auf ihm zurücklassen konnte. Dennoch aber erspähete das scharfe Auge des Kanadiers auf dem felsigen Boden einen kurzen, hellen Strich, welcher aussah, als ob ihn eine unsichere Hand mit einem eisernen Griffel eingegraben hätte.

»Hier ist er gegangen, Pepe! Laß sehen – ja, hier liegt das Quarzstückchen, auf welches er getreten ist und dem wir diesen Strich verdanken. Wenn ein Fuß auf einen Stein von dieser Größe tritt, so gleitet er nicht nach hinten oder vorn, sondern zur Seite aus; die Richtung des Striches, welchen der Quarz auf dem Steine hervorgebracht hat, sagt uns also, daß Cuchillo gerade nach dem See gegangen ist.«

»Ganz meine Meinung. Komm!«[416]

Sie gingen bis an das Ufer des Wassers, fanden aber trotz längeren Suchens keine weitere Spur, und schon wollte Pepe ungeduldig werden, als er plötzlich Etwas bemerkte, was ihn bewog, die Büchse anzulegen.

»Was ists?« frug Bois-rosé. »Willst Du uns durch einen Schuß verrathen?«

Dormillon blinzelte ihm verschmitzt mit dem Auge zu.

»Siehst Du fünf Schritte von hier dort im Wasser die zwei, drei, fünf, acht breiten Lambredoniblätter, die sich wie ein flaches Dach über der Oberfläche erheben? Ich wette, es steckt ein Riesenfrosch darunter, und da ich gerade einen außerordentlichen Appetit auf Froschkeulen habe, so werde ich mir das Amphibium herausholen.«

Der »Riesenfrosch« mußte jedes Wort vernehmen. Pepe legte an; der Hahn knackte laut, und schon berührte er Finger den Drücker, da begannen sich die Lambredonipflanzen zu bewegen.

»Schießt nicht; ich bins!« erscholl es unter den Blättern hervor, und dann ließ sich der Kopf Cuchillo's sehen.

Er hatte keinen andern Ort, sich zu verbergen, gewußt, als den See, dessen großblätterige Wasserpflanzen ganz geeignet waren, seinen Kopf und die Büchse, welche er nicht zurücklassen konnte, zu verdecken.

»Santa Lauretta, welch ein Frosch! Sennor Cuchillo, beinahe wäre Euch mein Appetit an das Kamisol gegangen. Sagt, was thut Ihr hier in dieser trüben Suppe?«

»Ich – ich wollte – ich dachte – – –«

»Ihr wolltet ein Bad nehmen, nicht wahr? Aber warum nehmt Ihr Euch denn keine Zeit, vorher die Kleider abzulegen? Kommt heraus; es giebt hier Leute, welche großes Verlangen haben, mit Euch zu sprechen!«[417]

»Aber gebt erst Eure Büchse heraus,« fügte Bois-rosé hinzu; »denn solche gefährliche Instrumente sind nicht für Amphibien gemacht!«

Er nahm ihm das Gewehr ab und erlaubte ihm erst dann, das eiseskalte Wasser zu verlassen.

Der Bandit hatte nur wenige Minuten in demselben gestanden, aber dennoch war es ihm, als sei er bis ins tiefste Mark zu Krystall gefroren. Die Aufregung der letzten Stunden und die steigende Hitze des glühenden Tages hatten ihm zuvor den Schweiß aus allen Poren getrieben; die ganze Wanderung durch die Steppe hatte ausglühend und vertrocknend auf ihn gewirkt, und jetzt war er plötzlich in der Aufregung und Angst in ein Wasser gesprungen, welches unterirdischen Quellen entstammte und wie ein starker elektrischer Strom oder ein Schlaganfall erstarrend wirken mußte. Er stand, au allen Gliedern zitternd, vor den beiden Waldläufern und hätte sich auch gegen den leisesten Angriff nicht zu wehren vermocht.

»Kommt, Sennor Cuchillo,« meinte Pepe, indem er ihn beim Arme nahm. »Wir werden Euch ins Feuer führen, damit Ihr Euch nach dem eisigen Bade wieder erwärmen könnt!«

Er folgte ihnen ohne Widerstand.

»Hier, Sennores, bringen wir den Zeugen, den Don Estevan verlangte,« sprach Rosenholz; »ich hoffe, daß wir nun schnell zu Ende kommen werden.«

»Willkommen, Don Cuchillo,« begrüßte Diaz den vor Frost Bebenden. »Ich glaubte, Ihr hättet auf längere Zeit Abschied von uns genommen. Ihr steht vor einem Savannengericht, wie Ihr wohl bereits von dort oben bemerkt habt,[418] und werdet uns einigen Aufschluß über Dinge geben, welche Don Estevan nicht eingestehen will. Tretet herbei!«

»Ich protestire gegen diesen Zeugen!« widersprach Arechiza.

»Aus welchem Grunde?«

»Weil ich ihn selbst anzuklagen habe.«

»Wohlan, Graf Antonio, so überhebt Ihr mich dieser Anklage, welche ich später selbst erhoben hätte.«

Er zog einen ähnlichen Ring wie vorher bei Don Estevan und gebot dann Cuchillo:

»Tretet in diesen Kreis, und seid überzeugt, daß Ihr verloren seid, sobald Ihr ihn zu überschreiten wagt! Sprecht, Graf Antonio de Mediana!«

»Ich klage an diesen Mann des Mordes an dem Gambusino Marcos Arellanos.«

»Ah!« rief Fabian. »Meine Ahnung, Beweise, Beweise!«

»Diese brauche ich nicht zu liefern. Sennor Diaz hat vor kurzer Zeit das Geständniß des Mörders gehört.«

»Ist dies wahr?«

»Ja,« nickte Diaz; »und darum hatte ich mir vorgenommen, ihn anzuklagen, wenn nicht Don Estevan dies übernommen hätte. Was habt Ihr zu entgegnen, Cuchillo?«

Der Gefragte blickte um sich, als befinde er sich im Fieber. Ein Leugnen war unmöglich. Sollte es keine Rettung, keine Gelegenheit zur Flucht mehr geben? Vielleicht. Aber vorher mußte er Rache nehmen an dem Manne, der sich seiner zum Verbrechen bedient und ihn nun so schmählich verrathen hatte.

»Nichts!« antwortete er.[419]

»So gebt Ihr zu, der Mörder Marcos Arellanos zu sein?«

»Wir kamen in Streit und er unterlag.«

»Ihr kamt in Streit während er schlief und Ihr wachtet, und darum mußte er unterliegen. Das Gesetz der Savanne hat nur eine Strafe für diese That: den Tod. Ich bin gezwungen, dieses Urtheil auszusprechen. Habt Ihr Etwas gegen dasselbe einzuwenden, Sennores?«

»Nein; er sterbe,« meinte Pepe.

»Er sterbe,« fügte Bois-rosé bei.

»Und Ihr, Sennor Tiburcio?«

»Ich habe keine Gnade für ihn, dem ich in die Wüste folgte, um ihm den gerechten Lohn zu bringen!«

»Ihr habts gehört, Cuchillo. Oder dünkt Euch die Strafe ungerecht?«

Der Gefragte fühlte die alte Frechheit über sich kommen. Es war heut nicht das erste Mal, daß er einem so schmählichen Schicksale gegenüberstand. Klagen halfen nichts, und sollte er wirklich rettungslos verloren sein, so gab es noch einen Trost: die Rache an Don Estevan.

»Sie ist zu streng,« antwortete er, »denn ich habe Arellanos im Kampfe getödtet, und hätte ich nicht selbst von der That gesprochen, so hättet Ihr nie Etwas herausbekommen.«

»Meint Ihr, Cuchillo?« frug Fabian. »Euer stolperndes Pferd hat Euch mir längst verrathen, und die Wunde am Fuße, welche Ihr während des Kampfes mit meinem Pflegevater erhieltet, könnt Ihr auch nicht verbergen.«

Wirklich hatte die eisige Kälte des Wassers so schlimm auf die nur schlecht verharschte Narbe Cuchillo's gewirkt,[420] daß dieser Schmerzen fühlte, welche ihm kaum erlaubten, auf dem Beine zu stehen.

»Und wenn Ihr meint,« fügte Fabian hinzu, »daß die Strafe wirklich zu hart sei, so brauche ich Euch nur des zweifachen Mordversuches anzuklagen, um Euch eine andere Ueberzeugung beizubringen.«

»Daran bin ich unschuldig. Ich konnte nicht anders, ich mußte gehorchen, Graf Fabian de Mediana.«

Tiburcio trat erstaunt einen Schritt zurück.

»Wie, Ihr kennt meinen wirklichen Namen?«

»Ich kenne ihn besser und sicherer, als jeder Andere. Ich bin es ja gewesen, der – – –«

»Schweigt!« herrschte ihn Don Estevan an, der erst jetzt einsah, wie unvorsichtig er gehandelt hatte, seinen Mitschuldigen zu verrathen.

»Ihr habt mir hier nicht zu befehlen, Kapitano Antonio! Die Zeit, in welcher ich Kajütendiener Eures Kaperschiffes war, ist längst vorüber, und ich werde diesen Sennores sagen, was mir – – –«

»Nichts wirst Du sagen,« rief Arechiza, welcher jetzt zum letzten und einzigen Mittel griff, aus welchem ihm Rettung leuchten konnte; »ich bin selbst Mannes genug, zu thun, was ich für nöthig und aufrichtig halte. Tiburcio Arellanos, Du bist Graf Fabian de Mediana, mein Neffe. Komm in meine Arme!«

Er breitete die Arme aus, um Fabian in denselben zu empfangen, doch dieser wich zurück.

»Graf Antonio, könnt Ihr beschwören, daß ich wirklich Euer Neffe bin?«

»Ich ließ den Knaben aussetzen und kenne weder die näheren Umstände Deiner Rettung noch Deine späteren[421] Schicksale; aber die Aehnlichkeit, welche ganz untrüglich ist, die Narbe auf Deiner Wange, welche vom Messer dieses Miquelete stammt, und der Umstand, daß Deine Begleiter Dich längst für ihn gehalten haben, sind mir Beweis genug, daß Du es bist.«

»So schwört!«

»Ich beschwöre es und übergebe Dir zur weiteren Bekräftigung diese beiden Ringe. Der Eine ist der Siegelring der Mediana; Dein Vater hat ihn getragen; der Andere stammt von dem Finger Deiner Mutter. Ich habe ihr Beide abgenommen, als – als sie unter dem Dolche dieses Mannes gestorben war.«

»Aber auf Euern Befehl,« schäumte Cuchillo. »Nicht ich bin der Mörder, sondern Ihr seid es!«

Fabian achtete nicht auf diesen Einwand. Er ergriff die Ringe und drückte sie mit unaussprechlichem Entzücken an seine Lippen.

»Mein Vater, meine Mutter!«

Mehr vermochte er nicht zu sagen. Er fiel in die Kniee und brach, er, der starke, in Gefahr so muthige und unerschütterliche Rastreador, in ein lautes Schluchzen aus.

War es, daß der kalte Arechiza durch diesen Beweis des Schmerzes und Entzückens wirklich gerührt wurde, oder sollte es nur als Mittel zur sicheren Rettung dienen, er wagte es, seinen Kreis zu verlassen und auf Fabian zuzutreten.

»Du wirst noch mehr erhalten, was ihre Hand berührte und was ihnen lieb und theuer war. Mein Herz war hart, aber es hat dennoch bereits einmal unwiderstehlich für Dich gesprochen. Das war, als ich Dich in del Venado tödten wollte und Du entkamst. Ich wußte nicht, ob ich[422] von der Expedition zurückkehren wurde und ließ ein schriftliches Bekenntniß in meinem Zimmer zurück.«

Er legte, um weiter zu sprechen, ihm die Hand auf die Schulter. Bei dieser Berührung aber schnellte Fabian empor.

»Thut Eure Hand hinweg, Graf Antonio de Mediana! Ihr seid der Bruder meines Vaters und sollt nicht sterben, sondern Gnade finden, aber berührt mich nie, denn an Eurer Hand klebt das Blut meiner Mutter, die Ihr ermorden ließet.«

Mit wohl nur geheuchelter Ergebenheit trat der Graf in den Kreis zurück. Er griff unter seine Kleidung und zog ein Notizbuch hervor, schrieb einige Worte auf ein leeres Blatt, riß dasselbe heraus und übergab es ihm.

»Ich kann Deinem Herzen keinen Zwang anthun, Fabian; vielleicht lernt es später anders schlagen. Doch will ich Dir beweisen, daß ich jetzt aller Feindschaft gegen Dich entsage. Die Hazienda del Venado gehört mir, und Du bist mein einziger Erbe. Hört es, Sennores, damit Ihr es ihm bezeugen könnt. Don Augustin Pena ist nur der Pächter. Gieb ihm, wenn ich gar nicht oder nicht mit Dir zurückkehren sollte, diese Zeilen; er wird Dich als seinen Herrn empfangen und Dich in meine Zimmer führen. Oeffne das Schreibpult und drücke an die Feder in der rechten Seite der Nische desselben und Du wirst das Bekenntniß finden, von welchem ich gesprochen habe.«

Fabian steckte die Zeilen zu sich.

»Ich nehme dieses Blatt, Don Antonio, denn ich verzeihe Euch die Anschläge gegen mich und werde es Gott überlassen, den Tod meiner Mutter zu richten, doch – –«

»Halt,« fiel ihm hier Pepe in die Rede; »Ihr könnt[423] ihn nicht begnadigen, Sennor Fabian. Auch ich habe einen Ring; seht ihn hier an meiner Hand! Er gab ihn mir damals in der Ensenada, damit ich schweigen sollte, und ich ward so zum Mitschuldigen seiner That. Vergebt ihm, wenn ihr wollt, aber Gnade darf er nicht erhalten. Er hat mich heimathlos gemacht, als er es dahin brachte, daß ich Thunfische fangen sollte, und ich verlange, daß er seine Strafe erhalte!«

»Pepe!« mahnte Fabian. »Gilt Euch mein Wunsch so wenig?«

»Er gilt mir mehr, als Ihr denkt, aber seht Ihr denn nicht ein, daß Ihr auch diesen Cuchillo laufen lassen müßt, wenn Ihr Don Estevan begnadigt?«

»Was er an mir und der Mutter that, vergebe ich auch ihm. Aber er ist der Mörder von Marcos Arellanos, und ich habe der Pflegemutter einen heiligen Eid leisten müssen, daß er sterbe, sobald ich ihn erreiche!«

Cuchillo hörte diese Worte; er sah in das drohende Angesicht und mußte sich sagen, daß er keine Nachsicht finden werde. Noch war es Zeit zur Flucht, aber der Hauptschuldige sollte auf alle Fälle verloren sein.

»Gnade, Don Fabian!« flehte er. »Ihr könnt nicht verzeihen und verdammen zu gleicher Zeit. Ich will Euch ohne Widerrede die Bonanza abtreten, will Euch dienen und gehorchen so lange ich lebe, will – – –«

Fabian schnitt ihm die Rede mit einer gebieterischen Handbewegung ab.

»Schweigt! Jedes Wort ist unnütz!«

»So stirbt auch er!«

Im Nu hatte er das Messer, welches man ihm unvorsichtiger Weise gelassen hatte, hervorgezogen und stieß es Arechiza[424] bis an das Heft in die Brust. Ehe er noch von Fabian, welcher ihn packen wollte, zurückgehalten werden konnte, sprang er auf die Ecke der Pyramide zu und verschwand hinter derselben.

Die Andern eilten ihm sofort nach.

»Halt,« donnerte Bois-rosé, »ich bin der Wächter, er gehört mir!«

Mit einigen Riesenschritten erreichte er die Ecke und hob die nie fehlende Büchse empor.

»Steht, Cuchillo!«

Dieser wäre vielleicht doch entkommen, aber die Kälte des See's hatte so auf die wieder aufbrechende Wunde seines Fußes gewirkt, daß er nur langsam vorwärts kam, er hörte den Ruf des gewaltigen Jägers hinter sich, aber er befolgte ihn nicht.

»Steht!« wiederholte der Kanadier.

Als auch dieser Befehl nicht beachtet wurde, drückte er los. Cuchillo überschlug sich, stürzte zur Seite und fiel in das Wasser des Sees, gar nicht weit von der Stelle, an welcher er vorher Zuflucht gesucht hatte.

»Todt!« sagte Rosenholz einfach und wandte sich um.

»Todt alle Beide,« fügte Pepe hinzu, »ohne daß wir das Gericht zu Ende gebracht hätten!«

Fabian stand bereits wieder bei der Leiche seines Oheims. Die Andere traten zu ihm, aber sie wagten nicht, sein Schweigen zu unterbrechen. Sein Auge ruhte dichter auf den Ueberresten eines Mannes, welchen ihm die Natur so nahe gestellt hatte, und der doch schon in den Jahren der Kindheit sein ärgster Gegner gewesen war. Endlich wandte er sich um.

»Es gibt eine ewige Gerechtigkeit, mein Vater, welcher[425] kein irdischer Richter gleicht. Weit drüben in Spanien geschah ein Verbrechen, und hier über dem Meere führt Gott die Thäter zu einer Stunde und an einem Orte, den noch kaum der Fuß eines Weißen betrat, mit Denen zusammen, an denen sie sündigten.«

»Sennor Fabian, Ihr sprecht mir aus dem Herzen,« meinte Pepe Dormillon. »Als ich in Elanchovi vor dem Grafen Antonio stand und ihn an seine That erinnerte, lachte er meiner Drohung. Da sagte ich ihm: ›Es gibt einen Richter, dem Sie nicht entgehen können; er wird Sie finden, und wenn Sie vor ihm in die tiefste Wildniß fliehen! Ihr seht, daß diese Prophezeiung ganz wörtlich eingetroffen ist. Ihr wolltet ihn begnadigen und habt ihn der Strafe Gottes übergeben.‹ Dieser aber hat ihn schneller gerichtet, als ich es wollte, und ihn durch keine andere Hand, als diejenige seines Mitschuldigen sterben lassen. Wir sind gerächt!«

»Ja, wir und die Manen der Mutter und des Pflegevaters. Doch laßt uns Christen sein und nicht länger zürnen. Der Graf Antonio de Mediana soll nicht von den Geiern zerrissen werden, sondern eine ruhige Grabstätte finden.«

»Ja, laßt uns ihn begraben,« stimmte Pepe bei, »und mit ihm seinen Ring, der nun seinen Zweck erfüllt hat, mich an meine Rache zu mahnen.«

»Der beste Ort, die Leiche zu bestatten, ist das Grabmal des Häuptlings,« meinte der Kanadier. »Laßt uns sehen, ob sich sein Inneres öffnen läßt!«

Sie bestiegen die Pyramide und suchten nach dem Eingange. Er bestand in einem senkrecht hinabgehenden Loche, welches durch einen schweren Stein verschlossen war.[426] Der Riesenkraft des Kanadiers gelang es, ihn zu entfernen, worauf sich Fabian an einem Lasso hinabließ. Es war vollständig dunkel in dem Innern der Grabstätte, welche in einem nicht sehr hohen und breiten viereckigen Raume bestand. Fabian tastete umher und fühlte die Leiche des Häuptlings, welche vollständig versteinert war und schon sehr lange Zeit hier aufbewahrt sein mußte, wie das Alter der Bäume bewies, welche droben auf der Pyramide standen.

Es war noch genug Raum da für die Leiche Don Arechiza's, des Herzogs von Mediana. Fabian kehrte also zur Höhe zurück, und nun wurde der Verstorbene empor zur Höhe getragen. Nachdem sein Erbe Alles an sich genommen hatte, was der Todte Werthvolles an sich trug, entblößte Bois-rosé sein Haupt und sprach ein kurzes Gebet. Dann ließ sich Diaz in das Begräbniß hinab, um die Leiche seines Anführers in Empfang zu nehmen und ihr unten einen Platz anzuweisen. Als er wieder oben angelangt war, wurde der Eingang wieder in der alten Weise verschlossen und zwar so sorgfältig, daß nicht die geringste Spur des Geschehenen zu bemerken war.

Jetzt trat der Kanadier mit wieder entblößtem Haupte zu Fabian und reichte ihm die Hand.

»Jetzt, mein Sohn, bist Du Graf von Mediana und nicht nur Herr der Bonanza, sondern auch Besitzer alles dessen, was Don Arechiza hinterlassen hat. Ich huldige Dir als der Erste, der sich Deinen Diener nennt, und bitte Dich nur, mir in Deinem Herzen einen Platz zu gewähren für die Zeit, die Gott mir noch auf Erden schenkt!«

Fabian schlang liebevoll die Arme um ihn.[427]

»Nicht mein Diener, sondern mein Vater bist Du, und alle Liebe und Achtung, die einem solchen gehört, sollst Du bei mir finden jetzt und allezeit.«

Auch Pepe reichte ihm die Hand.

»Don Fabian de Mediana, vergeßt Pepe, den Schläfer nicht, wenn Ihr einst ein großer Herr geworden seid!«

»Um dieses werden zu können,« fügte Diaz hinzu, »werdet Ihr vielleicht unseres Zeugnisses bedürfen. Rechnet dabei auch auf mich, Sennor. Ich werde den Tag niemals vergessen, an welchem ich mit Euch und den ›Herren der Savanne‹ über einem Granden des stolzen Mutterlandes zu Gerichte saß!«

»Sennor Diaz, schließt Euch uns an!« bat Fabian. »Es blüht Euch bei der Expedition kein Heil, und Ihr werdet Männer in uns finden, die Eure Begleitung besser zu schätzen wissen als die Abenteurer, denen Ihr Euch bisher angeschlossen habt.«

»Ich danke Euch, Don Fabian! Ich würde Eurem Wunsche gern Folge leisten, aber ich bin Lieutenant Don Arechiza's gewesen und habe jetzt die Verpflichtung, seine Stelle zu vertreten. Wollt Ihr allein zurückkehren oder könntet Ihr Euch wohl entschließen, mit mir zum Lager zu kommen?«

»Wir haben nichts gemein mit den Leuten Eurer Expedition,« meinte Bois-rosé, »und sind allein sicherer als bei ihnen.«

»Aber wie wollt Ihr die Schätze Eurer Bonanza fortbringen, da Ihr doch weder Reitthiere noch Wagen habt?«

Der Kanadier und Pepe blickten Fabian fragend an. Dieser senkte nachdenklich den Blick zur Erde.[428]

»Mein Vater,« sprach er endlich, »wirst Du mir zürnen, wenn ich alle diese Schätze hier lasse?«

»Wie,« rief Diaz erstaunt, »Ihr wolltet einen Reichthum, mit welchem man ein Königreich bezahlen kann, den Wilden oder der Expedition in die Hände fallen lassen? Er ist doch Euer unbestrittenes Eigenthum!«

»Habt Ihr nicht selbst auf diesen Reichthum verzichtet, vorhin als Ihr an der Bonanza standet?« lächelte der Gefragte.

»Weil ich wußte, daß er nicht uns, sondern Euch gehört.«

»Ich will ihn auch weder Euern Goldsuchern noch den Indianern lassen, aber ihn jetzt mitzunehmen habe ich weder die Lust noch die nöthigen Transportmittel.«

»Santa Lauretta, was wollt ihr denn damit thun? Denkt nur ganz allein an den kostbaren Westenknopf, der dem Lautenspieler das Leben gekostet hat! Ich glaube, man könnte mit ihm sämmtliche Thunfische bezahlen, die in zehn Jahren in den verteufelten Gewässern von Ceuta gefangen werden.«

»Ihr habt ganz recht gesagt, Pepe, daß er Oroche das Leben gekostet hat. Dieses Gold hat eine teuflische Macht. Marcos Arellanos, die meisten Glieder Eurer Expedition, Sennor Diaz, und zuletzt Don Estevan selbst mit Cuchillo haben ihr Verlangen mit dem Tode büßen müssen. Wir werden die Schätze vergraben und verstecken, so daß sie niemand findet, und später kommt dann vielleicht einmal die Zeit, in welcher wir sie wieder aufsuchen und ohne die jetzige Gefahr in Sicherheit bringen können.«

»Ich gebe Dir recht, mein Sohn,« stimmte der Kanadier[429] bei. »Laßt uns zu dem Placer gehen und sehen, was zu thun sein wird!«

Sie verließen die Pyramide und begaben sich zur Bonanza.

Nur Männer, wie diese Vier waren, konnten eine solche Fülle des verführerischen Metalles sehen, ohne von der Macht des Goldes gepackt zu werden, und trotzdem war es besonders Pepe, der sich beinahe doch berauscht fühlte von dem Anblicke der glänzenden Steine, die in einer Menge das Thal erfüllten, wie man es kaum für möglich gehalten hätte.

»Nehmt die Messer zur Hand und helft mir!« bat Fabian.

Der weiche Boden des Thales bot ihren Bemühungen wenig Hindernisse dar; das von Zeit zu Zeit sich von den Bergen ergießende Wasser hatte ihnen durch verschiedentliche Auswaschungen und Unterhöhlungen beträchtlich vorgearbeitet, und so gelang es ihnen, bis zum Anbruch des Abends das sämmtliche Gold, auch das bereits in den Decken befindliche, und den Block, so zu verbergen, daß es nur Demjenigen, der von der Bonanza wußte, möglich war, es zu finden.

»Bis hierher habe ich Euch helfen müssen, Sennores,« sprach jetzt Diaz. »Nun aber ruft mich meine Pflicht. Was werdet Ihr jetzt thun?«

»Es ist bereits dunkel,« antwortete der Kanadier, »und wir werden heut also die Gegend nicht verlassen, sondern unser Lager droben auf der Pyramide aufschlagen, da wir dort vor einem etwaigen Angriffe am meisten geschützt sind.«

»Und morgen früh,« fügte Pepe bei, »werden wir[430] sofort die Spur dieses Baraja verfolgen müssen. Er ist der einzige Unberufene, welcher die Bonanza kennt, und wir müssen ihn auf diese oder jene Weise zum Schweigen bringen.«

»Thut dies,« stimmte Diaz ein. »Er ist der Mörder Oroche's und muß seine Strafe finden. Was mich betrifft, so könnt Ihr sicher sein, daß kein Mensch von mir ein Wort über die Anwesenheit des Goldes erfahren wird. Es gehört Euch, Don Fabian, und ich möchte nicht schuld sein, daß Euch auch nur ein Körnchen davon unrechtmäßiger Weise hinweggenommen werde. Jetzt aber lebt wohl!«

»Lebt wohl! Und wenn Ihr einiger Arme bedürft, so wißt Ihr, wo wir bis morgen zu finden sind,« antwortete der Kanadier. »Es sollte mich wundern, wenn heut die Wilden Eurem Lager nicht wieder einen Besuch abstatteten.«

Sie reichten sich die Hände.

»Und nehmt meinen Dank, Sennor Diaz,« sprach Fabian, »für die Hülfe, welche Ihr uns heut geleistet habt. Kommt Gelegenheit, so werden wir sie Euch gern vergelten!«

»Nicht Ihr seid es, sondern ich bin es, der zu danken hat. Ihr schontet so großmüthig meines Lebens, während ich feindselig gegen Euch handelte. Und daß ich mich dann am Gericht betheiligte, war einfach meine Pflicht. Lebt wohl!«

»Lebt wohl!« klang es dem scheidenden Indianertödter nach; dann verschwand er im Dunkel, und seine davoneilenden Schritte verhallten in der Stille der Nacht.

Die drei Jäger schafften die Gewehre Don Estevans und Cuchillo's nebst den Decken und Sätteln der getödteten Pferde auf die Pyramide, wo sie sich ein Lager bereiteten.[431]

»Ein Feuer dürfen wir uns hier nicht anzünden,« warnte der Kanadier. »Es würde zu weit in die Ebene hinunterleuchten und die Wilden herbeilocken.«

»So essen wir kalt!« entschied Pepe.

Er brachte einige Stücke getrockneten Fleisches hervor, während Bois-rosé aus seiner Ledertasche für Jeden ein Quantum Pinole hervorlangte, jenes beliebte Nahrungsmittel der mexikanischen Savannero's, welches aus zerstoßenem Mais besteht, der mit ein wenig Zucker und Zimmet vermischt wird.

Nachdem die frugale Mahlzeit gehalten worden war, bat Fabian, ihm die erste Wache zu überlassen. Die Ereignisse des Tages hatten ihn innerlich so angegriffen, daß er das Bedürfniß fühlte, mit seinen Gedanken allein zu sein. Er setzte sich auf einen der Steine, welche die Brüstung bildeten; die beiden Andern aber hüllten sich in ihre Decken und schlossen die Augen, um sich durch den Schlaf für die kommenden Anstrengungen zu stärken. – – –[432]

Quelle:
Der Waldläufer von Gabriel Ferry. Für die Jugend bearbeitet von Carl May. Stuttgart (1879), S. 371-433.
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